Engagiert für die freiberufliche Hebammenarbeit: Seite aus dem Report 2016 des Hebammenverbandes von British Columbia (MABC) Abbildung: Canadian Association of Midwives (CAM)

Ende Juni findet der 31. Internationale Hebammenkongress in Toronto in Kanada statt. Eine deutsche Kollegin, die seit zehn Jahren in British Columbia arbeitet, berichtet über die dortige Arbeit der Hebammen und ihre beeindruckende Erfolgsgeschichte, die sie dort miterlebte und -gestaltete.

In den letzten 20 Jahren erhoben sich die Hebammen in Kanada wie Phönix aus der Asche. Bis Anfang 1998 waren sie noch eine winzige Gruppe von Frauen, die außerhalb des regulierten Gesundheitswesens am Rande der Illegalität praktizierten. Erst 1998 wurde der Beruf in in der westlichsten Provinz British Columbia (BC) gesetzlich verankert. Heute, 18 Jahre danach, sind sie ein anerkannter Teil des Gesundheitssystems. Aus den 29 Hebammen, die die Pionierarbeit geleistet haben, sind nunmehr knapp 300 praktizierende Hebammen geworden. Um zu verstehen, was das bedeutet, muss man auch die geografische und demografische Situation in den Blick nehmen: In British Columbia leben auf einer Fläche von 944.700 Quadratkilometern etwa 4,6 Millionen EinwohnerInnen. Im Vergleich dazu leben in Deutschland auf 357.200 Quadratkilometern Fläche circa 82 Millionen Menschen.

Der Hebammenverband von British Columbia (MABC) hat 2016 ein „Statement” veröffentlicht. Gemeint ist der Report zur Entwicklung der Kampagne „Eine neue Vision für Hebammen” unter dem Originaltitel: „The Vision Report”. Hintergrund war jene Kampagne, die 2014 BC, vom kanadischen Hebammenverband, der Midwifery Association of BC (MABC), gestartet wurde. Ihr Ziel ist war es, den Zugang zu Hebammen zu fördern und damit die Betreuungsergebnisse für Mütter, Kinder und Familien zu verbessern.

Zwei Jahre nach dem Start der Kampagne können die Hebammen in British Columbia folgende Ergebnisse präsentieren:

  1. In British Columbia praktizieren derzeit 278 Hebammen.
  2. 21 Prozent der Geburten werden jetzt von Hebammen betreut – 12 Prozent mehr als im kanadischen Durchschnitt und damit die höchste Rate in Kanada.
  3. Vancouver Island führt landesweit mit 35 Prozent hebammenbetreuten Geburten.
  4. Die Zunahme von hebammenbetreuten Geburten führte zu Ersparnissen von 4,6 Millionen Kanadischen Dollar (circa 3,3 Millionen Euro).

Die Hebammen in British Columbia können stolz sein, besonders, wenn man die Entwicklung des Hebammenwesens in Kanada betrachtet (siehe auch DHZ 3/2015, Seite 71ff.).

Die gesetzliche Verankerung des Hebammenberufs in British Columbia folgte der Legalisierung des Berufs 1994 in der kanadischen Provinz Ontario. Bis dahin waren Hebammen kein Bestandteil der Kultur des Gesundheitswesens in Kanada.

Ein Schneeballeffekt

Als kanadische Hebamme mit deutschem Hintergrund konnte ich einen wesentlichen Anteil der Integrierung unseres Berufes in British Columbia miterleben und unterstützen. Mit meiner Familie, unseren zwei Söhnen und meinem Mann bin ich 2007 nach 25-jähriger Hebammentätigkeit in Deutschland nach Kanada ausgewandert. Ich lebe und arbeite in British Columbia auf Vancouver Island. Damals, knapp zehn Jahre nach der Legalisierung des Hebammenberufes, war es schockierend zu erleben, wie wenig die Bevölkerung über Hebammen wusste.

Während Frauen sich vereinzelt im Internet oder durch Mundpropaganda informierten und sich für die individuelle Betreuung durch eine Hebamme entschieden, war das Misstrauen bei ihren Männern und Familienmitgliedern niederschmetternd – vor allem aber seitens der Krankenhausangestellten wie ÄrztInnen und Krankenschwestern. Für mich als deutschstämmige Hebamme war es extrem schwierig, den für das deutsche Gesundheitssystem normalen Standard erklären zu müssen, wonach Hebammen qualifizierte Mitglieder des Gesundheitswesens sind.

Während der letzten zehn Jahre habe ich jedoch einen echten Schneeballeffekt erfahren. War es vor sieben bis zehn Jahren noch ein kleines Kügelchen – 2007 wurden 10 Prozent der Geburten auf Vancouver Island von Hebammen betreut – so ist es jetzt eine riesige Kugel, die mit 35 Prozent Hebammenbetreuung dort schwer am Rollen ist.

Geburt mit Krankenschwestern

Vor 1998 sah die Gebärkultur hier in BC etwa so aus: Jede Frau wurde von einem Hausarzt mit geburtshilflicher Zusatzausbildung während der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett betreut. Die ÄrztInnen mit ihren Belegverträgen haben die Frauen im Krankenhaus begleitet. Im Kreißsaal wurden die Frauen von Krankenschwestern mit geburtshilflicher Zusatzausbildung betreut, der Arzt kam zur Geburt. Dies hat sich bis heute nicht geändert. Die Hebammenklientinnen werden heute von den freiberuflichen Hebammen im Kreißsaal betreut. Zur Geburt kommt eine Schwester hinzu – kein Arzt, wie in Deutschland. Die Hebammen nähen selbst, wenn es erforderlich ist.

Vor 1998 wurden vereinzelt Frauen, die eine Hausgeburt anstrebten, von Hebammen betreut. Das war nicht illegal, solange keine Medikamente verabreicht wurden und alles gut ging. Diese Hebammen hatten keine Haftpflichtversicherung. Die Geburten zählten dann als „unattended home birth”. Da es in Kanada keine Hebammenausbildung gab, hatten diese Hebammen ihre Ausbildung in anderen Ländern absolviert, vornehmlich in Europa. Sie sind es, die in jahrelangen Verhandlungen mit den Ministerien für die Verankerung des Hebammenberufes gekämpft haben.

Ab der sechsten Woche

Hebammen in Kanada arbeiten heute in einem festgelegten Modell, dessen Richtlinien vom College of Midwives of BC (CMBC) festgelegt wurden. Das College könnte man in seiner Funktion mit einer Ärztekammer in Deutschland vergleichen. Eine Zulassung durch das CMBC ist die Voraussetzung für das Praktizieren. Das gilt für Hebammen ebenso wie für die ÄrztInnen mit deren College of Physicians. Beide Berufsgruppen sind gleichgestellte „Primary Care Provider”. In dieser Rolle übernehmen Hebammen die komplette Schwangerenvorsorge, inklusive der Verordnung von Ultraschall und Laboruntersuchungen. Sie können auch Medikamente verschreiben, die sich ausschließlich auf die Schwangerschaft beziehen, wie zum Beispiel Antibiotika bei Blasenentzündungen, Immunglobulin für Rhesus-negative Frauen, Medikamente gegen Schwangerschaftsübelkeit und vieles mehr. Auch Krankschreibungen werden von Hebammen verordnet. Sie betreuen die Frauen durch die Schwangerschaft – meistens von der sechsten Woche an, bei der Geburt und bis zu sechs Wochen danach.

Treten während der Schwangerschaft Probleme auf, die die Hinzuziehung eines Arztes erfordern, überweisen die Hebammen die Frau zu einer GynäkologIn oder EndokrinologIn oder wohin es auch immer erforderlich ist. Das CMBC hat dafür einen langen Katalog von Indikationen zur Überweisung oder gegebenenfalls zum Transfer der Betreuung entwickelt. Diese Indikationen entsprechen den Prinzipien von verantwortlicher Hebammenbetreuung. Der Unterschied ist jedoch, dass diese in Kanada als Richtlinie verankert und damit gesetzlich bindend sind.

Für eine Zulassung durch das CMBC zum Praktizieren müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt werden:

  1. Ein Belegvertrag mit einem Krankenhaus: Ohne diesen darf die Hebamme nicht praktizieren, da sie sonst die Frau unter Umständen nicht kontinuierlich betreuen kann, wenn diese ins Krankenhaus will oder muss.
  2. Regelmäßige Fortbildung in Neugeborenenreanimation: Dieser Kurs muss einmal im Jahr absolviert und beim CMBC nachgewiesen werden.
  3. Regelmäßige Fortbildungen in Erster Hilfe und Notfällen in der Geburtshilfe: Beide Kurse müssen alle zwei Jahre absolviert und beim CMBC nachgewiesen werden.
  4. Der Nachweis von mindestens 60 Geburten in fünf Jahren.
  5. Eine Gebühr von 1.650 Euro jährlich, die an das CMBC gezahlt werden muss.
  6. Eine Berufshaftpflichtversicherung für 1.400 Euro pro Jahr: Diese Summe wurde gleich zu Anfang als Gruppentarif ausgehandelt und beibehalten.

Die Gebühr für die Mitgliedschaft im Hebammenverband MABC liegt bei zwei Prozent aller Einnahmen und wird direkt über die Zahlungsstelle des Gesundheitsministeriums einbehalten. In British Columbia rechnen die Hebammen direkt mit dem Gesundheitsministerium ab, über das alle EinwohnerInnen krankenpflichtversichert sind. In anderen Provinzen gibt es verschiedene, allerdings immer zentral organisierte Abrechnungsmodalitäten. Eine Privatversicherung wie in Deutschland gibt es nicht. Die Berechnung und Bezahlung erfolgt trimesterweise sowohl für die Geburt mit dem gleichen Betrag für Haus- oder Klinikgeburten, als auch für die sechswöchige Nachbetreuung, unabhängig davon, wie viele Besuche diese beinhaltet. Ein Wegegeld kann nicht abgerechnet werden.

Arbeitsmittel für die Hausgeburten inklusive Dopton, Sauerstoffgerät, Beatmungsmaske, Instrumente, Medikamente werden seit 2016 von den jeweiligen Gesundheitsbehörden bereitgestellt und finanziert. Von 1998 bis 2016 gingen diese Kosten zu Lasten der Hebammen. Diese Veränderung war der Erfolg von langen Verhandlungen des Verbandes mit dem Ministerium aufgrund der nachgewiesenen Ersparnisse durch Hausgeburten.

Die Statistik spricht für sich

Zur Dokumentation: Alle Primary Care Provider in British Columbia müssen einheitliche Formulare für Schwangerschaft und Geburt, einschließlich Hausgeburten, ausfüllen, die im Perinatal Service BC (PSBC) zentral erfasst werden. Dieses präsentiert jährlich eine sehr aufschlussreiche Statistik, die die niedrige Interventionsrate sowie kurzen Klinikaufenthalte und Stillerfolge der von Hebammen betreuten Frauen belegt.

Diese Zahlen waren extrem hilfreich bei den Verhandlungsrunden. Sie haben den Ausschlag gegeben bei der Anerkennung der Hebammenarbeit und auch der Qualität von Hausgeburten. So hat die Gesundheitsministerin 2013 ein öffentliches Statement abgegeben, in dem sie die Hausgeburt für Low-risk-Frauen unterstützt hat. Ebenso wurde von der Regierung British Columbias der 5. Mai, der Internationale Hebammentag, als Hebammentag British Columbias öffentlich deklariert.

Der MABC hat vor einigen Jahren eine intelligente Investition in eine PR-Firma getätigt, die die Öffentlichkeitsarbeit der Hebammen deutlich vorantreibt. Mittlerweile sind Hebammen in allen Medien sichtbar und hörbar vertreten.

Kanadische Provinzen und von Hebammen betreute Geburten Grafiken: Canadian Association of Midwives (CAM)

Jahreszahlen, in denen Hebammen erstmals zugelassen wurden. Im Yukon Territory sowie in einigen östlichen Provinzen wie Neufundland, Prince Edward Island und New Brunswick sind Hebammen noch immer nicht zugelassen. Grafiken: Canadian Association of Midwives (CAM)

Die gute Ausbildung lohnt sich

Die Hebammenausbildung in British Columbia startete 2002, vier Jahre nach der Legalisierung. Die Ausbildung ist ein Vier-Jahres-Programm an der Universität in Vancouver mit einem Bachelor-Abschluss. Während das erste Jahr ausschließlich Theorie an der Uni enthält, erfolgen in den verbleibenden drei Jahren praktische Einsätze in etablierten Hebammenpraxen mit ausreichend Geburtenzahlen. Die Ausbildung findet in Kanada nicht im Kreißsaal statt, da es nur freiberufliche Hebammen gibt, also keine Hebammen im Kreißsaal, von denen sie lernen könnten.

Die Studierenden haben einmal pro Woche Unterricht und regelmäßige Prüfungen. Während eines Semesters im dritten Jahr haben sie entweder einen Auslandseinsatz in Uganda oder Nepal oder einen interdisziplinären Einsatz wie beispielsweise in einer Arztpraxis oder in bestimmten Abteilungen in einem Krankenhaus, wie der Neonatologie oder im OP. Dass es dem Ansehen des Hebammenberufes durchaus gut bekommt, eine akademische Ausbildung vorzuweisen, zeigt sich in der Anerkennung in der Öffentlichkeit, aber auch bei den ärztlichen KollegInnen.

Die vielen Richtlinien und die Vereinheitlichung waren anfangs für mein deutsches Verständnis überwältigend und schwer zu verstehen. Nachdem ich aber die Kultur hier mehr und mehr verstehen lernte, ergab es einen Sinn, dieses neue Territorium sorgfältig zu strukturieren, um dann Erfolge vorweisen zu können. Eine der Pionierinnen unter den Hebammen sagte kürzlich, dass sie sich wünschte, vor ihrer Rente die Zahl von 30 Prozent hebammenbetreute Geburten zu sehen, wohl wissend, dass mit dieser Zahl die Hebammen wirklich eine Stimme haben. Sie ist nun in Rente, und die Hebammen in Vancouver Island sind mittlerweile in höchsten leitenden Positionen vertreten und gestalten die regionale Gesundheitsstruktur!

Ausblick

Die Hebammen haben viel geleistet, um da hinzukommen, wo sie jetzt sind. Einer der ältesten Berufe der Welt wurde wiederbelebt und steht kräftig in Blüte. Es ist der Erfolg von vielen Kolleginnen, die politisch endlos tätig sind, ebenso wie der Erfolg von den vielen Kolleginnen, die die Frontarbeit leisten und für all die positiven Ergebnisse Tag und Nacht arbeiten. Es fühlt sich gut an, Teil dieser „women’s power” zu sein.

Zitiervorlage
Herold U: Hebammenarbeit in British Columbia: Wie Phönix aus der Asche. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (6): 22–24
Links
http://canadianmidwives.org/midwifery-across-canada/
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