Melanie M. Klimmer: Wie groß ist der Leidensdruck der Menschen, die zu Ihnen kommen?
Dr. Andreas Hammel: Grundsätzlich ist der Leidensdruck der Menschen unterschiedlich groß, je nach Zeitdauer des Kinderwunsches und Lebensalter vor allem der Frau. Es gibt Paare, die sehr stark auf dieses Thema fokussiert sind und fast wahnsinnig werden von der Vorstellung, kinderlos bleiben zu müssen. Und es gibt andere, die sich mit der Zeit damit arrangieren und einen anderen Sinn finden. Das Spektrum ist sehr facettenreich.
Wie kommt es zu einem höheren Risiko für Mehrlingsschwangerschaften bei künstlicher Befruchtung?
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern werden in Deutschland noch immer zu häufig zwei Embryonen eingesetzt (Double Embryo Transfer, DET), um so eine höhere Schwangerschaftsrate zu erzielen – was die Mehrlingsrate steigert. Manche Gynäkolog:innen fördern dieses Vorgehen. Es wird aber auch von Paaren gefordert, die möglichst schnell zu einem Ergebnis kommen wollen. Mittlerweile ist man dazu übergegangen, erst nach fünf Tagen den Embryo einzusetzen, der sich optimal entwickelt hat, der sogenannte Blastozystentransfer. So kann man eine sehr hohe Schwangerschaftsrate erreichen und zugleich die hohe Mehrlingsrate reduzieren.
Woher rührt die höhere Fehlgeburtlichkeit?
Das ist noch nicht ausreichend erforscht. Sie kann damit zu tun haben, dass es durch das IVF-Register eine sehr gute Dokumentation im Bereich der künstlichen Befruchtung (ART) gibt, weil Frauen, die eine ART machen, frühzeitig zum klinischen Schwangerschaftstest in die Praxis kommen. Eine weitere Vermutung ist, dass Frauen, die assistierte Reproduktion in Anspruch nehmen, unerkannte organische Probleme haben könnten, die häufigere Fehlgeburten begünstigen.
Was geschieht mit überzähligen, befruchteten Eizellen?
Wenn die Familienbildung noch nicht abgeschlossen ist, können diese für weitere ARTs kryokonserviert und dieser Frau vorbehalten werden. Ist die Familienbildung abgeschlossen, haben wir drei Möglichkeiten. Eine ist, die Zellen aus dem Stickstoff herauszuholen; sie lösen sich bei Raumtemperatur auf. Eine andere Möglichkeit ist, sie anderen Paaren zu spenden. In Bayern haben wir dafür das »Netzwerk Embryonenspende« gegründet. Als weitere Möglichkeit bieten wir hier Paaren, die sehr viel mit diesen Hoffnungsträgern verbinden, an, ihnen die Zellen mit nach Hause zu geben. Wir verpacken sie in Straws (Röhrchen) auf Watte gebettet in einer kleinen Geschenkschachtel. Manche Paare begraben sie dann.
Wo sehen Sie auch ethische Grenzen?
Es wird immer realisiert, was möglich ist. Irgendwo auf der Welt wird damit angefangen, einzelne Länder stellen sich noch dagegen und Jahre später ist es auch dort Standard. Aus heutiger Sicht ist es abwegig, sich seine Kinder zu konfigurieren. Ein Urteil darüber bleibt schwierig: Wenn man in Zukunft die Wahl hätte, ein Kind zu haben, das gute körperliche Anlagen hat und nicht leiden muss, bleibt die Frage, ob man den Eltern diese Möglichkeit nicht gibt. Zu meiner allerersten Präimplantationsdiagnostik (PID) kam ein junges Paar. Der Mann hatte die Glasknochenkrankheit und saß im Rollstuhl. Er erzählte mir, dass er wegen Knochenbrüchen viel Zeit im Krankenhaus verbracht und sich mit der Krankheit inzwischen arrangiert habe. Er wolle aber seinem Kind diesen Weg ersparen. Mit der PID gab es eine Möglichkeit dazu.
Und wenn Paare kommen würden, um sich ihr Designerbaby zu kreieren – wäre das eine Grenze?
Die gesellschaftliche Entwicklung geht dahin, dass Paare sich wünschen, dass Embryonen auch auf bestimmte phänotypische Merkmale hin, wie Augenfarbe, Haarfarbe et cetera, untersucht und ausgewählt werden, wenn dies technisch möglich wäre. Deshalb finde ich die Handhabung, wie wir sie aktuell in Deutschland haben, sehr gut. Wir können Embryonen auf schwerwiegende Erbkrankheiten hin untersuchen, Erbkrankheiten, die zu einer schweren Behinderung oder zum Tod führen können (s. ESchG § 3a Abs. 2). Bestimmte Untersuchungsmethoden, wie die PID, sind dabei nicht frei zugänglich, sondern müssen zuerst ein Prüfverfahren durchlaufen. Warum sollte es daher aus Angst vor dem Designerbaby nicht möglich sein, Embryonen in vitro herauszusuchen, die frei von einer Erbkrankheit sind?
Gibt es Aspekte in der Reproduktionsmedizin, die Sie anprangern?
Meines Erachtens ist es untragbar, dass wir Frauen, die auf eine Eizellspende angewiesen sind, weil sie zum Beispiel keine Eizellen bilden können, im Stich lassen und sie so de facto indirekt nach Spanien oder Tschechien abdrängen, in Länder, in denen die Spenderin anonym bleibt, und Kinder von vornherein nicht die gleichen Chancen haben wie in Deutschland, zu erfahren, wer ihre genetische Mutter ist.
Und wie lässt sich eine Kommerzialisierung von Samenspenden und – prospektiv – von Eizellen verhindern?
Die Kommerzialisierung lässt sich verhindern, wenn lediglich eine angemessene Aufwandsentschädigung an die Spender:innen gezahlt wird, die den zeitlichen Aufwand und die Fahrtkosten berücksichtigt. In unserer Samenbank gestalten wir unsere Kampagnen ganz bewusst so, dass nicht der finanzielle Aspekt im Vordergrund steht, sondern das Helfen. So werden Männer angesprochen, die das genauso sehen. Kontrollieren können wir das jedoch nicht.