Wortmeldung aus dem Auditorium Foto: © Tara Franke

»Weibliche Identität zwischen Lust und Leid«, lautete das Motto der 48. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe e.V. (DGPFG), die Mitte März in München stattfand. Der erste Teil des Mottos – die Lust – kam dabei nur wenig zur Sprache. 

Dr. Melanie Büttner Fotos: © Tara Franke

Im Satellitensymposium, das der Eröffnung des Kongresses vorangestellt war, sprachen gleich drei sympathische und kompetente Expertinnen der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) zu verschiedenen Aspekten sexueller Traumatisierung von Frauen. Tagungsort war vom 13. bis 16. März die Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Campus Innenstadt, in der Maistraße. Dr. med. Melanie Büttner, Psychosomatikerin und Psychotherapeutin an der TU München, schilderte, wie chronische Gewalt, schwere Vernachlässigung und/oder wiederholte sexuelle Übergriffe besonders in frühen Lebensjahren das Trauma für die Betroffenen zum »Normalfall« machten. Dies sei ein bedeutender Risikofaktor für die spätere Entwicklung psychischer Erkrankungen wie Borderline, sexuellen Störungen und Süchten, Schmerzerkrankungen, Unsicherheiten bei der sexuellen Orientierung und Identität bis hin zu Tod durch Gewalt oder Suizid. Die Diplompsychologin Ingrid Wild-Lüffe gab anschauliche Beispiele, wie leicht betroffene Frauen in der Betreuung rund um die Geburt von den Behandelnden durch unbedachte Worte unter Druck gesetzt oder getriggert werden können. Physiotherapeutin Karin Paschinger stellte schließlich die von ihr entwickelten Bodymaps zur Lokalisation von traumaassoziierten Schmerzen und Störungen des Körperempfindens und ihre Behandlungsansätze vor. Die DeGPT plane gemeinsam mit der DGGG eine Arbeitsgemeinschaft zu dem Thema, um betroffene Frauen besser interdisziplinär betreuen zu können.

Persönliche Grenzen und Ressourcen

Die dreitägige Tagung in der altehrwürdigen Frauenklinik war von insgesamt 228 Professionellen besucht, in der großen Mehrheit FrauenärztInnen und PsychotherapeutInnen, aber auch einigen Hebammen. Vom Motto »Weibliche Identität zwischen Lust und Leid« nahm das Programm eher letzteres in den Fokus. So las die Autorin Dagmar Leupold im Festvortrag aus ihrem noch unveröffentlichten Roman bedrückende Schilderungen männlicher Gewalt gegen die Erzählerin. Workshops über Sexualsucht, FGM (female genital mutilation), »Straf«-Sectio oder gewalttätige Frauen kreisten um offene oder subtile Aggression gegen Frauen. Erstaunlich, dass diese Phänomene selten in Bezug zum gesamtgesellschaftlichen Problem der Mysogynie, also der Frauenverachtung und -feindlichkeit, gesetzt wurden.

Dagmar Leupold im Festvortrag Fotos: © Tara Franke

Prof. Dr. Hartmut Bosinski Fotos: © Tara Franke

Der Kieler Sexualmediziner Prof. Dr. Hartmut Bosinski legte dagegen am Fallbeispiel eines attraktiven wohlhabenden Elternpaares dar, wie – seiner Ansicht nach – relativ einfach sexuelle Störungen der weiblichen Libido durch ein paar Änderungen der Lebensführung und ohne Testosterongaben für die Frau zu beseitigen seien. Als ebenso simpel stellte Frauenärztin Dr. med. Roswitha Engel-Széchenyi ihre Heilungserfolge bei Vaginismus mittels einer recht kurzen verhaltenstherapeutischen Intervention vor, was vom Publikum skeptisch kommentiert wurde. Vaginismus ist ein krampfartiges Zusammenziehen der Beckenboden- und Vaginalmuskulatur, das vaginale Untersuchungen und Sex schwierig bis unmöglich macht und bisher nicht unbedingt als leicht therapierbar galt. Löblich jedoch, dass sie – gemeinsam mit einem erfahrenen Kollegen – ein konkretes Therapiekonzept für Paare entwickelt hat und anbietet.

Dr. Roswitha Engel-Széchenyi Fotos: © Tara Franke

Im Workshop »Mutterschaft ohne (Alters-)Grenzen« mit der Schweizer Sozialmedizinerin PD Dr. med. Sibil Tschudin kamen weniger die persönlichen Grenzen und Ressourcen der Frauen, als vielmehr gesellschaftliche Normen und die persönlichen Grenzen der Anwesenden zur Sprache. Dass nicht nur spontane späte Schwangerschaften verhandelt wurden, sondern auch künstliche Befruchtung bei SeniorInnen und Kinderwunsch bei Homosexuellen, förderte in der Diskussion eher die kritischen Ansichten gegenüber spätem Kinderwunsch und Mutterschaft zutage. Es meldeten sich aber auch einige Tagungsteilnehmerinnen mit ihren persönlichen Erfahrungen von Mutterschaft am Rande der üblichen Ideale zu Wort und wünschten sich mehr Respekt und Anerkennung für heutige Lebensrealitäten und Bedürfnisse von Frauen.

Vorgestellt

Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe e.V. (DGPFG) hat sich der komplexen Praxis der psychosomatischen Frauenheilkunde verschrieben. Sie möchte FrauenärztInnen, Krankenschwestern, PsychologInnen, Hebammen, SozialarbeiterInnen, die Frauen in wichtigen Lebensphasen begleiten, in ihrem verantwortungsbewussten Denken, Handeln und Fühlen unterstützen. Zu ihren Zielen gehören beispielsweise die Förderung von Forschung und Lehre in der psychosomatischen Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Begleitung in ihrer psychosomatischen Aus-, Weiter- und Fortbildung, die Organisation von Tagungen und die Förderung der psychosomatischen Versorgung im Gesundheitssystem. > https://dgpfg.de

Die Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) ist eine wissenschaftliche Fachgesellschaft für ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen und andere Berufsgruppen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit mit Menschen mit Traumafolgestörungen in Berührung kommen. Ihr Engagement gilt der Forschung im Bereich der Psychotraumatologie, sie erarbeitet Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie von Traumafolgestörungen, koordiniert Aus-, Fort- und Weiterbildungen und fördert Wissenschaftsprojekte zum Thema. > https://www.degpt.de

Alltäglichkeit weiblichen Leidens

Am zweiten Vormittag vertieften die Hauptvorträge und einer der beiden Workshops die Themen sexuelle Traumata und Gewalt gegen Frauen. Erneut durfte Dr. Melanie Büttner aus ihrem großen Erfahrungsschatz berichten, als sie sehr einfühlsam über die Auswirkungen von sexualisierter Gewalt auf die Sexualität von Frauen sprach. Sie wies auf mögliche dauerhafte Beeinträchtigungen hin und zitierte Betroffene, die deutlich machten: »Ich bin jeden Tag damit konfrontiert!« Ähnlichkeiten und Überschneidungen bei den Symptomen sexueller Traumatisierung mit der klassischen Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) brachten sie auf den neuen Begriff der »sexuellen PTBS«.

Fadumo Korn, die sich seit vielen Jahren in Deutschland ehrenamtlich gegen die Praxis ritueller Beschneidung von Frauen engagiert, erzählte anhand ihrer eigenen Erfahrungen als Siebenjährige in Somalia von der zerstörerischen Praxis und den seelischen und körperlichen Problemen, die daraus entstehen können. Die lebendige, selbstbewusste und leichte Art, mit der sie über die Qualen des Rituals und dessen Folgen sprechen konnte, war beeindruckend. Sie mahnte zur Aufklärung, aber auch zu konsequenter Abschreckung vor und Ahndung von Versuchen der Familie, Mädchen in Deutschland beschneiden zu lassen oder dafür ins Ausland zu bringen. Zugleich machte sie Mut, betroffene Mädchen zu einer korrigierenden Operation zu verhelfen, um die schlimmsten körperlichen Beeinträchtigungen zu beheben und ihnen eine Chance zu geben, sich wieder ganz und »offen« zu fühlen.

In der anschließenden Podiumsdiskussion mit einem Kriminologen, einer Rechtsmedizinerin, einer Frauennotrufmitarbeiterin und einer Frauenärztin wurde schnell deutlich, dass es in Deutschland auch heute kaum Konzepte für eine gute interdisziplinäre Versorgung von Frauen mit akuten sexuellen Gewalterlebnissen gibt. Der unterschiedliche Fokus auf das Geschehen, je nachdem, ob Spuren gesichert, körperliche Verletzungen versorgt, seelische Folgen behandelt oder Gerichtsprozesse begleitet werden sollen, dient nicht immer dem seelischen Wohl der Frau und wird selten in enger Kooperation der zuständigen Stellen miteinander durchgeführt. Ernüchternd die Feststellung der Frauenärztin und Vizepräsidentin der DGPFG, Dr. Claudia Schumann, dass Frauen keine Erstversorgung durch die vertrauten niedergelassenen GynäkologInnen erwarten könnten, da diese sich davon häufig überfordert fühlten. Es sprenge zudem den zeitlichen Rahmen einer Praxis und würde auch nicht angemessen honoriert. In Frankfurt entwickelte deswegen der Frauennotruf das Modell »Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung« mit dem Ziel, durch eine strukturelle Vernetzung von Kliniken, niedergelassenen Praxen, Rechtsmedizin, Verwaltung und Politik ein Hilfesystem zu schaffen, das vergewaltigten Frauen die Zugangswege zu einer guten medizinischen Versorgung und Befundsicherung erleichtert. Es könne auch auf andere Regionen übertragen werden (siehe Link).

Angesichts der Alltäglichkeit weiblichen Leidens an Gewalt scheint es umso wichtiger, Frauen in der Geburtshilfe besser vor unnötigen Grenzverletzungen und Traumata zu schützen. Die Istanbul-Konvention aus dem Jahr 2011, die 2018 endlich auch in Deutschland ratifiziert wurde, fordere ohnehin eine Neuorganisation der gesamten gesundheitlichen Versorgung von betroffenen Frauen, wie die im Publikum anwesende Diplom-Psychologin Ulrike Hauffe, ehemals Landesbeauftragte für Frauen in Bremen, unterstrich (siehe Kasten).

Aspekte weiblicher Lust, Lebenskraft und Selbstbestimmung von Frauen als Gegenpol zu all den Gewaltthemen kamen auf dieser Tagung insgesamt leider wenig zur Sprache.

Die Istanbul-Konvention

Diese Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (IK 2011) ist ein völkerrechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt an Frauen. Anfang Februar 2018 ist das rechtlich bindende Menschenrechtsinstrument in Deutschland in Kraft getreten. Die IK wird damit rechtlich verbindlich, und alle staatlichen Organe – darunter Gesetzgeber, Gerichte und Strafverfolgungsbehörden – müssen die Verpflichtungen aus der Konvention umsetzen. Die Konvention verfolgt unter anderem die Ziele, einen Beitrag zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau zu leisten und Betroffene vor Gewalt zu schützen, mit umfassenden politischen und sonstigen Maßnahmen den Rahmen für die Gewährleistung von Schutz und Unterstützung der Betroffenen sowie der Strafverfolgung der Täter und Täterinnen zu schaffen (Artikel 1).

Artikel 10 der Istanbul-Konvention formuliert weitreichende Anforderungen an den Aufbau einer Struktur, die staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen koordinieren und evaluieren soll. Die Konvention umfasst alle Formen von Diskriminierung von Gewalt gegen Frauen und ächtet Menschenrechtsverletzungen, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen (Artikel 3). Einen besonderen Fokus legt die Konvention auf häusliche Gewalt und schließt hier betroffene Männer und Kinder mit ein (Artikel 2, siehe Link).

Zitiervorlage
Franke T: 48. Jahrestagung der DGPFG: Mehr Leid als Lust. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2019. 71 (5): 94–97
Links
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/frauenrechte/gewalt-gegen-frauen/istanbul-konvention/https://www.soforthilfe-nach-vergewaltigung.de/kontakt/sie-moechten-modellregion-werden/
https://staudeverlag.de/wp-content/themes/dhz/assets/img/no-photo.png