Für die frühe Schwangerschaftsübelkeit konnte bislang keine ausschließliche Ursache gefunden werden. Foto: © Photographee.eu/Adobe Stock

Welche Rolle spielen psychische Aspekte bei Schwangerschaftsübelkeit und -erbrechen?

Jeder kennt die Äußerung »Das schlägt mir auf den Magen« oder »Das find ich zum Kotzen«. Doch lassen sich diese Redewendungen auf die Schwangerschaftsübelkeit übertragen? Was schlägt ungefähr 80 % der Schwangeren auf den Magen oder wobei wird ihnen übel? Um Aufschluss zu gewinnen, wurden im Rahmen einer Bachelorarbeit eine Literaturrecherche zum Entstehungsmechanismus des Beschwerdebildes durchgeführt und betroffene Frauen dazu interviewt, was sie beschäftigt hat, als die Symptome bei ihnen auftraten.

Die Symptomatik

Schwangerschaftsübelkeit (SÜ) und Schwangerschaftserbrechen (SE) sind häufige Beschwerden. Von 80 % der Frauen, die zu Beginn ihrer Schwangerschaft von SÜ betroffen sind, ist 28 % nur übel und bei 52 % tritt zusätzlich Erbrechen auf (Gadsby 1993). Die Symptomatik beginnt durchschnittlich am 39. Tag post menstruationem (p.m.) und endet am 84. Tag p.m. (Gadsby 1993); das entspricht 5 bis 12 Schwangerschaftswochen. In 10 % der Fälle halten die Beschwerden jedoch bis zur Geburt an (Bustos et al. 2017). Die schwere Form der SÜ und des SE wird als Hyperemesis Gravidarum (HG) bezeichnet. Sie tritt in 0,3–1 % aller Schwangerschaften auf (Leeners et al. 2000; Boelig et al. 2016).

Wissenschaftlicher Forschungsstand

Über die Herkunft der Symptomatik wird seit Jahrzehnten diskutiert und Vermutungen wurden anhand vieler Studien überprüft. Bisher konnte jedoch keine ausschließliche Ursache evaluiert werden. Vielmehr können nur Einflussfaktoren und wahrscheinliche Zusammenhänge auf organischer und psychischer Ebene beschrieben werden. Als mögliche Einflussfaktoren stehen beispielsweise die genetische Komponente oder das Geschlecht des Ungeborenen in Verdacht, einen Einfluss auf die Symptomatik zu haben (Fejzo et al. 2008; Zhou et al. 1999).

Auf organischer Ebene werden vor allem das Hormon hCG (humanes Choriongonadotropin) und das Bakterium Helicobacter pylori (H. pylori) zur Ursachenklärung für das Beschwerdebild herangezogen. Das Hormon hCG wird hier vermutet, da zum einen die Hochphase des hCG-Spiegels auf den gleichen Zeitraum fällt, in dem die Symptomatik ihren Höhepunkt hat (Bustos et al. 2017; Jueckstock et al. 2010; Verberg et al. 2005). Zum anderen sind häufig Frauen von SÜ und SE betroffen, die besonders hohe hCG-Werte aufweisen, wie es etwa bei molaren oder Mehrlingsschwangerschaften der Fall ist (Bustos et al. 2017; Verberg et al. 2005).

Das Bakterium H. pylori konnte vermehrt im Magen bei Frauen mit HG oder mit starker SÜ und starkem SE nachgewiesen werden (Grooten et al. 2017; Shirin et al. 2004).

Trotz dieser Ergebnisse reichen die ermittelten Korrelationen nicht zur Ursachenklärung aus, da es auch Schwangere mit starker SÜ und SE gibt, die keine erhöhten hCG-Werte haben oder bei denen das Bakterium nicht nachgewiesen werden konnte (Jueckstock et al. 2010; Shirin et al. 2004).

Psychische Erkrankungen wurden bei der Ursachenabklärung ebenfalls untersucht. Hier konnte ein Zusammenhang zwischen Angst- sowie depressiven Störungen und dem Auftreten von SÜ/SE ermittelt werden (Annagür et al. 2013). Zudem ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Depression, Angst- und Stimmungsstörungen sowie Persönlichkeitsstörungen bei Schwangeren mit HG signifikant erhöht (Uguz et al. 2012).

Psychosomatische Ansätze zur Ursachenfindung

Zu Beginn der Schwangerschaft scheinen aus psychosomatischer Sicht Ambivalenzgefühle, Konflikte und Unsicherheit für die Entstehung einer HG ausschlagegebend zu sein (Herzog et al. 2017). Dazu gehören Faktoren wie der Zeitpunkt einer Schwangerschaft, die Arbeit/Karriere, die Finanzierung, der partnerschaftliche und familiäre Rahmen sowie die Wohnsituation. Des Weiteren kommt die Frage nach dem Profit für die persönliche Situation durch das Kind hinzu oder ob und inwieweit das Kind vielleicht eine Freiheitseinschränkung bedeutet (Herzog et al. 2017). Ein Zusammenhang zur Symptomatik besteht ebenfalls in Bezug auf das Verhältnis zur eigenen Mutter (Verberg et al. 2005). Häufig werden zudem innere Konflikte angesprochen, die durch den Prozess der neuen Rollenfindung ausgelöst werden (Carolan 2010).

Einige Untersuchungen thematisieren nicht explizit HG, SÜ oder SE, gehen aber auf Störungen des Magen-Darmtraktes sowie auf Erbrechen und Übelkeit und deren psychosomatische Bedeutung ein. Sie ergaben, dass Magenbeschwerden eng im Zusammenhang mit Stress und inneren Konflikten stehen (Bräutigam & Christian 1986; Hömberg 1999; Wirsching 1996). Erbrechen steht dabei in Korrelation mit innerem Protest. Magenschmerzen sind häufig Ausdruck von familiären oder beruflichen Konflikten, die nicht vollständig ins Bewusstsein gelangen und demnach nicht adäquat verarbeitet werden (Bräutigam & Christian 1986).

Studien haben außerdem festgestellt, dass SÜ als Folge anhaltender Ohnmachts- und Ambivalenzgefühle auftritt oder die Folge von Angst und Anspannung ist, die mit der Schwangerschaft in Verbindung stehen (Verberg et al. 2005). Ambivalente Gefühle können, wenn sie dauerhaft bestehen bleiben, zu einem krankhaften Erleben führen und verantwortlich für die Ausbildung zahlreicher Symptome sein. Hier sind besonders die unbewussten, verinnerlichten Konflikte relevant (Herzog et al. 2017).

Auswirkungen einer als unkontrollierbar empfundenen Situation sind Hilflosigkeit, Schwäche, Passivität und Krankheit (Herkner 2001; Fischer & Wiswede 2009). In einem Versuch an Ratten konnte nachgewiesen werden, dass Unkontrollierbarkeit Magengeschwüre verursacht (Weiss 1971). Stress bewirkt die Aktivierung des Sympathikus im Gehirn. Dies hat eine überschießende Cortisolausschüttung zur Folge, die zu einer negativen Beeinflussung der zellulären und humoralen Immunabwehr des Körpers führt. Das kann durch die erhöhte Anfälligkeit des Körpers auf Bakterien und Viren in der Entstehung von Krankheiten münden (Herzog et al. 2017).

Auf psychosomatischer Ebene beeinflussen scheinbar vor allem die Partnerschaft, die Beziehung zur eigenen Mutter, die ökonomische Absicherung, Unsicherheiten und der eigene emotionale Zustand das Beschwerdebild.

Ergebnisse aus den Interviews

Um nun herauszufinden, was Schwangere zum Zeitpunkt des Auftretens der Symptomatik beschäftigt und inwieweit Aspekte, die laut Literatur auf psychosomatischer Ebene Auswirkungen auf das Beschwerdebild haben, eine Rolle spielen, wurden zehn Frauen interviewt. Im Folgenden werden die zentralen Themenfelder vorgestellt:

Gespaltene Gefühle zu Beginn der Schwangerschaft:

Die Angaben zu der Frage, ob das Kind vom Paar anfangs geplant und gewünscht war, unterschieden sich sehr voneinander. Bei einigen Frauen war die Schwangerschaft geplant, bei anderen trat sie sehr unerwartet ein und war teilweise auch nicht gewünscht. So unterschieden sich auch die Reaktionen und Gedanken, die zum Teil für längere Zeit bestehen blieben.

Eine Frau sagte: »… ja, ich wusste nicht so richtig: Freue ich mich, oder find ich‘s schrecklich und das habe ich teilweise auch geäußert (lacht) also, dass ich am Anfang sehr hin- und hergerissen war, ob ich mich freuen sollte oder nicht.« (Interview 8, Aussage 14 – die Zitate wurden leicht redaktionell überarbeitet).

Für die meisten Frauen trat die Schwangerschaft trotz des Wunsches und vermehrter Versuche so überraschend ein, dass sie zunächst surreal war und sich die Frauen in einem Schockzustand befanden. Eine Befragte sagte dazu: »Dann haben wir’s aber erfahren und dann erstmal so: Okay, jetzt ist es wirklich so weit. Und dann haben wir uns auch gefreut, aber trotzdem, das war noch so unreal. Ich weiß nicht, man kann sich das immer kaum vorstellen, dass da in einem Menschen, in einem selbst, jetzt so ein kleiner Mensch heranwächst. Erst beim Ultraschall, wenn man das dann auf dem Bild sieht, dann realisiert man das ein bisschen…« (Interview 2, Aussage 13).

Ängste um das Ungeborene:

Manche Frauen gaben eine starke Präsenz der Angst vor einer Fehlgeburt in dieser Zeit an. Eine berichtete sogar von Folgendem: »…und ich hatte halt einfach auch diese Riesenangst, also vor allem am Anfang, dass irgendwas schiefgeht oder sowas […] Meine Frauenärztin hat zwei Sachen gesagt, die mir wirklich hängen geblieben sind. Sie hat zu mir gesagt: Umso schlechter es Ihnen geht, desto besser geht es Ihrem Kind. Ab dem Zeitpunkt war‘s immer so, dass ich froh war, wenn ich die Übelkeit gemerkt hab, weil ich dann gemerkt hab, die Schwangerschaft hält an« (Interview 1, Aussagen 22 und 55).

Bekanntgabe der Schwangerschaft:

Einige Frauen beschäftigte auch die Frage, wie und wann sie die Schwangerschaft im familiären Kreis oder bei der Arbeit mitteilen sollten. Das Alter der Frauen spielte mit hinein, wenn sie das Gefühl hatten, sie wären zu jung für die Erwartungen, die an sie gestellt wurden, oder sie hätten vorher noch die Schule oder ihre Ausbildung beenden müssen. Für andere Frauen bedeutete es Konflikte in dem Gefühl, die KollegInnen im Stich zu lassen, oder sie hatten Angst vor der Reaktion des Arbeitgebers und negativen beruflichen wie auch finanziellen Auswirkungen. So erzählte eine Frau: »… und ich hab mir eigentlich nicht so viele Sorgen gemacht. Vielleicht, naja, schon doch, dieses mit der Arbeit, wie ich das meinen Kolleginnen erzähle, weil ich eben überhaupt nicht einschätzen konnte, wie die reagieren, und halt eher davon ausgegangen bin, dass sie negativ darauf reagieren, weil wir einen ziemlich großen Personalmangel haben.« (Interview 7, Aussage 9).

Rund um die berufliche Situation:

Des Weiteren beschrieben die Frauen Probleme, ein Beschäftigungsverbot von ihrem Gynäkologen oder ihrer Gynäkologin ausgestellt zu bekommen, was Diskussionen, einen Frauenarztwechsel und Stress mit sich brachte.

Eine Frau äußerte Sorgen in Bezug auf ihre berufliche Situation: »… und dazu kam, dass ich halt wirklich einen extrem stressigen Job hatte. Ich weiß, dass meine Firma, mhm, eine nicht besonders soziale Einstellung gegenüber Frauen hat, die schwanger werden und vor allem so früh, nicht? Mit Vertragsverlängerung und sowas. Ich wusste es halt einfach, dass die echt asozial sind, was das angeht« (Interview 1, Aussage 24).

Zudem wurde gefragt, ob die Schwangerschaft die berufliche Selbstverwirklichung beeinflusst hat. Während die Schwangerschaft für manche Frauen beruflich gut passte, da sie gerade Weiterbildungsmaßnahmen abgeschlossen hatten oder sich ohnehin verändern wollten, bedeutete sie für eine Frau, die Ausbildung abzubrechen: »…, jetzt bin ich in Elternzeit und die Ausbildung werd ich danach in dem Betrieb nicht fortsetzen. Aber dann woanders als Teilzeitausbildung« (Interview 2, Aussage 1).

Andere Frauen beschrieben, dass sie sich beruflich gerne noch weiter verwirklicht hätten: »Doch ja, da würde ich schon sagen, dass es mich eingeschränkt hat, ja« (Interview 8, Aussage 19).

Partnerschaft:

In den Interviews stellte sich heraus, dass eine von Konflikten und Streit geprägte Partnerschaft einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden der Frauen hatte. Vier von den zehn interviewten Frauen gaben an, viel mit dem Partner zu streiten. Dies belastete sie sehr und ließ sie zum Teil die gesamte Beziehung sowie eine gemeinsame Zukunft mit dem Kind in Frage stellen. Eine Schwangere stellte hier auch explizit einen Zusammenhang zur SÜ her: »Also glaub ich schon auch, dieses Ganze davor war auch ein gewisses Psychoding, weil: Umso besser wir beide miteinander funktioniert haben, umso besser ging auch mein Alltag. Ja, also mit der Besserung der Beziehung wurde es auch mit der Übelkeit besser.« (Interview 9, Aussage 43).

Zwei von ihnen trennten sich während der Schwangerschaft schließlich von ihrem Partner. Andere Frauen hingegen beschrieben ihre Partnerschaft als sehr stabil und berichteten von einer liebevollen Unterstützung durch ihren Partner. Bei einigen Frauen wurde aber auch deutlich, dass sie sich eindeutig mehr Unterstützung von ihrem Partner gewünscht hätten und sie die Meinung vertraten, dass sich die Männer nur unzureichend in ihre Situation hineinversetzen könnten. So meinte eine Frau: »Männer sind da ja so: Entweder sie fühlen mit dir mit, oder sie fühlen mit dir nicht mit. Und es war in beiden Schwangerschaften so, dass ich das Gefühl hatte, dass mein Zustand nicht ernst genommen wurde« (Interview 9, Aussage 25).

Beziehung zur Mutter:

Das Verhältnis zur Mutter wurde von den Frauen sehr unterschiedlich beschrieben, von sehr eng und gut bis hin zu sehr schlecht und schwierig. Während ein paar Frauen Konflikte mit ihren Müttern durch sehr auseinanderweichende Ansichten oder ein zu starkes Klammern von Seiten der Mutter als schwierig beschrieben, sahen andere die eigene Mutter als beste Freundin und/oder als Vorbild: »… das, was sie gemacht hat, sie hat drei tolle Kinder großgezogen. Also, da zieh ich den Hut. Ich muss auch sagen, alleinerziehend mit drei Kindern und dann arbeiten gehen in Vollzeit […] Das lernt man auch nochmal mehr zu schätzen, wenn man dann selbst mal schwanger wird, ein Kind hat und so weiter […] Ja, ich hoffe, sie hat genug an ihre Kinder abgegeben (lacht)« (Interview 1, Aussage 38).

Ökonomische Situation:

Manche Frauen berichteten, dass ihre Wohnsituation eher ungewiss war und sie umzogen oder zumindest der Wunsch nach einer größeren Wohnung durch den Eintritt der Schwangerschaft bestand: »Wir haben jetzt eine Dreizimmerwohnung, die zwar sehr groß ist, aber ja, ich hab halt schon gerne ein Schlafzimmer. Deswegen also irgendwann, auf Dauer wird es nicht sein, aber jetzt ist es soweit okay« (Interview 10, Aussage 20).

Für andere Frauen war die Wohnsituation jedoch sehr klar und stellte keinen belastenden Faktor dar. Auch in der finanziellen Situation gab es große Unterschiede, so dass der Eintritt der Schwangerschaft bei manchen Frauen keine finanziellen Sorgen auslöste, bei anderen jedoch bedeutete, dass sie auf die Hilfe des Staates oder der Familie angewiesen waren: »Ja und ich bin von meiner Mutter her abgesichert. Die wär auch immer für mich da, oder auch mein Freund, nicht? Geht ja auch voll arbeiten für uns. Der bezahlt hier auch die Miete, alles. Momentan hab ich ja jetzt das Kindergeld und alle anderen Anträge laufen noch« (Interview 2, Aussage 16).

Abbildung: Wie Schwangerschaftsbeschwerden auf
psychosomatischer Ebene entstehen und bearbeitet werden können.

Denkanstöße

Warum Schwangeren so oft übel wird, kann nach wissenschaftlichem Forschungsstand derzeit noch nicht vollständig beantwortet werden. Viele AutorInnen sind der Meinung, dass es sich um ein multifaktorielles Geschehen handeln müsse (Shirin et al. 2004; Verberg et al. 2005; London et al. 2017). Dennoch bleiben einige Fragen nach aktueller Studienlage offen: Warum tritt die SÜ auf und aus welchem Grund treten die Symptome nicht bei allen Schwangeren auf? Warum kommen die Beschwerden bei Mehrlingsschwangerschaften häufiger vor? Warum ist bei vielen betroffenen Frauen der hCG-Spiegel erhöht? Warum ist das Bakterium H. pylori in den Mägen von Frauen, die sich in der Schwangerschaft häufig übergeben, so häufig nachweisbar? Und warum hört bei vielen Frauen die Symptomatik mit dem Erreichen der 12. Woche (schlagartig) auf?

Durch das gewonnene Wissen können hier folgende Überlegungen angebracht werden:

  1. In den Interviews lassen sich viele Aspekte aus der Literatur wiederfinden. Verschiedenste Themen bewirken Ängste, Sorgen, inneren Stress, Konflikte oder einen Kontrollverlust bei den Frauen. Verknüpft man diese Phänomene nun mit den vorgestellten Studienergebnissen, lassen sich Überlegungen zum möglichen Entstehungsmechanismus des Beschwerdebildes auf psychosomatischer Ebene anführen. Diese werden in der Abbildung links aufgezeigt. Hier wird deutlich, dass die belastenden Themen zu Ängsten, einem Kontrollverlust und Stress führen können. Dieses wiederum kann Magenschmerzen begünstigen und sich schließlich in Form von SÜ und SE manifestieren.
  2. Der Eintritt einer Schwangerschaft bedeutet für jede Frau eine Veränderung, aber vielleicht treten SÜ und SE nur dann auf, wenn Konflikte unterbewusst ablaufen und keine oder nur eine inadäquate Auseinandersetzung damit stattfindet. So benötigt der Körper das Symptom, um auf das Ungleichgewicht aufmerksam zu machen.
  3. Könnte eine Mehrlingsschwangerschaft das gewohnte Gleichgewicht der Frau deutlich häufiger und in einem größeren Ausmaß stören?
  4. Da durch die Literatur bewiesen ist, dass Stress die Immunabwehr herabsetzt, könnte man folgern, dass sich genau aus diesem Grund das Bakterium H. pylori mehr ausbreiten kann und SÜ und SE begünstigt.
  5. hCG ist für die Erhaltung der Schwangerschaft notwendig (Pschyrembel 1998). Ist eine Frau viel Stress ausgesetzt, benötigt der Körper möglicherweise besonders viel Kraft, um die Schwangerschaft zu erhalten. Als gegenregulatorische Maßnahme müsste nun das hCG steigen.
  6. Das (schlagartige) Aufhören der Symptomatik mit der Vollendung der 12. Schwangerschaftswoche hat vielleicht seinen Ursprung in der Tatsache, dass es in den ersten zwölf Wochen vermehrt zu Fehlgeburten kommen kann. Um diesen Zusammenhang wissen fast alle Schwangeren, was sie beängstigen und einen Kontrollverlust zur Folge haben kann. Zudem geben viele ihre Schwangerschaft erst dann bekannt, können über die veränderte Situation mit anderen sprechen und sie besser verarbeiten. Des Weiteren setzt im zweiten Trimenon in psychischer Hinsicht die Phase des Wohlbefindens ein, da die neue Information der Schwangerschaft kognitiv und emotional verarbeitet wurde (Gloger-Tippelt 1988).

Übertragung auf die Hebammenarbeit

Um belastende Themen zu bearbeiten und Stress zu minimieren, könnten individuelle Gespräche mit den Frauen zu Beginn ihrer Schwangerschaft hilfreich sein, in denen schwierige Themen ermittelt und ins Bewusstsein gebracht werden, so dass sie im nächsten Schritt verarbeitet werden können. Hebammen könnten gemeinsam mit den Frauen nach Lösungsmöglichkeiten suchen und die Schwangeren in ihren Kompetenzen und ihrem Selbstwertgefühl stärken sowie bei ihrer Rollenfindung unterstützen.

Allerdings werden Hebammen häufig erst im späteren Verlauf der Schwangerschaft kontaktiert und viele Frauen kennen die Möglichkeit der Schwangerenvorsorge durch Hebammen nicht (Loytved 2017). Hinzu kommt der aktuelle Hebammenmangel (DHV 2018). Ein weiteres Defizit liegt in der derzeitigen Aus- und Fortbildung der Hebammen: Psychosomatik und Gesprächsführung sind im Ausbildungscurriculum und in Fort- und Weiterbildungen kaum bis gar nicht vertreten (BMJV 1986; Hebrech 2018; DGPFG e.V. o. J.).

Um das Beschwerdebild von SÜ und SE in psychosomatischer Hinsicht und im Arbeitsfeld der Hebamme besser zu begreifen und sowohl prophylaktisch als auch therapeutisch tätig zu werden, müsste einerseits die Hebammenbetreuung schon zu Beginn der Schwangerschaft zunehmen und andererseits die Psychosomatik und Kommunikationsfähigkeiten in der Aus-, Fort- und Weiterbildung deutlich mehr thematisiert werden.

Dies wäre wichtig, wenn die Frage aufkommt, bei welchen Symptomen in der Schwangerschaft, unter der Geburt, im Wochenbett oder allgemein im täglichen Leben ebenfalls psychosomatische Ursachen möglich sind. Was will uns der Körper durch die Symptome mitteilen? Was ist nicht im Gleichgewicht und benötigt somit den Körper als Präsentationsfläche?

Zitiervorlage
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