Frauen haben ein zwei- bis dreimal höheres Risiko, an einer Posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken als Männer. Zudem leiden sie häufiger an chronischen und schweren Symptomen. Die biologischen Grundlagen dieser Geschlechtsunterschiede liegen im Hormonhaushalt, im Immunsystem und in den molekularen Mechanismen der Gen-Umwelt-Interaktion.
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine schwere psychiatrische Erkrankung, die nach traumatischen Erlebnissen wie Gewalt, Naturkatastrophen oder auch nach schwierigen und protrahierten Geburten auftreten kann. Sie kann mit speziellen Psychotherapieverfahren erfolgreich behandelt werden, wird aber leider oft erst spät diagnostiziert. Es gibt biologische Faktoren, die das Risiko deutlich erhöhen, nach einem solchen Erlebnis eine PTBS zu entwickeln. Eines davon ist das weibliche Geschlecht. Frauen entwickeln diese psychische Störung zwei- bis dreimal häufiger als Männer und weisen zudem durchschnittlich eine deutlich höhere PTBS-Symptomlast auf.
Geschlechtsunterschiede bei psychischen Erkrankungen
Die Global Burden of Disease Study ist die bisher umfassendste weltweite epidemiologische Beobachtungsstudie. Aus ihr geht hervor, dass im Jahr 2021 13,9 % der Weltbevölkerung von psychischen Erkrankungen betroffen war. 17,2 % der Jahre, die Menschen weltweit mit gesundheitlichen Einschränkungen im Sinne einer Behinderung leben mussten, waren auf psychische Störungen zurückzuführen. Psychische Störungen gehören damit zu den zehn wichtigsten Ursachen der weltweiten Krankheitslast. Ihre Häufigkeit ist seit 1990 stetig gestiegen (Institute for Health Metrics and Evaluation, 2021). Die globale Lebenszeitprävalenz der PTBS liegt bei etwa 3,9 %, das heißt schätzungsweise 3,9 % der Weltbevölkerung leiden während ihres Lebens mindestens einmal an einer PTBS (Koenen et al., 2017).
Die häufigsten psychischen Erkrankungen sind Angststörungen und die Major Depression, die wie die Bipolare Störung der Gruppe der Affektiven Störungen zugeordnet wird. Interessanterweise leiden biologische Frauen häufiger an Affektiven, Angst- und Essstörungen als biologische Männer (Institute for Health Metrics and Evaluation, 2021; The Lancet Psychiatry, 2024).
Dasselbe gilt für die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die nach traumatischen Erlebnissen wie Unfällen, Gewalt und Katastrophen aller Art auftreten kann, bei Frauen auch nach besonders schwierigen Geburten (Bodunde et al., 2024) und bei Kindern auch nach emotionaler Vernachlässigung und emotionalem Missbrauch: Frauen haben ein zwei- bis dreimal höheres Risiko, an einer PTBS zu erkranken als Männer und leiden außerdem häufiger an chronischen und schweren PTBS-Symptomen (Sexton et al., 2017). Eine erhöhte Traumaexposition ist hierfür nicht verantwortlich, da Männer im globalen Mittel signifikant mehr Traumata erleiden als Frauen (Tolin & Foa, 2006).
Für diese Geschlechtsunterschiede bei psychischen Störungen sind sowohl soziokulturelle Faktoren verantwortlich, worauf unter anderem gendermedizinische Studien hinweisen, als auch biologische Faktoren (Figueira & Ouakinin, 2010). Die bisher ermittelten biologischen Faktoren, die zu neuropsychologischen Unterschieden und dadurch zu den geschlechtsabhängigen Unterschieden der Vulnerabilität und Erkrankungsintensität speziell der PTBS beitragen, werden hier im Sinne einer narrativen Übersichtsarbeit zusammengefasst.
Symptome und Behandlung der PTBS
Die drei Hauptsymptome der PTBS sind
- Nachhall-Erinnerungen, also sich unwillkürlich und belastend aufdrängende Erinnerungen in Form von Flashbacks und Intrusionen
- Eine dauerhafte und energieraubende Vermeidung, an das Trauma zu denken oder darüber zu sprechen
- Eine grundsätzlich erhöhte nervöse Anspannung und Schreckhaftigkeit mit konsekutiven Schlaf- und Konzentrationsstörungen.
Im Anfang 2022 erschienenen ICD-11-Diagnosekatalog wird erstmals die Komplexe PTBS (kPTBS) als kodierbare Diagnose aufgeführt. Zusätzlich zu den drei Hauptsymptomen der PTBS geht sie mit schweren Stimmungsschwankungen, einem dauerhaft negativen Selbstbild und erheblichen Störungen der sozialen Interaktion einher, wie beispielsweise einem dauerhaft erhöhten Misstrauen. Menschen die an einer kPTBS leiden, haben meist interpersonelle Traumata wie Gewalt oder sexuellen Missbrauch erlebt (Schmidt, 2022; World Health Organization, 2022).
Expositionsbasierte Traumapsychotherapieverfahren, die sich mit Details der traumatischen Erlebnisse systematisch konfrontativ auseinandersetzen, haben die beste Evidenz in der Behandlung der PTBS. Medikamente können zusätzlich gegeben werden. Die S3-Behandlungsleitlinie empfiehlt insbesondere Antidepressiva aus der Klasse der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI-Typ) (Schäfer et al., 2019). Zur symptomorientierten Behandlung können off-label auch andere Medikamente wie der Blutdrucksenker Doxazosin gegen Albträume und schlaffördernde Antidepressiva gegen Ein- und Durchschlafstörungen gegeben werden (Roepke et al., 2024).
Obwohl ein großer Teil der Menschen im Laufe ihres Lebens signifikanten traumatischen Ereignissen ausgesetzt ist (Schätzungen reichen von 50 bis 85 %), entwickelt nur ein kleiner Teil von ihnen in der Folge eine PTBS (Kessler, 1995). Dies weist auf biologische Resilienz- und Risikofaktoren hin.
Die Rolle der Gen-Umwelt-Interaktion
Die biologischen Grundlagen psychiatrischer Erkrankungen wie der PTBS sind bislang nur bruchstückhaft bekannt. Die Gen-Umwelt-Interaktion spielt in ihrer Molekularpathogenese eine grundlegende Rolle. Zu diesem Schluss kommt eine Reihe von Studien inklusive einer kürzlich publizierten hochrangigen Zwillingsstudie, die zusätzlich überzeugend nachgewiesen hat, dass PTBS bei Frauen (35,4 %) stärker vererbbar ist als bei Männern (28,6 %) (Katrinli & Michopoulos, 2024).
Für das Verständnis der Gen-Umwelt-Interaktion bei psychischen Erkrankungen ist die Kenntnis folgender Zusammenhänge wichtig:
Die individuelle Zusammenstellung der Proteine und ihrer Varianten im Körper bestimmt die Einzigartigkeit aller Lebewesen. Sie ist in unserer Erbsubstanz kodiert, die auch Genom oder DNA (aus dem Englischen Desoxyribonucleic Acid) genannt wird. Dabei kodiert jedes Gen den Bauplan eines bestimmten Proteins. Alle Zellen eines Organismus tragen dasselbe Genom. Die Vielfalt ihrer Formen und Funktionen kommt dadurch zustande, dass in bestimmten Zellen nur bestimmte Gene aktiv sind und damit auch nur bestimmte Proteine produziert werden. Die Aktivität der Gene wird durch das Epigenom reguliert.
Das Epigenom setzt sich aus dem dynamischen und dem statischen Epigenom zusammen. Letzteres ermöglicht die Zelltypdifferenzierung sowie die Abgrenzung der Arten. Dies wird beispielsweise am Vergleich von Bonobo-Schimpansen und Menschen deutlich, denn beide Arten sind sehr unterschiedlich, obwohl ihre Genome zu 98,7 % identisch sind – diese Unterschiede kommen durch epigenetische Prozesse zustande. Das dynamische Epigenom hingegen befähigt Lebewesen zur Anpassung an Veränderungen ihrer Umwelt. Beispielsweise dazu, dass wir schwitzen, wenn sich die Temperatur erhöht, oder dass unsere Aufmerksamkeit in Stresssituationen zunimmt.
In den letzten zwei Jahrzehnten zeigten zahllose wissenschaftliche Arbeiten, dass das dynamische Epigenom eine fundamentale Rolle bei der Entstehung von psychischen Erkrankungen spielt (Blacker et al., 2019; Klengel & Binder, 2015), insbesondere bei der Bewältigung des Umweltfaktors Stress beziehungsweise seiner Maximalform, dem traumatischen Erlebnis.
Der Mechanismus der Gen-Umwelt-Interaktion
Das Zusammenspiel von Genom, Epigenom und Umweltfaktoren, das auch Gen-Umwelt-Interaktion genannt wird, basiert auf folgenden Mechanismen:
Die DNA setzt sich im Wesentlichen aus vier verschiedenen molekularen Basen zusammen, die mit den Buchstaben A, T, C und G abgekürzt werden. Drei dieser Buchstaben, sogenannte Triplets, kodieren jeweils für eine Aminosäure, also für einen Grundbaustein der Proteine. Das Grundgerüst der mehr als 100.000 Proteine des menschlichen Körpers unterscheidet sich in der Reihenfolge der Aminosäuren und der Länge der Aminosäureketten.
Kleine chemische Moleküle, sogenannte epigenetische Schalter (beispielsweise Methylgruppen), können an die Basen C und G andocken, nicht aber an die anderen beiden Basen A und T. Wenn diese epigenetischen Schalter in einem Steuerungselement eines Gens (Promotor) an die Basen C und G andocken, wird das betreffende Gen deaktiviert. Werden diese epigenetischen Schalter beispielsweise durch Enzyme wieder von der DNA entfernt, wird das Gen wieder angeschaltet, also aktiviert. Dies ist die grundlegende Wirkweise des Epigenoms.
Veränderungen der Reihenfolge der vier Basen der DNA durch Mutationen oder genetische Polymorphismen, also beispielsweise der Ersatz der Base C durch die Base T, können die epigenetische Programmierbarkeit eines Gens grundlegend verändern. Dies ist der grundlegende Mechanismus der Interaktion des Genoms mit dem Epigenom.
Und schließlich können Umweltfaktoren wie Stress bestimmte epigenetische Schalter des dynamischen Epigenoms steuern. Auf diese Weise können Umweltfaktoren die Aktivität bestimmter Gene verändern, die zum Beispiel für bestimmte Nervenzellfunktionen verantwortlich sind. In der Folge üben sie auch erheblichen Einfluss auf die Funktion von Organen aus, wie zum Beispiel auf das Gehirn. Es gibt unterschiedliche chemische Stoffe, die das An- und Abdocken epigenetischer Schalter vermitteln können, eine davon ist das Stresshormon Cortisol.