In Deutschland gibt es nur wenig explizit rassismusbezogene Forschung – und noch weniger für den Bereich der Geburtshilfe. Foto: © AS Photo Family/stock.adobe.com

Was ist Rassismus und wie funktioniert er? Wie wirkt er sich in der Geburtshilfe aus? Zu erkennen, auf welchen Ebenen Rassismus existiert und wirksam ist, ist der Schlüssel für gesellschaftliche Veränderung. Dabei reicht es nicht aus, an der einen Stellschraube zu drehen. Stattdessen braucht es ein ganzes Paket, um Rassismus – und sei er noch so subtil oder unbewusst – entgegenzutreten.

Die Debatte über Rassismus in der Geburtshilfe in Deutschland ist relativ jung. Ich bin 2019 das erste Mal auf einen Artikel im Missy Magazine gestoßen, der sich damit befasste und das Geburtserleben rassifizierter Personen hierzulande beleuchtete. Viele andere Artikel bezogen sich auf die USA und Großbritannien und dort vorliegende Daten. Dort können sehr konkrete Aussagen über die negativen Auswirkungen von Rassismus auf die Gesundheit und Versorgung Schwarzer Gebärender getroffen werden.

Rassismusforschung in Deutschland

In Deutschland gibt es nur sehr wenig explizit rassismusbezogene Forschung – und noch weniger für den Bereich der Geburtshilfe. Daher gibt es kaum datenbasierte Aussagen. Es gibt Vergleichsstudien, die gesundheits- und versorgungsbezogene Unterschiede zwischen Personen mit und ohne sogenannten Migrationshintergrund untersuchen. Diese Kategorie eignet sich aber nicht, wenn man über Rassismus sprechen möchte.

Denn per Definition hat eine Person einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens eines ihrer Elternteile nicht in Deutschland geboren ist. Sicher gibt es viele Personen, auf welche diese Definition zutrifft und die auch von Rassismus betroffen sind. Es gibt aber auch viele Menschen, die formal zwar einen sogenannten Migrationshintergrund haben, aber nicht von Rassismus betroffen sind – zum Beispiel eine weiße Person, die in der Schweiz geboren ist und jetzt in Deutschland lebt. Gleichzeitig trifft die Definition auf viele Menschen nicht zu, obwohl sie von Rassismus betroffen sind. So leben Schwarze und jüdische Menschen sowie Sinti*zze und Rom*nja bereits seit weit mehr als zwei Generationen in Deutschland. So haben beispielsweise Schwarze Personen, deren Eltern und Großeltern in Deutschland geboren sind, offiziell keinen sogenannten Migrationshintergrund.

Es ist also völlig unklar, von wem wir sprechen, wenn wir von Personen mit oder ohne »Migrationshintergrund« sprechen. Oft sind Personen mit arabischen oder türkischen Familienbezügen gemeint, aber das ist eine stigmatisierende und formal falsche Annahme. Es braucht also andere Tools und Methoden, um Rassismus erfassen zu können. Einige Studien der letzten Jahre bieten vielversprechende Perspektiven hierzu (Aikins, 2021; DeZIM, 2022).

Homogenisierung, Rassifizierung, Hierarchisierung

Rassismus wurde im deutschen Kontext bereits mehrfach definiert (vgl. Rommelspacher, 2009; Kilomba, 2020; Foroutan, 2020). Davon ausgehend verstehe ich Rassismus als ein komplexes, historisch wandelbares gesellschaftliches Verhältnis, das alle möglichen Beziehungen prägt. Er prägt, wie Menschen zur Gesellschaft stehen, aber auch die Beziehungen zwischen Menschen – bewusst oder unbewusst. Rassismus ist also nicht einfach eine individuelle Haltung. Die gesamte Gesellschaft ist rassistisch strukturiert und wir alle sind auf die eine oder andere Art davon beeinflusst; wir profitieren durch ihn oder werden benachteiligt.

Wenn man Rassismus definieren möchte, kann man von einem Dreischritt sprechen: Im ersten Schritt werden einer Personengruppe bestimmte Merkmale pauschal zugeschrieben man geht davon aus, dass sie auf alle Personen dieser Gruppe zutreffen würden (Homogenisierung). In einem zweiten Schritt werden diese Merkmale naturalisiert. Es wird also davon ausgegangen, dass sie auf biologische oder kulturelle Aspekte zurückzuführen und unveränderbar wären (Rassifizierung). Im dritten Schritt wird die Personengruppe beziehungsweise die ihr zugeschriebenen Merkmale sozial abgewertet und gegenüber der Dominanzgruppe (in diesem Fall die weiße deutsche Mehrheitsgesellschaft) als schlechter dargestellt (Hierarchisierung).

Homogenisierung, Rassifizierung und Hierarchisierung sind also die Kernelemente von Rassismus. Wie genau sie sich zeigen und auswirken, ist historisch und geografisch unterschiedlich beziehungsweise wandelbar. Generell zeigt sich Rassismus auf drei Ebenen: So beschreibt der Begriff des strukturellen Rassismus, wie rassifizierte Personen in politischen, ökonomischen, sozialen oder rechtlichen Gesellschaftsstrukturen benachteiligt werden. Institutioneller Rassismus umfasst eher, wie sich diese strukturellen Benachteiligungen in Institutionen und institutionalisierten Normen niederschlagen – beispielsweise im Bildungssystem und in der Schule oder auch in der Gesundheitsversorgung und im Krankenhaus.

Der Alltagsrassismus ist die wahrscheinlich nahbarste der drei Ebenen. Er beschreibt, wo sich Rassismus im alltäglichen Leben zeigt: in Worten, Bildern, Gesten, Diskursen, aber auch im eigenen Handeln und in routinierten Praktiken. Es ist hilfreich, diese drei Ebenen als unterschiedliche Wirkungsebenen von Rassismus zu begreifen. Gleichzeitig sind sie alle eng miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig.

Wie sich Rassismus in der Geburtshilfe niederschlägt, lässt sich beispielhaft anhand der genannten drei Ebenen aufzeigen.

Struktureller Rassismus in der Geburtshilfe?

Struktureller Rassismus zeigt sich in der Geburtshilfe unter anderem dann, wenn man danach fragt, wer sich welche geburtshilflichen Angebote leisten kann. Das lässt sich beispielsweise an den Kosten für die Hebammenbetreuung erkennen. Grundlegende Kosten für Hebammenleistungen werden von den Krankenkassen übernommen.

Für Personen, die im Geburtshaus oder zu Hause gebären möchten oder die für die Geburt im Krankenhaus eine Beleghebamme in Anspruch nehmen wollen, entstehen jedoch Zusatzkosten. Die dann anfallende Rufbereitschaftspauschale wird von vielen Krankenkassen nur mit circa 250 Euro bezuschusst, wodurch für die Gebärenden Kosten von bis zu 850 Euro entstehen können. Wer sich das nicht leisten kann, hat Pech gehabt und wird im grundlegenden Recht auf die freie Wahl des Geburtsortes massiv eingeschränkt.

Jetzt könnte man sich fragen: Was hat das mit Rassismus zu tun? Die Antwort liegt in der gesellschaftlichen Struktur. Denn die Verteilung , wer welchen sozioökonomischen Status und wie viele finanzielle Ressourcen hat, ist stark von Rassismus beeinflusst. So werden rassifizierte Kinder im deutschen Schulsystem strukturell benachteiligt, wodurch geringere Bildungschancen und erschwerte Bedingungen auf dem ebenfalls rassistisch strukturierten Arbeitsmarkt entstehen.

Eine Folge davon ist, dass der sozioökonomische Status bei rassifizierten Personen tendenziell geringer ist. Laut des Statistischen Bundesamtes ist das Armutsrisiko bei Personen mit Flucht- oder Migrationserfahrung und Personen ohne deutschen Pass fast dreimal so hoch wie bei Personen ohne sogenannten Migrationshintergrund (Statistisches Bundesamt, 2022).

Daraus lässt sich ableiten, dass die Frage, wer sich geburtshilfliche Zusatzangebote leisten kann, nicht nur eine Klassenfrage, sondern eine rassifizierte Klassenfrage ist. Was hier vielleicht etwas abstrakt klingen mag, kann konkrete Auswirkungen auf das Geburtserleben rassismusbetroffener Menschen haben: Eine Geburt im Geburtshaus, zu Hause oder mit der Betreuung einer Beleghebamme sind Wege, eine Eins-zu-eins-Betreuung bei der Geburt zu bekommen. Es ist weithin bekannt, dass diese das Risiko, Gewalt unter der Geburt zu erfahren, deutlich reduziert. Wenn man nun bedenkt, dass rassifizierte Personen potenziell stärker von Gewalt unter der Geburt betroffen sind, ist es besonders problematisch, dass genau diese Personengruppe strukturell darin benachteiligt wird, sich durch eine Eins-zu-eins-Betreuung davor zu schützen.

Der Aspekt der Finanzierung geburtshilflicher Leistungen ist nur ein Beispiel für strukturellen Rassismus in der Geburtshilfe. Aber er macht bereits deutlich, dass Rassismen, die auf einer allgemeinen strukturellen Gesellschaftsebene bestehen, auch ganz konkret in spezifische Bereiche wie die Geburtshilfe hineinwirken (können).

»[…] ein Grund, warum wir uns gegen das Geburtshaus entscheiden mussten, (war) ein finanzieller Aspekt. Die Krankenkasse übernimmt das nicht komplett, man hätte irgendwie 400 Euro oder 500 Euro selber bezahlen müssen und es war halt einfach nicht drin; auch wenn ich das gerne gewollt hätte. Und da habe ich so gemerkt: Okay, schade. Es hat auf jeden Fall einen Einfluss, aus welcher Gehaltsklasse man selbst oder die Familie einfach kommt.« (Schwarze Mutter)

Der institutionelle Rassismus des Gleichmachens

Wie zeigt sich Rassismus nun auf der institutionellen Ebene? Ein Blick in die medizinische Forschung verschafft erste Antworten. Sie ist stark geprägt von weißen, europäisierten Standards: Fast alle Diagnose- und Behandlungsverfahren wurden und werden am Maßstab weißer (und männlicher) Körper entwickelt und auch die gegenwärtige Lehre der Medizin bezieht sich primär auf ebendiese Körper. Weil davon ausgegangen wird, dass das so entwickelte Wissen auf alle Menschen übertragbar wäre, entsteht eine Norm – die Norm eines Körpers, der weiß gedacht wird.

Menschen, die von dieser Norm abweichen, werden darin nicht sichtbar. Das heißt auch, dass mögliche Unterschiede leicht übersehen werden, zum Beispiel in den Symptomen von Erkrankungen. Diese Norm beeinflusst nicht nur das Wissen einzelner Personen, sondern verankert sich auch in Institutionen wie dem Krankenhaus und prägt die dort etablierten Standards und Verfahren.

Ein einfaches Beispiel sind die in der Geburtshilfe üblichen Tabellen für die idealtypische Gewichtszunahme während der Schwangerschaft oder für das Wachstum von Neugeborenen. Bei den geburtshilflichen Diagnoseverfahren ist die Neugeborenengelbsucht ein eindrückliches Beispiel. Aufgrund von Stigmata oder fehlenden Wissens darüber, wie sich bestimmte Erkrankungen am Körper von BIPoCs (Black, Indigenous, People of Color) zeigen, wird Gelbsucht bei nicht-weißen Babys tendenziell unterschätzt und/oder verspätet erkannt. Da es in Deutschland keine repräsentative Forschung dazu gibt, gibt es auch keine Zahlen dazu, wie genau sich dies auf die Gesundheit betroffener Neugeborener auswirkt.

Studien aus den USA belegen jedoch, dass Gelbsucht bei Schwarzen Babys seltener erkannt wird, aber gleichzeitig die Anzahl der Kinder, die Hirnschäden aufgrund von Gelbsucht entwickeln, bei Schwarzen viel höher ist. Sicher lässt sich das nicht eins zu eins auf den deutschen Kontext übertragen, aber es lässt sich vermuten, dass es auch hierzulande entsprechende Tendenzen geben könnte. Das verweist auf den dringenden Bedarf an rassismuskritischer Gesundheitsforschung.

Eine andere Form des institutionellen Rassismus findet sich in Bezug auf Sprache und fehlende Übersetzungsstrukturen im Krankenhaus. Es gibt mehrere Wege, die Kommunikation zwischen nicht-deutschsprachigen Gebärenden und dem geburtshilflichen Personal zu ermöglichen. Der professionellste Umgang wäre das Hinzuziehen von externen Dolmetsch-Diensten. Hierfür werden aber nicht ausreichend Gelder zur Verfügung gestellt. Zudem wird das Wissen über die Möglichkeiten der Sprachmittlung durch externe Dienste auch nicht angemessen an das geburtshilfliche Personal vermittelt.

In der Folge werden andere Wege gesucht und gefunden. In manchen Häusern gibt es Listen dazu, welche Kolleg:innen welche Sprachen sprechen, um sie als Übersetzer:innen hinzuzuziehen. Diese praktische Herangehensweise kann super funktionieren. Aber was, wenn gerade alle Kolleg:innen außer Haus sind, die Farsi sprechen? Was, wenn überhaupt keine Person in der Klinik arbeitet, die Kiswahili spricht? Dann müssen zum Beispiel die Begleitpersonen der Gebärenden übersetzen. Auch das kann funktionieren.

Aber beim nicht-professionellen Dolmetschen von einer Person, die kein medizinisches Fachwissen hat, kann schnell wichtiger Inhalt verloren gehen. Davon abgesehen, sind Begleitpersonen eigentlich damit beschäftigt, die Gebärenden zu unterstützen. Vielleicht sind sie auch überwältigt davon, gerade Eltern zu werden. Da sollte es nicht auch noch ihre Aufgabe sein, für die Sprachmittlung zu sorgen. Und was ist, wenn auch die Begleitperson kein Deutsch spricht oder es gar keine Begleitperson gibt?

Dann bleibt noch die Kommunikation mit Händen und Füßen. Dass dabei viel verloren geht, muss nicht mehr betont werden. Je weniger Kommunikation möglich ist, desto weniger Angebote können gemacht oder grundlegende Patient:innenrechte wie Aufklärung und informierte Einwilligung realisiert werden. Dadurch können schlussendlich gewaltvolle und traumatisierende Geburtserfahrungen entstehen.

»Aber, wenn du natürlich nicht kommunizierst, dann machst du. Und wir haben viele Frauen, die Gewalt erleben – körperliche Gewalt, weil Bettdecken weggezogen werden, weil Beine auseinander gedrückt werden, weil Arme langgezogen werden, um Blutdruck zu messen oder die Nadel reinzuhammern.« (Hebamme)

Der Mangel an institutioneller Verantwortungsübernahme für Sprachmittlung schlägt sich maßgeblich in der Interaktion zwischen den Gebärenden und dem geburtshilflichen Personal nieder und wirkt sich dort negativ aus. Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass Sprachbarriere nicht gleich Sprachbarriere ist. Sie führt vor allem dann zu Vernachlässigung und einer vermehrten Gewaltanwendung, wenn die gebärende Person als vermeintlich »anders« oder »fremd« wahrgenommen wird: So dienen Äußerlichkeiten wie die Hautfarbe oder das Tragen eines Kopftuchs als Marker zum »Anders-Sein« und gehen mit sozialer Abwertung einher, die dazu beiträgt, dass es zu einer solchen Behandlung kommt oder diese legitimiert wird. Das heißt, rassistische Stigmatisierung und Sprachbarrieren wirken hier zusammen.

Der alltägliche Rassismus

Im Alltag beeinflussen viele rassistische Bilder und Stigmata das Handeln von Menschen und somit auch die Betreuungssituation in der Geburtshilfe. Auf einer allgemeinen Ebene wird bei rassifizierten Personen schnell von geringen Deutschkenntnissen oder einem geringeren Bildungsgrad ausgegangen, was oft zu einer herablassenden und bevormundenden Umgangsweise führt. Es gibt aber auch sehr spezifische Stigmatisierungen, die explizite Effekte haben (können).

Ein besonders starkes Stigma ist die Annahme, dass Migrant:innen oder nicht-weiße Personen zu viele Kinder bekommen und damit das Sozialsystem belasten würden. In der Geburtshilfe selbst schlägt sich das zum einen darin nieder, dass geburtshilfliches Personal abfällige Bemerkungen darüber macht, dass die betroffene Person jetzt noch ein Kind bekomme.

»›Du hast doch schon zwei Kinder, reicht doch langsam, oder?‹« (Hebamme über Kommentare ihrer Kolleg:innen)

Solche Kommentare geben Gebärenden ein Gefühl von Nicht-Erwünscht-Sein – das kann psychisch belasten und zu Anspannungen führen. Gleichzeitig können solche Annahmen auch potenziell medizinische Auswirkungen haben. So haben einige Hebammen im Interview berichtet, dass rassifizierten Personen, die bereits Kinder haben, recht leichtfertig eine Sterilisation nahelegt werde. Und zwar nicht als Antwort auf die Nachfrage, welche Verhütungsoptionen es gibt (denn das wäre legitim), sondern als mit Nachdruck empfohlene Maßnahme.

Da steht dann nicht mehr das Interesse und Wohlsein der Gebärenden im Vordergrund, sondern der abstrakte Gedanke, dass Migrant:innen zu viele Kinder hätten und dagegen etwas getan werden müsste. Dieser Gedanke entspringt nicht isoliert in der Geburtshilfe. Das Bild wird durch staatliches Handeln und Politiken vermittelt, beispielsweise in der Familienpolitik. Und daran zeigt sich, dass das, was auf staatlicher und gesamtgesellschaftlicher Ebene passiert, auf alltäglicher Ebene auch die Betreuungssituation in der Geburtshilfe beeinflusst. Ob es bei rassifizierten Personen tatsächlich vermehrt Sterilisationen gibt, die nicht erwünscht waren, kann man nicht sagen. Auch dazu bräuchte es mehr Forschung.

Während das Stigma »zu viele Kinder« oft kulturell mit den Worten »in deren Kultur/Religion ist das halt so« begründet wird, gibt es auch einige rassistische Zuschreibungen, die auf biologischer Ebene wirksam sind. Ein Beispiel ist die Annahme über vermeintlich geringes oder übertriebenes Schmerzempfinden. So wird von Schwarzen Personen teilweise erwartet, dass sie weniger Schmerzen empfinden und dementsprechend mehr aushalten könnten. Das ist ein Stigma, das sich zu Zeiten der Sklaverei und des europäischen Kolonialismus herausgebildet hat und bis heute besteht. In der Geburtshilfe kann das bedeuten, dass Schwarze Gebärende in ihrem Schmerz nicht ernst genommen werden oder nicht die angemessene Schmerzbehandlung erhalten.

»›Stell dich nicht so an, ihr habt doch sonst immer keinen Schmerz‹.« (Hebamme über Kommentare ihrer Kolleg:innen)

Andersherum gibt es das wahrscheinlich vielen bekannte Stigma des sogenannten Mittelmeer-Syndroms oder Morbus Bosporus. Hier wird Personen aus dem Mittelmeerraum beziehungsweise der Türkei zugeschrieben, besonders schmerzempfindlich oder wehleidig zu sein. Im Endeffekt können beide Annahmen dazu führen, dass unterschiedlich schnell auf das Äußern von Schmerzen reagiert wird oder dass Schmerzmittel erst verspätet angeboten oder gar verweigert werden.

Die beschriebenen Stigmata sind besonders eindrückliche Beispiele dafür, wie rassistische Bilder und Fremdzuschreibungen sich in der Geburtshilfe auswirken (können). Zum Alltagsrassismus gehören aber auch viele kleine Dinge – zum Beispiel, wenn auf Flyern oder Bildern an der Wand nur weiße Familien abgebildet sind. Und manchmal braucht es nicht einmal etwas Benennbares, damit Rassismus wirksam ist. Viele Betroffene kennen das Gefühl des unbestimmten Unwohlseins, ohne dass man genau sagen könnte, dass hier gerade etwas Diskriminierendes oder Rassistisches passiert ist.

»Das, was so den größten Unterschied machen würde für mich, wäre glaube ich, wenn wir weiß gewesen wären. […] Also, ich habe das Gefühl, ich könnte jetzt nicht so sagen: Das und das war direkte Diskriminierungserfahrung. Aber ich kann sagen, dass ich glaube, wenn ich selber andere Identitätsmerkmale hätte, dann wäre ich einfach anders behandelt worden.« (Schwarze Person über ihre Geburtserfahrung)

Es bleibt also oft subtil und unkonkret. Aber auch das ist ein bedeutender Teil von Alltagsrassismus, der nicht unterschätzt werden darf.

Glossar für eine diskriminierungs‧sensible Sprache
Schwarze Menschen ist eine Selbstbezeichnung und beschreibt eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. »Schwarz« wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reelle ›Eigenschaft‹, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Kontext nicht, einer tatsächlichen oder angenommenen ›ethnischen Gruppe‹ zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der gemeinsamen Rassismuserfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden.

»Weiß« und »Weißsein« wird kursiv geschrieben. Es bezeichnet ebenso wie »Schwarzsein« keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Weißsein umfasst ein unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das weiße Menschen in ihrer Selbstsicht und ihrem Verhalten prägt und sie an einen privilegierten Platz in der Gesellschaft verweist, was beispielsweise den Zugang zu Ressourcen betrifft.

People of Color (PoC) ist eine internationale Selbstbezeichnung von/für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Der Begriff markiert eine politische gesellschaftliche Position und versteht sich als emanzipatorisch und solidarisch. Er positioniert sich gegen Spaltungsversuche durch Rassismus und Kulturalisierung sowie gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die weiße Mehrheitsgesellschaft.

Quelle: www.amnesty.de/glossar-fuer-diskriminierungs-sensible-sprache

Zum Schluss

Rassismus in der Geburtshilfe spielt sich vielfach in der sozialen Interaktion zwischen geburtshilflichem Personal und den Gebärenden ab. Das zeigen einige der genannten Beispiele – und es spiegelt sich auch im öffentlichen Diskurs wider. Das mag unter anderem daran liegen, dass es keine statistischen Daten gibt, welche die medizinisch-gesundheitlichen Auswirkungen von Rassismus beziffern können. Daraus sollte allerdings nicht geschlussfolgert werden, dass das Personal allein schuld an Rassismus in der Geburtshilfe wäre und für Veränderung sorgen müsste. Obwohl ich es unerlässlich finde, dass wir alle individuell Verantwortung für unser Handeln übernehmen und unsere gesellschaftliche Position sowie damit verbundene Machtverhältnisse reflektieren, wäre es falsch, dabei zu vergessen, dass die verschiedenen Ebenen von Rassismus miteinander verbunden sind.

Das zeigt sich vielleicht am besten am Beispiel der Sprache: Im Allgemeinen gibt es wenig mehrsprachiges Info-Material und das Gesundheitssystem kommt seinem Auftrag der Vermittlung von Rechten, Angeboten und Infos nicht ausreichend nach (strukturelle Ebene). Das schlägt sich auch in den Krankenhäusern nieder, die wenig Ressourcen für Sprachmittlung bekommen und/oder bereitstellen (institutionelle Ebene). Und das wiederum wirkt sich auf der Alltagsebene massiv auf das Personal aus, das mit den fehlenden Ressourcen in der Betreuungssituation umgehen muss – noch dazu bei einer hohen Arbeitsbelastung und Personalmangel. Aufgrund dieser Verwobenheit der Ebenen ist es wichtig zu betonen, dass es für den Abbau von Rassismus nicht ausreicht, nur auf einer der Ebenen an ein paar Stellschrauben zu drehen. Das heißt aber natürlich nicht, dass einzelne Maßnahmen wie rassismuskritische Fortbildungen nicht trotzdem hilfreich und ein Schritt in die richtige Richtung sein könnten.

Zu guter Letzt möchte ich das Spannungsverhältnis zwischen rassistischer Fremdzuschreibung und Stigmatisierung auf der einen und der (fehlenden) Anerkennung von realen Unterschieden auf der anderen Seite ansprechen. Es wurde anhand verschiedener Stigmata sichtbar, dass falsche Annahmen über vermeintlich biologische oder kulturelle Unterschiede zu einer geringeren Versorgungsqualität führen (können). Gleichzeitig kann das Nicht-Erkennen von tatsächlichen Unterschieden den gleichen Effekt haben, wie das Beispiel der Neugeborenengelbsucht zeigt. Es ist also wichtig, immer zu hinterfragen: Woher kommt das Wissen, auf das du dich beziehst? Wo gibt es darin vielleicht Lücken? Gehst du grundlos von einem Vorurteil aus oder hast du die Person, die du gerade betreust, nach ihren Wünschen und Bedarfen gefragt? Schließlich braucht es ein vorurteils- und wertfreies Anerkennen von verschiedenen Bedarfen, verschiedenen Körpern und Kulturen und eine Integration dieser Unterschiede in Lehre, Leitlinien und gesellschaftliche Strukturen.

»Ja, wir sind unterschiedlich. Wir dürfen diese Unterschiede wahrnehmen und wir müssen sie respektieren, ohne dass es was in der Wertigkeit ändert.« (Hebamme)

Zitiervorlage
Kyere, A. (2024). Rassismus; Strukturell, institutionell, alltäglich. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 76 (1), 14–21.
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