Rollenidentität von Hebammen
Hoch interessant waren auch die Vorträge zur Identität von Hebammen, wie die Forschung von Gail Johnson (The Royal College of Midwives). Sie ist Expertin in der Aus-und Weiterbildung von Hebammen, insbesondere für die Übernahme von Führungspositionen. Johnson erforschte die Rollenidentität von Hebammen sowie deren Reflexion darüber mit Hilfe von narrativen Interviews. Was bewegt Hebammen, Führungspositionen einzunehmen? Wie verändert sich ihre professionelle Identität? Welche Elemente brauchen Hebammen, um ihre eigene Form der Führung zu entwickeln – eine, die zu ihrer professionellen und persönlichen Identität passt und die sie befähigt, mehr Einfluss auszuüben und Entscheidungen auf einer höheren Ebenen mitzubestimmen?
Sehr beeindruckend war auch die Präsentation von Mary Zwart, einer seit 1969 praktizierenden niederländischen Hebamme, die vor mehreren Jahren nach Portugal auswanderte. Sie präsentierte die Ergebnisse ihrer fünfjährigen Arbeit als Hausgeburtshebamme in Portugal. Spürbar wurden dabei auch ihre persönliche Geschichte und ihre wertvolle Arbeit in der Humanisierung der Geburtshilfe. Als eine der wenigen Hebammen, die in Portugal Hausgeburten begleitet, hat sie von 2007 bis 2012 106 Frauen betreut. Zum Teil fährt sie bis zu drei Autostunden, damit die in diesem Land seltenen „Einzelkämpferinnen“ zu Hause gebären können. Verlegt hat sie in diesen Jahren 3,5 Prozent der Frauen während der Schwangerschaft und 18 Prozent bei der Geburt. Postpartal musste sie keine Frau verlegen. Nur 2,5 Prozent der von ihr betreuten Frauen benötigten eine Sectio.
Dies alles ist nicht selbstverständlich. Die Frauen dürfen, wenn sie verlegt werden, nicht erzählen, dass sie die Geburt zu Hause begonnen haben. Das könnte für Mary Zwart zum Verhängnis werden, weil die Hausgeburt in Portugal von der Regierung nicht unterstützt wird. Eine Haftpflichtversicherung für Hebammen gibt es nicht. Zwart darf in Portugal auch keine für die Geburtshilfe notwendigen Medikamente kaufen, wie etwa Oxytocin. Sie besucht ihre Heimat regelmäßig, um ihren Notfallkoffer aufzustocken. Am Wichtigsten für sie ist, dass sie sich selbst absichert und eine sehr strenge Risikoselektion ausübt.
Mary Zwart strahlt einen Mut aus, der ansteckend ist. Dass die außerklinischen Hebammen in Deutschland in ihrer Existenz bedroht und in der Gefahr sind, in die Illegalität getrieben zu werden, dürfe nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Jede Frau müsse die Möglichkeit haben, zu Hause zu gebären. Der Status der Hebammen müsse angehoben werden, um deren wertvolle und sinnvolle Arbeit anzuerkennen.
„Befreundungsmodell“
Ein auf ganz andere Weise besonderer Vortrag über gute Praxis war der Bericht von Rose McCarthy. Sie stellte ein Modell der kommunalen Flüchtlingsarbeit vor, in dem durch Engagement auf Gemeindeebene die Gesundheit von Mütter und Kindern verbessert werden soll, die als Flüchtlinge und Asylsuchende in einer besonders schwierigen Situation sind. Rose McCarthy war selbst als Flüchtling nach England gekommen. Ziel des Projektes ist es, Flüchtlinge und Asylsuchende darin zu befähigen, ihren Anspruch auf Gesundheit und soziale Versorgung wahrzunehmen und rechtzeitig einen Zugang zum Gesundheitssystem zu finden.
Gleichzeitig soll durch den Kontakt mit Menschen aus der Gemeinde vor Ort das Gefühl der Isolation reduziert und damit Gesundheit und Wohlbefinden verbessert werden. In erster Linie durch eine Eins-zu-eins-Beziehung und manchmal auch durch Gruppenarbeit sollen die Klientinnen praktische und emotionale Unterstützung für ihre körperliche und psychische Gesundheit bekommen. In diesem „Befreundungsmodell“ werden Frauen ausgebildet zu einer Art Doula oder Begleiterinnen der Frauen, die oft Gewalt erfahren haben und traumatisiert sind. In einer Weiterbildung erhalten die Begleiterinnen vielfältiges Wissen über die spezifischen körperlichen, psychischen und sozialen Hintergründe und die möglichen gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen in diesen besonderen Situationen, so dass sie gut vorbereitet sind für ihre unterstützende Begleitung.
Wie erfolgreich dieses Projekt ist, wird berührend erfahrbar, wenn Rose McCarthy über ihre eigenen Erfahrungen spricht, als sie aus Kamerun nach England kam. „Ich war so deprimiert. Diese Freundin half mir, mich selbst wieder zu fühlen.“ Sie erzählt, wie viel Kraft ihr dieses Netzwerk von Freundschaften gegeben habe. Niemals habe sie sich vorstellen können, dass sie einmal auf einer Konferenz über diese Erfahrungen sprechen würde.
Heute ist sie Koordinatorin des Health Befriending Networks, bildet selbst Frauen aus und verbreitet die Idee des Projekts. Ein wunderbares Beispiel für ein Modell, das im Sinne des COST-Action- Grundgedankens funktioniert: Bestes Wissen und beste Praxis weitergeben.