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Vier Schwangerschaften, zwei Partnerschaften, viermal Hyperemesis in unterschiedlichen Schweregraden: der Bericht einer Hebamme, die das richtige „Kraut“ gegen ihre massive Übelkeit nicht zu finden schien. Woher die Kraft immer wieder nehmen? In der vierten Schwangerschaft mit einem Krankenhausaufenthalt und einem wirkungsvollen Medikament gab es endlich Linderung. Und plötzlich gibt es auch ein Leben nach der Übelkeit.

Etwa ein halbes Jahr meines Lebens habe ich mit ständiger Übelkeit und täglichem Erbrechen verbracht, ohne dabei krank zu sein: Ich war schwanger.

Nach meinem ersten Kind habe ich nie wieder einen Schwangerschaftstest benötigt. Wenn nach dem Ausbleiben der Periode die Übelkeit einsetzte und ich bald darauf anfing zu erbrechen, wusste ich mit Sicherheit: Ich erwarte ein Kind. Und: Die nächsten Wochen würde ich am liebsten überspringen oder in einem anderen Körper verbringen.

Rückblickend betrachtet war die erste (Früh-)Schwangerschaft noch harmlos. Ich musste im Durchschnitt nur einmal am Tag spucken und es gab sogar Tage, an denen mir überhaupt nicht schlecht war. Ich arbeitete im Kreißsaal, und wenn ich gut zu tun hatte, war die Übelkeit nicht mehr spürbar. Wenn ich aber zu viel Stress hatte, musste ich mich häufiger übergeben.

Kolleginnen gaben mir Tipps gegen die Übelkeit. Nichts half, weder Homöopathie noch Ingwertee – gegen den ich seither eine Abneigung hege. Meine Gynäkologin empfahl Vomex®, was ich nicht nehmen wollte, weil es mir nicht „natürlich” genug war. Sie meinte, dass Schwangerschaften mit Hyperemesis seltener abgingen. Das war mir ein gewisser Trost und ich habe wirklich nie ein Kind in der Schwangerschaft verloren.

Ein roter Eimer wurde mein Begleiter. Das Spucken ging relativ leicht. Die Übelkeit baute sich auf, um sich dann zu entladen. Ein Vorgang, bei dem man duldsam den Körper machen lassen muss – wie bei der Geburt. Ich nahm wenig ab und nach sieben Wochen war die Übelkeit plötzlich vorbei, als ich eine Reise antrat.

Als ich zum zweiten Mal schwanger wurde, erwies es sich als Glücksfall, dass mein erstes Kind schon den Kindergarten besuchte. Diesmal erwischte es mich heftiger. Ich hatte meinen ersten Geburtsvorbereitungskurs gehalten und begann die Nachsorgen. Beim Wochenbettbesuch dachte ich nur an den kürzesten Weg zum Klo und versuchte krampfhaft, den Mageninhalt unten zu halten. Ich gab alle Arbeit ab.

Beim Autofahren schaffte ich es gerade noch rechtzeitig, einen Platz zum Halten zu finden und zum Spucken das Auto zu verlassen. Ich hörte auf zu fahren.

Das schiere Elend. Ich spuckte bei leerem Magen, ich spuckte bei vollem Magen. Ein Gericht blieb an einem Tag drin, am nächsten Tag kam es wieder raus. Nach dem Spucken aß ich bald wieder, damit wenigstens etwas davon bis zum nächsten Mal durch den Magen durch wäre. Ich verbrachte die Tage im Bett, weil mir die Kraft zu allem fehlte. In der Wohnung waren strategisch Eimer verteilt und etwa viermal täglich brauchte ich einen von ihnen. Die Tage schritten viel zu langsam und zäh voran. Der einzige Trost war das Wissen: Mir ist übel, also ist das Kind noch da.

Meine Hebamme kam jeden zweiten Tag zur Akupunktur. Die Wirkung war geringfügig. Nach mehreren Sitzungen waren die Stichstellen an den Handgelenken dermaßen gereizt, dass der nächste Einstich mich wie ein Stromschlag durchfuhr. Ich brach die Behandlung ab. Ich schaffte so gut wie nichts mehr. Die Krankenkasse zahlte eine Familienhelferin, die jeden Nachmittag für ein paar Stunden kam und mich entlastete. Die Stimmung war schlecht. Im Gegensatz zu mir wollte der Vater kein zweites Kind.

Diesmal hielt der Zustand länger an, etwa acht Wochen. Dadurch, dass ich viel und immer wieder aß, nahm ich nur vier Kilogramm ab.

Wellen der Übelkeit

Jahre später wurde ich mit meinem neuen Partner wieder schwanger. Meine Hoffnung, verschont zu bleiben, zerschlug sich bald. Ich wusste kein Mittel mehr, das ich probieren könnte. Vomex® lehnte ich immer noch ab. Ich suchte mir keine Hebammenhilfe, da ich bisher dadurch keine Erleichterung erfahren hatte. Mir blieb nur, selbst Wege zu finden, diese Zeit zu überstehen.

Ich wachte nachts oft auf und schlurfte zur Toilette, als drücke mich ein schweres Gewicht zu Boden, den Kopf gesenkt, aus Angst sonst ohnmächtig zu werden. Ich merkte, dass es besser ging, wenn ich nachts aß. Also stellte ich abends ein Schälchen Müsli ans Bett, aß bei jedem Aufwachen davon und trank etwas gesüßten Tee. Die Energie, mir jedes Mal auch die Zähne zu putzen, hatte ich nicht, was sich später beim Zahnarzt bitter rächen sollte!

Durch das nächtliche Essen war ich morgens etwa eine Stunde lang kraftvoll genug, um zu tun, was zu tun war: Mit den Kindern aufstehen und zum Kindergarten fahren. Auf der Fahrt fing ich schon wieder zu schwächeln an und war deswegen mit Essen gerüstet, um meinen Magen beschäftigt zu halten.

Das war es dann schon mit meinem Tagewerk. Zu Hause legte ich mich schlafen, wachte gegen 11 Uhr mit zunehmender Übelkeit auf und erbrach zum ersten Mal. Mittags wurden mir die Kinder gebracht, ich musste nicht mehr aus dem Haus.

Die Krankenkasse war schon nicht mehr ganz so großzügig und nur jeden zweiten Tag kam eine junge Frau, die kochte und im Haushalt half. Die Kinder spielten glücklicherweise stundenlang miteinander und brauchten mich nur verhältnismäßig wenig. Mein Partner versorgte mich mit den Fantasybüchern von Terry Pratchett. Diese halfen mir über den Tag. Jetzt noch spüre ich im Bauch ein vages Gefühl von Übelkeit, wenn ich an Pratchetts kleine blaue Männer denke.

Nachmittags kam mein Lebensgefährte und holte mich aus meiner Buchwelt. Sofort rückte die latente Übelkeit wieder in den Vordergrund und ich musste bald darauf zum zweiten Mal spucken. Meistens reichte das für den Tag. Mit diesem Rhythmus und getragen von der noch recht jungen Liebe, überstand ich die Wochen besser als in der vorherigen Schwangerschaft. Trotzdem war es wie ein Fest, als ich mich langsam wieder normal fühlte, was etwa ab der 14. Schwangerschaftswoche der Fall war.

Der Wunsch nach einem weiteren Kind war da. Ich wusste, welchen Preis ich dafür würde zahlen müssen und machte zur Voraussetzung, dass mein jüngster Sohn in den Kindergarten gehen musste, bevor ich schwanger würde.

Inzwischen hatte ich gehört, dass das Trinken von viel gesalzenem Wasser gegen die Übelkeit helfen könne. Ich fing schon vor der Schwangerschaft an, Wasser mit Salz zu trinken, um mich daran zu gewöhnen.

Als es so weit war, hielt ich es nicht lange durch. Die Übelkeit wurde von Tag zu Tag stärker und das Trinken wurde zur Qual. Jeder Schluck steigerte das Gefühl, gleich brechen zu müssen. Alles in mir sträubte sich dagegen zu trinken. Es war nicht machbar.

Anfangs fühlte ich mich morgens beim Aufwachen noch normal. Erst nach ein bis zwei Minuten machte sich die Übelkeit bemerkbar. Diese Zeitspanne wurde von Tag zu Tag kürzer, bis es sie nicht mehr gab. Aufwachen und von den Körpergefühlen erdrückt werden wurde eins.

Man stelle sich eine große schwarze Faust vor, die in Höhe des Solarplexus den Bauch greift und zu einem dichten Klumpen zusammendrückt. Dazu strahlt vom Bauch ausgehend eine immense Müdigkeit und Kraftlosigkeit in alle Glieder ab. Jede Handlung erfordert ein Vielfaches der Willenskraft, die man sonst dafür braucht. Die täglichen Anforderungen werden zum Kampf, den man gegen den eigenen Körper führt. Die Tätigkeiten reduzieren sich auf das Nötigste. Soziale Kontakte werden vernachlässigt, da anstrengend.

Ich las den Bericht einer Mutter in einem Internetforum. Erst berichtete sie über ihren immer schlechter werdenden Zustand, dann nichts mehr. Schweigen. Genauso ist es, dachte ich. Irgendwann geht nichts mehr, man schafft es nicht mal mehr zum Computer und es ist einem dann auch egal. Eine Nicht-Zeit. Vom vorherigen Leben bleibt nur das Elementarste bestehen: Irgendwie durchkommen und dass die Kinder nicht zu viel leiden.

Trinken als Therapie ging für mich also nicht. Nachts ständig essen kam wegen der Zähne nicht in Frage. Die Übelkeit wegatmen oder wegdenken war mir nur für kurze Momente möglich.

Ich entschied mich dafür, diesmal doch Vomex® zu nehmen, beispielsweise um einzelne Wochenbettbesuche machen zu können. Einen Besuch konnte ich so machen. Danach war ich für alles Weitere zu müde. Die Übelkeit wurde gedämpft auf Kosten der Wachheit.

Haushalt und Kinderversorgung konnte ich kaum abgeben, was mich sehr anstrengte. Mittlerweile war die Krankenkasse noch restriktiver mit der Genehmigung einer Haushaltshilfe. Mit zwei Wochen Hilfe könne ich rechnen. Die wollte ich mir für die zweite Hälfte der Zeit aufheben.

Nach drei Wochen kam ein Tag, an dem ich mich schon vormittags mehrfach übergeben musste. Ich nahm eine Vomex®-Tablette. Als meine Kinder heim kamen, war ich vor Müdigkeit unfähig, mich um sie zu kümmern. Zum Glück schlief der Kleine in meinen Armen einfach auch ein. So geht es nicht weiter, stellte ich fest.

Hilfe in der Klinik

Meine Ärztin schickte mich in die Klinik. In dem anthroposophischen Haus bekam ich ein Bett und meine Ruhe. Ich genoss es, für nichts mehr zuständig zu sein. Einfach nur daliegen, lesen, essen, spucken. Auch das ungeliebte Trinken konnte ich jetzt auf ein Minimum reduzieren: Ich bekam Infusionen. Deren Zusätze halfen zwar nicht gegen die Übelkeit, aber der Stress wich von mir, die Verantwortung. Die Schwiegermutter kam und übernahm meine Aufgaben zu Hause.

Ich erhielt Beinabreibungen. Ich lernte, wie praktisch es ist, den Spuckeimer mit einer dichten Mülltüte auszustatten. Bald wurden die Infusionen wieder abgesetzt. Die Oberärztin hatte das Vertrauen, dass ich mit Trinken und Essen genug Flüssigkeit zu mir nehme. Damit stärkte sie mich und machte mir Mut. Ein anderes Medikament wurde mir vorgeschlagen: Agyrax® (Meclozin). Davon hatte ich noch nie gehört. Das sei sanfter als Vomex®, eigentlich das Medikament der Wahl, aber in Deutschland leider nicht für Hyperemesis zugelassen. Im Ausland dagegen war es zulässig und daher über die internationale Apotheke zu bekommen. Ich probierte es aus. Die Wirkung war nicht durchschlagend, aber spürbar. Und es machte nicht müde. Mit neuer Zuversicht und Agyrax® verließ ich nach wenigen Tagen auf Wunsch der Kinder das Krankenhaus. Meine Schwiegermutter würde noch einige Tage da sein, um mich zu entlasten.

Die nächste Überraschung war ein Fest, das ich besuchte. Bei lauter Musik genoss ich die andere Umgebung und Atmosphäre. Am Buffet aß ich mich mit Genuss durch die vielfältigen, ungewohnten Speisen. Dazu trank ich literweise unverdünnte, süße Obstsäfte. Es ging mir besser und besser. Ich fühlte mich sogar kraftvoll genug, um ein wenig zu tanzen, was vorher undenkbar gewesen wäre. Der Magen war voll und die Übelkeit verschwunden. Dieses gute Gefühl hielt bis zum nächsten Tag an. Ich staunte.

Danach wollte ich nicht mehr leiden. In den mir noch verbleibenden Wochen hielt ich die Übelkeit nachts mit Vomex®, tagsüber mit Agyrax® und ständigem Essen in Schach. Ich musste kein einziges Mal mehr spucken, konnte meinen häuslichen Aufgaben nachgehen und nahm in sechs Wochen zehn Kilogramm zu. In der 14. Schwangerschaftswoche, nach knapp zwei Monaten war die Übelkeit so weit abgeklungen, dass ich keine Medikamente mehr benötigte, und hörte bald darauf gänzlich auf.

Meine Frühschwangerschaften waren für die ganze Familie eine große Belastung und ich möchte keinen einzigen Tag davon noch einmal erleben. Es machte keinen Unterschied, ob das Kind ein Junge oder Mädchen war, ob es gewünscht war oder überraschend kam. Am einfachsten war es beim ersten Kind, als ich noch nicht Mutter war. In meiner Familie war niemand so betroffen wie ich. Meine Gynäkologin meinte, als Ursache werde eine innere Abwehr gegen die Schwangerschaft vermutet. Ich bin gerne Mutter, sonst hätte ich nicht vier Kinder bekommen. Als Kind wäre ich allerdings lieber ein Junge gewesen. Ob es hier einen Bezug gibt?

Das Wichtigste

Was ich am meisten brauchte in diesen elenden Wochen, war Entlastung von den häuslichen Aufgaben und der Verantwortung für die Kinder. Erleichterung brachten die beiden genannten Medikamente. Aber auch die Ablenkung durch Bücher, abwechslungsreiches Essen, Ruhe und Zuspruch haben mir geholfen. Wenn ich meine Kinder aufwachsen sehe, bin ich froh, dass ich es durchgestanden habe.

Zitiervorlage
Siegel A: Irgendwie durchkommen. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (8): 38–40
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