Kryomaschine in der Erlanger Samenbank. Der gewonnene Spendersamen wird in sogenannten Pailletten oder Kryo-Straws bei -196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff konserviert. Bevor es therapeutisch eingesetzt werden kann, wird das Ejakulat vor und 180 Tage nach der Konservierung auf Infektionserreger, Gendefekte und Keimbesiedelung hin untersucht. Fotos: © Melanie M. Klimmer

Die assistierte Reproduktion ist für viele Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch ein großer Hoffnungsträger. Was sagt die Statistik über die Erfüllbarkeit ihres Wunsches? Wo liegen die Chancen, wo die Grenzen? Und was sagen Expert:innen zur ethischen Verantwortbarkeit? Ein Blick hinter die Kulissen.

Mehr als 67.000 Frauen haben sich 2022 in Deutschland einer Behandlung zur künstlichen Befruchtung unterzogen (D.I.R, 2023). Insgesamt wurden im selben Jahr 128.000 Behandlungszyklen durchgeführt. Seit 1997 hat sich die Zahl der Behandlungen vervielfacht (siehe Tabelle 1). Die Gründe für den Anstieg sind vermutlich multifaktoriell, so zum Beispiel durch eine Veränderung im Familienbildungsverhalten im Lebenslauf und veränderte Vorstellungen von Beziehung, Partnerschaft und reproduktiver Selbstbestimmung. So trauen sich heute auch alleinstehende Frauen, die keinen Vater für ein Kind finden oder wünschen, assistierte Reproduktionsverfahren (Artificial Reproductive Technology/ART) in Anspruch zu nehmen. Knapp 1.300 Singlefrauen in Deutschland haben 2022 auf diesem Wege eine Familie gegründet (Goos, 2024, poly.freytag). Wie stark und weitreichend andere Faktoren, zum Beispiel Klimaveränderungen und spezifische Umweltbedingungen, wie Weichmacher in Mikroplastik (Bastigkeit, 2021; Ragusa et al., 2021) oder Östrogene im Wasser (BUND, 2001) die Fertilität des Menschen beeinflussen, ist noch nicht hinreichend erforscht.

Abblidung 1: Hormonelle Therapie zum Zwecke einer künstlichen Befruchtung (IVF/ICSI) Abbildung: © Melanie M. Klimmer, 2024

Dysstress und Fertilität

Könnte auch Stress eine Rolle spielen? Stress im Kontext einer ausbleibenden Schwangerschaft solle man nicht überbewerten, meint Dr. med. Andreas Hammel, Reproduktionsmediziner und Gründer der Erlanger Samenbank und Eizellbank im Gespräch. Oft lägen organische Gründe zugrunde, welche nicht oder noch nicht zu finden sind, weil die Medizin noch nicht so weit sei. »Ich kann mich noch gut daran erinnern, als eine Frau nach einer ART bei maximalem Stresslevel schwanger wurde«, berichtet der Frauenarzt. »Am Tag nach ihrer Eizellentnahme war der Vater gestorben und es musste die schwierige Entscheidung getroffen werden, ob der Embryonentransfer tatsächlich zum Zeitpunkt der Beerdigung wenige Tage später stattfinden sollte«, erinnert er sich. »Als sie sich dann dazu entschlossen hatte, ist sofort eine Schwangerschaft daraus hervorgegangen.«

Der Prozess des Schwanger-Werdens mit assistierten Reproduktionsverfahren selbst werde sehr unterschiedlich erlebt. »Es gibt Paare, die schon nach kurzer Zeit Erfolg haben, und solche, die zwischen Himmelhochjauchzend und Zu-Tode-Betrübt alle Facetten durchleben«, erklärt Hammel.

Aktuell zugelassene Verfahren

Laut Embryonenschutzgesetz (ESchG, 1991) dürfen Reproduktionsmediziner:innen einer Frau bis zu drei extrakorporal befruchtete Eizellen wieder einsetzen. Die Eizellen können entweder einer frischen Punktion im sogenannten Frischzyklus entstammen, bevor sie im Reagenzglas mit Samenzellen zusammengebracht und künstlich befruchtet werden. Oder sie sind nach einer früheren Punktion, die bei dieser Frau durchgeführt wurde, als überzählige Eizellen kryokonserviert worden, dann spricht man von einem Kryozyklus. Die Schwangerschaftsrate bei Kryozyklen ist dabei etwas höher als bei Frischzyklen (D.I.R, 2023). Die kumulative Schwangerschaftsrate steigt mit jedem weiteren Embryonentransfer an – über den Schwangerschaftsausgang sagt die Statistik jedoch erst einmal nichts aus (siehe Tabelle 2).

In Deutschland sind aktuell, je nach Indikation (siehe Tabelle 3), vier assistierte Reproduktionsverfahren zulässig:

Die intrauterine Insemination mit dem Sperma

  • des Partners (homologe Insemination) – die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit beträgt hier 13 bis 25 % (D.I.R, 2023)
  • eines Spenders einer medizinischen Samenbank (heterologe beziehungsweise donogene Insemination, kurz DI) mit einer Schwangerschaftsrate von 18 bis 29 %

oder die extrakorporale homologe oder donogene

  • In-vitro Fertilisations-Therapie (IVF)
  • Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)

Mit Blick auf das Kind, das lebend geboren wurde und aus einer ART hervorgegangen ist, hat die Forschung noch keine ausreichenden Erkenntnisse darüber, inwieweit extrakorporale Befruchtungen der Frau bei IVF- und ICSI-Behandlungen erhöhte Risiken für das Kind nach sich ziehen.

Raum für die Gewinnung des Spendersamens/Samenausgabe Fotos: © Melanie M. Klimmer

Neue Regelungen zur Eizellspende gefordert

Anfang der 1990er Jahre hatte der Gesetzgeber mit der Einführung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) und dem Verbot der Eizellspende (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ESchG) noch angenommen und verhindern wollen, dass ein Kind in seelische Konflikte gerät, weil es durch eine Eizellspende zwei Mütter hat: eine genetische (die Eizellspenderin) und eine austragende, rechtliche Mutter (die Gebärende). Mit Blick auf den Wandel familiärer Lebensformen, die Zunahme an Singlehaushalten und gleichgeschlechtlichen und queeren Partnerschaften sowie die ungleiche Rechtslage von unerlaubter Eizellspende und zulässiger Samenspende, sprachen sich Reproduktionsmediziner:innen seit vielen Jahren vehement für eine Neuauflage des ESchG und die Legalisierung der Eizellspende aus (Leopoldina, 2019; Richter-Kuhlmann, 2019). Verstärkt wurde dieser Prozess durch die Fortentwicklung in der Reproduktionsmedizin insbesondere hinsichtlich den – offenbar – geringeren Nebenwirkungen der Hormontherapie sowie den schonenderen Verfahren der Eizellentnahme.

Aktueller Kommissionsbericht

Mehr als 30 Jahre nach der Einführung des ESchG, im März 2023, berief die deutsche Bundesregierung die »Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin«, um den Sachstand neu zu prüfen. Im April 2024 legte sie nun ihren Abschlussbericht vor. Darin schlussfolgert sie, dass die derzeitige Rechtsauffassung hinsichtlich Elternschaft und Kindeswohl überholt sei.

Eizellspenden hält sie für vertretbar, insofern diese (Kom-rST, 2024):

Die Kommission empfiehlt die Zulassung einer fremdnützigen Eizellspende unter bestimmten Voraussetzungen (Kom-rST, 2024), beispielsweise wenn:

  • im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung die überzähligen Eizellen einer Frau betreffen, die ihre Familienplanung bereits abgeschlossen hat und diese abgeben möchte oder
  • sie diese an ihre Partnerin weitergeben möchte, mit der sie eine Familie gründet.
  • Spenderin und Empfängerin zuvor selbstbestimmt, freiwillig und informiert eingewilligt haben
  • Spenderin und Kinderwunschpersonen neben einer medizinischen, auch eine unabhängige psychosoziale und rechtliche Beratung hinsichtlich des Rechts des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft erhalten
  • die Rechte des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung durch die Einführung eines Eizellspendenregisters in Analogie zum bestehenden Samenspenderregister (Samenregistergesetz/SaRegG, 2018) gewährleistet und hierzu Informations- und Auskunftsrechte geregelt werden (offene Eizellspende; Schutz des Kindeswohls)
  • die Anzahl der gezeugten/zu zeugenden Kinder (pro Samenspender) in deren Interesse und dem der Halbgeschwister und der Empfängerinnen begrenzt wird
  • die Eizellspenderin über die Zahl ihrer Nachkommen informiert wird
  • eine öffentlich-rechtliche Institution die Zuständigkeit übernimmt, über Verfahren der Eizellspende zu informieren
  • eine Frau, die für den Zweck einer Eizellspende physische, psychische und finanzielle Belastungen trägt, dafür eine angemessene Aufwandsentschädigung erhält.

Ein erneutes Verbot der Eizellspende schließt die Kommission nicht aus.

Handelt die deutsche Bundesregierung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRC), welche die reproduktiven Rechte mit dem Recht auf Privat- und Familienleben schützt, und gemäß der Europäischen Grundrechtecharta (GrCh), in der sowohl Kommerzialisierung (Art. 3 Abs. 2 lit. c GrCh) als auch Menschenhandel (Art. 5 Abs. 3 GrCh) untersagt sind, kann sie nun also den Forderungen aus der Reproduktionsmedizin nachgeben und neue Gesetze auf den Weg bringen.

Glossar
Intrauterine Insemination (IUI): Aufbereitete Spermien des Partners (homolog) oder eines Samenspenders (donogen, heterolog) werden über eine Kanüle mit Ultraschallunterstützung transvaginal und schmerzfrei zum Zeitpunkt des Eisprungs in den Uterus der Frau eingeführt.

In-vitro-Fertilisation (IVF): Ist eine intrauterine Insemination nicht möglich, kommt die IVF in Frage. Dazu werden reife weibliche Eizellen (Follikel), die zuvor der Wunschmutter durch Punktion der Ovarien entnommen wurden, in einem Reagenzglas mit den aufbereiteten Spermazellen (Spermatozoen) des Partners oder eines Samenspenders vereint, um eine spontane künstliche Befruchtung herbeizuführen.

Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI): Ist die Spermienzahl oder Motilität (Beweglichkeit) der Spermatozoen zu gering, um eine Befruchtung auf natürlichem Wege oder durch IVF zu erreichen, kann ein einzelnes Spermium selektiert und mit Hilfe einer Mikropipette direkt in das Zytoplasma der Eizelle eingebracht werden.

Blastozystentransfer: Erfolgt der Embryonentransfer erst im Blastozystenstadium (fünf oder sechs Tagen nach Eizellpunktion), in welchem er bereits zur Einnistung (Nidation) bereit ist, kann der Embryo (1) mit den besten Entwicklungschancen ausgewählt, (2) die Mehrlingsrate gesenkt und (3) die Schwangerschaftsrate erhöht werden.

Noch viele offene Fragen

Eine ART wird von vielen einzelnen medikamentösen und interventionistischen Behandlungsschritten begleitet (mögliche Komplikationen, siehe Tabelle 4), die in ihrem gesamten Ablauf nicht nur sehr vulnerabel sind, sondern der Frau auch ein strikt einzuhaltendes, zeitliches Korsett anlegen. Verschiedene Hormone müssen zeitgenau injiziert oder oral eingenommen werden, um die einzelnen Phasen bis zur Einnistung (Nidation) zu unterstützen (siehe Abbildung 1).

Nicht jede Frau oder jedes Kinderwunschpaar möchte das Leben über einen längeren Zeitraum nach einem solchen Korsett ausrichten, wenn statistisch eine Schwangerschaft erst nach mehreren Rückschlägen eintreten wird, die emotional zu verarbeiten sind. Nicht wenige Paare geben vorzeitig auf.

Da der Fokus darauf liegt, Kinderwünsche zu realisieren und Verfahren und Prozesse der Kinderwunschbehandlung zu optimieren, bleiben andere Nischen weitgehend unerforscht: Welchen Verlauf nehmen Depressionen im Prozess des Schwanger-Werdens, die vor der Behandlung noch als Folge des unerfüllten Kinderwunsches identifiziert wurden? Verstärken sie sich durch die wahrscheinlichen Rückschläge noch, bleiben sie aus oder kehren sie wieder, wenn sich der Kinderwunsch erfüllt hat? Auch ist die Forschungslage dünn, wenn es um die begünstigende Rolle der Hormone bei der Entwicklung von Depressionen und Ovarial- und Brustkarzinomen geht.

Psychosoziale Aspekte

In einer gemeinsamen Studie des Lehrstuhls für Klinische Psychologie am Universitätsklinikum Erlangen und von Kinderwunsch Erlangen wurde untersucht, wie sich Samenspender den späteren Kontakt zu ihren Kindern vorstellen. »Ein Fazit der Forschung war: Je besser unsere Spender über die möglichen Bedürfnisse dieser Kinder aufgeklärt und auf sie vorbereitet sind und je intensiver sie sich damit auseinandergesetzt haben, desto größer ist auch ihre spätere Bereitschaft, mit diesen jungen Menschen in Kontakt zu treten«, so Dr. Andreas Hammel. Die langfristigen Auswirkungen von Samenspenden seien jedoch noch zu wenig erforscht, was einerseits an der Langfristigkeit selbst liege, andererseits auch an der sehr intimen Angelegenheit und einer dafür notwendigen Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen.

Arbeitsraum der Erlanger Samenbank mit Zentrifuge, Mikroskop und Zählkammer, in dem die Ejakulate analysiert und aufbereitet werden, sowie Kryobehälter beziehungsweise Tanks zur Aufrecht‧erhaltung der Kühlkette für die Spendersamenproben.

Noch nicht hinreichend erforscht sind noch weitere psychosoziale Aspekte. Wie blicken zum Beispiel Frauen und Paare darauf zurück, deren Kinderwunsch mit ART erfüllt wurde? Bereuen sie ihre Entscheidung im Nachhinein? Wie entwickelt sich beispielsweise deren Beziehung zum Wunschkind, wenn sich auch einmal unerwünschte Entwicklungen und Probleme einstellen? Wie viele Wunscheltern benötigen während der Kinderwunschbehandlung, die sich über Monate und Jahre hinziehen und emotional sehr belastenden sein kann, psychologische Begleitung? Wie viele brauchen peri- und postpartale, psychologische Unterstützung, weil sie stark verunsichert sind, ob sie der neuen Aufgabe nach – vielleicht mehreren – Rückschlägen gewachsen sind? Wie qualifiziert ist die Begleitung von Paaren und Solomüttern: Wie werden sie de facto aufgefangen? Und welche Rolle können Hebammen dabei spielen?

»Man muss es sich zutrauen können, diesen Prozess nicht nur physisch, sondern auch emotional zu bewältigen«, sagt Dr. Andreas Hammel, »denn er verändert das gesamte Leben«. Der Beratungsprozess sei ergebnisoffen und dazu da, alle Bedenken zu besprechen, denn es gehe bei der Frau schließlich um den eigenen Körper, an dem diese Behandlung durchgeführt werde, sagt der Reproduktionsmediziner. »Es kann auch sein, dass man es sich gerade nicht vorstellen kann, sich einer solchen Behandlung mit Operation und Narkose zu unterziehen, oder der Zeitpunkt oder eine solche Behandlung sind nicht stimmig«, fährt er fort.

Die Beratung müsse nicht mit einer Entscheidung für eine ART oder für eine Insemination enden. »Das Ergebnis kann auch sein, zu sagen: »Nein, das ist nichts für mich!«. Es brauche keine Kinderwunschbehandlung um jeden Preis.

»Es wird immer realisiert, was möglich ist«
Melanie M. Klimmer: Wie groß ist der Leidensdruck der Menschen, die zu Ihnen kommen?

Dr. Andreas Hammel: Grundsätzlich ist der Leidensdruck der Menschen unterschiedlich groß, je nach Zeitdauer des Kinderwunsches und Lebensalter vor allem der Frau. Es gibt Paare, die sehr stark auf dieses Thema fokussiert sind und fast wahnsinnig werden von der Vorstellung, kinderlos bleiben zu müssen. Und es gibt andere, die sich mit der Zeit damit arrangieren und einen anderen Sinn finden. Das Spektrum ist sehr facettenreich.

Wie kommt es zu einem höheren Risiko für Mehrlingsschwangerschaften bei künstlicher Befruchtung?

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern werden in Deutschland noch immer zu häufig zwei Embryonen eingesetzt (Double Embryo Transfer, DET), um so eine höhere Schwangerschaftsrate zu erzielen – was die Mehrlingsrate steigert. Manche Gynäkolog:innen fördern dieses Vorgehen. Es wird aber auch von Paaren gefordert, die möglichst schnell zu einem Ergebnis kommen wollen. Mittlerweile ist man dazu übergegangen, erst nach fünf Tagen den Embryo einzusetzen, der sich optimal entwickelt hat, der sogenannte Blastozystentransfer. So kann man eine sehr hohe Schwangerschaftsrate erreichen und zugleich die hohe Mehrlingsrate reduzieren.

Woher rührt die höhere Fehlgeburtlichkeit?

Das ist noch nicht ausreichend erforscht. Sie kann damit zu tun haben, dass es durch das IVF-Register eine sehr gute Dokumentation im Bereich der künstlichen Befruchtung (ART) gibt, weil Frauen, die eine ART machen, frühzeitig zum klinischen Schwangerschaftstest in die Praxis kommen. Eine weitere Vermutung ist, dass Frauen, die assistierte Reproduktion in Anspruch nehmen, unerkannte organische Probleme haben könnten, die häufigere Fehlgeburten begünstigen.

Was geschieht mit überzähligen, befruchteten Eizellen?

Wenn die Familienbildung noch nicht abgeschlossen ist, können diese für weitere ARTs kryokonserviert und dieser Frau vorbehalten werden. Ist die Familienbildung abgeschlossen, haben wir drei Möglichkeiten. Eine ist, die Zellen aus dem Stickstoff herauszuholen; sie lösen sich bei Raumtemperatur auf. Eine andere Möglichkeit ist, sie anderen Paaren zu spenden. In Bayern haben wir dafür das »Netzwerk Embryonenspende« gegründet. Als weitere Möglichkeit bieten wir hier Paaren, die sehr viel mit diesen Hoffnungsträgern verbinden, an, ihnen die Zellen mit nach Hause zu geben. Wir verpacken sie in Straws (Röhrchen) auf Watte gebettet in einer kleinen Geschenkschachtel. Manche Paare begraben sie dann.

Wo sehen Sie auch ethische Grenzen?

Es wird immer realisiert, was möglich ist. Irgendwo auf der Welt wird damit angefangen, einzelne Länder stellen sich noch dagegen und Jahre später ist es auch dort Standard. Aus heutiger Sicht ist es abwegig, sich seine Kinder zu konfigurieren. Ein Urteil darüber bleibt schwierig: Wenn man in Zukunft die Wahl hätte, ein Kind zu haben, das gute körperliche Anlagen hat und nicht leiden muss, bleibt die Frage, ob man den Eltern diese Möglichkeit nicht gibt. Zu meiner allerersten Präimplantationsdiagnostik (PID) kam ein junges Paar. Der Mann hatte die Glasknochenkrankheit und saß im Rollstuhl. Er erzählte mir, dass er wegen Knochenbrüchen viel Zeit im Krankenhaus verbracht und sich mit der Krankheit inzwischen arrangiert habe. Er wolle aber seinem Kind diesen Weg ersparen. Mit der PID gab es eine Möglichkeit dazu.

Und wenn Paare kommen würden, um sich ihr Designerbaby zu kreieren – wäre das eine Grenze?

Die gesellschaftliche Entwicklung geht dahin, dass Paare sich wünschen, dass Embryonen auch auf bestimmte phänotypische Merkmale hin, wie Augenfarbe, Haarfarbe et cetera, untersucht und ausgewählt werden, wenn dies technisch möglich wäre. Deshalb finde ich die Handhabung, wie wir sie aktuell in Deutschland haben, sehr gut. Wir können Embryonen auf schwerwiegende Erbkrankheiten hin untersuchen, Erbkrankheiten, die zu einer schweren Behinderung oder zum Tod führen können (s. ESchG § 3a Abs. 2). Bestimmte Untersuchungsmethoden, wie die PID, sind dabei nicht frei zugänglich, sondern müssen zuerst ein Prüfverfahren durchlaufen. Warum sollte es daher aus Angst vor dem Designerbaby nicht möglich sein, Embryonen in vitro herauszusuchen, die frei von einer Erbkrankheit sind?

Gibt es Aspekte in der Reproduktionsmedizin, die Sie anprangern?

Meines Erachtens ist es untragbar, dass wir Frauen, die auf eine Eizellspende angewiesen sind, weil sie zum Beispiel keine Eizellen bilden können, im Stich lassen und sie so de facto indirekt nach Spanien oder Tschechien abdrängen, in Länder, in denen die Spenderin anonym bleibt, und Kinder von vornherein nicht die gleichen Chancen haben wie in Deutschland, zu erfahren, wer ihre genetische Mutter ist.

Und wie lässt sich eine Kommerzialisierung von Samenspenden und – prospektiv – von Eizellen verhindern?

Die Kommerzialisierung lässt sich verhindern, wenn lediglich eine angemessene Aufwandsentschädigung an die Spender:innen gezahlt wird, die den zeitlichen Aufwand und die Fahrtkosten berücksichtigt. In unserer Samenbank gestalten wir unsere Kampagnen ganz bewusst so, dass nicht der finanzielle Aspekt im Vordergrund steht, sondern das Helfen. So werden Männer angesprochen, die das genauso sehen. Kontrollieren können wir das jedoch nicht.

Der Interviewte

Dr. med. Andreas Hammel ist Co-Inhaber und Gynäkologe der Praxis KINDERWUNSCH Erlangen sowie Gründer der Erlanger Samenbank der ivf-Gesellschaft zur Förderung der Reproduktionsmedizin mbH und der Eizellbank Erlangen. Letztere bietet Social Freezing und Kryokonservierung von Eizellen an. Er ist außerdem Leiter des Arbeitskreises Donogene Insemination e.V.

Zitiervorlage
Klimmer, M. M. (2024). Assistierte Reproduktion bei ungewollter Kinderlosigkeit: Zellen der Hoffnung? Deutsche Hebammen Zeitschrift, 76 (8), 64–70.
Literatur
Bastigkeit, A. (2021). Machen Weichmacher unfruchtbar? Deutsche Hebammen Zeitschrift 73 (9), https://www.dhz-online.de/de/archiv/archiv-inhalt-heft/archiv-detail-abo/artikel/machen-weichmacher-unfruchtbar/

Behrens, R., Hammel, A., et al. (o.D.). In-Vitro Fertilisation. Ihre Behandlung Schritt für Schritt erklärt (Broschüre), Kinderwunsch Erlangen – Praxis für Reproduktionsmedizin (Hrsg.), Erlangen.

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND). (2001). Hormonaktive Substanzen im Wasser, aus der Reihe BUNDhintergrund.

Bundesministerium der Justiz/Bundesamt für Justiz.(1991). Gesetz zum Schutz von Embryonen (ESchG).

Bundesministerium der Justiz/Bundesamt für Justiz. (2017). Gesetz zur Errichtung eines Samenspenderregisters und zur Regelung der Auskunftserteilung über den Spender nach heterologer Verwendung von Samen (SaRegG). https://www.gesetze-im-internet.de/saregg/BJNR251310017.html

Deutsches IVF-Register (D.I.R). (2023). Für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch, Patientinnen, Patienten, die Öffentlichkeit, Auszug aus dem D.I.R Jahrbuch 2022, Ausgabe 3. https://www.deutsches-ivf-register.de/perch/resources/dir-jahrbuch-2022-sonderausgabe-fuer-paare.pdf

Goos, M. (2024). Samenspende – »Ich wollte ein Kind ohne Vater«, ARD-Dokumentation. https://www.ardmediathek.de/video/MjNkYjJlOTItYzcxMC00OTIyLTg3N2YtOGU1NGM2Njc1N2Ey (verfügbar bis 8.5.2026)

Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin (Kom-rSF). (2024). Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, Kurzbericht.

Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften e.V. (2019). Stellungnahme zu einem zeitgemäßen Fortpflanzungsmedizingesetz für Deutschland. https://www.leopoldina.org/presse-1/nachrichten/fortpflanzungsmedizingesetz/

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Ragusa A., et al.: Plasticenta: First evidence of microplastics in human placenta. Environ Int 2021. 146, 106274. https://doi.org/10.1016/j.envint.2020.106274

Regitz-Zagrosek, V., Gohlke-Bärwolf, C., Geibel-Zehender, A. et al. Herzerkrankungen in der Schwangerschaft. Clin Res Cardiol 97, 630–665 (2008). https://doi.org/10.1007/s00392-008-0685-2

Richter-Kuhlmann, E. (2019). Fortpflanzungsmedizin: Plädoyer für ein neues Gesetz, Dtsch Arztebl; 116(26): A-1262/B-1038/C-1026. https://www.aerzteblatt.de/archiv/208488/Fortpflanzungsmedizin-Plaedoyer-fuer-ein-neues-Gesetz

SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP. (2021). Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag, Berlin. https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf

Wyss, Ch. (2015). Spontane Koronardissektion – Ursachen, Diagnose und Therapie, 5. Ausgabe.

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