Illustration: © Birgit Heimbach

Als junge Frau lebte ich ein paar Jahre auf dem Land und bewegte mich in »alternativen« Kreisen. Wir machten alles etwas anders als üblich – lebten als Erwachsene in Wohngemeinschaften, nutzten Kräuterwissen, Homöopathie, Shiatsu oder Reiki, aßen vegetarisch vom regionalen Bio-Hof und wohnten möglichst ökologisch. Manche wurden Heilpraktiker:innen oder selbst ernannte Heiler:innen. Unter uns, wie auch unter den dortigen Hebammen, war eine tiefe Skepsis gegen Schulmedizin und Impfen sehr verbreitet, Homöopathie war in der Arbeit quasi Standard.

Die meiste Zeit fühlte ich mich wohl dabei, denn es gab viel Lebenslust, tolle Feste oder gemeinsames Arbeiten. Ich lernte Holzböden zu verlegen, zu flexen und zu schweißen, Gemüse und Kräuter zu ziehen. Ich war Teil einer Gemeinschaft mit starken Werten.

Aber natürlich gab es auch Konflikte. Manche waren suchtkrank, andere wurden psychisch krank, es gab tätliche Übergriffe zwischen Partner:innen und bittere Trennungen. Manche vertraten seltsame Ansichten und bei manchen war die Abgrenzung zur »normalen« Gesellschaft Lebensziel und Kraftquelle zugleich. Gesundheit wurde als eine Frage der individuellen Lebensführung oder des schieren Willens betrachtet. Als die ersten schnurlosen Telefone auftauchten, kursierten Gerüchte, dass sie Krebs erzeugen könnten und dass es gefährlich sei, in der Nähe von Mobilfunkmasten zu wohnen, »wegen der Strahlung«. Selbst Windräder galten als gefährlich, und auch das Schlafen über Wasseradern oder neben Stromleitungen wurde als krankmachend angesehen.

Ich hatte mich damals selbst lange für viel Geld mit »alternativen Heilmethoden« behandeln lassen. Es hatte meine Probleme jedoch nicht gelöst, weder die körperlichen noch die seelischen. Meine Beschwerden, mein Kummer und meine Einsamkeit nahmen eher zu. Mit der Zeit fühlte ich mich immer unwohler. Das Gefühl von Gemeinschaft funktionierte nur über die Abgrenzung vom Rest der Gesellschaft. Ich aber hatte inzwischen ein Kind und wusste, dass es diese Gesellschaft brauchen würde.

Ich zog zurück in die Stadt – und atmete auf. Erst jetzt merkte ich, dass der permanente moralische Druck mir nicht gutgetan hatte. Ich begann eine Psychotherapie und kämpfte um meinen Platz in der Gesellschaft. Das war nicht einfach, aber es fühlte sich wenigstens real an. Ich begann, Unvollkommenheit als etwas Menschliches zu akzeptieren. Ich suchte mir Freund:innen und Arbeitszusammenhänge, die mir guttaten und die mich nährten. Und ich schloss Frieden mit der Welt, wie sie ist.

Zitiervorlage
Franke, T. (2022). Frieden schließen. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 74 (2), 104.
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