Flutmüll in der Ortschaft Altenahr im Landkreis Ahrweiler – Sperrmüll, wie sonst aus etwa 40 Jahren, muss entsorgt werden. Foto: © Future Image/imago images

Es ist ein Jahrhunderthochwasser, das am 14. Juli recht unverhofft Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen flutartig unter Wasser setzt. Es hinterlässt viel Leid und löst eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Auch die Hebammenarbeit ist betroffen. 

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An normalen Tagen macht der Vichtbach seinem Namen als kleines Gewässer alle Ehre. Er durchquert unter anderem die Ortschaft Vicht – einen Ortsteil von Stolberg, gelegen in der Nähe von Aachen. Am 14. Juli tritt dieser Bach über seine Ufer, wird schnell, breit und mächtig und nimmt ungeahnte Ausmaße an. Auf der anderen Seite von Vicht fließt der Fischbach, der an diesem Tag auch riesige Wassermassen durch das Dorf schickt.

Die Hebamme Anne Tambour hat an diesem Tag Rufbereitschaft, sie macht neben ihrer freiberuflichen Hebammenarbeit einige Dienste als Beleghebamme in einem 20 Kilometer entfernten Kreißsaal. Als sie das Wasser steigen sieht und den beständigen Regen hört, gilt ihre Hauptsorge der Frage, ob sie es bei dem Wetter in die Klinik schafft, sollte sie gebraucht werden. Sie glaubt nicht an eine Hochwasserkatastrophe: »Klar ist da Wasser, aber ich konnte nicht glauben, was hier passieren könnte.« Dennoch folgt sie einem inneren Impuls und stellt ihr Auto etwas höher gelegen im Dorf ab.

Das Wasser steigt und steigt, irgendwann fällt der Strom aus, dann die Wasserversorgung. Der Akku ihres Mobiltelefons hat kaum noch »Saft« und die Powerbank ist mit ihrer großen Tochter im Urlaub. Sie schickt eine WhatsApp-Nachricht an die Klinik, ob die gegebenenfalls Ersatz organisieren können.

Ihr Teenager-Sohn ist auch zu Hause. Ihm wird in Anbetracht des steigenden Wassers mulmig zumute, sagt zur Mutter: »Wir müssen hier raus.« Um zu sehen, ob der Rettungsdienst noch da ist, der vor ein paar Stunden angeboten hatte, sie zu evakuieren, öffnet Anne Tambour die Tür zur Straße … und ehe sie sich versieht, reißen die Wassermassen derart an der Tür, dass sie nur noch den Griff in der Hand hält. Klar ist: Sie können hier nicht mehr raus, ohne ihr Leben zu gefährden.

Die Situation spitzt sich dramatisch zu und die Hebamme sorgt sich um sich und ihren Sohn – andererseits denkt sie immer noch darüber nach, ob oder wie sie es in die Klinik schafft, falls sie gerufen wird. Die Flutwelle zerrt weiter an allem, was sich ihr in den Weg stellt, spült Mülltonnen, Autos und Kühlschränke die Hauptstraße hinab. Anne Tambour fühlt sich abgeschnitten von allem: Ohne Strom kein Radio und keine Infos über den aktuellen Stand. Sie zählt die Minuten, bis der Rufdienst vorbei ist, und irgendwann sagt ihr Sohn: »Wir kommen hier nicht mehr raus, wir sterben hier.«

Als das Wasser einen Meter hoch im Erdgeschoss von Anne Tambours Haus steht, hat es fertig gewütet und hinterlässt Chaos und grässlichen Gestank. Am nächsten Morgen steht die 47-Jährige barfuß im Schlamm (»Ich hatte meine Gummistiefel gerade nicht zur Hand«) und beginnt zu schaufeln.

»Ich fühle mich beschenkt«

Zwei Monate später sitze ich bei Anne Tambour im Garten, sie lacht viel, strahlt eine unerschöpfliche Energie aus und begrüßt mich mit dem Satz: »Ich fühle mich beschenkt – mit dem Leben und mit Demut.«

Auf der Terrasse ihres Hauses stapeln sich Kisten und Hausgeräte, die sie noch nicht einräumen kann, denn in Küche und Wohnzimmer herrscht noch das Provisorium: mehrere Bautrockner bilden eine beständige Geräuschkulisse, der Putz ist von den Wänden geschlagen, als Herd dient ein Zweiplattenkocher und der Fußboden ist abgetragen. Einzig der Kühlschrank hat wie ein Wunder überlebt. Und sie hat noch eine funktionierende Heizungsanlage (weil die auf dem Dachboden steht) – das sieht sie als großes Privileg, denn das ist eine Rarität in dem Dorf.

Anne Tambour gestikuliert viel, läuft los zum Kaffeekochen, dreht wieder um, weil ihr noch was Wichtiges auf dem Herzen liegt, macht sich erneut auf den Weg zur Küche, kommt abermals zurück, weil es doch so viel zu berichten gibt von der Flutnacht und den Tagen und Wochen danach. Die Hebamme erzählt, schweift ab, verliert sich in Details, lacht darüber. Es ist einfach zu viel passiert – im äußeren und im inneren Leben. Reden tut gut. Bis heute hat sie in ruhigen Momenten das Rauschen des Wassers im Ohr, wird es nicht los.

Die exakte Chronologie der Ereignisse aus der Flutnacht erinnert sie nicht mehr: »Das war wie ein Trauma. Mir fehlt der genaue Ablauf.« Aber irgendwann gibt es eine Ladestation im Dorf, an der Betroffene auch Handys aufladen können. An der tags zuvor gefluteten Straße stehen plötzlich wildfremde Menschen mit Grill und Getränken: »Das wurden immer mehr. Jeder brachte etwas anders mit. Ich habe dann meine Bierzeltgarnitur dazugestellt«, erzählt Anne Tambour. »Das, was da entstand, das war für mich wie ein Anker, den habe ich dringend gebraucht. Man ist ja in so einem Funktionsmodus und rennt, tut und schleppt. Man versucht zu begreifen, was passiert ist.«

Anne Tambour beim Rundgang durchs Dorf

Später entsteht im Ort eine Versorgungsstation mit Lebensmitteln und anderen notwendigen Utensilien, es kommen jede Menge Helferinnen und Helfer. Die Hebamme fühlt sich beschenkt von der nicht abreißenden Hilfe, sagt aber auch: »Die Hilfe anzunehmen, das war eine riesige Lernaufgabe für mich.«

Zutiefst bewegt hat sie, dass da plötzlich Männer vor ihrer Tür stehen und sagen: »Meine Frau schickt mich, ich soll bei der Hebamme helfen.« Partner von Frauen, die Tambour teils vor einigen Jahren betreut hatte. Oder der Teenager, der sagt: »Sie haben mir auf die Welt geholfen, meine Mutter schickt mich. Was kann ich für Sie tun?« Die Hebamme bekommt heute noch eine Gänsehaut, wenn sie daran denkt.

Zwar ist ihre Papierdokumentation trocken geblieben, aber an reguläre Hebammenarbeit ist nicht zu denken. Auch nicht daran, die offenen Rechnungen zu schreiben, damit sie die nächste Rate der Berufshaftpflichtversicherung zahlen kann. Eine Kollegin erzählt ihr, dass der Berufsverband einen Hilfsfond eingerichtet hat. Tambour beantragt einen Kredit und hat das nötige Geld ganz schnell auf ihrem Konto. Glücklich, ein Problem abgearbeitet zu haben, aber da warten noch viele andere: »Ich konnte nicht essen und nicht schlafen und habe zwölf Kilo abgenommen. Ich wusste, sobald es hell wird, gehst du wieder raus und machst irgendwas. Zu überlegen, wer sind deine Frauen und was brauchen die, das war extrem schwierig.«

Eine Kollegin, die nicht von der Flut betroffen ist, nimmt ihr die Betreuung der Frauen ab. Anne Tambour fotografiert die Patientenakten und schickt ihr die Dateien: »Wie das mit meinem QM zusammenpasst, darüber darf ich gar nicht nachdenken. Eigentlich hätte ich von jeder Frau eine Zustimmung gebraucht.«

Einzig die junge Mutter, die ein paar Häuser weiter im selben Dorf wohnt und deren Baby zwei Tage vor der Flut geboren worden war, betreut sie weiter. Auch in der Wohnung der Wöchnerin gibt es die ersten Tage weder Wasser noch Strom. Zum Duschen geht die junge Mutter zu ihrer Mutter, deren Haus die Flut unversehrt überstanden hat. »Die Frau war ja doppelt verunsichert, das war die größte Herausforderung für mich als Hebamme. Zusätzlich zur normalen Wochenbettbetreuung gab es noch das Seelentrösten. Aber ich konnte auch etwas mitnehmen: Hier musste ich niemandem etwas erklären, es brauchte keine Worte, wir mussten uns nur angucken: Das ging von Herz zu Herz über die Augen in die Seele.«

Der ganze Stress macht auch vor der Wöchnerin nicht halt, sie hat kaum noch Milch und muss vorübergehend Formula füttern – keine unkomplizierte Angelegenheit, wenn die Infrastruktur brachliegt: zwar kommt recht bald wieder Wasser aus der Leitung, das darf aber nicht getrunken werden, also auch nicht abgekocht. Die ersten Tage gibt es auch noch keinen Strom.

Die Flut setzt gängige Standards außer Kraft – auch bei den Coronamaßnahmen: »Wir lagen uns in den Armen, haben Seite an Seite in Innenräumen geschaufelt, haben gemeinsam geweint und gelacht. Corona war weg.« Wenigstens in den ersten Tagen.

Nach etwa zwei Wochen nimmt Anne Tambour ihre Arbeit wieder auf.

Hebammenhilfe

Dass sie so schnell und unkompliziert ihren finanziellen Engpass überbrücken konnte, hat sie auch der Hebamme Christiane Rübenach zu verdanken, die zweite Vorsitzende des Hebammenlandesverbands Rheinland-Pfalz und Mitglied im Feuerwehr-Verein ist. Als Rübenach von den Überschwemmungen erfährt, beginnt sie Spenden in ihrer Familie zu sammeln, die sie dann mit der Feuerwehr auf den Nürburgring bringt, ins Fluchthilfezentrum.

Hier packt sie einen ganzen Tag mit an und bekommt einen Eindruck vom Ausmaß der Katastrophe. Mittlerweile kommen auch die ersten E-Mails betroffener Kolleginnen bei den Verbandspolitikerinnen an: Fotos von verwüsteten Hebammenpraxen. »Quasi Rohbauten mit Schotter und Müll« erzählt Rübenach. Es ist klar: Sie will und muss etwas tun, um den Kolleginnen zu helfen, und schließt sich zusammen mit den drei anderen Vorsitzenden der Hebammenlandesverbände Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, dem Präsidium des Deutschen Hebammenverbands (DHV) sowie der Vorsitzenden und der Schatzmeisterin der Hebammengemeinschaftshilfe (HGH). Innerhalb weniger Tage organisieren die Frauen einen Spendenaufruf – am Ende kommt eine fünfstellige Summe zusammen – und richten eine gemeinsame E-Mail-Adresse für Betroffene ein. Die sollen schnell und unkompliziert einen Kredit oder eine Geldspende bekommen können, je nachdem, was sie benötigen.

Christiane Rübenach studiert die Geschäftsordnung der HGH, damit sie weiß, welche Angebote sie den Kolleginnen machen können. Außerdem telefoniert sie drei Stunden, bis sie einen Zuständigen bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), der zentralen Verwaltungsbehörde von Rheinland-Pfalz, an die Strippe bekommt. Jemanden, der ihr sagen kann, wie sie an Schwangere und junge Mütter kommt, die Hilfe benötigen. Und sie hängt weiter am Handy, um Sachspenden von Firmen einzusammeln.

»Ein großes Thema war die Säuglingsnahrung« erzählt sie, denn die wird mancherorts knapp, weil vielen Frauen vor Schreck die Milch wegbleibt. »Da kam uns der WHO-Kodex in die Quere« – es dürfen ja keine kostenlosen Milchproben ausgegeben werden. »Teilweise habe ich mich drüber hinweggesetzt, schließlich handelte es sich ja um humanitäre Hilfe.« Die Milchspenden kommen am Ende über Eck, es sind Drogerien und Lebensmitteldiscounter, die diese Produkte verschenken.

Leon: Geboren am 15. Juli im Ahrtal

Auch dem Ort Ahrweiler in Rheinland-Pfalz setzt die Flut arg zu. Die komplette Innenstadt ist zerstört – die Flut hinterlässt dort 300.000 Tonnen Sperrmüll, so viel, wie sonst in 40 Jahren anfallen.

Im Marienhaus Klinikum im Kreis Ahrweiler liegt in der Flutnacht eine Frau in den Wehen. Die Rhein-Zeitung vom 19. August 2021 erzählt die Geschichte von Leons Geburt: Während die Schwangere mit Wehen in der Klinik lag, spitzte sich die Situation demnach immer mehr zu. Die Wasserversorgung sei ebenso unterbrochen gewesen wie der Abwasserfluss, Strom habe es nur noch begrenzt aus dem Notstromaggregat gegeben, während das Personal besorgt aus dem Fenster auf ihre wegschwimmenden Autos geschaut habe. Es habe nach Heizöl gestunken.

Das Personal sei erschöpft gewesen, weil niemand mehr rein- oder rausgekommen sei und so habe es auch keinen Schichtwechsel gegeben. Aufgrund der zusammenbrechenden Infrastruktur hätten die die Ärzte sich abends für eine Sectio entschieden, hätten sich vor der Operation ihre Hände mit Mineralwasser gewaschen und dann im »bullenwarmen« OP – die Klimaanlage war auch ausgefallen – die Sectio durchgeführt. Leon sei schließlich um 22.57 Uhr zur Welt gekommen.

So las ich es in der Zeitung und versuchte mir vorzustellen, wie es den Hebammen angesichts des steigenden Wassers und der zusammenbrechenden Infrastruktur ergangen sei? Wie mussten sie improvisieren, hatten sie Hörrohre, um die Herztöne zu hören, saß der Leopold noch? Welchen Herausforderungen mussten sie sich stellen? Wo und wie mussten sie improvisieren?

Etwa zwei Monate nach dieser Flut-Nacht sitze ich mit Anja Huser an einem Tisch. Sie ist Leitende Hebamme des Marienhaus Klinikums im Kreis Ahrweiler. Zu diesem Zeitpunkt ist der Kreißsaal wieder normal im Betrieb. Im Ort wird immer noch fleißig am Wiederaufbau gearbeitet. Auf dem Klinikgelände steht ein großer Tank, der die Abwässer der Klinik auffängt, denn die Leitungen sind nach wie vor zerstört. Auf dem Krankenhausgelände ist ein Funkmast geparkt, der vorübergehend helfen soll, das Netz der Region stabil zu halten.

Grundversorgung sicherstellen

Den Zeitungsartikel kommentiert Anja Huser sachlich, die Geburt in der Flutnacht sei nicht ganz so dramatisch verlaufen wie dort beschrieben – allerdings hatte sie an dem Tag selbst keinen Dienst. Leon sei tatsächlich am 15.7. per Sectio geboren, die Indikation sei aber aus rein medizinischen Gründen gefallen. »Auch in einer solchen Ausnahmesituation – und das war die Flutnacht auf jeden Fall – streben wir eine natürliche Geburt an.«

Da fließendes Wasser fehlte, kam in dieser Nacht neben Frischwasser aus Flaschen und Kanistern jede Menge Desinfektionsmittel zum Einsatz, erzählt sie. Sonst verlief die Betreuung kaum anders als gewöhnlich: Die Stromversorgung im Kreißsaal war dank des Notstromaggregats gesichert. »Selbst, wenn es wirklich mal keinen Strom geben sollte, dann haben wir Doptons zum Herztöne-Hören. Die neue S-3-Leitlinie sieht ja ohnehin intermittierendes Hören vor«, erläutert Anja Huser. Das Team sei gut auf den Notfall vorbereitet. Als Beispiel nennt sie die Notfall-Handys, in denen alle wichtigen Telefonnummern gespeichert sind: »Diese nutzen wir, wenn die Telefonanlage ausfällt. Außerdem gibt es eine Notfall-Anruf-Kette, die abtelefoniert wird, um Leute zu aktivieren.«

Am Tag von Leons Geburt kommt aber all dies zum Glück nicht zum Einsatz und einen regulären Schichtwechsel hat es trotz des Hochwassers auch an diesem Tag gegeben.

Erst am Freitag, es ist der 16. Juli 2021, wechseln die Hebammen zu einem 24-Stunden-Dienst. Das ist der Tag, an dem die Verantwortlichen der Klinik beschließen, die Klinik zu evakuieren und zu schließen, allerdings den Kreißsaal im Notbetrieb geöffnet zu halten: Es soll stets eine Hebamme vor Ort sein, damit die Frauen eine Anlaufstelle haben, schließlich sind auch einige gynäkologische Praxen in der Flut ertrunken oder die Wege zu den betreuenden Gynäkologinnen und Gynäkologen nicht passierbar. Die Klinik will eine Grundversorgung sicherstellen.

Die Hebammen rufen in den Tagen nach der Evakuierung alle angemeldeten Frauen an, um sie über die aktuelle Situation zu informieren, zu erklären, dass sie im Moment keine Geburtshilfe anbieten können. Gemeinsam mit den Frauen schauen sie, welche Klinik eine passende Alternative sein könnte. Von einigen nicht-betroffenen Kliniken gibt es das Angebot, geplante Sectiones am vorgesehenen Termin zu machen – viele Frauen nehmen das gerne an. Bei der Entscheidung für eine Klinik steht zu diesem Zeitpunkt vor allem die Frage im Vordergrund, ob sie für die jeweilige Frau erreichbar ist, denn sehr viele Verbindungen in der Region sind nicht passierbar.

Sprachlos vor Dankbarkeit

So sachlich und nüchtern Anja Huser im Gespräch auch wirkt, die Flut und ihre Folgen haben ihr zugesetzt: »Es sind essenzielle Werte, die da weggespült sind.« Anja Huser schluckt, hat Tränen in den Augen. Sie ist dankbar und demütig, dafür, dass sie zwar emotional, aber nicht unmittelbar betroffen ist, und sie ist getragen vom Glauben an die Hilfsbereitschaft, die sie in den vergangen zwei Monaten erlebt hat: dass der Hebammenverband sich gemeldet hat und gefragt hat, ob sie Unterstützung brauchen, dass Kolleginnen aus anderen Bundesländern angeboten haben, Dienste zu übernehmen, dass Menschen von weit angereist kommen und helfen, das Zentrum der Altstadt aufzubauen.

Für ihre Arbeit hat sie erlebt, wie wichtig es ist, im Gespräch zu bleiben. Die Frauen und Familien haben erzählt, wie dankbar sie waren, dass die Klinik sie angerufen hat. Diese Nähe habe ihnen gutgetan. Huser: »Es ist wichtig, dass man sich meldet und zeigt, dass man da ist. Man sollte sich auch nicht scheuen anzurufen: ›Wir rufen aus dem Kreißsaal an, sind Sie betroffen? Können wir irgendetwas anbieten?‹«

Auch Christiane Rübenach ist bewegt von dem, was sie erlebt hat: »Es gab diese riesengroße Welle an Hilfsbereitschaft. Nicht ein einziges Mal bin ich abgewiesen oder blöd angemacht worden – egal, mit wem ich gesprochen habe. Es hat mich beeindruckt, dass das alles so problemlos und schnell gelaufen ist. Diese große Menschlichkeit war überwältigend.«

Anne Tambour ist dankbar für ihre Lernaufgabe, die ihr ein neues Selbstbewusstsein gibt, aber auch für »die Nähe, die sie erleben durfte, die Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft, das Anpacken und eng Zueinanderstehen.« Sie denkt noch einmal anders darüber nach, warum wir auf der Welt sind – und nimmt das mit in ihre Arbeit. Es ist ihr ein elementares Anliegen, bei sich zu bleiben und ihre ethischen Werte in die Betreuung zu integrieren, sich wirklich nach den Bedürfnissen der Frauen zu orientieren. Das heißt: Sie versucht auch, Anordnungen, die nicht dem Wohlergehen von Mutter und Kind dienen, auszuweichen, so gut es geht.

Für die Zukunft

Dies wird sicherlich nicht die letzte Jahrhundertflut gewesen sein, in einer Region, die für Hochwasser nicht bekannt ist. Klimaforscher:innen prophezeien in naher Zukunft häufige Wetterextreme, es gibt also einen gewichtigen Grund für alle, sich auf einen möglichen Notfall vorzubereiten – soweit das überhaupt möglich ist. Zumindest aber, das vorhandene Notfallmanagement zu überdenken.

Im Notfall
Gedanken der Hebammen Anja Huser und Anne Tambour zeigen auf, was im Umgang mit einer Flutkatastrophe hilfreich sein kann.

  • Unverzichtbar findet Anja Huser für Kreißsäle eine Notfall-Anruf-Kette und Reserve-Telefone (Handytelefone), in denen alle Notfallnummern gespeichert sind;
  • Das Team sollte sich die Frage stellen: Ist alles in meinem Kreißsaal so organisiert, dass ich eine Geburt in so einer Situation weiter betreuen kann? Und wenn nein: Was brauchen wir noch?
  • Wenn der Personenaufzug nicht funktioniert, ist es das eine, wenn aber der Lastenaufzug nicht ans Notstromaggregat angeschlossen ist und der OP nicht auf derselben Etage wie der Kreißsaal liegt, dann kann es schwierig werden.
  • Und Taschenlampen gehören in den Kreißsaal. Heute denken ja alle, wir haben ja das Handy, aber das reicht in so einem Fall nicht aus.
  • Mit Überschwemmungen erfahrene Helfer:innen haben Anne Tambour erzählt, dass es bei Hochwasser wichtig ist, alle Türen aufzumachen, alles hochzustellen oder an die Decke zu hängen und die Heizung vom Stromnetz zu nehmen (das betrifft Einzelhäuser).
  • Anne Tambour wird in Zukunft immer mindestens eine funktionierende Taschenlampe im Haus haben, eine Kerze und wasserfeste Streichhölzer oder ein Feuerzeug, eine geladene Powerbank und ein Radio, das keinen Strom aus der Steckdose benötigt, denn die Nachrichten zu verfolgen, ist in dieser Situation sehr wichtig, findet sie.
Zitiervorlage
Salis, B. (2022). Überflutet von Wasser und Gefühlen. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 74 (1), 58–62.
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