Impfungen sinnvoll?
Ferner sollten sich Hebammen wie alle anderen MitarbeiterInnen des Gesundheitsdienstes jedes Jahr gegen die saisonale Grippe (Influenza) impfen lassen. Um des Eigen- und Patientenschutzes willen sollte der Impfschutz überprüft werden gegen Windpocken (Varizellen), Kinderlähmung (Poliomyelitis), Diphtherie und Keuchhusten (auch als Vierfachimpfstoff gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten und Windpocken). Schließlich sind Ungeborene und Neugeborene unter bestimmten Bedingungen besonders „wehrlos”. Je schlechter der Immunschutz einer Schwangeren aufgebaut ist, desto geringer fällt der Schutz für das Kind aus. Es ist bekannt, dass der sogenannte Nestschutz besonders bei Frühgeborenen schwächer ausgebildet ist. Und selbst bei reifen Neugeborenen mit den besten Voraussetzungen ist er nicht umfassend. Bei Masern, Mumps, Röteln und Windpocken etwa kann die Mutter Antikörper weitergeben, wenn sie die Erkrankungen selbst durchgemacht hat oder gegen sie geimpft wurde. Bei einigen anderen Infektionen wie etwa Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten (Tdap) dagegen bildet das Immunsystem nur nach Tdap-Impfungen langanhaltende Antikörper aus, die auch als Nestschutz diaplazentar an die Kinder weitergegeben werden können.
Besonders wichtig ist die Keuchhustenimpfung (in Kombination mit Diphtherie- und Keuchhustenimpfstoff): Säuglinge haben ein erhöhtes Komplikationsrisiko und müssen daher häufiger als alle anderen Gruppe im Krankenhaus aufgenommen werden. Hebammen, die sich selbst und ihre Familien, die Schwangeren und die Neugeborenen schützen wollen, sollten sich gegen Keuchhusten (Pertussis, Tdap) impfen lassen, sofern in den letzten zehn Jahren keine Impfung stattgefunden hat (Indikationsimpfung).
Nachdem Deutschland die Schluckimpfung Anfang der 1960er Jahre eingeführt hat, wird die Poliomyelitis heute nicht mehr beobachtet. Da eine Einschleppung weiter möglich ist, wird generell für jeden Erwachsenen eine Auffrischungsimpfung in Kombination mit Tetanus-, Diphtherie- und Poliomyelitisimpfstoff (Tdap-IPV) empfohlen. Eine spezielle berufliche Impfindikation mit Auffrischung nach zehn Jahren besteht außerdem für Hebammen, wenn die Gefährdungsbeurteilung dies ergibt. Das ist zum Beispiel bei der Tätigkeit im Entwicklungsdienst der Fall oder bei der Betreuung von Flüchtlingen aus Endemiegebieten (aktuell zum Beispiel Syrien). Für Auslandstätigkeiten gibt es länderspezifische Regelungen zu Gelbfieberimpfungen zu beachten. Für Keuchhusten und Kinderlähmung übernimmt die gesetzliche Krankenkasse eine einmalige Auffrischungsimpfung im Erwachsenenalter, für Pertussis außerdem bei Kinderwunsch oder bei Familienangehörigen von Schwangeren und Neugeborenen.
Ein erhöhtes Infektionsrisiko für Masern, Mumps und Röteln speziell für Hebammen war im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung bislang nicht bekannt. Denn ihre Klientel der Mütter war bereits zum größten Teil immun und die neugeborenen Kinder bringen im Allgemeinen noch keine Exposition mit. Es ging bisher also primär um den Schutz der Neugeborenen (Drittschutz, altruistische Motivation) und erst sekundär um Arbeitnehmerschutzaspekte (egoistische Motivation). Nun droht infolge lückenhafter Masernimpfungen der Kinder und Jugendlichen in Deutschland ein neuer Trend: Masern sind heute nicht mehr ausschließlich eine Kinderkrankheit. Sie treten immer öfter auch bei jungen Erwachsenen auf. Deshalb sollten auch Hebammen ihren Immunschutz überprüfen lassen: Sicher ist sicher. Eine durchgemachte Erkrankung schützt vor einer neuerlichen Erkrankung. Windpockenerkrankungen sind für die meisten gut erinnerlich und werden nicht mit anderen Erkrankungen verwechselt. 95 bis 97 Prozent der erwachsenen Frauen haben Windpocken durchgemacht und damit einen lebenslangen Immunschutz erworben. Nur wenn die Erinnerung unsicher ist, lohnt sich eine Blutuntersuchung zur Antikörperbestimmung. Vom Ergebnis wird die Indikation zur Windpockenimpfung abhängig gemacht. Dagegen sind jedoch 50 Prozent der mündlichen Angaben zu durchgemachten Masern-, Mumps- oder Rötelnerkrankungen falsch und Titerbestimmungen nicht immer verlässlich. Wer jedoch zweimal eine Kombinationsspritze gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) erhält, kann davon ausgehen, dass ein besserer Schutz gegen Röteln und Masern vorhanden ist. Der Schutz vor Mumps ist wesentlich unsicherer, abhängig von den verabreichten Impfstoffen. Grundlage für die Impfentscheidung sind Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) und länderspezifische Regelungen.
Für Röteln bestehen seit dem 29. März 2013 zusätzliche Meldepflichten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG): An das zuständige Gesundheitsamt sind der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod an Röteln, einschließlich der konnatalen Röteln, namentlich zu melden. Bei den gemeldeten, sehr selten gewordenen Rötelnembryopathien der letzten Jahre wurde am RKI geprüft, ob die Mutter vorher geimpft war: Man geht heute davon aus, dass nach einer zweimaligen Rötelnimpfung der Mutter keine Rötelnembryopathien mehr bei den Kindern auftreten (vgl. www.rki.de).
Verträglichkeit und Impfabstände
Moderne Impfstoffe sind hoch gereinigt und enthalten zumeist nur einzelne Bestandteile der Erreger. Tatsächlich muss sich das Immunsystem tagtäglich mit einer vielfach höheren Menge von körperfremden Stoffen auseinandersetzen als bei Impfungen. Auch gibt es keine Hinweise, dass Mehrfachimpfstoffe das Abwehrsystem überlasten würden. Unter dem Strich jedoch kann die Zahl der erforderlichen Spritzen und der enthaltenen Konservierungsstoffe durch Mehrfachimpfstoffe deutlich reduziert werden. Zwischen einzelnen Lebendimpfungen (MMR, Gelbfieber) müssen mindestens vier Wochen liegen. Für Totimpfstoffe gibt es keine derartigen Empfehlungen. Die Fristen für die Teilimpfungen einer Grundimmunisierung sollten auf keinen Fall unterschritten werden, da ansonsten der langfristige Impferfolg deutlich in Frage gestellt werden muss. Dagegen stellt eine Überschreitung kein Problem dar. Hier gilt die Regel: Im Leben zählt jede Impfung! Weitere Informationen dazu und Antworten auf häufig gestellte Fragen finden sich auf der Internetseite des Robert Koch-Instituts unter www.rki.de.
Immer freiwillig
In Deutschland gibt es keine Impfpflicht, sondern nur Impfempfehlungen. Eine Impfung ist auch im beruflichen Kontext immer freiwillig. Wer betriebliche Impfangebote ablehnt, verliert dadurch nicht seinen gesetzlichen Unfallversicherungsschutz. Und wer sich zum Beispiel mit Hepatitis B infiziert, verliert nur in Ausnahmefällen dauerhaft die Eignung zum Ausüben eines Gesundheitsberufs. Zum Beispiel könnte eine Infektionsgefährdung für PatientInnen entstehen, wenn es bei operativen Tätigkeiten zur Verletzung des Chirurgen kommt und infektiöses Blut übertragen wird. Deshalb wird auch PatientInnen eine Hepatitis B-Impfung vor größeren chirurgischen Eingriffen empfohlen.
Allerdings können schwere Verlaufsformen der Erkrankung Hebammen dazu zwingen, ihren Beruf aufzugeben. Deshalb gibt es für die meisten Impfungen sowohl gute altruistische als auch egoistische Gründe.
Zuständig für das Aussprechen „öffentlicher Empfehlungen für Schutzimpfungen” sind nach § 20 Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) die obersten Gesundheitsbehörden der Länder. Deshalb können die einzelnen Bundesländer unterschiedliche Empfehlungen aussprechen. Die Behörden stützen sich dabei auf die jährlich aktualisierten Impfempfehlungen der beim RKI angesiedelten Ständigen Impfkommission (STIKO). Die wiederum äußert sich sowohl zum Basisimpfschutz für alle Bevölkerungsgruppen als auch zu speziellen Indikationsimpfungen. In die Rubrik „beruflich indiziert” gehen sowohl Aspekte des Arbeitsschutzes als auch des Drittschutzes ein. Das ist für die Ermittlung des Kostenträgers für die jeweilige Impfleistung und im Falle von Impfkomplikationen wichtig. Daneben gibt es international abgestimmte Ziele wie zum Beispiel die Programme zur Eliminierung von Polio und Masern der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie beeinflussen auch die nationalen Empfehlungen.
Wer zahlt?
Welche der öffentlich empfohlenen Impfungen aus der Liste der STIKO bei welcher Indikation die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen müssen, legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als höchstes Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen nach Kosten-Nutzen-Aspekten fest.
Welche Impfungen vom Arbeitgeber zu bezahlen sind, ergibt sich aus der betrieblichen Gefährdungsbeurteilung und einem Blick in den Anhang der Arbeitsmedizinischen Vorsorgeverordnung (ArbMedVV). Der Arbeitgeber muss bei einer beruflichen Infektionsgefährdung, die über die der Allgemeinbevölkerung hinausgeht, eine betriebsärztliche Beratung und gegebenenfalls Impfung vorhalten. Für angestellte Hebammen, die Schwangere untersuchen und Geburten betreuen, begründet die Infektionsgefährdung gegen Hepatitis B auf alle Fälle eine arbeitsmedizinische Pflichtvorsorge. Sie ist als Erstberatung Tätigkeitsvoraussetzung und muss über den Betriebsarzt regelmäßig wiederholt werden, solange keine Immunität besteht.