Pränataler Tod vor dem 40. Schwangerschaftstag
Im Jüdischen Gesetz, der sogenannten Halacha, wird grundsätzlich zwischen einem Embryo vor dem 40. Schwangerschaftstag und danach unterschieden. Laut rabbinischer Überlieferung wird erst an dem 40. Tag die Seele in den menschlichen Körper eingehaucht. In der Zeit vor dem 40. Tag wird der Embryo als „einfaches Wasser” bezeichnet.
Im Falle einer Fehlgeburt oder eines Schwangerschaftsabbruchs gibt es bis zu diesem Zeitpunkt keine religionsgesetzlichen Vorschriften, wie mit dem gestorbenen Fetus umgegangen werden soll. Dementsprechend ist aus der Sicht der Halacha keine formelle Beerdigung für den Fetus notwendig, die sonst in den Krankenhäusern meist üblich ist.
Früher wurden die Stillgeborenen oft sehr diskret bestattet. Meistens nahmen nicht einmal die nahen Verwandten an der Beerdigung teil. Bei der erschreckend großen Rate der Säuglingssterblichkeit vor einigen Generationen würden die Familien sonst fast unendlich um ihre Verstorbenen trauern, anstatt auf eine bessere Zukunft zu hoffen.
Nach dem 40. Schwangerschaftstag
Generell wird zwischen dem gestorbenen Fetus nach dem 41. Schwangerschaftstag und einem gestorbenen Neugeborenen nicht mehr unterschieden. Ab diesem Zeitpunkt ist es notwendig, das Kind auf dem Jüdischen Friedhof zu beerdigen. Dabei sollten einige Vorschriften beachtet werden.
Wenn das verstorbene Baby männlich und physisch ausreichend entwickelt ist, so wird die rituelle Beschneidung durchgeführt. Das ist unabhängig davon, an welchem Tag das Baby verstarb. Alle anderen Vorschriften gelten auch für Mädchen.
Üblicherweise wird einem Baby kurz vor der Beerdigung ein Name gegeben. Dieser kann von den Eltern gewählt werden und sollte nicht der Name sein, den sie für ein zukünftiges Kind möglicherweise noch verwenden wollen. Sollten sich die Eltern bei der Auswahl unsicher sein, so wird der Name von der Beerdigungsgesellschaft Chewra Kaddischa vorgeschlagen, die es normalerweise in jeder jüdischen Gemeinde gibt. In manchen Gemeinden werden dabei äußerst seltene Namen vergeben, die sonst in diesen Ortschaften kaum gebraucht werden. In vielen Orten aber bekommen diese Kinder Namen wie Menachem oder Nachum für einen Jungen und Nechama für ein Mädchen, die ins Deutsche übersetzt mit „Trost” zusammenhängen.
Auch wenn ein Kind das Licht des Lebens niemals erblicken durfte, wird es mit derselben Würde behandelt, als hätte es ein volles Leben geführt. Laut der jüdischen Tradition werden diese Babys ebenfalls an der Wiederauferstehung der Toten zu den Zeiten des Messias teilhaben. Das Judentum ist der Ansicht, dass zu diesen Zeiten nicht nur die Seele, sondern auch der Körper ein neues Leben bekommen wird, weshalb laut der Halacha der Körper des Verstorbenen unversehrt bleiben muss (Traktat Nasir 7:1). Daraus resultiert unter anderem das Verbot des Kremierens.
Zur Obduktion von Neugeborenen gibt es verschiedene Vorgehensweisen. Auch wenn diese generell nach dem jüdischen Ritus unerwünscht ist, so wird in manchen Fällen den Eltern doch empfohlen, eine Untersuchung durchführen zu lassen. Vor allem, wenn die Mutter bereits einige stille Geburten hinter sich hatte, um mögliche medizinische Ursachen dafür zu erkennen und für die Zukunft eine Lösung zu finden. In den Krankenhäusern oder Ländern, wo eine Obduktion vorgeschrieben ist, dürfen auch gläubige Juden die Untersuchung durchführen lassen. Solange das Neugeborene noch am Leben ist, ist es üblich, Psalmenverse und Gebete für es auszusprechen. Die jüdischen Gelehrten meinen, dass dies eine besondere Zeit sei, Gott um Gnade zu bitten, da dann die Himmelstore offen seien, um die Seele des Verstorbenen zu empfangen. Nachdem der Tod eingetreten ist, wird der Körper bedeckt und die Totenwache beginnt, die bis zur Beerdigung nicht unterbrochen werden sollte. Neben dem Haupt des Kindes wird eine Kerze angezündet. Das brennende Licht soll darauf hinweisen, dass sich die Seele noch in dem Raum aufhält.
Abschied und Beerdigung
Das verstorbene Kind soll am besten nicht unnötig bewegt werden. Es wird in der Regel nicht gebadet, lediglich bei Bedarf mit einem nassen Tuch abgewischt. Man kann es einwickeln und den Eltern in einem präsentablen Zustand übergeben, damit sie es so gepflegt wie möglich in Erinnerung behalten können. Wenn die Eltern sich wünschen, ein Foto, einen Fuß- oder Handabdruck zu machen, ist es ebenfalls erlaubt, solange es ihnen dabei helfen kann, den seelischen Schmerz besser zu verarbeiten. Es ist üblich, dass die nahen Verwandten, Freunde oder auch ein Rabbiner in diesem schmerzhaften Moment der Familie zur Seite stehen und miteinander Gebete sprechen.
In der Regel soll das verstorbene Kind innerhalb von 24 Stunden nach dem Tod beerdigt werden. Es sollte im Krankenhaus bleiben und von der Chewra Kaddischa, der Beerdigungsgesellschaft, zum Friedhof gebracht werden.
Bestenfalls sollten sich die Eltern oder das Personal mit der lokalen jüdischen Gemeinde in Verbindung setzen. Das Krankenhauspersonal und die anwesenden Hebammen können den Betroffenen mit der üblichen seelischen Fürsorge zur Seite stehen.
Nach einem jüdischen Brauch sagt man, sobald man von dem Tod erfährt: „Baruch Dajan Haemet – Gelobt ist der wahrhaftige Richter”. Dieser Spruch bekräftigt die tiefe Überzeugung im Judentum, dass das Leben wie auch der Tod einzig und allein in Gottes Händen liegt.