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Seit der Jahrtausendwende sinkt die Anzahl minderjähriger Schwangerer in Deutschland (siehe Abbildung, Seite 36) (Statistisches Landesamt BW, 2016; Statistisches Bundesamt, 2016). Im internationalen Vergleich sind minderjährige Schwangere hier selten (Schmidt et al. 2006). So verzeichnete das Statistische Bundesamt (2016) einen Rückgang der Teenager-Schwangerschaften von 18 400 auf rund 12 100 im Zeitraum 2006 bis 2014, was 1,7 % aller Schwangerschaften in Deutschland ausmacht. Im Europäischen Ausland, etwa in Rumänien und Großbritannien, belaufen sich die Raten von minderjährigen Schwangeren auf knapp 4-6 % (BZgA, 2010).
Während weltweit im Umgang mit minderjährigen Schwangeren und Müttern noch der Kampf gegen Kinderehen, sexuelle Gewalt sowie Mütter- und Kindersterblichkeit im Mittelpunkt steht (UNFPA 2013), fokussiere Deutschland »zu bewerkstelligende – eher harmlose – strukturelle und finanzielle Herausforderungen« (Delisle 2015). Durch die Gesetzgebung und öffentliche Angebote gestärkte Strukturen zur Unterstützung sozialer Sicherung, darunter auch das Recht auf Hebammenhilfe sowie Unterstützung durch die Bundesinitiative Frühe Hilfen und Familienhebammen (BMFSFJ 2012), erlauben die Aussage, »Schwangerschaften Jugendlicher stellen [in Deutschland] nicht grundsätzlich ein Problem dar« (ebd.), das Phänomen der Jugendschwangerschaften sei vielmehr stigmatisiert und dramatisiert (Gnielka 2005).
Dennoch besteht Gefahr, Risikopotenziale minderjähriger Schwangerer, Mütter und Eltern zu übersehen. Dabei bedeutet eine geringe Häufigkeit der auftretenden Risikosituationen, in welche minderjährige Schwangere zu verfallen drohen, nicht unmittelbar eine geringe Schwere, vor allem im individuellen und subjektiven Empfinden der jungen Frauen oder Eltern. Somit sind Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie der sozialpsychiatrischen Beratung immer wieder mit existenziellen Ängsten minderjähriger Eltern bezüglich der Lebens- und Arbeitssicherung, der familiären Beziehungen oder der Sorgeberechtigung konfrontiert (Caritas Deutschland 2019). Des Weiteren zeigten frühere Erhebungen der sozialen Situation minderjähriger Schwangerer einen erhöhten Bedarf an Vormundschaften durch das Jugendamt (Fracassi 2009), Einbußen bezüglich Gesundheit und Bildung sowie soziale Isolation (Stucke 2004; Pracht 2011). Eine gezielte Risikodarstellung ist nötig, um im Umgang mit Gefahrenpotenzialen für minderjährige Schwangere und Eltern vorzusorgen oder frühzeitig intervenieren zu können.
Die bisher geringe wissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema, speziell in der Hebammenforschung, schränkt die Möglichkeit der Auseinandersetzung und des professionellen Handelns ein. Ziel einer qualitativen Erhebung im Rahmen dieser Bachelorarbeit war es, allgemeine Risikopotenziale minderjähriger Schwangerer und Mütter darzustellen, die eine physiologische Schwangerschaft und Wochenbettzeit gefährden. Ziel war es, die Potenziale darzustellen, um im Rahmen der Hebammenhilfe nach § 24d des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) präventiv handeln oder frühzeitig intervenieren zu können. Zum Darstellen der Risikopotenziale minderjähriger Schwangerer und Wöchnerinnen erfolgte eine retrospektive Beobachtung an einer deutschen Universitätsklinik mit etwa 3.300 Geburten jährlich. Der beobachtete Zeitraum bezieht sich auf den Geburtszeitraum 2009 bis 2017. Zum kontrollierten Vergleich der Sensitivität erfolgte eine Auswertung der dokumentierten individuellen Schwangerschaftsrisiken volljähriger Schwangerer und Mütter, die denen der Minderjährigen gegenübergestellt wurde.
Die RaucherInnenquote aller Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren hat sich in den vergangenen Jahren reduziert – sie ist seit 2001 von 27,5 % auf 7,4 % im Jahr 2016 gesunken. Auch bei den 18 bis 25-Jährigen ist die Zahl der RaucherInnen mit 26,1 % im Jahr 2016 deutlich niedriger als 2008 mit 43,1 % (Ärztezeitung 2017). Junge Frauen rauchen dabei noch weniger als junge Männer. In den Altersgruppen 12 bis 17 Jahre sind es 4,7 % und bei den 18 bis 25 Jahre alten jungen Frauen 22,5 % (BZgA ohne Jahr). Im Gegensatz zu diesem Trend fiel die hohe Rate an Nikotinabusus der Minderjährigen während der Schwangerschaft in der untersuchten Kohorte auf.
Es war festzustellen, dass 30 % der beobachteten minderjährigen Schwangeren in der untersuchten Kohorte auch während ihrer Schwangerschaft zur Zigarette griffen, wobei von einer deutlich höheren Dunkelziffer ausgegangen wird. Diese Zahlen belegen eine signifikant höhere Rate an Nikotinkonsum der minderjährigen Schwangeren gegenüber den volljährigen (7,8 %) in der untersuchten Kohorte.
Einen möglichen Grund der hohen Raucherinnenrate der minderjährigen Schwangeren konnte die Autorin auf die hohe Rate an unbemerkten Schwangerschaften zurückführen.
Nahezu der Hälfte (47 %) der minderjährigen Schwangeren war mindestens bis zur Vollendung der zwölften Schwangerschaftswoche nicht bewusst, dass sie ein Kind erwarteten. Dass minderjährige Schwangere dahingehend eine Besonderheit darstellen, zeigte die Gegenüberstellung der Häufigkeit von unbemerkten Schwangerschaften Volljähriger. Diese waren nur zu circa einem Zehntel (11,1 %) davon betroffen. Auch die bewusste Verleugnung der Schwangerschaft fand sich in vereinzelten Berichten wieder.
Aktenvermerk: »Mehrere Anrufe von Dr. B. aus der Jugendmedizin, hat dort bei Bauchschmerzen eine Schwangerschaft weit fortgeschritten festgestellt -> V.a. Wehen. CTG angelegt […] Sie möchte auf keinen Fall, dass die Eltern es erfahren, hat schon seit Monaten Angst, schwanger zu sein. Seit 2 Tagen geht Flüssigkeit ab. »Ich habe seit 24h nicht gegessen« […] Die Mutter nimmt Kontakt auf zum Kind, betrachtet es und nimmt es später in den Arm. […] Längeres Gespräch. Sie überlegt Adoption (offene). Es muss vor den Eltern geheim gehalten werden – auch vor dem Bruder«.
Folgen einer unbemerkten Schwangerschaft zeigten sich nicht ausschließlich, doch auffallend oft in Form von zunehmender Überforderung, Unselbstständigkeit, Angstzuständen, Ablehnung und Abneigung der Minderjährigen gegenüber ihrem Kind.
Außerdem war ein besonderes Maß an Schwangerschaftsbeschwerden bei Minderjährigen auffällig. 62,1 % von ihnen stellte sich mit Schwangerschaftsbeschwerden vor.
Es konnten deutliche Differenzen in der Art sowie der Behandlungsdringlichkeit der Schwangerschaftsbeschwerden zwischen Minderjährigen und Volljährigen beobachtet werden. Während die Volljährigen häufig mit klinisch auffälligen Befunden (Präeklampsie, Cholestase, Mehrlingsschwangerschaft) behandelt wurden, zeigten einige der Beschwerden Minderjähriger keine klinische Relevanz.
Minderjährige waren im Umgang mit dem Neugeborenen und der damit einhergehenden neuen Lebenssituation häufiger unsicher. So waren mit einem Prozentsatz von 29,2 % die Minderjährigen deutlich häufiger auf externe Hilfe im eigenverantwortlichen Umgang mit dem Kind angewiesen als die Volljährigen mit 12,9 %. Dabei zeigten sich unter den Minderjährigen vereinzelt akute bis lebensbedrohliche Ausnahmesituationen sowohl für die minderjährige Mutter als auch das neugeborene Kind.
Wie auch die volljährigen Mütter (25,9 %), waren die minderjährigen Mütter (32,6 %) von anfänglichen Stillproblemen betroffen. Diesbezüglich unterschied sich die Häufigkeit der Stillschwierigkeiten allerdings nicht signifikant im Alter der Beobachteten. Dennoch ließen sich Motivationsunterschiede zum Stillen erkennen.So führen ästhetische Gründe, der Drang nach Freiheit und Ungebundenheit sowie Scham vor Gleichaltrigen häufig zum primären Abstillen unter minderjährigen Müttern. Auch der Umgang mit den körperlichen Veränderungen während des Laktationsvorganges sowie des hygienischen Umgangs mit Alternativnahrungen zeigte sich vereinzelt problematisch unter den minderjährigen Müttern.
Ein weiteres Risiko findet sich in der hohen Rate an nicht rötelnimmunisierten Jugendlichen. Knapp 40 % der minderjährigen Schwangeren wiesen keinen Immunitätsstatus auf und sind somit anfälliger für Rötelninfektionen als die volljährigen Schwangeren (6,3 %).
Neben der möglichen Last einer Rötelninfektion werden auch weitere die Schwangerschaft betreffende Infektionen signifikant häufiger unter minderjährigen Schwangeren festgestellt.
Signifikant auffallend zeigten sich die Unterschiede in den Schwangerschaftsrisiken zwischen minderjährigen und volljährigen Schwangeren und Müttern. Deutlich wurde dies vor allem bezüglich des höheren Nikotinkonsums, der höheren Rate unbemerkter Schwangerschaften, der Unselbstständigkeit, der Häufigkeit schwangerschaftsbetreffender Infektionskrankheiten sowie eines nicht vorhanden Rötelnimmunitätsstatus.
Genannte Faktoren bergen Risiken für die Schwangerschafts- und Mutterschaftsentwicklung. Allerdings konnten tatsächliche gesundheitliche Einschränkungen der Feten Minderjähriger, wie etwa ein erhöhtes Vorkommen mangelentwickelter Feten, hypertensive, laborchemische und stoffwechselbedingte Erkrankungen oder psychosomatische Belastungen nicht signifikant häufiger festgestellt werden. Aus dieser Erkenntnis heraus ergibt sich, dass der Fokus der Hebammenarbeit im Umgang mit minderjährigen Schwangeren, Müttern und Eltern nicht auf der absoluten Prävention einer eintretenden Schwangerschaft liegen muss.
Vielmehr sollte sich auf internationale Erhebungen des positiven Einflusses der Hebammenarbeit während Schwangerschaft und Wochenbett verlassen werden, um die Vermutung zu stützen, dass erkannte Risikopotenziale minderjähriger Schwangerer und Mütter durch intensive professionelle Betreuung zu vermeiden oder deutlich abzuschwächen sind (Vedam et al. 2018). Während die Hebammenarbeit bislang nur einen kleinen Teil zum präventiven und intervenierenden Umgang mit Gefahrenpotenzialen minderjähriger Schwangeren geleistet hat, besteht mit zunehmender Akademisierung dieser Profession die Hoffnung auf die Beantwortung offen gebliebener Forschungsfragen. So beispielsweise die Auswirkung intensiver sexueller Aufklärungsarbeit durch die Hebamme nach schwedischem oder die Minimierung der Gefahrenpotenziale einer Folgeschwangerschaft der präventiv und intervenös durch die Hebamme betreuten Frau.
Ärztezeitung: Jugendliche rauchen weniger als je zuvor. https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/atemwegskrankheiten/article/943259/aktuelle-studie-jugendliche-rauchen-weniger-je-zuvor.html. 2017
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Der Einsatz von Familienhebammen in Netzwerken Früher Hilfen. Leitfaden für Kommunen 2012 https://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user_upload/fruehehilfen.de/downloads/Leitfaden_Einsatz_Familienhebammen.pdf
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Teenagerschwangerschaften im internationalen Vergleich. https://www.forschung.sexualaufklaerung.de/fileadmin/fileadmin-forschung/pdf/Teenagerschwangerschaften_international_2_2007.pdf. 2010
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Raucherquote bei Kindern und Jugendlichen. https://www.rauchfrei-info.de/informieren/verbreitung-des-rauchens/raucherquote-bei-kindern-jugendlichen/. Ohne Jahrgang
Caritas Deutschland: Häufig gestellte Fragen in der Schwangerschaftsberatung. https://www.caritas.de/hilfeundberatung/onlineberatung/schwangerschaftsberatung/faq-schwangerschaft/faq-schwangerschaft 2019
Delisle R: Teenagerschwangerschaften und -abbrüche. In: Kinder- und Jugendgynäkologie. Oppelt P, Dörr H. (Hrsg). 1. Auflage. Stuttgart: Thieme Verlag 2015. S. 146
Fracassi S: Schwangerschaft und Geburt im minderjährigen Alter – Ist die Risikobelastung ein Effekt des Alters oder bedingt durch Bildungsstand, Partnerstatus und/oder Tabakkonsum? Eine Matched-Pairs-Studie an Erstgebärenden der Jahrgänge 2000 – 2004. Universität Rostock 2009
Gnielka M: Teenagerschwangerschaften: Sexualpädagogische Antworten auf ein gesellschaftliches Problem. Überarbeitete Fassung eines Vortrages auf dem Kongress Armut und Gesundheit in Berlin. 18. November 2005
Pracht E: Jugendliche aus sozial benachteiligten Kontexten. ProFamilia Forschung 2011
State Of World Population Fund (UNFPA): Motherhood in Childhood. UNFPA 2013. S. 7ff.
Statistisches Bundesamt: Mütter im Teenager-Alter in Deutschland und der EU immer seltener. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2016/12/PD16_428_126.html. 2016
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg: 367 Kinder wurden von Minderjährigen im Jahr 2015 zur Welt gebracht. In: Pressemitteilung 368/2016
Statistisches Landesamt BW: Anzahl der Lebensgeborenen von minderjährigen Müttern in Baden-Württemberg seit dem Jahr 2000. https://www.statistik-bw.de/Presse/Pressemitteilungen/2016010. 2016
Stucke C: Minderjährige Mütter und ihre Kinder. Freue und Hansestadt Hamburg Behörde für Soziales und Familie 2004
Schmidt G, Thoß E, Matthiesen S, Weiser S; Block K, Mix S: Jugendschwangerschaften in Deutschland. Ergebnisse einer Studie mit 1.801 schwangeren Frauen unter 18 Jahren. In: Z Sozialforsch 2006. 19. S. 334 ff.
Fünftes Sozialgesetzbuch. Ausfertigung vom 20.12.1988 in 322 Paragrafen
Vedam et al.: Mapping integration of midwives across the United States: Impact on access, equity, and outcomes. Public Library of Science 2018. Doi: 1 0.1371/journal.pone.0192523