Eine Stillkaries ist selten, muss aber in jedem Fall behandelt werden. Foto: © Colourbox/Skrypko Ievgen

Eine Mutter berichtet über ihre Erfahrung mit der Diagnose eines Stillkaries bei ihrem vierten Kind. Dabei lag ihr und ihrem Mann die Zahnhygiene bei allen Kindern sehr am Herzen. Alle vier wurden überdurchschnittlich lange gestillt, aber Karies hatte nur das jüngste. An einer Zahnbehandlung in Vollnarkose ging kein Weg vorbei.

Ich bin das, was man landläufig eine Langzeitstillmutter nennt. Meine Kinder habe ich 16, 18 und 25 Monate gestillt, das vierte Kind ist heute 24 Monate alt und ich stille es noch. Während die drei größeren Kinder trotz hoher Stillfrequenz bisher keine Zahnprobleme hatten, bekam Nummer vier mit 15 Monaten die Diagnose: Stillkaries. Als die Kinderzahnärztin unseres Vertrauens uns die Diagnose nannte, war ich verletzt und wütend. Mein Mann blieb ruhig, ich dagegen konnte meine Tränen kaum zurückhalten. Ich stille aus Überzeugung und mit bester Erfahrung. Und jetzt sollte mein Kleiner vom Stillen eine Karies haben? Wie ist das möglich?

Gesunde und schöne Zähne sind uns wichtig. Wir tun das elternmögliche, um die Zähne unserer Kinder gesund zu erhalten. Deshalb waren wir schon mit dem ältesten Kind beim Zahnarzt, als sich der erste Milchzahn zeigte. Seitdem gehen wir mit den Kindern zweimal im Jahr zur Kontrolle, bezahlen jedem zweimal jährlich eine professionelle Zahnreinigung und haben das erste und das dritte Kind in der frühen kieferorthopädischen Behandlung, Nummer zwei steht sie bevor. Die Kinder wurden und werden im Kinderladen und in der Grundschule zahntechnisch beobachtet. Und daheim sind wir konsequente Zahnputzeltern, die keinen Schummel durchgehen lassen. Die Kinder putzen, wir putzen nach – bis zum Alter von neun oder zehn Jahren sei das normal, sagen die ZahnärztInnen (siehe auch DHZ 10/2015, Seite 71ff.).

Selbstverständlich haben wir auch unser Jüngstes in unsere alltägliche Zahnpflege einbezogen. Vor dem ersten Zähnchen spielerisch, sobald es da war ernsthaft. Wir putzen mit Finger­aufsatzbürstchen und Kinderzahnbürste. An schlechten Tagen bringen wir unseren Kleinen damit zweimal zum Weinen: Papa hält ihn fest und Mama sperrt – auch gegen Widerstand – den Kiefer auf und putzt. Trotzdem hatte das Kind mit 15 Monaten an den vorderen oberen Schneidezähnen plötzlich braune Ränder – und Minuten nach deren Entdeckung einen Zahnarzttermin. Der endete damit, dass ich unter Tränen die vorgeschlagene Therapie akzeptierte, obwohl sie mir Angst machte: eine Karies-Behandlung unter Vollnarkose. Da unser Sohn seine sechzehn Zähnchen ob des Stresses standhaft zusammenbiss, konnte die Zahnärztin die Situation noch nicht einmal sicher abschätzen: Schlimmstenfalls käme ein Ziehen der kranken Zähnchen auf uns zu. Mit dem Stillen, insbesondere nachts, sollte ich besser so schnell wie möglich aufhören, riet mir die Zahnärztin. Das sei der Grund für die Karies.

Hauptursachen für frühe Karies

Ich wehrte mich heftig gegen den Gedanken, das Kind jetzt schon abzustillen – noch gab ich ihm mindestens alle zwei Stunden die Brust. War das tatsächlich nötig? In einschlägigen Internetforen berichten Eltern über Diagnose, Therapien mit oder ohne Erfolge, über ihre Ängste und Sorgen mit Stillkaries. So richtig passte keiner der Fälle auf uns. ZahnärztInnen schrei­ben im Netz häufig von „Fläschchenkaries”. Sie würden es wohl am liebsten sehen, wenn mit dem ersten Zahn abgestillt würde. Ihre Begründung: Muttermilch enthalte Zucker und der umspüle insbesondere beim nächtlichen Stillen die Zähne sehr lange und erhöhe so das Risiko, eine Karies zu entwickeln oder zu fördern. Ich las von den Hauptrisikofaktoren für frühkindliche Karies: mangelnde Mundhygiene, falsche Ernährung und eine frühzeitige Besiedlung mit Mutans-Streptokokken, den Leitorganismen der Zahnkaries, die bei fast jedem im Speichel vorkommen. Kein Wort vom Stillen!

Die beiden ersten Faktoren schloss ich für unseren Fall aus. Und die LaLecheLiga (LLL) belegt mit Studien, dass die Position der Brust im Kindermund beim Stillen von Natur aus so ist, dass die Zähnchen gar nicht so von der Milch umspült werden wie beim Saugen am Fläschchen. Dass unser Sohn in Kontakt mit meinen Mutans-Streptokokken gekommen ist, kann ich nicht ausschließen, obwohl wir alle in enger zahnärztlicher Betreuung sind und keinem der Familie eine Karies bescheinigt worden war. Doch vielleicht reichte schon eines der Mikroorganismen, um die Karies bei unserem vierten Kind auszulösen: Feuchte Küsschen, das gemeinsame Essen von einem Löffel und das Abnehmen von der Brust (mit angefeuchtetem Finger in den Mundwinkel des Kindes geschoben) gab es sicher.

Ich entschied, die Stillbeziehung zu meinem Kind aufrechtzuerhalten. Ich achtete jedoch fortan streng darauf, dass trocken geküsst, kein Löffel geteilt und auch das Abnehmen von der Brust ohne feuchten Finger praktiziert wird.

Aufklärung nimmt die Angst

Je näher der Behandlungstermin rückte, desto schlechter ging es mir. Zufällig hörte ich, dass die Kinder zweier Freundinnen in unserer Zahnarztpraxis ebenfalls unter Narkose behandelt worden waren. Deren Schilderungen des Verlaufs halfen mir. Am Tag vor dem Termin meldete sich wie angekündigt der Anästhesist und informierte über die Narkose. Er nahm sich Zeit, ging auf meine Sorgen und Ängste ein – und beruhigte mich sehr.

Während der Nacht vor der Behandlung stillte ich bis vier Uhr, wie gewohnt. Als unser Sohn um sechs aufwachte und nach meiner Milch verlangte, beruhigten wir ihn mit vereinten Kräften – ohne Milch – und liefen zu Fuß durchs aufwachende Hamburg. Wir kamen recht ruhigen Gemütes in der Praxis an, wo uns der Anästhesist begrüßte. Der Kleine wurde sofort mit einer betäubenden Creme in den Armbeugen und auf dem Handrücken versorgt, um die späteren Stiche der Narkosespritze nicht zu spüren, und durfte ein Schlückchen Apfelsaft trinken. Zu unser aller Leid ließ sich die Narkose dann jedoch nicht auf den ersten Stich setzen. Es gab viele Fehlversuche, weil die Äderchen des Kleinen jedes Mal platzten. Als unser Sohn nach 38 Minuten in meinen Armen wegsackte, hatten alle Beteiligten Tränen in den Augen. Der Anästhesist meinte, so schwierig sei es für ihn in mehr als 20 Jahren tagtäglicher Praxis noch nie gewesen, eine Narkose zu setzen. Mit der Kinderzahnärztin hatten wir zuvor vereinbart, die Milchzähnchen möglichst zu erhalten. Sie fand an allen vier oberen Schneidezähnen und den beiden oberen sowie einem der unteren Backenzähnchen Karies, die sie entfernte. Wo es nötig war, baute sie die Zähnchen mit Kunststoff auf (Kostenpunkt: knapp 480 Euro Eigenanteil). Sie schätzte die Zahnsubstanz unseres Sohnes als grundsätzlich problematisch ein und legte uns künftig eine engmaschige Kontrolle nahe. Wir putzen seitdem die Zähne des Kleinen mit einer elektrischen Zahnbürste. Die ersten Kontrollen nach einem, drei und sechs Monaten zeigten keinerlei Auffälligkeiten – trotz Weiterstillens.

Muttermilch und Kariesentstehung

Muttermilch ist optimal zusammengesetzt, um Menschenkinder mit allem zu versorgen, was sie brauchen, bis sie feste Nahrung bekommen können (Both 2003). Zudem ist Stillen wichtig für die Entwicklung und das Wachstum der Kiefer und Muskulatur. Die Natur hat vorgesehen, dass Babys so lange gestillt werden, bis sie imstande sind, weiche Nahrung abzubeißen. Dies ist der Fall, wenn die Frontzähne durchgebrochen sind, also im sechsten bis zehnten Monat. Hier ist der optimale Zeitpunkt, um vom Stillen auf weiche, breiige Nahrungsmittel umzusteigen. So wird das Kind langsam und schrittweise an die spätere Vollkost gewöhnt, die mit dem Durchbruch der seitlichen Backenzähne ab etwa zwölf Monaten beginnt.

Häufig wird mit den ersten Milchzähnen im Mund weitergestillt, was zu kariogenen Folgen an den Zähnen führen kann, die ähnlich denen der „Flaschenkaries” sind. Hauptursache ist hierbei das nächtliche Stillen. Denn im Vergleich zum Stillen am Tag können sich die Zähne nicht optimal von den Zuckerattacken erholen. Muttermilch enthält etwa sieben Gramm Kohlenhydrate pro 100 Milliliter, Kuhmilch 4,8 Gramm pro 100 Milliliter. Zum einen wird nachts wesentlich weniger Speichel produziert, so dass die Zähne nicht umspült werden können. Zum anderen ist die Häufigkeit ausschlaggebend, denn oft können die Kinder unkontrolliert an die Brust.

Die praktische Erfahrung zeigt, dass fast alle Kinder in unserer Kinderarztpraxis, die bezahnt gestillt werden, eine Karies entwickeln. Die Ausprägung ist dabei abhängig von der Tageszeit, Häufigkeit und Dauer des Stillens. Oft können wir ziemlich genau einschätzen, wann abgestillt wurde – und zwar am Befall der zu dem Zeitpunkt bereits durchgebrochenen Zahngruppen. Obwohl häufig anders zu lesen, ist es für Kinder mit Zähnen im Mund völlig unmöglich, die Mamille so zu erfassen, dass die Zähne der Milch nicht ausgesetzt sind. So werden vor allem die oberen Frontzähne umspült, gefolgt von oberen Backenzähnen und schließlich sind auch die unteren Backen- und die unteren Frontzähne betroffen. Die Therapie beginnt im optimalen Fall in der Ursachenbehebung, das heißt Abstillen. Danach beziehungsweise zeitgleich erfolgt die Reparatur der befallenen Zähne mit Füllungen, Kronen oder im schlimmsten Fall Extraktion. Dies ist alles andere als wünschenswert, denn meist haben die Kinder dann noch vier bis fünf Jahre oder länger eine Lücke in der Front. Diese wiederum führt zu negativen Folgen fürs Abbeißen. Sie beeinträchtigt Ernährung, Phonetik und Ästhetik. Ein langer Rattenschwanz beginnt. Denn oft ist Logopädie oder Kieferorthopädie notwendig, um entstandene Sprach- und Schluckfehler zu beheben. Um dies zu vermeiden, raten wir den Eltern ausdrücklich, nach dem Zähneputzen nachts nur noch Wasser oder ungesüßten Tee anzubieten.

Irene Riemer, Kinderärztin, Hamburg. Kontakt: ira_riemer@gmx.de

Narkose für Kleinkinder zur Zahnbehandlung

In zweifacher Hinsicht stellen Kleinkindnarkosen zur Zahnbehandlung eine Besonderheit dar:

· Sie werden fast ausnahmslos ambulant durchgeführt, weil die kinderzahnärztlichen Zentren selten an Kliniken etabliert sind.

· Die Indikationsstellung ist selten absolut dringlich – im Unterschied beispielsweise zur akuten Blinddarmentzündung oder zur operativen Versorgung von Verletzungen.

Die Notwendigkeit einer Narkose verunsichert Eltern sehr, sie fragen häufig: Wird mein Kind das ohne Schaden überstehen? Sind in einer ambulanten Tagesklinik die technischen und personellen Voraussetzungen zur Durchführung einer Kleinkindnarkose ebenso gegeben wie im Krankenhaus? Muss die Maßnahme wirklich sein – oder überredet mich jemand zu einer Behandlung meines Kindes aus Eigeninteresse? Die Sorge der Eltern ist mehr als berechtigt, denn es gibt aus den letzten 20 Jahren viele Berichte über schwere bis tödliche Zwischenfälle bei eben solchen kinderzahnärztlichen Narkosen. In der Aufarbeitung dieser Katastrophen sah man, dass alle diese Zwischenfälle durch mangelnde Ausbildung, Sorgfalt oder Ausstattung der Anästhesieeinrichtungen zustande kamen. Sie waren niemals „unerwartet schicksalhaft” bei gewissenhafter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben. Als Anästhesist, der vor 30 Jahren beim eigenen Kleinkind seine erste kinderzahnärztliche Narkose durchführen musste und der sich seit über 20 Jahren fast ausschließlich mit Kindernarkosen befasst, großenteils bei KinderzahnärztInnen, erlaube ich mir folgende Statements: Bei der inzwischen fast flächendeckend guten Versorgung mit kinderzahnärztlichen Einrichtungen können sich Eltern fast immer eine zweite Meinung einholen, wenn ihnen für ihr Kleinkind eine Behandlung in Narkose empfohlen wird. Für eine gute anästhesiologische Versorgung der Kleinkinder spricht, wenn Anästhesisten überdurchschnittlich qualifiziert sind und über langjährige Erfahrung mit Kinderanästhesie im Krankenhaus verfügen. Die zertifizierte Fortbildung innerhalb des „Wissenschaftlichen Arbeitskreises Kinderanästhesie” der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin ist ein Indiz für eine solide kinderanästhesiologische Ausbildung. Und das assistierende Pflegepersonal muss von den behandelnden FachärztInnen persönlich in der Durchführung der Kinderanästhesie geschult worden sein. Neben den personellen müssen die technischen, medikamentösen und organisatorischen Voraussetzungen zur sicheren Durchführung von Kleinkindnarkosen und zum Management von Notfällen in jeder ambulanten Einrichtung ebenso gegeben sein wie im Krankenhaus. Werden alle Kriterien eingehalten, die für eine Kleinkindnarkose gefordert werden, ist eine solche Narkose durch die Hand erfahrener AnästhesistInnen in Gegenwart speziell ausgebildeten Pflegepersonals eine sehr sichere Maßnahme. Letztlich entscheiden aber auch die menschlichen Fähigkeiten der behandelnden Personen und ihr Kontakt zu Eltern und Kind darüber, ob die Behandlung erwartungsgemäß und kindgerecht verläuft. Hierfür gibt es wenig objektive Kriterien. Allerdings geben mündliche Berichte anderer Eltern zuverlässiger Auskunft als Internetbewertungen. Für mich ist eine gute Vertrauensbildung im Vorweg unbedingt erforderlich.

Helmuth Kratzert, Facharzt für Anästhesie, Hamburg

Zitiervorlage
Brumme D: Milchzähne: Karies durch Stillen? DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2016. 68 (3): 64–66
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