Eine junge Hebamme berichtet von ihrem Einsatz in einem Geburtshaus auf den Philippinen und von den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur Geburtshilfe in Deutschland.
Das Hebammenteam mit der Leiterin Jeri Gunderson (2. von links) und der Autorin Ricarda Goepel (4. von links). Foto: © Ricarda Goepel
Eine junge Hebamme berichtet von ihrem Einsatz in einem Geburtshaus auf den Philippinen und von den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur Geburtshilfe in Deutschland.
Das Geburtshaus »Shiphrah Birthing Home«, in dem ich tätig war, wurde vor 30 Jahren von der christlichen Missionarin Jeri Gunderson aus den USA gegründet. Diese leitet es bis heute. Pro Jahr werden hier circa 400 Kinder geboren. Getragen wird die Einrichtung von einer kirchlichen Organisation und Spenden. Mit Hilfe dieser Mittel kann das Geburtshaus fast alle Leistungen – mit Ausnahme von Medikamenten – für die Frauen kostenlos anbieten. Das Geburtshaus liegt ein wenig außerhalb der philippinischen Hauptstadt Manila, in einer ruhigen Seitenstraße eines dicht besiedelten Vorortes. Es hat zwei Geburtsräume, in denen bei Platzmangel teilweise zwei Frauen gleichzeitig gebären.
Es arbeiten immer zwei der insgesamt sechs angestellten Hebammen für je 24 Stunden. Ihre eigenen Kinder dürfen sie zur Arbeit mitbringen. Des weiteren beschäftigt das Geburtshaus immer einen Fahrer in Rufbereitschaft, der die Frauen im Notfall in ein 20 Minuten entferntes privates oder in ein 40 Minuten entferntes öffentliches Krankenhaus bringt.
Eines der vier Gebärbetten Foto: © Ricarda Goepel
Insgesamt habe ich sechs Wochen im »Shiphrah Birthing Home« gearbeitet. Die Paare durfte ich hierbei weitestgehend selbstständig betreuen.
Am Anfang hospitierte ich bei jeder Hebamme bei je einer Geburt, bevor ich diese selbst leiten durfte. Auch Vor- und Nachsorgen konnte ich nach kurzer Einarbeitung eigenverantwortlich durchführen. Aufgrund der Sprachbarriere war ich mitunter auf die kommunikative Unterstützung der Hebammen angewiesen. Zwar konnten alle Frauen Englisch verstehen, trauten sich aber manchmal nicht, auf Englisch zu antworten.
Die vom Geburtshaus betreuten Frauen sind verhältnismäßig jung und kommen aus eher ärmeren Verhältnissen. Eine Krankenhausgeburt können sich diese Frauen häufig nicht leisten. Als Beruf gibt die Mehrheit der Frauen »Hausfrau« an. Ihre Partner arbeiten meist als Tagelöhner. Nur wenige Frauen haben einen Schul- oder Studienabschluss. Durch eine interne Befragung konnte das Geburtshaus ermitteln, dass acht von zehn der von ihnen betreuten Frauen ungeplant schwanger geworden sind (Gunderson & Fugen 2017, S. 8). Schwangerschaftsabbrüche sind auf den Philippinen gesetzlich verboten.
Ich befand mich stets in 24-Stunden-Rufbereitschaft und war mit einer Hebammenkollegin aus Deutschland direkt neben dem Geburtshaus untergebracht. Pro Monat habe ich 1.000 US-Dollar an das Geburtshaus entrichtet. Dieser Betrag deckte die Kosten der Unterkunft. Zusätzlich erhielt jede Hebamme hiervon 60 Dollar zu ihrem bestehenden Einkommen.
Der Rest wurde an das Geburtshaus gespendet. Es nimmt auch HebammenschülerInnen im Externat auf.
Wenn beide Geburtenräume belegt sind, findet die Schwangerschaftsvorsorge auf dem Boden im Aufenthaltsraum statt. Foto: © Ricarda Goepel
Die Frauen melden sich meist im ersten Trimenon, spätestens aber bis zur 35. Schwangerschaftswoche ohne Termin im Geburtshaus an. Bis zur 27. Schwangerschaftswoche sollen die Frauen alle vier, zwischen der 28. und der 35. Woche alle zwei und danach jede Woche zur Vorsorge kommen. Für eine Vorsorge sind ungefähr sieben Minuten eingeplant. Es wird ein Dokumentationsbogen erstellt, der dem deutschen Mutterpass ähnelt. Zusätzlich wird den Frauen empfohlen, im Laufe der Schwangerschaft einen Ultraschall im Krankenhaus machen zu lassen.
Zur Hämoglobin- und Hämatokritwertkontrolle kommt eine speziell ausgebildete medizinische Fachangestellte dreimal wöchentlich in das Geburtshaus. Weitere Laborwerte werden selten erhoben. Die Hebammen empfehlen den Frauen, während der gesamten Schwangerschaft Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen, da die Frauen häufig mangelernährt sind. Die Hebammen sind der Meinung, dass Frauen mit Nährstoffmangel post partum verstärkt bluten, weshalb Frauen, die keine Nahrungsergänzungsmittel in der Schwangerschaft eingenommen haben, nicht im Geburtshaus gebären dürfen. Schwangere können kostenlos Vitamine in von der Regierung unterstützen »Health Centers« erhalten.
Alle neun Wochen beginnt ein wöchentlicher Geburtsvorbereitungskurs mit neun Terminen. Als Themen werden Schwangerschaft, Ernährung, Geburt, Neugeborenenhandling, Stillen und Familienplanung behandelt. Die Frauen müssen mindestens an zwei Terminen teilgenommen haben, um im Geburtshaus gebären zu dürfen.
Die fetale Herzfrequenz wird per Pinard-Rohr oder Dopten ermittelt. Diese Frau wünscht sich eine Wassergeburt. Foto: © Ricarda Goepel
Frauen dürfen ab der 37+0 und bis zur 42+0 Schwangerschaftswoche im Geburtshaus gebären. Eine Geburt im Geburtshaus ist ausgeschlossen, wenn die Schwangere Mehrlinge oder ein Kind in Beckenendlage erwartet. Weitere Ausschlusskriterien sind ein Alter von unter 18 oder über 35 Jahren, Rhesusnegativität und ein Polyhydramnion, nicht hingegen ein Zustand nach Atonie oder Sectio. Nach einem neuen philippinischem Gesetz dürfen Erstgebärende nicht außerklinisch gebären – diese Vorgabe wird vom Geburtshaus jedoch (noch) nicht umgesetzt.
Die Frauen werden ermutigt, mit Wehen und intakter Fruchtblase so lange wie möglich zu Hause zu bleiben. Nach philippinischem Glauben soll die Frau ab Beginn der Wehen laufen, damit das Kind nicht einschläft und stirbt. In der Eröffnungsperiode wird die Frau von der Hebamme nur wenig betreut. Oft sind Partner und andere Familienangehörige wie weitere Kinder, Mutter, Schwiegermutter oder Schwestern anwesend. In philippinischen Krankenhäusern ist hingegen die Anwesenheit von Familienangehörigen in der Regel nicht erlaubt.
Die Herztöne werden in der Eröffnungsperiode per Dopton stündlich und in der Austreibungsperiode nach jeder oder jeder zweiten Wehe überprüft. Die Frauen werden in der Regel nur nach einem Blasensprung oder auf eigenen Wunsch vaginal untersucht – im Durchschnitt ein bis zwei Mal während der gesamten Geburt.
Die Geburtsleitung verläuft passiver als in Deutschland. Die Frauen pressen intuitiv und werden dabei kaum verbal unterstützt. Erstaunlich war, dass sie auch während starker Geburtswehen sehr gefasst und leise blieben. Es wurde fast nie ein Dammschutz durchgeführt, die Schultergeburt jedoch unterstützt. Die meisten Geburten fanden auf einem niedrigen Hocker statt.
Anhaltende Blutdruckwerte über 150/100 mm Hg während der Geburt, ein Geburtsstillstand über zwei Stunden, fetale Herztonanomalien, eine Austreibungsperiode über zwei Stunden oder eine Plazentarperiode über 30 Minuten indizieren eine Verlegung.
Die am häufigsten genutzten Transportmittel sind die Tricycles. In einem können bis zu sieben Personen gefahren werden. Foto: © Ricarda Goepel
Nach der Geburt werden standardmäßig 10 IE Oxytocin intramuskulär gespritzt. Danach wird die Plazentarperiode aktiv und invasiv geleitet. Für die Hebammen hat die Kontrolle der Zervixöffnung eine hohe Priorität, da sie Sorge vor einem Muttermundspasmus und einer Plazentaretention haben. Die Plazenta soll nach spätestens zehn Minuten geboren werden. Nach der Plazentageburt wurde oft mit der ganzen Hand in die Scheide eingegangen, um nach Plazenta- und Eihautresten zu tasten. Bei fast der Hälfte der Geburten wurde eine manuelle Lösung durchgeführt.
Im Geburtshaus wird viel Wert darauf gelegt, dass das Kind nach der Geburt eine volle Stunde nackt auf der Brust der Mutter verbleibt. Die U1 wird ähnlich wie in Deutschland durchgeführt. Innerhalb der ersten sechs Stunden post partum wird das Neugeborene mit Seife gebadet. Außerdem erhalten alle Babys innerhalb der ersten zwölf Stunden eine antibiotische Augensalbe, eine Hepatitis-B-Impfung und eine intramuskuläre Vitamin-K-Gabe.
Nach der Geburt bleiben die Frauen mindesten acht Stunden im Geburtshaus, viele jedoch auch über Nacht. Die Naht von Geburtsverletzungen findet unter schlechten sterilen Bedingungen ungefähr sechs Stunden post partum statt. Weder die Handschuhe, noch die Unterlage sind steril. Nach der Naht wird die Vulva zur Desinfektion mit einer Jodlösung übergossen. Wurde eine Geburtsverletzung genäht, bekommen die Frauen sieben Tage lang Schmerztabletten und ein orales Antibiotikum.
Vor der Entlassung wird die weitere Familienplanung angesprochen. Alle Hebammen im Geburtshaus haben eine spezielle Ausbildung zum Thema Familienplanung, die sie dazu befähigt, Spiralen und Hormonimplantate zu legen, wenn die Frauen dies wünschen. Diese Leistungen können ebenfalls kostenfrei angeboten werden.
Das erste Baden findet innerhalb der ersten sechs Lebensstunden statt. Viele Eltern möchten, dass Seife benutzt wird. Foto: © Ricarda Goepel
Die Familien kommen drei Tage post partum zum Wiegen des Neugeborenen, zum Entfernen der Nabelklemme und zum Neugeborenenscreening auf Stoffwechsel- und Hormonerkrankungen in das Geburtshaus. Das Screening kostet circa zehn US-Dollar, ist freiwillig und wird aus Kostengründen von nur wenigen Frauen in Anspruch genommen.
Stillhilfe erhalten die Frauen hauptsächlich von ihren Müttern und Schwiegermüttern. Auf den Philippinen werden nur 34 % der Kinder in den ersten sechs Monaten ausschließlich gestillt (Calderwood 2018). Die meisten Frauen füttern zu, vor allem weil künstliche Säuglingsnahrung als qualitativ hochwertiger angesehen und im Fernsehen stark beworben wird. Zudem kursieren viele falsche Informationen zum Thema Stillen. Es wird beispielsweise behauptet, dass eine kranke Mutter nicht stillen sollte und dass durch das Stillen Krankheiten, wie beispielsweise Asthma, übertragen werden können (Gunderson & Fugen 2017, S. 9). Auch eine anhaltende Müdigkeit der Mutter gilt als Grund, das Stillen zu beenden (Gunderson & Fugen 2017, S. 9).
Im gesamten Geburtshaus gibt es nur eine einzige Händedesinfektionsflasche. Flächen, Geräte und geburtshilfliche Instrumente werden nicht desinfiziert. Die Geburtshocker und -schüsseln werden mit Wasch- und Bleichmittel gereinigt. Die Hebammen waschen die Geburtslaken mit kaltem Wasser per Hand aus. Eingriffe finden unter schlechten sterilen Bedingungen statt und vor Injektionen wird die Haut selten desinfiziert. Einmalprodukte werden häufig wiederverwendet.
Ich habe einiges über die philippinische Geburtshilfe und kulturelle Bräuche erfahren. Es hat mich beeindruckt, wie gefasst die philippinischen Frauen bei der Geburt sind. Von den Familien und Hebammen wurde ich gut angenommen und habe jetzt sogar ein Patenkind auf den Philippinen.
Somit waren acht von zehn Menschen auf den Philippinen noch nie in medizinischer Behandlung (Van Gijsel 2016). Zudem sind die meisten Medikamente verhältnismäßig teuer und für die breite Bevölkerung schwer zugänglich (Schulz 2017).
Daher ist auch die Geburtshilfe maßgeblich von der finanziellen Situation der Frau abhängig. Für eine Geburt im Krankenhaus müssen die Familien lange sparen, da sie teuer ist. Ein Kaiserschnitt, eine Periduralanästhesie oder eine Wassergeburt werden zudem aus Kostengründen möglichst vermieden. Die Kaiserschnittrate liegt bei 12,7 % (UNICEF 2017). Bei neun von zehn Geburten ist mittlerweile geburtshilflich ausgebildetes Personal anwesend (Mapa 2018). Hausgeburten, die ohne ausgebildetes Personal gesetzlich verboten sind, werden immer seltener (Dayrit et al. 2018). Trotzdem ist die Müttersterblichkeit noch immer sehr hoch. 2015 starben auf den Philippinen 121 Frauen pro 100.000 Lebendgeburten während Schwangerschaft und Geburt (Knoema 2017a) im Gegensatz zu 7 Frauen pro 100.000 Lebendgeburten in Deutschland (Knoema 2017b).
Calderwood I: Mehr als 1.500 Mütter auf den Philippinen stillten gemeinsam als Symbol gegen das Kindersterben, 2018. https://www.globalcitizen.org/de/content/over-1500-mothers-breastfeed-together-philippines/
Dayrit MM, Lagrada LP, Picazo OF, Pons MC, Villaverde MC: The Philippines Health System Review. Health Systems in Transition 2018. 8(2). New Delhi: Asia Pacific Observatory on Health Systems and Policies
Gunderson J, Fugen A: Take it to the People: The Homeware Breastfeeding and Reproductive Health Care Implementation Project 2017. Philippines: Help International Ministries, Inc
Knoema: Philippinen-Müttersterblichkeitsrate, 2017a. https://knoema.de/atlas/Philippinen/topics/Gesundheit/Gesundheitsstatus/Müttersterblichkeitsrate
Knoema: Deutschland-Müttersterblichkeitsrate, 2017b. https://knoema.de/atlas/Deutschland/topics/Gesundheit/Gesundheitsstatus/Müttersterblichkeitsrate
Mapa CDS: Births in the Philippines, 2018. https://psa.gov.ph/vital-statistics/id/144897
Schulz A: Gesundheitssystem der Philippinen: Qualifiziertes Personal in einem wachsenden Gesundheitsmarkt, 2017. https://www.expat-news.com/30849/recht-steuern-im-ausland/30849/
Unicef: C-section rate – percentage of deliveries by cesarean section, 2017. https://data.unicef.org/resources/data_explorer/unicef_f/?ag=UNICEF&df= GLOBAL_DATAFLOW&ver=1.0&dq=PHL.MNCH_ CSEC.&startPeriod=1970&endPeriod=2020
Van Gijsel N: Health care access in the Philippines, 2016. https://en.vivasalud.be/sites/default/files/generated/files/news/positionpaper_ gezondheid_philippines_eng_0.pdf