Sie sitzt seit zehn Minuten allein im Bad. Dieser Ort, der mit ihrer Stammhirnkompetenz des Ausscheidens seit Kindesbeinen verbunden ist, gibt ihr den Raum für Rückzug. Sie erwartet ihr erstes Kind. Und wird ihn sterben, den kleinen Tod. Noch ist sie nicht bereit dafür, aber das Kind wird sie sachte, aber ohne Gnade dorthin bringen.
Einst als Bezeichnung für einen Ohnmachtsanfall verwendet, meint die moderne Interpretation von »petite mort« den bewusstseinsveränderten Zustand in Verbindung mit sexueller Hingabe und Enthemmtheit. Und es gibt sie, die Analogien in den beiden Prozessen des sexuellen Seins und des Gebärens mit ihren Phasen und Höhepunkten. Je mehr ich die Bandbreite dessen zu ermessen lerne, was im Rahmen der Individualität einer Frau ihre persönliche Gebärzeit ist, umso stärker wird mir die Bedeutsamkeit des »kleinen Todes« in der Geburt des ersten Kindes bewusst. Liebenswürdig und ungnädig zugleich greift das Ungeborene die Integrität seiner Mutter an. Im Gebären muss sie einen Weg finden, sich so wenig wie möglich zu widersetzen, um es nicht unnötig zu erschweren. Dieses Kind zu gebären, ist für sie die Schwelle zu einer Tür, durch die sie nur einmal gehen kann: Sie wird vom Mädchen, von einer Tochter zur Mutter. Unwiderruflich!
Diesen Schritt zu tun, erfordert Vertrauen, Raum für Intimität und vor allem Zeit. Zeit, sich dem auszusetzen, was das Ungeborene mit Stoßen, Drehen und Drücken fordert. Zeit zu zögern, zu zaudern, zu verhandeln, sich zu sperren, sich schließlich mangels anderer Auswege hinzugeben und zu gebären.
Einen Raum braucht es, in dem das Sexuelle des Gebärens erlaubt ist und der dazu einlädt, die Bewusstseinsveränderung geschehen zu lassen. Die Schwelle zu überschreiten und das eigene Ego einen »kleinen Tod« sterben zu lassen. Um schließlich neu geboren zu werden als Elternteil dieses Kindes.
Die junge Frau auf der Toilette lässt zuerst einen schrillen, dann einen kehligen Schrei los und beginnt, zum ersten Mal impulsiv mitzuschieben. Sie ist nun bereit, sich der Realität des Gebärens zu stellen. Jede Faser ihres Körpers hat begriffen, dass es keinen anderen Ausweg gibt. Im »Sterben« wird neues Leben geboren – wie überall in der Natur.