Das »fallbasierte Fehlermanagement« aus dem Bachelorstudiengang Hebamme an der Berner Fachhochschule zeigt beispielhaft, wie das Lernen im Homeoffice auch in Gruppen gelingen kann. Es gibt einen Einblick, wie Studierende in anonymisierten Praxisfällen aus Fehlern lernen und welche Instrumente sie bei kritischen Ereignissen unterstützen können – alles digital und dennoch im Team. 

Wegen der Corona-Pandemie mussten sich alle Lehrenden der Berner Fachhochschule (BFH) mit Fernunterricht auseinandersetzen und in kurzer Zeit gute Arrangements für das Lernen im Homeoffice entwickeln. Die Fachstelle Hochschuldidaktik & E-Learning der BFH stellte Anleitungen zur Verfügung, die für die Vorbereitung des Unterrichts nützlich waren (Fachstelle Hochschuldidaktik & E-Learning 2020). Studierende des Studiengangs Hebamme haben im Homeoffice mit einer Strukturlegetechnik anonymisierte Praxisfälle bildlich dargestellt und systematisch analysiert (Künzel 2008). Klassische Lehrarrangements wie Vorlesungen können per Live-Stream synchron oder asynchron angeboten werden. Daneben gibt es für das selbstständige oder angeleitete Lernen in Gruppen bei Onlinekonferenzen einige Herausforderungen und Vorbereitungen.

Der Unterricht fand im Modul 13 im dritten Studienjahr «Hebamme sein, Qualität Transfer» statt. Das Thema «Fallbasiertes Qualitäts- und Fehlermanagement in der Geburtshilfe« beinhaltet eine Vorlesung zu Haftungsrecht und Fehlermanagement in der Geburtshilfe sowie ein Seminar, das zum Ziel hat, systematisch anonymisierte Praxisfälle zu verstehen, Prozessabläufe anhand der Dokumentation zu erklären, Ursachen von möglichen Fehlerquellen zu erörtern, Verbesserungsmaßnahmen und Lösungswege zu erarbeiten.

Der interaktive Zugang zum Thema mit zwei realen, anonymisierten Fallbeispielen aus der Praxis ist wichtig, um sich systematisch mit Fehlerursachen auseinanderzusetzen. Die Studierenden sollen erkennen, dass man aus Fehlern lernen kann, damit diese nicht wiederholt werden. Instrumente wie Crisis Resource Management (CRM), Leitsätze und Kommunikationsformen werden vorgestellt (Rall 2004). Diese Inhalte unterstützen die Studierenden im dritten Studienjahr auch bei den interprofessionellen Simulationstrainings »Hebammen-Anästhesie« oder in den Fallbearbeitungen (Romano et al. 2015).

Neue Kultur des Lernens

Ein systematisches Risiko- und Fehlermanagement gehört zur Qualitätssicherung in allen Versorgungsbereichen des Gesundheitswesens. Die Studierenden lernen Instrumente zur Qualitätsentwicklung und das explizit für Hebammen entwickelte internationale Meldeportal «Fälle für Alle» kennen (Fälle für Alle 2010, siehe Link).

Das Gesundheitswesen birgt ein hohes Fehlerpotenzial. Einer neuen Kultur des Lernens im Umgang mit Fehlern muss deshalb höchste Priorität eingeräumt werden.

Klinisches Risikomanagement (kRM) wird als die Gesamtheit der Strukturen, Prozesse, Instrumente und Aktivitäten definiert, welche die Mitarbeitenden eines Spitals unterstützen, die medizinisch-pflegerisch-therapeutischen Risiken bei der PatientInnenversorgung zu erkennen, zu reduzieren und zu bewältigen. Dabei stehen nicht einzelne Mitarbeitende und potenzielle Fehler im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern das »Gesamtsystem Spital«. Der idealtypische Risikomanagementprozess beinhaltet folgende Phasen: Entwicklung einer Risikostrategie, Identifikation, Analyse, Gewichtung und Handhabung sowie Dokumentation und Controlling der Risiken und der entsprechenden Maßnahmen.

Diese Inhalte sollten nun im Online-Unterricht vermittelt werden. Die Lehrenden beschäftigten sich zur Vorbereitung mit folgenden Fragen:

  • Wie können die im Skillseinheit-Heft definierten Ziele in der besonderen aktuellen Situation mit Distance Learning (DL) erreicht werden?
  • Wie können die Studierenden in Lerngruppen ein qualitativ gutes Ergebnis mit einer Strukturlegetechnik erarbeiten, obwohl sie den Moderationskoffer, die FlemoToolbox (siehe Kasten Seite 91), im Homeoffice nicht zur Hand haben?
  • Welche technischen Voraussetzungen braucht es, damit der Unterricht ohne Störung online durchgeführt werden kann?
  • Welche organisatorischen Vorbereitungen müssen getroffen werden, damit die Studierenden in den Lerngruppen arbeiten können?
  • Welche Aufgaben haben die Lehrenden während der Lerngruppenarbeit?
  • Wie gestaltet sich die Präsentation der Ergebnisse?
  • Wie kann die Auswertung so gestaltet werden, dass die Präsentation der Fallanalysen ein erweitertes Lernen ermöglicht?
  • Was muss bei der Feinplanung und Rhythmisierung beachtet werden, damit die Studierenden zeitlich versetzt in verschiedenen Lernphasen arbeiten können?

Das hier vorgestellte Lernarrangement gibt einen Einblick, wie studierende Hebammen lernen, mit Fehlern umzugehen, und welche Instrumente sie bei kritischen Ereignissen in der Hebammentätigkeit unterstützen können.

Organisation und Vorbereitungsaufgaben

Die Lernplattform Moodle der BFH bietet umfangreiche Möglichkeiten der Dokumentenablage, Chats, Terminvereinbarungen und so weiter. Dort werden sämtliche Dokumente für den Unterricht hochgeladen. Microsoft Teams als eine Plattform, die Chats, Besprechungen, Notizen und Anhänge kombiniert, steht allen Beteiligten zur Verfügung.

Doch was muss für Distance Learning besonders beachtet werden?

  • Weil alle Dokumente online abgelegt sind, muss unbedingt sichergestellt werden, dass diese eindeutig benannt sind (Corporate Design).
  • Technische Anforderungen (Hardware, Windows PC mit Mikrofon beziehungsweise Lautsprecher, Software MS Teams, Netzwerk)
  • Klarheit über die verschiedenen Kommunikations- und Informationskanäle
  • gute Teamarbeit zwischen den Dozierenden, die im Unterricht involviert sind
  • geplante Pausen sind beim Homeoffice besonders wichtig
  • vorher die Technik in kleinem Rahmen mit Kolleginnen testen
  • Regeln der Kommunikation zu Beginn festlegen.

In der Matrix ist die Planung des Unterrichts ersichtlich (siehe Tabelle).

Matrix: Planung des Unterrichts im Distance Learning (DL)

Fallbeispiel »Pandemie und geburtshilfliche Situation«

Die Schweizer Maßnahmen zur Covid-19-Pandemie haben das Ziel, die Zahl der Infektionen zu senken und zu verhindern, dass viele Personen gleichzeitig erkranken und dadurch das Gesundheitssystem überfordert werden könnte. Schwangere, Gebärende, Wöchnerinnen, Neugeborene und Kinder gehören nicht zu den Risikogruppen (gemäß aktuellem Stand der Erkenntnisse). Deshalb werden Spitäler voraussichtlich Schwangerschaftskontrollen oder Geburtsgespräche absagen oder auf ein Minimum reduzieren und Wöchnerinnen nach der Geburt so früh wie möglich entlassen. Einzelne Spitäler haben die Weisung erlassen, dass Frauen ohne Komplikationen nur noch ambulant gebären können und zusammen mit ihrem Neugeborenen zu Hause von Hebammen weiterbetreut werden.

Frei praktizierende Hebammen sind einem größeren Ansteckungsrisiko ausgesetzt, da sie in nahem Kontakt zu ihren Klientinnen stehen. Gleichzeitig können sie bei der aufsuchenden Arbeit das Virus bei ungenügenden Hygienemaßnahmen von Haus zu Haus tragen (SHV 2020). Die Gewährleistung der Sicherheit für Mutter und Kind ist oberstes Prinzip. Die Pandemie erfordert jedoch ein hohes Maß an Flexibilität von den Hebammen, da praktisch jeden Tag neue Informationen auf sie zukommen.

Trainingsaufgabe

Die Studierenden analysieren anhand der Grundlagen aus der Vorlesung einen realen, anonymisierten Behandlungsfehler systematisch mittels Strukturlegetechnik (FlemoToolbox, siehe Kasten) und legen entsprechende Maßnahmen fest.

Ziel dieser Lernform ist, die Situation möglichst in Phasen zu zerlegen. Damit sollen sich die Studierenden aktiv mit dem Fall auseinandersetzen und Wissen erzeugen. Haben wir genügend Informationen, um eine Ursachenanalyse vorzunehmen? Wo im Behandlungsablauf könnte es sich um fehlerhafte Vorgänge oder fehlerbegünstigende Faktoren gehandelt haben? Wie könnten diese identifiziert werden? Schließlich sollen Empfehlungen abgeleitet und Wissenslücken eruiert werden, um daraus einen Maßnahmenplan zu erstellen.

Der Vorteil in der Strukturlegetechnik liegt darin, dass die Prozesse visualisiert aufgestellt werden. So können die Studierenden immer wieder gemeinsam zu den einzelnen Schritten im Ablauf zurückkehren und neue Erkenntnisse rasch identifizieren, was für die Ursachenanalyse von großer Bedeutung ist.

In diesem Beispiel wird exemplarisch die Analysearbeit einer Lerngruppe zum Fallbeispiel 1 vorgestellt (Bucher et al. 2020). Alle Bilder stammen aus einer Gruppe. Mit MS Teams konnte die Gruppe untereinander per Handy oder Laptop kommunizieren, nachdem sie die Rollen geklärt hatten. In diesem Fall war eine verantwortlich, den beschriebenen Fall bildlich sichtbar zu machen und zu fotografieren. Eine musste das Gesprochene protokollieren (Legende) und mögliche Fehlerquellen festhalten, die diskutiert wurden (Fehlerquellen). Die Studierenden haben entschieden, die Fallgeschichte der Hebamme, die auch als Protokoll mit Datum vorlag, in fünf Bildern sichtbar zu machen.

Erkenntnisse aus der Fallanalyse

Die Coronakrise führte bei den freipraktizierenden Hebammen zu großer Unsicherheit, da am Anfang keine Schutzmaterialien zur Verfügung standen. Das fast täglich angepasste Notfallkonzept des Schweizerischen Hebammenverbandes (SHV) half, sich zu orientieren. Da die Hebamme in der Regel alleine arbeitet, muss sie aktiv Kolleginnen kontaktieren, um die brennenden Fragen zu diskutieren. Die Umstellung auf fernmündliche Telefonberatung ist sehr anspruchsvoll, da die Hebamme bei Hausbesuchen durch die klinische Untersuchung und über die Körpertherapie die nötige Vertrauensbasis herstellen kann. Bei dieser Frau kam hinzu, dass sie eine Vorbelastung mit einer postpartalen Depression nach dem ersten Kind hatte. Das erforderte ein feines Gespür dafür, ob physische Hausbesuche trotz der Coronakrise hätten bevorzugt werden sollen.

Erkenntnisse aus der Fallanalyse

Die Coronakrise führte bei den freipraktizierenden Hebammen zu großer Unsicherheit, da am Anfang keine Schutzmaterialien zur Verfügung standen. Das fast täglich angepasste Notfallkonzept des Schweizerischen Hebammenverbandes (SHV) half, sich zu orientieren. Da die Hebamme in der Regel alleine arbeitet, muss sie aktiv Kolleginnen kontaktieren, um die brennenden Fragen zu diskutieren. Die Umstellung auf fernmündliche Telefonberatung ist sehr anspruchsvoll, da die Hebamme bei Hausbesuchen durch die klinische Untersuchung und über die Körpertherapie die nötige Vertrauensbasis herstellen kann. Bei dieser Frau kam hinzu, dass sie eine Vorbelastung mit einer postpartalen Depression nach dem ersten Kind hatte. Das erforderte ein feines Gespür dafür, ob physische Hausbesuche trotz der Coronakrise hätten bevorzugt werden sollen.

Flexibles Modellieren
FlemoTool Box
Interaktive Lernformen methodisch umzusetzen, ist eine Herausforderung, gerade wenn es um das Fehlermanagement in der Geburtshilfe geht. An der Fachhochschule Bern hat sich das Team für den Online-Unterricht für eine Methode der strukturierten Darstellungsform entschieden, die sonst im Präsenzunterricht eingesetzt wird. FlemoTool Box oder »Flexibles Modellieren« (früher Compad) ist eine Methode, mit der die Lernenden Unterrichtsinhalte in einem von ihnen selbst gestalteten Bild darstellen und so besser verstehen und vernetzen können. In diesem Lernsetting geht es um das bildliche Darstellen von Inhalten, um mit den erstellten Bildern eine Fachanalyse vorzunehmen, aus der Erkenntnisse und Lösungsansätze resultieren, die für einen ähnlichen neuen Fall das Fehlerpotenzial reduzieren oder vermeiden könnte.
Zitiervorlage
Romano, I. (2021). Digital das Fehlermanagement lernen: Skills Lab zu Hause. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 73 (4), 90–94.
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