Lückenlos dokumentieren
Im außerklinischen Bereich ist es das Hauptproblem, wenn ein Neugeborenes in einem überraschend schlechten Zustand zur Welt kommt. Dabei ist immer wieder festzustellen, dass die Herztöne zu selten oder nicht lange genug gehört wurden und der Puls der Mutter zur sicheren Unterscheidung nicht getastet wurde. Auffallend sind dabei auch oft lange Zeiträume vom vollständigen Muttermund bis zur Geburt des Kindes. Nicht die Dauer ist das Problem, auch wenn ärztliche Gutachter darin immer wieder per se die Ursache erkennen wollen für den schlechten Zustand des Kindes. Problematisch ist die lückenhafte Überwachung des Kindes durch zu seltenes, zu kurzes oder nicht gesichertes Herztöne hören – mit der Frage, ob Mutter oder Kind gehört wurde? Bei kräftigen Wehen in der aktiven Eröffnungsphase sollen die Herztöne mindestens eine Minute lang, direkt nach der Wehe alle 15 Minuten und in der Austreibungsphase direkt nach jeder Wehe oder alle 5 Minuten (je nachdem was häufiger ist) gehört werden (NICE 2007).
Ein „Aufnahmebefund des Kindes“ wird häufig nicht dokumentiert: Welche Lage und Haltung nimmt das Kind ein? Wann hat die Mutter zuletzt Kindsbewegungen gespürt? Kann die Hebamme Kindsbewegungen spüren? Wenn das Kind sich gerade nicht bewegt, sollte sie die Basalfrequenz feststellen. Sie sollte prüfen, ob mit der Bewegung Akzelerationen auftreten. Sind Kindsbewegungen und Akzelerationen vorhanden, ist die Basalfrequenz normal, ist der mütterliche Puls zu unterscheiden und liegen keine Risikofaktoren, wie Fieber, grünes Fruchtwasser oder eine Blutung vor, kann mit dem Einverständnis der Frau auskultiert werden (Gruber, Oehler, & Schwarz 2013).
Die Dokumentation der Herztöne in einem fortlaufenden Text (Geburtsbericht) erschwert das Erkennen einer fortschreitenden Verschlechterung der fötalen Situation. Eine ansteigende Basalfrequenz etwa von 130 auf 160 kann leicht übersehen werden, wenn sich die Herzfrequenz noch im Normalbereich befindet. Sichtbarer wird eine Veränderung der Herztöne in einem Partogramm. Häufig fehlen Aussagen über Kindsbewegungen und gehörte Akzelerationen, obwohl die Hebamme sie wahrgenommen hat.
Wenig aussagekräftig sind auch sporadische Aufzeichnungen der kindlichen Herztöne von etwa zwei Minuten Dauer auf dem CTG. Diese Vorgehensweise geschieht häufig in dem Glauben, Aufzeichnungen auf dem CTG hätten in juristischen Auseinandersetzungen einen höheren Beweiswert als eine rein durch Auskultation ermittelte Zahl. Das ist nicht der Fall. Herztöne ohne parallele Wehenaufzeichnung sind oft nicht eindeutig interpretierbar. Wenn das CTG eingesetzt wird, sollte es richtig angewendet werden.
Ausreichend reanimiert?
Ein weiteres Problem bei außerklinischen Geburten tritt auf, wenn das Neugeborene reanimiert werden muss. Hier fehlen häufig genauere Beschreibungen des Zustandes des Kindes, was getan wurde und welche Veränderungen durch die Maßnahmen eingetreten sind. Die fehlenden Beschreibungen des konkreten Vorgehens können dazu führen, dass von Klägerseite behauptet wird, es sei nicht oder nicht ausreichend reanimiert worden. Nicht ausreichend ist zum Beispiel:
- „12.05 Uhr Spontangeburt eines Jungen aus I. vo HHL, Apgar 1, Reanimation, gleichzeitig Notruf“
Besser:
- „12.05 Uhr Spontangeburt eines Jungen aus I. vo HHL, HF < 60, keine Atmung, schlapp, blass, trockenreiben, blutiges Sekret abgesaugt aus Mund und Nase, keine Reaktion auf Absaugen, Apgar 1. Kopf positioniert, 5 initiale Beatmungen, HF < 60, keine Atembewegungen sichtbar, Korrektur Kopfposition, jetzt Brustkorbbewegungen sichtbar, Reanimation nach Arbeitsanleitung (AA) mit Herzdruckmassage (HDM) und Bebeutelung 3:1
- Gleichzeitig 12.06 Uhr Notruf 112 durch Heb. A: Notarzt (NA), Kinderklinik (Ki.kl) und Baby-Notarztwagen (NAW) angefordert
- 12.08 Uhr HF ca. 80 spm, weiter mit Maskenbeatmung
- 12.09 Uhr Kind wird etwas rosiger, kurze Bewegung Arme und Beine
- 12.10 Uhr Körper rosig, Extremitäten (Extr.) blass, wenig Arm-/Beinbewegung, schnappt etwas nach Luft, kei ne Reflexe, HF > 100, Apgar 5“
Abkürzungen, die verwendet werden, sollten auf einer Abkürzungsliste im QM-Handbuch hinterlegt sein.
In Geburtshäusern finden meist regelmäßige Notfalltrainings statt. Hausgeburtshebammen müssen sich selbst darum bemühen – zur Häufigkeit besteht derzeit noch keine klare Regelung. Die Vorgaben der Berufsordnungen sind zu beachten. Möglichkeiten gibt es in umliegenden Geburtshäusern oder in den Geburtskliniken. Gemeinsame Fortbildungen und Trainings erleichtern die Zusammenarbeit und helfen Vorbehalte abzubauen.
In einigen Fällen fehlt auch eine klare Regelung für Verlegungen. Es sollten Vereinbarungen mit der Rettungsleitstelle getroffen werden: Was kann und soll in welcher Situation angefordert werden? Welche Medikamente führt der Rettungswagen mit sich? Wer hat in welchem Fall das Sagen? Gegenseitige Fortbildung ist hilfreich. Die Hebamme mit außerklinischer Geburtserfahrung kann den Rettungskräften Fortbildung geben, was bei einer normalen Geburt zu tun – oder auch zu lassen – ist. Die Hebamme wiederum kann an Reanimationstrainings teilnehmen. Grundsätzlich übernehmen die Rettungsfachkräfte die Verantwortung, sobald sie anwesend sind.
Der herbeigerufene Notarzt ist jedoch in den seltensten Fällen ein Gynäkologe, sondern ein beliebiger Facharzt. Beispiel: Die Frau hat einen Nabelschnurvorfall. Die Hebamme hat hier darauf zu achten, dass die Frau mit erhöhtem Becken etwa im Vierfüßlerstand transportiert wird. Das steht jedoch im Widerspruch zu den Transportvorschriften. Damit Diskussionen vor Ort vermieden werden, sollten solche Fälle im Voraus in einem protokollierten Gespräch mit der Rettungsleitstelle geklärt werden. Neugeborene sollten in aller Regel nicht im Privat-PKW verlegt werden.
Aufarbeitung
Oft werden Hebammen und ÄrztInnen unter Schuldvorwurf schon im Vorfeld so behandelt, als würde es keinen Zweifel an ihrer Schuld geben. Einen besonders schweren Stand haben da die freiberuflichen Hebammen, die eine Frau von zu Hause oder aus dem Geburtshaus in die Klinik verlegen müssen. Nicht selten sehen sich die außerklinischen Hebammen Vorverurteilungen gegenüber. Immer wieder hört man von klugen Menschen auf Kongressen, dass Menschen nicht fehlerfrei arbeiten könnten, trotz allergrößter Anstrengungen. Aber wenn dann doch etwas passiert, ist davon oftmals leider keine Rede mehr.
Nach wie vor ähneln in vielen geburtshilflichen Abteilungen Fallbesprechungen eher einem vorgezogenen Tribunal, als dass daraus ein positives Fehlermanagement entsteht. Schlimmer noch, oft steigt nach einem Zwischenfall in einer geburtshilflichen Abteilung und einer sogenannten „Fallbesprechung“ für eine gewisse Zeit die Interventionsrate bei den Geburten, die Ähnlichkeiten mit dem besprochenen Fall haben könnten. Diese Handlungen basieren vorwiegend auf der Angst, den gleichen Fehler noch einmal zu machen.
Noch heikler wird es, wenn nach solchen Fallbesprechungen Protokolle angefertigt, allen Beteiligten zur Unterschrift vorgelegt und bei späteren juristischen Auseinandersetzungen herausgegeben werden. Im schlimmsten Fall wird eine solche Unterschrift als Schuldeingeständnis gewertet, je nachdem, wie das Protokoll verfasst wurde. Wenn überhaupt ein Protokoll geschrieben wird, dann sollten darin nur die eventuellen Änderungen beziehungsweise Neuerungen protokolliert werden, und wer sich bis wann um deren Umsetzung kümmert.
Die Nachbesprechung eines Zwischenfalls mit allen Beteiligten, möglicherweise auch mit dem gesamten Team, kann jedoch außerordentlich wertvoll sein. Wenn die Arbeit in einem Notfall richtig gut gelaufen ist, loben Sie sich gegenseitig! In einer gelungenen Nachbesprechung wird vorwurfsfrei und sachlich über den Fall gesprochen. Es werden nicht Schuldige oder Fehler gesucht, sondern es wird gefragt: „Wie konnte das passieren?“ Diese Form der Gesprächsführung haben viele von uns nicht gelernt oder es regiert, wie in alten Zeiten, die Hierarchie. Wer ganz oben steht, entscheidet, ob das Vorgehen richtig oder falsch war. Daher sollten die ersten Besprechungen moderiert werden, eventuell durch jemand externes aus einer anderen Abteilung. Die Kunst des Moderierens ist, keine Bewertungen zum Fall abzugeben, sondern darauf zu achten, dass alle Beteiligten zu Wort kommen. Solche Fallbesprechungen können ein Team stärken, indem ein Gefühl von „gemeinsam durch dick und dünn gehen“ entsteht und sich aufeinander verlassen zu können, nicht alleine dazustehen und die ganze Verantwortung zu tragen, sondern vielmehr das Gefühl: Gemeinsam sind wir stark.
Gleichermaßen wichtig ist das (Nach-)Besprechen der Ereignisse mit den Eltern. Gut ist es, wenn solche Gespräche nicht alleine durchgeführt werden, kein Schuldeingeständnis abgegeben wird und sich die Beteiligten anhand der Krankenakte vorher darauf vorbereiten. Zum Thema Kommunikation gibt es eine Broschüre vom Aktionsbündnis Patientensicherheit „Reden ist Gold – Kommunikation nach einem Zwischenfall“.
Ist ein Nachtrag sinnvoll?
Schwierig wird es für alle Beteiligten dann, wenn die Dokumentation nicht nachvollziehbar ist und/oder unterschiedliche Darstellungen von den Eltern und dem geburtshilfichen Team wahrgenommen und protokolliert werden, so dass Aussage gegen Aussage steht. Es gilt der Grundsatz: Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gemacht. Daher sollten Sie sich nach kritischen Verläufen oder nach Notfallsituationen Zeit nehmen, innerhalb der nächsten Stunden die eigene Dokumentation nochmal durchzulesen und, falls Maßnahmen und wichtige Beobachtungen fehlen, in einem Nachtrag ergänzen.
Sollten Dissonanzen beispielsweise innerhalb des geburtshilfichen Teams vorhanden sein, empfiehlt es sich, dieses in einem Gedächtnisprotokoll aufzuschreiben, um sich später – beispielsweise im Gespräch mit dem Anwalt – noch genau an die Situation erinnern zu können. Dieses Gedächtnisprotokoll sollte nicht an andere Personen herausgegeben werden.
Immer wieder wird von juristischer Seite allen Beteiligten empfohlen, die Geburtsdokumentation direkt nach Abschluss der Geburt zu kopieren. Leider kommt es vor, dass im Nachhinein die Dokumentation verändert wird oder Hebammen oder junge ÄrztInnen gezwungen werden, die Dokumentation neu zu schreiben. Gemeint ist damit nicht eine Ergänzung oder ein Nachtrag, sondern die Dokumentation so zu verändern, dass sie nicht mehr den Tatsachen entspricht. Das wäre Dokumentenfälschung und würde strafrechtlich verfolgt. Hier ist es klug, bei der eigenen Dokumentation zu bleiben, wenn möglich eine weitere Person als Zeugin dazu zu holen, Vorgesetzte darüber zu informieren oder Meldung bei einem der Berufsverbände zu machen.
Pflicht, auf Fehler hinzuweisen
Unstimmigkeiten müssen aber nicht erst oder nur in der Dokumentation notiert werden. Vielmehr haben Hebammen das Recht und die Pflicht zu remonstrieren. Das bedeutet, dass sie eine andere Fachkraft – auch wenn es ein Arzt oder der Vorgesetzte ist – darauf hinweisen muss, wenn sie erkennt, dass er gerade im Begriff ist, einen Fehler zu begehen.
„Im Übrigen muss jeder Arzt wissen, dass unabhängig davon, ob eine horizontale oder vertikale Arbeitsteilung anzunehmen ist, die Hebamme nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht hat, Bedenken gegen ärztliche Anordnungen oder Tätigkeiten zu erheben, wenn hiermit nach ihrer Überzeugung Gefahren für die Mutter oder das Kind verbunden sein können. Jede Arbeitsteilung zwischen Arzt und Hebamme sollte die umfassende Berufsausbildung der Hebammen und ihre häufig erworbene praktische Berufserfahrung berücksichtigen und sie bei aller Weisungsgebundenheit nicht auf den Status eines Heilhilfsberufs herabsetzen“, heißt es in den „Empfehlungen zur Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme in der Geburtshilfe – aus ärztlicher Sicht“ (DGGG 2012).