Tobias Richter: »Wenn Männer in der Ausbildung Schwierig­keiten haben, sage ich immer: ›Durchziehen!‹« Foto: © Martin Albermann

Katja Baumgarten: Wo haben Sie nach Ihrem Hebammenexamen angefangen zu arbeiten?

Tobias Richter: Ich wusste schon immer, dass ich nach der Ausbildung als Kreißsaalhebamme an die Klinik nach Berlin gehen werde, wo ich im Praktikum meine ersten Geburten miterlebt und auch mein Externat absolviert hatte. Ich hatte schon sehr lange die Zusage und der Vertrag zum 1. September 2018 war unterschrieben.

Katja Baumgarten: Wie war der erste Tag?

Tobias Richter: Spannend. Für kurze Zeit war ich auf einmal unsicher, jetzt so alleine – natürlich konnte ich die Kolleginnen immer fragen. Sie waren am Anfang mit dabei und haben mir ein bisschen auf die Hände geschaut. Ich hatte eine gute Sicherheit durch das Team, die habe ich auch jetzt noch, wenn ich Fragen habe. Es gab niemanden, der es schlecht mit mir gemeint hätte – das Gefühl hatte ich ja manchmal in der Ausbildung.

Katja Baumgarten: Jetzt arbeiten Sie dort schon länger als ein Jahr und sind nicht mehr Junghebamme.

Tobias Richter: Inzwischen habe ich meine Routine. Ich bin zwar noch das Küken im Team und das werde ich wohl noch eine Weile sein, denn die neuen Kolleginnen sind meist etwas älter durch das Abitur. Das selbstständige Arbeiten mit den Frauen und den Paaren ist jetzt so, wie ich es mir gewünscht habe. Ich arbeite anders als wir es in der Ausbildung standardmäßig gemacht haben, davon kann ich jetzt abweichen. Es fühlt sich nun auch anders an, dass man sich als Mensch nicht mehr verstecken muss, sondern so sein kann, wie man möchte. Klar gibt es Leute, die mit mir auch einmal nicht zurechtkommen. Das wird es immer geben.

Katja Baumgarten: Im Team?

Tobias Richter: Im Team nicht unbedingt, eher Paare …

Katja Baumgarten: Das haben Sie schon erlebt?

Tobias Richter: Das habe ich selten erlebt. Es gibt natürlich Paare, die in ihren Geburtsplan schreiben, sie möchten nicht von einem Mann betreut werden.

Katja Baumgarten: Hat es sich herumgesprochen, dass es in Ihrer Klinik zwei Männer im Hebammenteam gibt?

Tobias Richter: Ja, diese Information bekommen die Frauen auch in den Arztpraxen. Manchmal begrüßt mich eine Frau: »Ich habe von Ihnen schon von der Sprechstundenhilfe in meiner Arztpraxis gehört – deren Cousine haben Sie bei der Geburt geholfen, liebe Grüße von ihr.« Dann weiß ich, ich hab‘ alles richtig gemacht – für mich die beste Bestätigung überhaupt. Ich bin zwar hier in der Metropole Berlin, aber manchmal ist alles doch sehr vernetzt. Zu Hause pinne ich alle Dankeskarten an eine Wand, ich liebe sie – gerade, wenn besondere Erinnerungen an eine Geburt auf der Karte stehen.

Katja Baumgarten: Wenn Frauen oder Paare die Betreuung durch einen Mann nicht wünschen, wie wird Ihnen das vermittelt?

Tobias Richter: Es kommt darauf an, beispielsweise wird es mir bei der Übergabe gesagt.

Katja Baumgarten: Werden die Frauen nach ihren Wünschen gefragt?

Tobias Richter: Nein. Wir fragen die Frauen immer nach ihren Wünschen und Vorstellungen, gehen aber nicht explizit auf das Geschlecht der betreuenden Hebamme beziehungsweise des betreuenden Personals ein. Wer dies nicht wünscht, muss es aktiv ablehnen. Wir gehen ins Geburtszimmer und übernehmen den Dienst ganz normal. Diese Sonderstellung hat man als Mann einfach. Wenn ich fragen würde, ob meine Betreuung erwünscht ist – das machen die weiblichen Hebammen auch nicht.

Katja Baumgarten: Bei FrauenärztInnen kann sich eine Frau vorher entscheiden, ob sie zu einer Frau oder einem Mann gehen möchte.

Tobias Richter: Genau, das kann man sich überlegen. Es kann aber auch sein, dass es menschlich einfach nicht klappt. Bei mir wird das am Geschlecht festgemacht. Ich merke manchmal als Hebamme, mit dem Paar komme ich überhaupt nicht zurecht oder die Frau ist so in sich gekehrt und gar nicht offen, so dass ich dann von mir aus sage: Vielleicht ist sinnvoller, wenn wir tauschen und eine Kollegin die Betreuung übernimmt. Das gibt es aber auch mit weiblichen Kolleginnen: Manche sind ein bisschen robuster in ihrer Persönlichkeit, womit auch nicht jedes Paar zurechtkommt, und sie dann sagen: Können wir tauschen?

Katja Baumgarten: Können die Frauen während der Geburt Wünsche äußern, wenn sie spüren, dass sie sich bei einer Hebamme nicht gut aufgehoben fühlen?

Tobias Richter: Wenn eine Frau sich unwohl fühlt und unsicher fühlt, schlagen wir ihr vor, dass eine andere Hebamme weitermacht, damit wir für sie das Beste rausholen können. Dieses Gespür hat man als Hebamme, ob jemand zumacht oder ob sich jemand fallen lassen und öffnen kann.

Einmal hatte ich eine Frau bei Dienstübergabe im Geburtsraum schon begrüßt und erst hinterher habe ich ihren Zettel in der Akte gelesen, sie möchte nicht von einem Mann betreut werden. Dann hieß es von der Frau, wir können gerne doch miteinander weitermachen. Vielleicht ist es manchmal die Angst vor dem Ungewohnten. Das betrifft aber nicht nur diese Frau-Mann-Geschichte. Man liest und hört viel heutzutage. Manche Frauen lesen die abscheulichsten Geschichten von Geburten! Als Hebamme kann ich manchmal etwas besser den Hintergrund oder die Situation nachvollziehen, aber ich verstehe, wenn manche Frauen Angst haben. In meinem Geburtsvorbereitungskurs sage ich immer, eine Geburt ist nicht planbar. Frauen, die mit einem Geburtsplan kommen, stehen sich manchmal selbst im Weg.

Katja Baumgarten: In welcher Hinsicht?

Tobias Richter: Ihnen fehlt die Offenheit, wenn die wirkliche Situation vielleicht anders ist, als sie es sich vorgestellt haben. Es geht meist um Wünsche wie: »Ich möchte keinen Dammschnitt haben«, »Ich möchte keinen Kaiserschnitt haben«, »Ich möchte kein Oxytocin haben«, »Ich möchte so wenig Schmerzmittel wie möglich haben«. Frauen, die mit solchen Einschränkungen kommen, sind manchmal besonders verspannt und verkrampft, so dass sie schon bei den ersten Wehen auf ein Schmerzmittel angewiesen sind.

Katja Baumgarten: In meinem Geburtsplan würden diese Wünsche auch alle stehen.

Tobias Richter: Ja. Viele haben die Angst, dass wir diese Eingriffe in der Klinik generell machen.

Katja Baumgarten: Das gibt es ja auch. Die Geburtshilfe während Ihrer Ausbildung ist wahrscheinlich auch anders gelaufen, als Sie es heute umsetzen können.

Tobias Richter: Ja, leider. Man hat vieles gesehen, was man heute selbst anders gestalten würde. Manches war für mich und meine Mitschülerinnen sehr schockierend. Aber nicht nur für uns, sondern erst recht für die Frau.

Klar läuft in manchen Kliniken die Geburtshilfe nicht so ab, wie man sich das vorstellt und manche Frauen haben ein schlechtes Geburtserlebnis, das ist keine Frage. Ich sehe oft diese Pläne aus dem Internet, die sich die Frauen ausdrucken. Wenn eine Frau einen Geburtsplan mitbringt, sollte sie sich damit intensiv beschäftigt und ihn selbst geschrieben haben.

Katja Baumgarten: Ist so ein Zettel nicht auch hilfreich, um mit der Frau ins Gespräch zu kommen?

Tobias Richter: Anhand des Geburtsplans erklären wir ihnen, was wir in welchen Situationen machen und mit welchen Gründen – manchmal nur im Notfall. Das muss man gut erklären können. Wenn die Frau keinen Geburtsvorbereitungskurs hatte und es das erste Kind ist und sie noch etwas Dramatisches im Internet gelesen hat, dann nehme ich ihr die Angst vielleicht, so dass manche ihren Plan schon gar nicht mehr brauchen. Sie gehen an ihre Geburt schon beruhigter heran.

Katja Baumgarten: Geben Sie viele Kurse?

Tobias Richter: Auf freiberuflicher Basis leite ich zusammen mit einer Kollegin die Elternschule, die an unser Haus angeschlossen ist. Wir bieten Kurse für Geburtsvorbereitung, Rückbildung und Babymassage dort an. Alle zwei bis drei Monate biete ich übers Wochenende einen Geburtsvorbereitungskurs an. Diese zwölf Stunden mit den Paaren sind intensiv und man kann viel vermitteln. Danach haben die Paare eine Ahnung, was auf sie zukommt.

Katja Baumgarten: Sie sind mit Ihren 21 Jahren eine recht junge Hebamme. Ist das manchmal irritierend für die Frauen, die Sie betreuen?

Tobias Richter: Ich glaube, ja. Manche fragen auch, wie alt ich bin. Bei 21 Jahren fangen viele erst einmal an zu rechnen oder geben zu, dass sie mich älter geschätzt hätten. Wenn man sich Mühe gibt und fachlich gut ist, muss man damit überzeugen – dann ist das Alter egal.

Foto: © Martin Albermann

Katja Baumgarten: Es ist eine sehr intime Situation, wenn die Frau arbeitet, um ihr Kind zur Welt zu bringen. Können Sie die gleiche Nähe zu einer Gebärenden herstellen wie Ihre weiblichen Kolleginnen?

Tobias Richter: Ich denke schon. Bei der Geburtshilfe im Krankenhaus kennt man die Frauen vorher oft nicht und versucht diese Nähe so schnell wie möglich herzustellen, damit die Frau sich wohl fühlt. Ich arbeite mit einer Gebärenden ebenso wie meine Kolleginnen, massiere ihr den Rücken, zeige ihr Geburtspositionen, biete ihr Hilfsmittel wie den Ball an oder begleite sie nach der Geburt beim Duschen. Ich versuche auch den Partner miteinzubeziehen, so dass er beispielsweise die Rückenmassage übernehmen kann. Manchmal kann ich mich als Hebamme gut aus der Situation rausnehmen, weil der Mann seine Frau so gut unterstützt und ihr Kraft gibt – sich mit ihr im Kreißsaal bewegt und sie aufrechtstehend oder kniend zum Atmen anleitet. Manchmal denke ich, unglaublich, wie gut er das kann. Dann gibt es wieder Männer, die einfach nur still dabei sind, auf dem Stuhl sitzen oder aus dem Kreißsaal flüchten.

Katja Baumgarten: Erleben Sie manchmal Vorbehalte von den Partnern – vielleicht in Form einer Rivalität?

Tobias Richter: Es kommt selten vor, dass man das zu spüren bekommt. Dann schlage ich vor, wir tauschen mit einer anderen Hebamme. Bis zu einem gewissen Grad kann man die Bedürfnisse der Männer beachten, letztendlich bin ich für Frau und Kind verantwortlich, nicht für den Vater. Natürlich möchte ich, dass sich alle wohlfühlen. Wenn ich mit einer Frau sehr gut arbeiten kann, und ihr Mann das nicht unterstützt und mir nicht hilft, dann kann ich es in dem Moment auch nicht ändern – er spielt halt die zweite Rolle.

Katja Baumgarten: Sind Sie umgekehrt für den Partner als männliche Hebamme manchmal auch eher ermutigend – von Mann zu Mann?

Tobias Richter: Manche Väter werden gesprächiger und trauen sich, mehr zu fragen. Manche finden es auch interessant, dass ich Hebamme bin und fragen mich aus. Dann muss ich etwas bremsen: »Wir können uns gerne später unterhalten, jetzt ist unsere Hauptaufgabe, dass wir deine Frau so gut, wie es geht, bei der Geburt unterstützen. Ich schaue eher auf die Frau und achte darauf, dass nicht die ganze Zeit gesprochen wird und sie ihr Kind nicht nebenbei bekommt.

Katja Baumgarten: Ich sehe die Geburt als wichtigen Teil weiblicher Sexualität. Wenn Sie dieses Erlebnis als junger Mann mit der Frau teilen – wie geht es Ihnen dabei?

Tobias Richter: Eine Geburt ist natürlich etwas sehr Intimes. Allein eine vaginale Untersuchung – das ist auch eine besondere Situation. Ich frage immer vorher: »Darf ich jetzt untersuchen, passt es gerade?« Für mich ist es wichtig, dass die Frau eine Pause hat, so dass ich fragen kann: »Ist die Wehe vorbei, kannst du dich jetzt fallen lassen? Ich würde gern einmal nachschauen, ja?«

Katja Baumgarten: Sprechen Sie die Frauen bei der Geburt mit »du« an?

Tobias Richter: Ja, das machen wir im Kreißsaal-Team zum Großteil fast immer. Letztlich entscheidet jede Hebamme selbst, wie sie ihre Frauen anspricht. Ich entscheide das nach meinem Bauchgefühl – selten, dass ich »Sie« sage. Viele Paare wollen auch diese Offenheit, sie stellen sich selbst schon so vor. Es macht viel aus, dass man in kurzer Zeit eine Beziehung aufbauen kann. Je entspannter die Frau ist, desto besser kann sie ihr Kind bekommen. Pathologien kann man oft vermeiden, wenn sie sich fallen lassen kann.

Katja Baumgarten: Bei männlichen Frauenärzten scheint mir oft, dass alles, was mit Sexualität zu tun haben könnte, von beiden Seiten »neutralisiert« wird und man sich vor allem auf die medizinischen Seiten der Geburt konzentriert. Als weibliche Hebamme kann ich auf diese Ab­grenzung verzichten. Wie ist es denn für Sie als Mann?

Tobias Richter: Ich kann den sexuellen Aspekt nachvollziehen, klar. Man muss auch auf die Partner schauen, wenn man untersucht – wie sieht er das? Ich versuche, mich menschlich vorsichtig in die Situation hineinzufinden und nicht zu irritieren.

In vielen Situationen allerdings, beispielsweise bei Speculumeinstellungen des Muttermundes oder Mikroblutuntersuchungen, werden Instrumente eingesetzt, wo ich mir denke, das würde ich selbst nicht gerne haben. Eine Hebamme arbeitet nicht mit solchen Instrumenten, selbst wenn sie gelegentlich vaginal untersucht, ist das natürlicher und etwas ganz anderes. Ich störe in dem Moment vielleicht schon zu einem kleinen Teil, mische mich dennoch so wenig wie möglich ein. Das Gute ist, dass man vieles durch das Tönen, aus dem Geburtsvorgang ableiten kann. Ich brauche dann nicht zu untersuchen, wenn das Kind schon drückt, das weiß man unterdessen schon.

Das Kind nach der Geburt an die Brust zu legen, gehört für mich dazu, das ist auch etwas Schönes. Das ist für die Väter auch faszinierend. Die Brust ist ja für viele Männer etwas, was Erotik ausmacht oder was sie an einer Frau besonders interessant finden – hier zu sehen, was die Brust auch noch kann.

Katja Baumgarten: Wie reagieren Migrantinnen, die unter Umständen einen anderen kulturellen Hintergrund haben?

Tobias Richter: Manche lehnen die Betreuung durch einen Mann von vorne herein strikt ab. Da würde ich gar nicht erst ins Geburtszimmer gehen. Manchmal lege ich noch das CTG an und tausche dann mit einer Kollegin.

Katja Baumgarten: Sagen diese Frauen Ihnen offen, dass sie Ihre Betreuung nicht wünschen?

Tobias Richter: Ja, das trauen sie sich dann auch. Es gab aber auch schon Migrantinnen, die ich auf Englisch betreut habe. Dann sind die Frauen froh, dass sie sich überhaupt verständigen können, und kommen damit zurecht, dass ich ein Mann bin. Manche Migrantinnen haben damit ohnehin kein Problem – wenn sie schon jahrelang in Deutschland leben, sich dem westlichen Lebensstil angepasst haben und auch zu einem männlichen Gynäkologen zur Vorsorge gehen.

Katja Baumgarten: Das klingt so, dass es für Sie un­kompliziert läuft als männliche Hebamme sowohl im Team als auch mit den Paaren.

Tobias Richter: Ja, auf jeden Fall. Klar gibt es manchmal Momente, wo ich mich über ein beschränktes Denken ärgere. Letztendlich weiß man nie, woran es genau lag. Es gibt beispielsweise Frauen, die traumatische Erlebnisse hatten, die unter häuslicher Gewalt gelitten haben oder die schon einmal vergewaltigt worden sind. Wenn ein Mann einer Frau etwas Schlimmes angetan hat, verstehe ich mögliche Vorbehalte sehr gut.

Katja Baumgarten: Da könnten Sie durch Ihre ganz andere Art auch etwas Versöhnliches verkörpern.

Tobias Richter: Ja, so ein Erlebnis hatte ich schon einmal: Als sich eine Frau nach der Geburt bedankt hat und ich erst dadurch von ihrer Vorgeschichte erfuhr. Wenn eine Frau Gewalt erfahren hat, ist es so ein außerordentlich großer Akt, überhaupt ein Kind zu bekommen, sich wieder auf einen Mann einzulassen, die Schwangerschaft zu genießen. Dann wird sie auch noch mit einem Mann als Hebamme im Krankenhaus konfrontiert und hat sich darauf einzulassen. Wenn ich so etwas vorher weiß, sage ich, es ist im Sinne der Frau, wenn eine weibliche Hebamme sie betreut.

Katja Baumgarten: Wie viele männliche Hebammen gibt es hierzulande?

Tobias Richter: Wir sind etwa zehn männliche Hebammen, dann noch diejenigen in der Ausbildung. Als ich 2015 angefangen habe, war ich so gut wie allein. Jetzt berichten Kollegen, die die Ausbildung begonnen haben, beim Vorstellungsgespräch gab es noch weitere Männer unter den BewerberInnen. »Bist du dafür, dass mehr Männer Hebamme werden sollten?«, werde ich oft gefragt. Jemand, der für diesen Beruf lebt, der sich für Geburtshilfe interessiert, der ein Praktikum gemacht hat, dem sollte nichts im Wege stehen.

Katja Baumgarten: Wissen Sie von Männern, die die Hebammenausbildung wieder abgebrochen haben?

Tobias Richter: Ja klar, vor ein paar Jahren war es noch häufiger. Aber auch, dass man männliche Hebammen mit Absicht zweimal durchs Examen hat fallen lassen und sie dann auch die Nachprüfung nicht bestanden haben.

Katja Baumgarten: Erstaunlich, wenn eine Schule schon so viel in die Ausbildungszeit investiert hat.

Tobias Richter: Vielleicht hat es rechtliche Gründe, dass solche Hebammenschulen den männlichen Bewerber annehmen, weil sie fürchten, dass er den Ausbildungsplatz sonst einklagen würde. Wenn sie ihm dann Steine in den Weg legen, geht kaum jemand zum Anwalt. Wenn Männer in der Ausbildung Schwierigkeiten haben, sage ich immer: »Durchziehen! Denk dir deinen Teil dazu, mach einfach weiter, wenn dir der Beruf wirklich am Herzen liegt. Wenn du das Gefühl hast, du fühlst dich mit der Berufswahl generell unwohl, dann horche noch mal in dich rein, wie deine Entscheidung ist.«

Katja Baumgarten: Stehen die männlichen Hebammen über soziale Netzwerke miteinander in Verbindung?

Tobias Richter: Ja, aber nicht mit allen hat man Kontakt untereinander. Ich zum Beispiel tausche mich nicht nur mit meinem Kollegen in unserem Team aus, sondern auch mit Hebammenschülern aus ganz Deutschland.

Katja Baumgarten: Sollte es mehr gefördert werden, dass sich Männer für den Hebammenberuf bewerben?

Tobias Richter: Hier die Gender- oder Gleichstellungsschiene zu fahren, halte ich für übertrieben. Wenn jemand am Hebammenberuf interessiert ist, hat er genug Ansprechpartner und kann sich Unterstützung suchen. Man kann über soziale Medien leicht Kontakt finden. Man liest inzwischen viel über männliche Hebammen, braucht nur im Internet recherchieren. Je mehr über Männer im Hebammenberuf gesprochen wird, desto offener sind die Leute. Es entwickelt sich immer mehr Toleranz. Es ist zwar ohnehin mein Anspruch, gute Arbeit zu leisten. Man hat aber manchmal das Gefühl, dass man es besonders gut machen muss als Mann.

Katja Baumgarten: So wie Frauen es in typischen Männerberufen erleben.

Tobias Richter: Genau, sie müssen dann extra noch einen drauflegen und werden besonders beobachtet. Viele müssen sich auch noch ab und an einen blöden Spruch anhören. Sowas begegnet mir auch gelegentlich mal. Leider erleben das viele Menschen in unserer Gesellschaft

Katja Baumgarten: Wie gefällt Ihnen die Fernsehserie mit der männlichen Hebamme?

Tobias Richter: »Toni, männlich, Hebamme«, ich habe sie manchmal gesehen. Die Sendung ist ganz unterhaltsam, aber manches finde ich überzeichnet, sie könnte ein bisschen realistischer sein. Es ist gut, dass so ein Thema aufgegriffen wird, vielleicht ist die Sendung eine Anregung für ein Umdenken und die Diskussion in der Gesellschaft.

Katja Baumgarten: Wie wird der Anteil der männlichen Hebammen in zehn Jahren sein?

Tobias Richter: Wir haben jetzt den Umbruch mit dem Studium. Vielleicht haben wir dann 50 Männer.

Katja Baumgarten: Wird sich langfristig noch mehr verändern? In den Niederlanden und Belgien gibt es deutlich mehr Männer unter den Hebammen als in Deutschland.

Tobias Richter: Männer werden ihre Sonderstellung behalten. Wir sind in Deutschland eine Gesellschaft, die sich nach außen hin offen gibt. Aber wenn man dahinter schaut, ist es in Wirklichkeit nicht so.

Wir sind als Hebammen ein Völkchen, das für die Frauen kämpft und für sie einsteht. Wir sollten Männern im Berufsfeld Offenheit und Toleranz entgegenbringen und sie nicht als Exoten oder als Gegner sehen, sondern als Kollegen auf Augenhöhe. Wir sollten als Gemeinschaft zusammenstehen, gegenüber den Widrigkeiten, die uns als Hebammen belasten, und uns zusammen dagegen wehren, das wünsche ich mir für die nächsten Jahre.

Katja Baumgarten: Wenn es mehr männliche Hebammen gäbe, würde die Arbeit dann besser vergütet?

Tobias Richter: Ich hoffe, dass durch das Studium mehr herausspringt. Wenn Männer dazu beitragen, wieso nicht? Es ist nicht gerecht, dass Hebammen beispielsweise genauso viel verdienen wie Krankenschwestern. Ich habe eine extrem hohe Verantwortung und arbeite viel selbstständiger. Krankenschwestern, die im OP arbeiten, werden nach Funktionsdienst besser bezahlt, das werde ich nicht. Dabei überwache ich ebenso Frauen nach einem Kaiserschnitt, das ist ähnlich wie im Aufwachraum nach der OP. Ich muss auch noch ein Kind überwachen in den ersten zwei Stunden. Es kann jederzeit plötzlich etwas auftreten, wie Blutungen, so dass die Frau sofort in den OP muss. Und ich habe vielleicht nebenbei noch eine andere Frau, die gerade spontan ein Kind gebären möchte, oder noch Ambulanzfälle, die nachts kommen. Diese Arbeit wird nicht wertgeschätzt und mit diesem Gehalt erst recht nicht. Da muss auf jeden Fall etwas passieren.

Katja Baumgarten: Wie geht es weiter für Sie?

Tobias Richter: Ich bleibe hier in Berlin-Buch. Mein Plan ist, nächstes Jahr berufsbegleitend Hebammenkunde zu studieren. Ich möchte meinen Bachelor-Abschluss an der Hochschule in Berlin machen. Dann hoffe ich, einen anderen Blick auf die Hebammenwissenschaft und unsere Hebammenkunde zu bekommen und die physiologische Geburtshilfe noch einmal anders mitgestalten zu können.

Katja Baumgarten: Möchten Sie den akademischen Weg später noch weiter gehen?

Tobias Richter: Mein Platz ist erst einmal am Kreißbett. Es ist wichtig, dass ich zunächst noch viel sehe. Wer weiß, was die Zeit bringt.

Der Interviewte

Tobias Richter ist seit September 2018 examinierte Hebamme. Er arbeitet angestellt im Kreißsaal des Klinikums Berlin-Buch, freiberuflich in der Geburtsvorbereitung und Schwangerenvorsorge und leitet die dort angeschlossene Elternschule.

Zitiervorlage
Baumgarten K: Interview mit Tobias Richter, Teil 2: »Man muss es besonders gut machen«. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2020. 72 (1): 46–50
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