Die rötliche Linie beginnt sakral am Anus und verlängert sich während der Geburt bis zum Beginn der Analfurche. Wenn sie dort angelangt ist, dann ist die überwiegende Zahl der Frauen vollständig eröffnet. Diese Linie kann manchmal eher ins Rote oder etwas dunklere Purpurfarbene gehen. Das hängt von der Hautfarbe der Frau ab. Bei Frauen mit dunkler Haut kann sie auch silberfarben sein. In England heißt sie „purple line”, manchmal wird sie auch „bottom line” genannt.
Die Entdecker
Bereits 1990 erschien in der Zeitschrift The Lancet ein Brief von den beiden Ärzten Dominic Byrne von den United Medical and Dental Schools in London und von Douglas Keith Edmonds, der im Londoner Queen Charlotte‘s and Chelsea Hospital tätig ist. Sie beschrieben eine kleine Studie, die sie durchgeführt hatten. Aufgeführt wurden 102 Beobachtungen von 18 Hebammen bei 48 gebärenden Frauen. Bei jeder Frau wurde also mehrfach geschaut. Sie hatten bei 91 Geburten (89 Prozent) eine sich verlängernde rote Linie gesehen. Bei fünf Frauen (10,4 Prozent) trat die Linie überhaupt nicht in Erscheinung. Bei sechs Prozent der Frauen entwickelte sie sich erst im späteren Geburtsverlauf. Es wurde ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Höhe des fetalen Kopfes und der roten Linie bestätigt. Später schrieben die Autoren: „Nach unserem Kenntnisstand ist dies der erste Bericht über diese rote Linie. Wir glauben, dass sie ein klinisches Zeichen repräsentiert, das einfach zu erkennen ist und wertvolle Informationen für das geburtshilfliche Management bietet.” Die Studie war aber nicht umfangreich genug, um daraus definitive Schlüsse zu ziehen.
Begeisterung einer Hebamme
Die Hebamme Lesley Hobbs, die zu den „unabhängigen Hebammen” (www.independentmidwives.org.uk) in England gehört, hat davon gelesen und diese Linie studiert. 1998 erschien ein erster Beitrag von ihr in der Zeitschrift The Practising Midwife. Sie versuchte erstmals, der Linie entsprechende Längen in Zentimetern zuzuordnen. Byrne und Edmonds hatten sie lediglich in zehn gleiche Abschnitte eingeteilt. Hobbs meinte, dass man eigentlich nachmessen müsste, ob die Pofalte bei allen Frauen durchschnittlich zehn Zentimeter lang sei.
2007 erschien eine überarbeitete Version ihres Artikels in derselben Zeitschrift. Sie schrieb darin, dass ein akkurates Lesen der Linie der Schlüssel dieser Methode wäre. „Manchmal bemerke ich in mir den Wunsch, dass die Linie schneller fortschreitet, als sie es gerade wirklich tut. Wenn ich das tue – und checke es mit einer vaginalen Untersuchung – finde ich nur, dass die Linie richtig ist. Ich bin dann über mich selbst verärgert und wünschte, ich hätte meinen Beobachtungen vertraut.” Später schrieb sie, dass sie selbst „eines Tages vertrauensvoll genug sein wird, die Linie als ihre formale Messung zu nutzen und auf aufdringliche und überflüssige vaginale Untersuchungen verzichten” werde.
Dr. Ashley Shepherd, heute Leiterin des Departments of Nursing and Midwifery an University of Stirling, veröffentlichte 2010 eine Studie zu der lila Linie. In ihrer Arbeit zitiert die schottische Ärztin verschiedene Ergebnisse von anderen Autoren, beispielsweise eine Arbeit, nach der die Länge der Linie zwischen ein und zwei Zentimeter in der frühen Eröffnungsphase (latent/prelabour stage, siehe Glossar) lang ist und vier bis fünf Zentimeter in der frühen aktiven Phase (early active labour stage) (Burvill 2002). Shepherd sah bei ihren Recherchen, dass der Beitrag von Hobbs von Hebammen als einer der Schlüssel der letzten zehn Jahre auf dem Weg zu einer weniger invasiven Geburtshilfe betrachtet wurde.
Messungen der Linie
Shepherd führte eine dreimonatige Studie an einem National Health Service Hospital in Schottland durch, in dem ungefähr 3.300 Geburten pro Jahr stattfinden. Nach verschiedenen Auswahlkriterien wurden schlussendlich 144 Frauen während der Geburt ihrer Kinder beobachtet – die Linie wurde mit einem Maßband gemessen. Ergebnisse: Die purple line wurde zu irgendeinem Zeitpunkt während der Geburt bei 109 Frauen (76 Prozent) gesehen. Es gab eine mittlere positive Korrelation zwischen der Länge der Linie und der Muttermundsöffnung (r = +0.36, n = 66, P = 0.0001) und dem Höhenstand des kindlichen Kopfes (r = +0.42, n = 56, P < 0.0001). Sie fand, dass weder das Geburtsgewicht noch die Geburtsdauer eine Auswirkung auf die Linie hatten. Shepherd meint: „Die Linie entsteht in der Gesäßfalte oder Falte des Pos, wenn der Muttermund etwa zwei Zentimeter eröffnet ist.” Wenn man die Länge der purple line messe und vergleiche sie mit der totalen Länge der Analfurche, könne eine Hebamme annähernd bestimmen, wie weit der Muttermund eröffnet ist. Wenn die Linie an der Spitze der Analfurche angekommen sei, sei sie vollständig eröffnet.
Shepherd gab diese Messergebnisse an: „Unsere Daten zeigen, dass bei einem Viertel der vaginalen Untersuchungen bei einem Muttermund von ein bis zwei Zentimetern eine lila Linie sichtbar war. Sie nimmt zu bei der Hälfte der vaginalen Untersuchungen bei einer Muttermundsweite von drei bis vier Zentimetern. Die Durchschnittslänge der Linie steigt an von 5,3 Zentimetern (Standardabweichung 3,1), wenn die Zervix ein bis zwei Zentimeter geöffnet ist, bis zu einer Länge von 9,6 Zentimetern (Standardabweichung 2,1), wenn die Zervix neun bis zehn Zentimeter eröffnet ist.”
Shepherd schlussfolgerte wie schon Byrne: Bei den Frauen, bei denen die Linie präsent ist, sei die Linie eine hilfreiche Methode, aber sie könne vaginale Untersuchungen nicht völlig ersetzen. Sie betonte, dass weitere Forschung nötig sei, etwa um zu prüfen, ob die Messung für die Gebärenden und GeburtshelferInnen akzeptabel sei. Es stelle sich die Frage, warum sie nicht immer erscheint und warum sie vor allem bei Frauen auftaucht, die anschließend eine Spontangeburt haben. Shepherd resümiert, dass bereits einige Hebammenbücher diese Methode als praktikabel angeben, dass es aber noch zu wenig Forschung darüber gebe. Sie fände eine Richtlinie für GeburtshelferInnen sinnvoll, die den Geburtsprozess anhand von verschiedenen Messmethoden erläutert.
Aussagekraft
Zumindest kann man demnach von einem guten Geburtsfortschritt ausgehen, wenn die Linie sieben Zentimeter lang ist, und davon, dass der Muttermund vollständig eröffnet ist, wenn die Linie nahezu die volle Länge von rund zehn Zentimetern erreicht hat. Auf der amerikanischen Internetseite „Birth wirthout fear” (Geburt ohne Angst) kann man lesen, wie Frauen das Wissen für sich selbst nutzen: „Auch normalerweise hast du dort ein bisschen dieser Linie. Aber diese lila Linie ist nicht die, die du sonst normalerweise hast.” Der Vorschlag ist, dass Frauen diese Linie am Anfang ihrer Schwangerschaft checken sollten, so dass sie während der Geburt den Unterschied erkennen. (www.birthwithoutfearblog.com)
Dort wird die Studie von der freiberuflichen Hebamme Sara Wickham aus England erwähnt, die von BMC Pregnancy & Childbirth 2010 veröffentlicht wurde und Shepherd zitiert. Resümiert wird, dass die Linie bei den meisten Frauen zu sehen ist, wenn der Muttermund etwa drei bis vier Zentimeter eröffnet ist, dass die Linie bei 76 Prozent der Frauen auftritt und bei Frauen, die anschließend spontan gebären, besser zu sehen ist als bei einer eingeleiteten Geburt (80 Prozent gegenüber 59 Prozent). Die Linie sei bei den meisten Frauen zu sehen, wenn sie sieben bis acht Zentimeter eröffnet sind, und scheint bei einigen bei komplett eröffnetem Muttermund wieder zu verblassen.