Alltäglichkeit weiblichen Leidens
Am zweiten Vormittag vertieften die Hauptvorträge und einer der beiden Workshops die Themen sexuelle Traumata und Gewalt gegen Frauen. Erneut durfte Dr. Melanie Büttner aus ihrem großen Erfahrungsschatz berichten, als sie sehr einfühlsam über die Auswirkungen von sexualisierter Gewalt auf die Sexualität von Frauen sprach. Sie wies auf mögliche dauerhafte Beeinträchtigungen hin und zitierte Betroffene, die deutlich machten: »Ich bin jeden Tag damit konfrontiert!« Ähnlichkeiten und Überschneidungen bei den Symptomen sexueller Traumatisierung mit der klassischen Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) brachten sie auf den neuen Begriff der »sexuellen PTBS«.
Fadumo Korn, die sich seit vielen Jahren in Deutschland ehrenamtlich gegen die Praxis ritueller Beschneidung von Frauen engagiert, erzählte anhand ihrer eigenen Erfahrungen als Siebenjährige in Somalia von der zerstörerischen Praxis und den seelischen und körperlichen Problemen, die daraus entstehen können. Die lebendige, selbstbewusste und leichte Art, mit der sie über die Qualen des Rituals und dessen Folgen sprechen konnte, war beeindruckend. Sie mahnte zur Aufklärung, aber auch zu konsequenter Abschreckung vor und Ahndung von Versuchen der Familie, Mädchen in Deutschland beschneiden zu lassen oder dafür ins Ausland zu bringen. Zugleich machte sie Mut, betroffene Mädchen zu einer korrigierenden Operation zu verhelfen, um die schlimmsten körperlichen Beeinträchtigungen zu beheben und ihnen eine Chance zu geben, sich wieder ganz und »offen« zu fühlen.
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit einem Kriminologen, einer Rechtsmedizinerin, einer Frauennotrufmitarbeiterin und einer Frauenärztin wurde schnell deutlich, dass es in Deutschland auch heute kaum Konzepte für eine gute interdisziplinäre Versorgung von Frauen mit akuten sexuellen Gewalterlebnissen gibt. Der unterschiedliche Fokus auf das Geschehen, je nachdem, ob Spuren gesichert, körperliche Verletzungen versorgt, seelische Folgen behandelt oder Gerichtsprozesse begleitet werden sollen, dient nicht immer dem seelischen Wohl der Frau und wird selten in enger Kooperation der zuständigen Stellen miteinander durchgeführt. Ernüchternd die Feststellung der Frauenärztin und Vizepräsidentin der DGPFG, Dr. Claudia Schumann, dass Frauen keine Erstversorgung durch die vertrauten niedergelassenen GynäkologInnen erwarten könnten, da diese sich davon häufig überfordert fühlten. Es sprenge zudem den zeitlichen Rahmen einer Praxis und würde auch nicht angemessen honoriert. In Frankfurt entwickelte deswegen der Frauennotruf das Modell »Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung« mit dem Ziel, durch eine strukturelle Vernetzung von Kliniken, niedergelassenen Praxen, Rechtsmedizin, Verwaltung und Politik ein Hilfesystem zu schaffen, das vergewaltigten Frauen die Zugangswege zu einer guten medizinischen Versorgung und Befundsicherung erleichtert. Es könne auch auf andere Regionen übertragen werden (siehe Link).
Angesichts der Alltäglichkeit weiblichen Leidens an Gewalt scheint es umso wichtiger, Frauen in der Geburtshilfe besser vor unnötigen Grenzverletzungen und Traumata zu schützen. Die Istanbul-Konvention aus dem Jahr 2011, die 2018 endlich auch in Deutschland ratifiziert wurde, fordere ohnehin eine Neuorganisation der gesamten gesundheitlichen Versorgung von betroffenen Frauen, wie die im Publikum anwesende Diplom-Psychologin Ulrike Hauffe, ehemals Landesbeauftragte für Frauen in Bremen, unterstrich (siehe Kasten).
Aspekte weiblicher Lust, Lebenskraft und Selbstbestimmung von Frauen als Gegenpol zu all den Gewaltthemen kamen auf dieser Tagung insgesamt leider wenig zur Sprache.