Die Gelbverfärbung bei einem Neugeborenen-Ikterus lässt sich auch bei dunkelhäutigen Kindern beim Druck auf die Haut an den Sohlen, Handflächen und Nasenspitze sowie im unteren inneren Augenlid beobachten. Videostill: Global Health Media Project – Jaundice-Video

Bedarf es unterschiedlicher Methoden, um eine Neugeborenengelbsucht sicher zu erkennen, je nachdem, ob es sich um ein Schwarzes oder ein weißes Neugeborenes handelt? Birgit Heimbach hat einige Expert:innen gefragt.

Birgit Heimbach: Anthea Kyere beschreibt in ihrem Beitrag, dass Neugeborenengelbsucht bei nicht-weißen Babys tendenziell unterschätzt oder verspätet erkannt wird. Sie betont, dass hier die medizinische Lehre und institutionalisierte Standardverfahren, die allgemein stark auf weiße europäisierte Körper ausgerichtet sind, dazu beitragen könnten, dass mögliche bestehende Unterschiede zu wenig reflektiert werden und zu wenig Wissen dazu besteht.

Doch laut der Ärztin für Familienmedizin und Geburtshilfe Dr. Brandi Boden aus Washington ist eine unterschiedliche Behandlung gar nicht nötig. Bei allen Kindern genüge zunächst eine optische Einschätzung mittels TcB-Messgerät für die transkutane Bilirubinmessung. Die mitunter möglicherweise aus Unsicherheit häufiger durchgeführte Blutentnahme bei Schwarzen Neugeborenen bezeichnen Sie daher als unnötige Körperverletzung. Sehen Sie dies auch als eine Form des institutionellen Rassismus?

» Anne Christine Manawa Nougho, Hebamme und Gesundheitswissenschaftlerin: Fast alle Diagnose- und Behandlungsverfahren wurden und werden am Maßstab weißer (und männlicher) Körper entwickelt. Die transkutane Bilirubin Messgeräte wurden nach einem Standard auf Basis der Bilirubin­werte von weißen Babys hergestellt. Aller­dings haben diese Geräte ihre Wirksamkeit in Afrika gezeigt und werden daher für ein Screening nach der Anamnese und körperlichen Untersuchung empfohlen. Institutioneller Rassismus hat viele Facetten und ist in Deutschland kaum erforscht.

Wie handhaben Sie die Bilirubinmessung in Ihrer Klinik? Ist es überholt, Bilirubinwerte von weißhäutigen auf Schwarze Neugeborene zu übertragen? Wie ermitteln Sie einen möglichen Neugeborenenikterus bei letzteren?

» Prof. Dr. Martina Prelog, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Uniklinik Würzburg: Hier ist noch mehr methodische Forschungsarbeit notwendig, da die Publikationslage zur transkutanen Bilirubinmessung bei Schwarzen Neugeborenen erstens sehr dünn und zweitens sehr kontrovers ist und oftmals auf nicht sachlicher Ebene geführt wird. Pragmatischerweise wird in den meisten Kliniken zuerst eine transkutane Bilirubin­messung durchgeführt. Ergeben sich Grenzwerte oder unterschiedliche beziehungsweise unplausible Wiederholungsmessungen, wird eine Serumkontrolle des Bilirubinwertes durchgeführt. Es wird dabei den Leit- ­linien­empfehlungen gefolgt. Die Emp­fehlung, dass Nomogramme nicht für die Prognose der Entwicklung der Hyperbilirubinämie verwendet werden dürfen, ist für alle Kinder gleich.

Wie beurteilen Sie als Experte und federführender Verfasser der AWMF-Leitlinie Hyperbilirubinämie die Diagnosemöglichkeiten bei Schwarzen Neugeborenen?

» Prof. Christoph Bührer, Direktor der Klinik für Neonatologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin: Zur Hyperbilirubinämie bei dunkelhäutigen Kindern gibt es umfangreiche Untersuchungen aus mehreren Ländern, unter anderem den USA oder Südafrika, deren Ergebnisse ich kurz zusammenfasse:

  1. Die neuronale Toxizität von Bilirubin ist von der Hautfarbe unabhängig.
  2. Afrikanischstämmige Neugeborene haben zwar möglicherweise etwas niedrigere Bilirubin-Durchschnittswerte, aber ein höheres Risiko für extrem hohe Bilirubinwerte, vor allem aufgrund der höheren Prävalenz des Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangels. Das Risiko für einen Kernikterus liegt deshalb höher.
  3. Es ist ein leider weit verbreiteter Irrtum, dass sich das Ausmaß einer Hyperbilirubinämie mit dem Auge ausreichend abschätzen ließe. Der visuelle Eindruck und die gemessenen Werte korrelieren sehr schlecht. Dies gilt unabhängig von der Hautfarbe des Kindes. Ein erheblicher Teil der vermeidbaren Kernikterus-Fälle ist darauf zurückzuführen, dass eine Hyperbilirubinämie visuell unterschätzt wurde und die Kinder nicht rechtzeitig in der Klinik vorgestellt wurden – mit lebenslangen, schrecklichen Folgen.
  4. Die Geräte für die nicht-invasive transkutane Bilirubinmessung berücksichtigen bei der Auswertung der Messsignale das Melanin in der Haut und funktionieren auch bei Schwarzen Kindern. Dies gilt auch für die neuen Handy-Apps, deren Entwicklung dezidiert immer auch eine Evaluation bei dunkelhäutigen Neugeborenen mit einschließt.
Hyperbilirubinämie bei Schwarzen Neugeborenen
Physiologie und Pathologie unterscheiden
Es kann schwierig sein, eine Hyperbilirubinämie durch die Beobachtung der Änderung der Hautfarbe in einen gelben Ton einzuschätzen, vor allem bei Schwarzen Neugeborenen. Diese Beobachtung zusammen mit der Anamnese ist jedoch wichtig, um schnell eine Diagnose durch weitere Messverfahren zu ermitteln. Für ein Screening werden unterschiedliche Messverfahren festgelegt, je nach Krankenhaus.
Manche Kliniken führen bei allen Neugeborenen eine blutige Messung des Gesamt-Serum-Bilirubins (GSB) mit kapillarer Blutabnahme durch. In anderen Kliniken wird die transkutane Bilirubinbestimmung (TcB) bei weißen Neugeborenen und die Messung des GSB systematisch bei Schwarzen Neugeborenen durchgeführt.
Dies entspricht der Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), der Deutschen Gesellschaft für Perinatalmedizin (DGPM) und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG): »Das Screening aller Neugeborenen auf eine potenziell gefährliche Hyperbilirubinämie erfolgt sequenziell durch körperliche Untersuchung (sichtbarer Ikterus bzw. Sklerenikterus?), transkutane Bilirubin‧bestimmung (TcB) und ggf. blutige Messung des Gesamt-Serum-Bilirubins (GSB)« (S2k-Leitlinie 024/007: Hyperbilirubinämie des Neugeborenen – Diagnostik und Therapie aktueller Stand. 08/2015).
Allerdings: Die Ärztin für Familienmedizin und Geburtshilfe Dr. Brandi Boden aus Washington und Kolleg:innen haben herausgefunden, dass TcB-Messgeräte bei Säuglingen aller Hauttöne über alle Bereich von Bilirubinwerten eine akzeptable Genauigkeit aufweisen, obwohl hellere Hauttöne eher unterschätzt und dunklere überschätzt werden. Sie empfehlen zuerst eine GSB-Messung je nach Hautfarbenton (Boden et al, 2022).
Ein sichtbarer Ikterus lässt sich im Tageslicht beim Druck auf Haut, Sohlen, Handflächen, Nasenspitze oder im unteren inneren Augenlid gut beobachten. Durch eine genaue Anamnese mit Überprüfung der Anzeichen von Ikterus und transkutaner Bilirubinbestimmung generell bei allen Neugeborenen kann eine unnötige Körperverletzung durch GSB-Messung vermieden werden.

Hinweis:
Der Film »Jaundice« von Global Health Media aus dem Jahr 2013 (> https://globalhealthmedia.org/videos/jaundice/) zeigt, wie man einen Neugeborenenikterus in einem Low-Income-Setting erkennt und einen physiologischen von einem pathologischen Verlauf abgrenzen kann. Er ist für die alltägliche Hebammenarbeit sehr hilfreich.

Anne Christine Manawa Nougho, Hebamme und Gesundheitswissenschaftlerin

Literatur

Berns, M., & Bührer, C. (2015). B7 – Hyperbilirubinämie des Neugeborenen – Diagnostik und Therapie. Leitlinien Kinder- und Jugendmedizin in 3 Ordnern (pp. B7.1-B7.10). doi:10.1016/B978–3–437–22061 –6.50354–2. Retrieved from https://dx.doi.org/10. 1016/B978–3–437–22061–6.50354–2

Boden, B., Buescher, B., Kim, A., Neher, J. O., & Safranek, S. (2022). How accurate is transcutaneous bilirubin testing in newborns with darker skin tones? The Journal of Family Practice, 71(9), E3-E5. 10.12788/jfp.0502.

Newborn Care Series: Jaundice Von Global Health Media Project: www.youtube.com/watch?v=RRV-9Jf0eI0

Samiee-Zafarghandy, S., Feberova, J., Williams, K., Yasseen, A. S., Perkins, S. L., & Lemyre, B. (2014). Influence of skin colour on diagnostic accuracy of the jaundice meter JM 103 in newborns. Archives of Disease in Childhood. Fetal and Neonatal Edition, 99(6), F480-F484. 10.1136/archdischild-2013–305699

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