Mitunter können Frauen größere Mengen Milch spenden – für Frühgeborene die Nahrung Nummer eins. Foto: © Karin Berghammer
Begeistert beschreibt die Diätologin Katharina Youssef verschiedene Eigenschaften von Muttermilch und findet dafür entsprechende Vergleiche: Sie sei Spitzenklasse und käme einem Ferrari gleich, Stillen sei eine erste Impfung, die Vormilch sei wie ein durstlöschender Apfelsaft »g´spritzt« und die Hintermilch wie eine sättigende Hauptmahlzeit – das anschließende Kuscheln sei das Dessert. Ein »Top Sekret« eben.
Im neuen Film der österreichischen Hebamme und Filmemacherin Karin Berghammer trägt Youssef einen blütenweißen Kittel sowie eine Papierhaube und spricht strahlend in die Kamera. Man sieht sie bei ihrer Arbeit im Laboratorium der Milchküche der Semmelweis Frauenklinik in Wien, gemeinsam mit einer jüngeren Kollegin.
Die beiden Frauen öffnen jede einzelne der von den Milchspenderinnen abgegebenen Flaschen, riechen an der Milch, ob sie auch nicht sauer oder verdorben ist. Sie tauschen sich kurz darüber aus, dass offenbar mehrere Flaschen von derselben Mutter sind, denn sie erschnuppern dieselbe zuvor eingenommene Nahrung. Sie filtern die Milch durch ein Tuch und lassen sie in einen großen Emaille-Topf tropfen. Später werden Glasflaschen mit der Milch in einem Gerät mit Kronkorken verschlossen und in tragbare Drahtgestelle gestellt, die zum Teil mit weißen Tüchern gegen Staub geschützt sind. Dann werden sie mit je einem kleinen runden nummerierten Stahlschildchen versehen. Einige dieser Drahtkörbe mit gefüllten Milchflaschen werden zur Kühlung in große Wasserbehälter getaucht, die sonst auch zum Pasteurisieren dienen.
Die Kamera-Einstellungen erlauben einen Rundumblick in die Milchküche: Es gibt viele Glasscheiben zwischen den strahlend sauberen Räumen, viele Fenster nach draußen, viel weiß gestrichenes Holz, weiße Kacheln, hellblaue Schränke, überall ganz leichte Abnutzungserscheinungen. Der Terrazzo, dieser Bodenbelag aus Bindemittel und Gesteinskörnungen, erinnert an die für alte Krankenhäuser typischen Böden.
Foto: © Karin Berghammer
Die Frauenmilchsammelstelle der Semmelweis-Frauenklinik in Wien hat in diesen Räumen seit Jahrzehnten die Milch von Müttern für andere Mütter aufbereitet. In den 1950er Jahren hat sie die Milchküche vom Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital übernommen, welches weltweit 1908 als erste Einrichtung begonnen hatte, Spendermilch zu sammeln. Das war der Anfang dafür, dass das Ammenwesen allmählich abgelöst wurde.
Kurz bevor 2019 die Semmelweis-Frauenklinik geschlossen wurde, drehte Berghammer noch die Szenen für ihren Film »Top Sekret – Körperflüssigkeiten«. So erhascht man letzte Einblicke in diese ehrwürdige Anstalt. Berghammer drehte anschließend auch in der Klinik Floridsdorf, wo die Sammelstelle nun unter der zeitgemäßeren Bezeichnung »Humanmilchbank« auf insgesamt 225 Quadratmetern neu eröffnet wurde. 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV), unter ihnen 50 Hebammen, wurden dorthin übernommen.
Alles sieht nun sehr modern aus, Stahlschränke, Stahltöpfe, neueste Technik. In einer Szene sitzen einige Mitarbeiterinnen, deren Dienstkleidung nun meist grün ist, mit der Neonatologin Dr. Nadja Haiden von der Medizinischen Universität Wien zusammen. Sie tauschen sich darüber aus, wie gut der Einsatz von Social Media gewesen sei, denn hätten sich viele Spenderinnen gemeldet.
Die Neonatologin betont vor der Kamera, dass es besonders für Frühgeborene kein anderer Behandlungskonzept gegen Darmentzündung gebe als die Gabe von Muttermilch. Im Grunde sei sie ein Medikament. In den 1970er und 1980er Jahren seien viele Milchbanken geschlossen worden, in Westdeutschland sogar alle. Heute erlebten sie eine Renaissance.
Haiden ist es wichtig, dass die Muttermilchspende ein altruistischer Akt bleibt. Sie setzt sich ein für einen Fortbestand der europaweiten Preisbindung für diese »extrem wertvolle« Substanz. Dies sei auch europaweit über das EU-Parlament ganz klar reguliert. In den USA dagegen sei Muttermilch für teures Geld als ein Lifestyleprodukt zu haben. Es gelte Zustände wie in den USA zu verhindern, wo der Internethandel mit dem begehrten Stoff wilde Blüten treibe. Man erfährt im Film, dass Bodybuilder bereit seien, bis zu 170 Dollar für einen Liter zu bezahlen. Eine stolze Summe, die Mütter ohne eigenes Einkommen dazu verführe, ihre Milch zu verkaufen. Ihre Kinder würden stattdessen mit Formula-Nahrung abgespeist, so Haiden. Auch in Floridsdorf dürfen Privatpersonen Milch kaufen – neben der Frauenmilchbank in Dresden offenbar der einzige Ort im deutschsprachigen Raum. Im Verkauf kostet die Milch 7,30 Euro pro Liter. Pro Kind können allerdings maximal vier Liter erworben werden.
Wie lebenswichtig Muttermilch ist, verdeutlich der Film mit einem Beispiel: In einigen privaten Filmszenen einer Familie sieht man das kleine Frühgeborene Leopold vor 17 Jahren im Allgemeinen Krankenhaus Wien. Leopold bekommt von seiner Mutter Milch über eine Magensonde. Anschließend folgen aktuelle Szenen, in denen sich Mutter und Sohn, dem man nichts mehr von seinem schwierigen Lebensanfang anmerkt, gemeinsam zurückerinnern.
Man sieht auch einer jungen Mutter beim Abpumpen für die Milchbank zu. Sie spendet alle 14 Tage erstaunlicherweise bis zu 20 Liter ihrer eigenen Milch. Daneben ernährt sie noch ihren Säugling. Fünf Mal am Tag pumpe sie ab, die Milch werde abgeholt, erzählt sie. Pro Liter erhalte sie 2,33 Euro.
Foto: © Karin Berghammer
Zur akustischen Kulisse der meisten Filmszenen gehört ein beinahe ständiges Plätschern, zartes Trommeln, Tröpfeln, Tropfen, Gluckern oder Fließen. Der Film ist dreigeteilt, nach dem Teil über Milch geht es um Sperma und Blut. Es wird thematisiert, was der Wert dieser Flüssigkeiten ist, wer ihren Preis bestimmt und wer sie bekommt. All diese Sekrete kann man bisher nicht künstlich herstellen. Man erfährt: Muttermilch und Blut sind mitunter lebensrettend, Sperma ist lebensspendend.
Während von Muttermilch und Blut in der Regel das ganze Sekret wichtig sei – bis auf die Plasma-Spende, bei der nur der flüssige Teil des Blutes gesammelt werde – werde vom Sperma nur ein winziger Teil, nämlich 0,5 %, benötigt: die Spermien. Nur sie würden in den Samenbanken aufbewahrt. Das komplette Sperma werde nur weitergegeben bei einer sogenannten Becherspende, die von privat zu privat weitergereicht werde – all dies wird im Film erläutert, der bereits im November im Fernsehen ausgestrahlt wurde (ORF, Bayerischer Rundfunk).
Man darf dabei zuschauen, wie sich ein lesbisches Pärchen mit dem zukünftigen Samenspender ihres Wunschkindes trifft, um vor einer Becherspende einen persönlichen Kontakt aufzubauen. Und man bekommt einen Eindruck vom täglichen Ablauf in einer Samenbank: Lieferung von flüssigem Stickstoff zur Aufbewahrung der Spenden, Besuch eines Spenders, Blick durch das Mikroskop auf die Spermien, die von einer medizinischen Fachangestellten auf ihre Beweglichkeit und Gestalt geprüft werden. Erstaunlich erscheint es, dass bei den für die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSi-Verfahren) ausgewählten Exemplaren die Geißel zerstört werden müsse, denn der Kopf dürfe nur unbeweglich in die Eizelle geschoben werden.
Ein paar erläuternde Worte sprechen der Geschäftsführer, der gleichzeitig eine Praxis für Fertilitätsmedizin leitet, ein Spender, der für sechs Ejakulate das Honorar von 780 Euro bekommt, und eine Frau, die selbst durch eine Samenspende entstanden ist.
Foto: © Karin Berghammer
Im dritten Teil widmen sich einige Szenen der Blutspende beim Roten Kreuz. Die interviewten Spender:innen, die auf Liegen in einer für den Tag umgerüsteten Halle ruhen, sind von der Wichtigkeit ihrer Spende überzeugt, für die sie nichts weiter erwarten als das übliche Dankeschön. Für eine Plasmaspende für die Firma Europlasma dagegen gibt es 25 Euro. Die Firma hat ihre Niederlassung wohl nicht zufällig nah an der österreichischen Grenze zu Tschechien eingerichtet, denn diese Aufwandsentschädigung zieht vor allem von dort Interessierte an. Die Kamera darf in einigen der Räume filmen, man hört viel Tschechisch. Danach lernt man eine Frau kennen, die nur leben kann, weil sie in einer Apotheke regelmäßig eine Plasmaspende beziehen kann – finanziert von ihrer Krankenkasse. Sie ist unheimlich dankbar, weil sie dadurch überhaupt ein Leben habe. Sie leidet unter einem primären Immundefekt. 600 Spender:innen sind für sie nötig, hat sie ausgerechnet. Beeindruckend!
Eher unangenehm berührend ist dagegen das Vorgehen beim teuren Vampirlifting, bei dem sich eine Frau mit normalen Alterungserscheinungen zur vermeintlichen Verjüngung von einer zackigen Ärztin erstmals Eigenblut in die Gesichtshaut spritzen lässt mit den Worten: »Einmal ist ja so gut wie kein Mal.«
Im Gegensatz zu allen anderen Beispielen ist dies keine Spende für jemand anderes – höchstens eine für die Geldbörse der Ärztin.
Zweifel erregt auch eine andere Szene: Eine Ärztin, die auf Aderlass schwört und einen eigenwilligen Vortrag zur Interpretation der Persönlichkeit eines Menschen mittels Beschau des abgezapften Blutes hält, lässt eine Frau auf einer Behandlungsliege zur Ader und erklärt, dass dieser Blutverlust laut Hildegard von Bingen wie ein frischer Mairegen für den Körper sei. Hier geht es nicht um das Verwerten eines Körpersekrets als nutzbringende Methode, sondern um dessen Verwerfen. In dem Fall also keine Ware. Aber vielleicht doch eine Spende – zumindest für Berghammers informativen Film, bei dem nichts »top secret« blieb.