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In deutschen Kreißsälen arbeiten mittlerweile viele Hebammen aus Italien – denn dem hiesigen Personalmangel im Gesundheitswesen steht jenseits der Alpen eine hohe Arbeitslosigkeit gegenüber. Eine italienische Hebamme berichtet von ihrem Einstieg im Universitätsklinikum Bonn und vergleicht die Arbeitsbedingungen hüben wie drüben. 

Am Universitätsuniklinik Bonn (UKB) war ich 2019 die erste italienische Hebamme. Noch in Italien hatte ich einen sechsmonatigen Deutschkurs absolviert, trotzdem gab es anfangs Schwierigkeiten in der Kommunikation, weil mein Deutsch nicht fließend war. Der Austausch ist wichtig, um Beziehungen zu knüpfen und sich im Arbeitsumfeld willkommen zu fühlen. Ich habe mir Mühe gegeben, damit die Leute mich gut verstehen können. Es war ein Vorteil, anfangs die einzige Hebamme aus Italien zu sein. So habe ich die Sprache schneller gelernt. Auch die Geduld und Bereitwilligkeit einiger Kolleginnen war sehr wichtig. Vor allem diejenigen, die mich eingearbeitet haben, halfen mir, mich bald als Teil des Teams zu fühlen.

Einen neuen Platz finden

Meine Erlebnisse am UKB sind sehr interessant und abwechslungsreich, da wir Frauen und Kinder mit seltenen Krankheiten betreuen und Störungen im Schwangerschaftsverlauf behandeln, die ich in meiner bisherigen Berufslaufbahn noch nie gesehen hatte. Anders als in Italien sind uns viele Frauen und Paare sehr dankbar für unsere Arbeit. Das hat mich zu Beginn sehr erstaunt. Es brachte mir viel Freude und Energie nach jedem Dienst und das tut es immer noch. Zufriedenheit am Arbeitsplatz bereichert das Leben sehr.

Wenn man als ausländische Hebamme in Deutschland anfängt zu arbeiten, gibt es in der Regel ein Einarbeitungskonzept. Die ersten Monate wird die neue Kollegin von den erfahrenen Kolleginnen eingearbeitet. Im UKB dauert es ungefähr drei Monate, bis ein gutes Maß an Eigenständigkeit erreicht ist. Maximal zwei Kolleginnen begleiten die Einarbeitung. Um einen allgemeinen Leitfaden zu haben, wurde ein Handbuch erstellt. Damit bekommt man einen Überblick, was man schon erreicht hat und wo man sich noch verbessern kann. In der anfänglichen Überforderung ist es sehr hilfreich, von Anfang an zwei Personen als feste Ansprechpartnerinnen zu haben.

Ein anderes Gesundheitssystem

Viele italienische Hebammen würden gern im Ausland arbeiten. Manche möchten nach Deutschland gehen, andere nach England oder in die Schweiz. Manche Hebammen gehen auch in die Entwicklungshilfe außerhalb Europas.

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum italienische Hebammen im Ausland arbeiten möchten: neue Erfahrung sammeln, die Kompetenzen erweitern, bessere Arbeitsbedingungen, eine gewünschte Veränderung im Leben oder angeregt von spannenden und inspirierenden Erfahrungsberichten von anderen Hebammen. Dazu kommt die Schwierigkeit, einen Arbeitsplatz in Italien zu finden, da dort eine hohe Arbeitslosigkeit aufgrund der politischen und ökonomischen Situation herrscht. Geringe Investitionen in die Gesundheitsfonds haben das nationale Gesundheitssystem blockiert.

Das Gesundheitssystem in Italien ist öffentlich, es gibt also keine privaten Versicherungen oder Krankenkassen und auch die meisten Krankenhäuser sind in staatlicher Hand (siehe Kasten). Das ist zwar demokratisch, da so alle Personen den Anspruch auf Gesundheitspflege haben, andererseits hat es auch negative Konsequenzen: unsichere Beschäftigungsverhältnisse, ein schwieriger und langer Rekrutierungsprozess von der Arbeitssuche bis zur Anstellung und vieles mehr. Obwohl ein Hebammenmangel in Krankenhäusern besteht, investiert der Staat nicht in die Schaffung neuer Arbeitsplätze für Hebammen. Deswegen ist bereits der Zugang zum Hebammenstudium begrenzt.

Das italienische Gesundheitssystem
Das Gesundheitssystem (auf Italienisch »Sistema Sanitario Nazionale«) beruht auf Artikel 32 der italienischen Verfassung (Costituzione). Gesundheit ist demnach nicht nur ein individuelles Gut, sondern vor allem eine Ressource der Gemeinschaft, deswegen wird die Gesundheitsversorgung auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt.

Sie hat drei Grundprinzipien:

  1. Universalität (Universalità): garantierte Gesundheitsfürsorge für die gesamte Bevölkerung, auch für die Bedürftigen. Das bedeutet, alle Dienst­leistungen werden den Bürger:innen kostenlos oder gegen ein Ticket zur Verfügung gestellt (die kostenlosen Dienstleistungen werden aus Steuermitteln bezahlt). Was nicht durch andere Finanzierungsquellen abgedeckt wird (beispielsweise Zahlung des Tickets), wird aus öffentlichen Mitteln finanziert.
  2. Gleichstellung (Uguaglianza): Zugang zu garantierten Leistungen für alle, unterschiedslos.
  3. Gerechtigkeit (Equità): Gewährleistung eines gleichberechtigten Zugangs entsprechend den gesundheitlichen Erfordernissen. Gewährleistung der Qualität, Effizienz und Transparenz der Dienstleistung. Entsprechend den Bedürfnissen, dem Bildungsstand und dem Sprachverständnis der Bürger:innen, ist ihnen eine angemessene Kommunikation zu ermöglichen.

Schwierige Stellensuche in Italien

Um in Italien eine Stelle als Hebamme zu bekommen, muss man an einem öffentlichen Auswahlverfahren teilnehmen. Das ist der einzige Zugang zum öffentlichen Dienst. Der Artikel 97 Absatz 3 der Verfassung lautet: »Stellen in öffentlichen Verwaltungen werden im Wege eines Auswahlverfahrens vergeben«. Das gilt sowohl für befristete als auch für unbefristete Stellen.

Um eine unbefristete Stelle zu erhalten, muss man an einem »öffentlichen Auswahlverfahren für Titel und Prüfungen« teilnehmen. Es wird eine Rangliste erstellt und die Hebammen werden in diese Reihenfolge ausgewählt. Dieser Prozess kann mehrere Monate dauern, manchmal sogar länger als ein Jahr.

Das Verfahren umfasst mehrere Prüfungen: eine schriftliche, eine technische oder praktische und eine mündliche. Dabei werden die Fähigkeiten und Kenntnisse der Hebammen geprüft. Die Endnote errechnet sich aus den Prüfungsergebnissen – zusätzliche Punkte ergeben sich aus der Berufserfahrung, einem Masterstudium, Weiterbildungen und der Veröffentlichung von wissenschaftlichen Artikeln. Danach wird eine Rangliste aufgestellt, die normalerweise drei Jahre gültig ist.

Es gibt nicht genügend Angebote für unbefristete Stellen, gemessen an der Nachfrage. Das Auswahlverfahren für befristete Arbeitsverträge ist etwas einfacher, erfordert aber eine ständige Mobilität auf der Suche nach einem stabilen Arbeitsverhältnis in ganz Italien. Auch deshalb möchten einige italienische Hebammen im Ausland arbeiten.

Einschneidende Erfahrung

Im Internet findet man viele Agenturen, die Fachkräften des Gesundheitswesens helfen, eine Arbeit in Deutschland zu finden. Sie bieten einen Sprachkurs vor oder während der Arbeitssuche an, gleichzeitig vermitteln sie auch Hebammen mit Deutschkenntnissen direkt an die Krankenhäuser. Diese Agenturen vermitteln nicht nur Arbeitsstellen in gewünschten Regionen, sondern helfen auch bei der Wohnungssuche, Anmeldung bei der Krankenkasse, Eröffnung eines Bankkontos und besonders bei der beruflichen Anerkennung als Hebamme. Sie vermitteln den Kontakt zu Krankenhäusern, vereinbaren Vorstellungsgespräche und Hospitationen.

Die Mitarbeiter:innen der Agentur stehen bei Fragen und Problemen bis zu zwei Jahre zur Verfügung.

Im Ausland zu arbeiten ist für die meisten Hebammen eine einschneidende Erfahrung. Sie müssen sich an ein fremdes Land, eine andere Sprache und neue Arbeitsweisen gewöhnen. Dazu kommt die Entfernung von der Heimat, das Vermissen der Familie und der Freund:innen. Aber es ist auch eine Herausforderung, die die Persönlichkeit stärken kann und die Berufskompetenz bereichert. Diese Erfahrungen lehren sehr viel, sind aber für manche Hebammen schwieriger als gedacht. Deshalb unterscheiden sich die zukünftigen Pläne: Manche Hebammen bleiben nur kurz in Deutschland und andere wünschen sich, langfristig hier zu arbeiten und zu leben.

Ankommen unter Pandemiebedingungen

Die Corona-Pandemie brachte in Bonn einen enormen Anstieg der Arbeitsbelastung mit sich, bei gleicher Anzahl des Personals. Dies verursachte viel Stress und Unsicherheit auf beiden Seiten: bei den Hebammen und auch bei den Frauen im Krankenhaus.

Besonders am Anfang war die Pandemie für mich eine schlimme Erfahrung, als Italien stark betroffen war. Ich durfte nicht nach Hause fahren, konnten meine Familie nur virtuell sehen. Daher konnte ich nicht herausfinden, ob es der Familie wirklich gut geht, psychisch und körperlich. Kontakt war kaum möglich für viele Monate.

Die AHA-Regeln führten bei der Arbeit ebenfalls zu einer sozialen Distanz, die das Kennenlernen im Team beeinflusst hat. Es war eine Zeit voller Angst und Unsicherheit.

Zwei Jahre nach meiner Ankunft am UKB habe ich mich gut eingelebt. Wenn die Pandemie etwas abgeklungen ist, freue ich mich auf andere Arbeitserlebnisse wie Wochenbettbetreuungen und möchte an Weiterbildungen teilnehmen, um meine Kompetenzen zu erweitern. Ganz besonders warte ich wieder auf normale Kontakte und ein unbeschränktes, unbeschwertes Leben.

Nachgefragt

Birgit Heimbach: In einigen deutschen Krankenhäusern gehören viele italienische Hebammen zum Team, weil deutsche Kolleg:innen nicht zu bekommen waren. Wie viele arbeiten derzeit in Ihrer Klinik?

Giulia Azzano: Neun italienische Hebammen arbeiten seit ein bis zwei Jahren am Universitätsuniklinikum Bonn und drei neue Kolleginnen arbeiten dort seit wenigen Monaten.

Fühlen Sie sich eher unter- oder überqualifiziert für die Hebammentätigkeit in Deutschland? Übernehmen Hebammen in Italien mehr Verantwortung?

Ich fühle mich sehr gut qualifiziert, weil wir in Italien viel Unterricht hatten: zur Physiologie von der Menarche bis zur Menopause, zur Physiologie und Pathologie rund um Schwangerschaft, Geburt und Plazentaperiode sowie über Krankheiten, die nicht im Zusammenhang mit der Schwangerschaft stehen. In Italien sind Praktika an vielen verschiedenen Orten üblich, damit Hebammen in allen Bereichen ein Grundwissen haben. Anders als in Deutschland, dürfen wir Sexualkunde/Sexualerziehung in einer Praxis oder in der Schule unterrichten. Wir können den Pap-Test und andere Abstriche in einer Praxis machen, in der Gynäko­logie-Abteilung arbeiten und Kurse über die Menopause durchführen.

Zitiervorlage
Azzano, G. (2022). Jobsuche in der Fremde. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 74 (1), 28–30.
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