Katja Baumgarten: Wo haben Sie nach Ihrem Hebammenexamen angefangen zu arbeiten?
Tobias Richter: Ich wusste schon immer, dass ich nach der Ausbildung als Kreißsaalhebamme an die Klinik nach Berlin gehen werde, wo ich im Praktikum meine ersten Geburten miterlebt und auch mein Externat absolviert hatte. Ich hatte schon sehr lange die Zusage und der Vertrag zum 1. September 2018 war unterschrieben.
Katja Baumgarten: Wie war der erste Tag?
Tobias Richter: Spannend. Für kurze Zeit war ich auf einmal unsicher, jetzt so alleine – natürlich konnte ich die Kolleginnen immer fragen. Sie waren am Anfang mit dabei und haben mir ein bisschen auf die Hände geschaut. Ich hatte eine gute Sicherheit durch das Team, die habe ich auch jetzt noch, wenn ich Fragen habe. Es gab niemanden, der es schlecht mit mir gemeint hätte – das Gefühl hatte ich ja manchmal in der Ausbildung.
Katja Baumgarten: Jetzt arbeiten Sie dort schon länger als ein Jahr und sind nicht mehr Junghebamme.
Tobias Richter: Inzwischen habe ich meine Routine. Ich bin zwar noch das Küken im Team und das werde ich wohl noch eine Weile sein, denn die neuen Kolleginnen sind meist etwas älter durch das Abitur. Das selbstständige Arbeiten mit den Frauen und den Paaren ist jetzt so, wie ich es mir gewünscht habe. Ich arbeite anders als wir es in der Ausbildung standardmäßig gemacht haben, davon kann ich jetzt abweichen. Es fühlt sich nun auch anders an, dass man sich als Mensch nicht mehr verstecken muss, sondern so sein kann, wie man möchte. Klar gibt es Leute, die mit mir auch einmal nicht zurechtkommen. Das wird es immer geben.
Katja Baumgarten: Im Team?
Tobias Richter: Im Team nicht unbedingt, eher Paare …
Katja Baumgarten: Das haben Sie schon erlebt?
Tobias Richter: Das habe ich selten erlebt. Es gibt natürlich Paare, die in ihren Geburtsplan schreiben, sie möchten nicht von einem Mann betreut werden.
Katja Baumgarten: Hat es sich herumgesprochen, dass es in Ihrer Klinik zwei Männer im Hebammenteam gibt?
Tobias Richter: Ja, diese Information bekommen die Frauen auch in den Arztpraxen. Manchmal begrüßt mich eine Frau: »Ich habe von Ihnen schon von der Sprechstundenhilfe in meiner Arztpraxis gehört – deren Cousine haben Sie bei der Geburt geholfen, liebe Grüße von ihr.« Dann weiß ich, ich hab‘ alles richtig gemacht – für mich die beste Bestätigung überhaupt. Ich bin zwar hier in der Metropole Berlin, aber manchmal ist alles doch sehr vernetzt. Zu Hause pinne ich alle Dankeskarten an eine Wand, ich liebe sie – gerade, wenn besondere Erinnerungen an eine Geburt auf der Karte stehen.
Katja Baumgarten: Wenn Frauen oder Paare die Betreuung durch einen Mann nicht wünschen, wie wird Ihnen das vermittelt?
Tobias Richter: Es kommt darauf an, beispielsweise wird es mir bei der Übergabe gesagt.
Katja Baumgarten: Werden die Frauen nach ihren Wünschen gefragt?
Tobias Richter: Nein. Wir fragen die Frauen immer nach ihren Wünschen und Vorstellungen, gehen aber nicht explizit auf das Geschlecht der betreuenden Hebamme beziehungsweise des betreuenden Personals ein. Wer dies nicht wünscht, muss es aktiv ablehnen. Wir gehen ins Geburtszimmer und übernehmen den Dienst ganz normal. Diese Sonderstellung hat man als Mann einfach. Wenn ich fragen würde, ob meine Betreuung erwünscht ist – das machen die weiblichen Hebammen auch nicht.
Katja Baumgarten: Bei FrauenärztInnen kann sich eine Frau vorher entscheiden, ob sie zu einer Frau oder einem Mann gehen möchte.
Tobias Richter: Genau, das kann man sich überlegen. Es kann aber auch sein, dass es menschlich einfach nicht klappt. Bei mir wird das am Geschlecht festgemacht. Ich merke manchmal als Hebamme, mit dem Paar komme ich überhaupt nicht zurecht oder die Frau ist so in sich gekehrt und gar nicht offen, so dass ich dann von mir aus sage: Vielleicht ist sinnvoller, wenn wir tauschen und eine Kollegin die Betreuung übernimmt. Das gibt es aber auch mit weiblichen Kolleginnen: Manche sind ein bisschen robuster in ihrer Persönlichkeit, womit auch nicht jedes Paar zurechtkommt, und sie dann sagen: Können wir tauschen?
Katja Baumgarten: Können die Frauen während der Geburt Wünsche äußern, wenn sie spüren, dass sie sich bei einer Hebamme nicht gut aufgehoben fühlen?
Tobias Richter: Wenn eine Frau sich unwohl fühlt und unsicher fühlt, schlagen wir ihr vor, dass eine andere Hebamme weitermacht, damit wir für sie das Beste rausholen können. Dieses Gespür hat man als Hebamme, ob jemand zumacht oder ob sich jemand fallen lassen und öffnen kann.
Einmal hatte ich eine Frau bei Dienstübergabe im Geburtsraum schon begrüßt und erst hinterher habe ich ihren Zettel in der Akte gelesen, sie möchte nicht von einem Mann betreut werden. Dann hieß es von der Frau, wir können gerne doch miteinander weitermachen. Vielleicht ist es manchmal die Angst vor dem Ungewohnten. Das betrifft aber nicht nur diese Frau-Mann-Geschichte. Man liest und hört viel heutzutage. Manche Frauen lesen die abscheulichsten Geschichten von Geburten! Als Hebamme kann ich manchmal etwas besser den Hintergrund oder die Situation nachvollziehen, aber ich verstehe, wenn manche Frauen Angst haben. In meinem Geburtsvorbereitungskurs sage ich immer, eine Geburt ist nicht planbar. Frauen, die mit einem Geburtsplan kommen, stehen sich manchmal selbst im Weg.
Katja Baumgarten: In welcher Hinsicht?
Tobias Richter: Ihnen fehlt die Offenheit, wenn die wirkliche Situation vielleicht anders ist, als sie es sich vorgestellt haben. Es geht meist um Wünsche wie: »Ich möchte keinen Dammschnitt haben«, »Ich möchte keinen Kaiserschnitt haben«, »Ich möchte kein Oxytocin haben«, »Ich möchte so wenig Schmerzmittel wie möglich haben«. Frauen, die mit solchen Einschränkungen kommen, sind manchmal besonders verspannt und verkrampft, so dass sie schon bei den ersten Wehen auf ein Schmerzmittel angewiesen sind.
Katja Baumgarten: In meinem Geburtsplan würden diese Wünsche auch alle stehen.
Tobias Richter: Ja. Viele haben die Angst, dass wir diese Eingriffe in der Klinik generell machen.
Katja Baumgarten: Das gibt es ja auch. Die Geburtshilfe während Ihrer Ausbildung ist wahrscheinlich auch anders gelaufen, als Sie es heute umsetzen können.
Tobias Richter: Ja, leider. Man hat vieles gesehen, was man heute selbst anders gestalten würde. Manches war für mich und meine Mitschülerinnen sehr schockierend. Aber nicht nur für uns, sondern erst recht für die Frau.
Klar läuft in manchen Kliniken die Geburtshilfe nicht so ab, wie man sich das vorstellt und manche Frauen haben ein schlechtes Geburtserlebnis, das ist keine Frage. Ich sehe oft diese Pläne aus dem Internet, die sich die Frauen ausdrucken. Wenn eine Frau einen Geburtsplan mitbringt, sollte sie sich damit intensiv beschäftigt und ihn selbst geschrieben haben.
Katja Baumgarten: Ist so ein Zettel nicht auch hilfreich, um mit der Frau ins Gespräch zu kommen?
Tobias Richter: Anhand des Geburtsplans erklären wir ihnen, was wir in welchen Situationen machen und mit welchen Gründen – manchmal nur im Notfall. Das muss man gut erklären können. Wenn die Frau keinen Geburtsvorbereitungskurs hatte und es das erste Kind ist und sie noch etwas Dramatisches im Internet gelesen hat, dann nehme ich ihr die Angst vielleicht, so dass manche ihren Plan schon gar nicht mehr brauchen. Sie gehen an ihre Geburt schon beruhigter heran.
Katja Baumgarten: Geben Sie viele Kurse?
Tobias Richter: Auf freiberuflicher Basis leite ich zusammen mit einer Kollegin die Elternschule, die an unser Haus angeschlossen ist. Wir bieten Kurse für Geburtsvorbereitung, Rückbildung und Babymassage dort an. Alle zwei bis drei Monate biete ich übers Wochenende einen Geburtsvorbereitungskurs an. Diese zwölf Stunden mit den Paaren sind intensiv und man kann viel vermitteln. Danach haben die Paare eine Ahnung, was auf sie zukommt.
Katja Baumgarten: Sie sind mit Ihren 21 Jahren eine recht junge Hebamme. Ist das manchmal irritierend für die Frauen, die Sie betreuen?
Tobias Richter: Ich glaube, ja. Manche fragen auch, wie alt ich bin. Bei 21 Jahren fangen viele erst einmal an zu rechnen oder geben zu, dass sie mich älter geschätzt hätten. Wenn man sich Mühe gibt und fachlich gut ist, muss man damit überzeugen – dann ist das Alter egal.