Der Deutsche Ethikrat hat empfohlen, im Personenstandsrecht eine Kategorie für Menschen zu schaffen, die weder Frauen sind noch Männer. Kein intersexueller Mensch solle gezwungen werden, sich einem dieser beiden Geschlechter zuzuordnen. Knapp zwei Jahre ist es jetzt her, dass das politische Beratungsgremium seine im Auftrag der damaligen Bundesregierung erarbeitete Stellungnahme veröffentlicht hat. Im Gesetzgebungsverfahren für das neue Personenstandsrecht bedurfte es nachdrücklicher Erinnerungen, damit die Politik dieses Anliegen nicht einfach vergaß.
Intersexuelle Menschen verbanden mit dieser neuen Regelung im Personenstandsrecht auch stets noch die Hoffnung auf einen weiteren Effekt: Wenn der Gesetzgeber anerkennt, dass es nicht nur Männer und Frauen gibt, sondern noch andere Geschlechter, nimmt das den immer noch praktizierten, schwerwiegend in die körperliche Integrität eingreifenden Operationen an intersexuellen Babys und Kleinkindern die Legitimation. Dabei werden die Kinder meistens zu Mädchen und manchmal zu Jungen gemacht. Aber warum sollen Ärzte etwas als „krank“ korrigieren dürfen, wenn es tatsächlich ein Merkmal der persönlichen Geschlechtsidentität ist? Bei diesen kinderchirurgischen Eingriffen wird nach der AWMF-Leitlinie „Störungen der Geschlechtsentwicklung“ unter Umständen eine große Klitoris teilweise amputiert, eine Vaginal- oder Labienplastik geschaffen oder die Harnröhre verlegt. Der Ethikrat kritisiert die geschlechtszuweisenden Operationen, will sie allerdings nicht grundsätzlich verbieten, anders als viele Betroffenenorganisationen. Er will sie aber auf besonders schwerwiegende Notfälle beschränken.
Jetzt steht im neuen § 22 Absatz 3 des Personenstandsrechts, dem Angehörige aller Fraktionen des letzten Bundestages zugestimmt haben – nur die Abgeordneten der Linken hatten sich enthalten: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.“ Die Aufforderung des Gesetzgebers „ist…einzutragen“ schafft keinen Handlungsspielraum, sondern einen neuen Zwang: Mussten intersexuelle Neugeborene bislang als Mädchen oder Jungen kategorisiert werden, dürfen sie es nun nicht mehr. Aus der ursprünglichen Idee, die Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der Eltern zu erweitern, wurde eine Regelung, die die Eltern in neuer Weise einengt: Kinder, die nicht eindeutig zuzuordnen sind, können nach dieser Vorschrift auch keinen Geschlechtseintrag im Geburtsregister bekommen.
Statt die Familien von einem Stigma zu befreien und deutlich zu machen, dass der Gesetzgeber auch ein anderes Geschlecht als nur männlich oder weiblich anerkennt, ist die Botschaft des Gesetzes geworden: Es bleibt beim Entweder-oder – alles andere qualifizieren wir als „nichts“. Die Befürchtung beispielsweise der Aktivistengruppe „Zwischengeschlecht“ erscheint nicht grundlos, dass Eltern nun, statt sich von Entscheidungszwängen entlastet zu fühlen, erst recht zu einer Lösung gedrängt sehen. Um ein Kind mit einem anerkannten Geschlecht, nach wie vor nur Mann oder Frau, zu haben – beispielsweise durch eine geschlechtszuweisende Operation, die wenigstens hilft den Schein zu wahren und die damit das Versprechen in sich birgt, das Problem gelöst zu haben. Immerhin darf es dann nach § 22 Absatz 3 Personenstandsgesetz mit einem Geschlecht ins Geburtenregister eingetragen werden.