1957 entstand der Holzschnitt »Der Vater«: Die grünen Almwiesen der Schwäbischen Alb sind immer wieder auf HAP Grieshabers Bildern zu sehen – hier mit Tochter und Stieftochter Reproduktion: Markus Heimbach

In seinen farbigen Holzschnitten hat der Künstler HAP Grieshaber vielfach seine Familie dargestellt. In der Geburt seiner Tochter, im privaten Heim und in der Natur fand er wichtige künstlerische Quellen. 

Nur durch den Titel »Der Vater« wird klar, welche drei Personen hier zu sehen sind: Die zwei kleineren Gestalten sind die Kinder der größeren blauen Figur, die durch ihre eckigen Kanten als Mann auszumachen ist. Und nur durch einen Blick in die Biografie des Holzschneiders und Kenntnis seiner damals bevorzugten Bildmotive wird klar, um wen es sich handelt: Zu sehen ist der Künstler selbst, HAP Grieshaber, und seine beiden Töchter, die dreijährige Ricca und die ältere Christiane. Dunkelblau, ein kräftiges Grün, daneben Orange sind die Farben dieses eindrücklichen Holzschnitts von 1957.

Die gebogene grüne Form erinnert an die Schwäbische Alb mit ihren Almwiesen, wo sie in einem kleinen urigen Häuschen lebten. Der Vater scheint zu winken. Ein friedliches Bild. Es gehört zu einer ganzen Reihe von Werken, die in den 1950er Jahren um privates Dasein kreisten. Sie thematisieren zunächst eine Trennung, dann die Gründung einer Familie.

Einer von acht Holzschnitten, in denen Grieshaber seine neugeborene Tochter porträtierte, hier "Baby II" mit Schnuller. Bild: im Besitz des Städtischen Kunstmuseums Spendhaus Reutlingen

Die Schere in der Hand

Der Grafiker Helmut Andreas Paul Grieshaber (1909 bis 1981) war zunächst mit Lena Krieg verheiratet. In dem Holzschnitt »Scheidung« von 1952 zeigte er, dass er es war, der sich trennte: Der Mann hat noch die Schere in der Hand, eine weiße größere Schnittfläche befindet sich zwischen den Getrennten – als ob sie mit der Schere voneinander getrennt wurden. Die beiden Menschen sind klar voneinander getrennt. Sie sind unbekleidet, es ging dem Künstler immer um das Existenzielle. Die Frau kämmt sich. Der Kamm war in der Kunstgeschichte schon immer ein Symbol für das Weibliche, aber soll sie sich nun schon für einen anderen Mann schön machen? Grieshaber hatte eine andere Frau kennengelernt. Für Lena Krieg brach eine Welt zusammen.

Voller Freude fertige HAP Grieshaber einen kleinen, einfarbigen Holzschnitt seiner strampelnden Tochter an, um ihre Geburt bekanntzugeben. Bild: im Besitz des Städtischen Kunstmuseums Spendhaus Reutlingen. Reproduktion: Markus Heimbach

Neuanfang auf der Alm

Schon ein Jahr nach der Scheidung, 1953, heiratete Grieshaber zum zweiten Mal, was er kurze Zeit später im Holzschnitt »Huldigung (Standesamt)« bildlich festhielt. Mit der Schriftstellerin und Malerin Riccarda Gohr lebte er fortan in einem urigen Haus auf der Achalm, wo sich auch sein Atelier befand. Riccardas kleine Tochter Christiane war mit eingezogen.

1954 wurde die gemeinsame Tochter Ricca dort im Giebelzimmer geboren, unter der Obhut von Hebamme und Arzt, Grieshaber stellte die Geburt als Holzschnitt dar. Eine Karte mit einem Holzschnitt vom neugeborenen Mädchen wurde verschickt und kündete freudig von dem Ereignis. Der Künstler schuf in der Zeit insgesamt acht Holzschnitte, die das Baby zeigen, mal strampelnd, mal mit Schnuller und Katze. »Es sieht aus, als käme ich ins Leben durch ein Leben«, schrieb Grieshaber anlässlich der Geburt.

Es entstanden auch Porträts von Christiane, genannt Nani, die von Grieshaber adoptiert wurde. Grieshabers Leben drehte sich nun in ungewohnter Weise ganz eng um sein Heim und seine kleine Familie. »Das Biografische bleibt für mich Anlass und mehr: Grund zur Formfindung«, schrieb er 1956.

Es folgten schöne Jahre für die vierköpfige Familie. Mit Freude stellte sich der Künstler den neuen Anforderungen nach Jahren der äußeren und inneren Unruhe: dem siebenjährigen Berufsverbot unter Hitler, währenddessen er als Zeitungsausträger arbeiten musste und nur heimlich künstlerisch aktiv war, sowie einjähriger Kriegsgefangenschaft.

Riccarda zog sich in die Rolle als Mutter und Ehefrau zurück. Sie gab die Malerei auf, schrieb aber mehrere Bücher. Grieshaber arbeitete intensiv. Eine ganze Reihe Werke zu privaten Erlebnissen entstanden. Endlich stellte sich auch beruflicher Erfolg ein, er wurde als Dozent an die Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe gerufen. Dort blieb er allerdings nur fünf Jahre, denn nach einer Auseinandersetzung mit dem Kultusministerium trat er 1960 von seinem Amt zurück. Der Anlass war, dass die Hochschule einigen seiner Studierenden – wegen fehlender Naturtreue – mangelnde handwerkliche Fähigkeiten attestiert hatte. Das löste eine viel beachtete Debatte darüber aus, was Kunst sei, und führte dazu, dass die aus dem Nationalsozialismus stammende Prüfungsordnung der Akademie geändert wurde.

Sich treu bleibend, wendete sich Grieshaber, der sich stets gesellschaftspolitisch engagierte, weiterhin Themen der Menschheit zu und arbeitete in seinem figurativ abstrahierenden Stil.

Riccarda Gregor-Grieshaber hatte mit zwei Kindern zwar nicht mehr viel Zeit für ihre Kunst, aber vor allem frühmorgens fertigte sie Texte und Zeichnungen vom Familienleben an. Reproduktion: Markus Heimbach

Kein ewiges Paradies

Ihre Kindheit auf der Achalm inmitten von vielen Tieren und der Natur bezeichnete Ricca später als Gottes Geschenk, ihre Kindheit hätte nicht schöner sein können. 1961 veröffentlichte ihre Mutter ein Buch mit heiteren Episoden voller Familienidylle aus dieser Zeit samt Federzeichnungen und schrieb darin am Ende: »Und jetzt sitze ich hier am Giebelfenster, und die Öfen glühen. Der Schnee gleitet in großen Flocken aus dem grau-schwefligen Himmel an meinen Augen vorüber. Ich weiß, dass der Kirschbaum wieder viele Blüten öffnen wird, und wenn es auch ungewiss ist, ob der Himmel ihm vergönnt, Kirschen zu tragen. Ich bin glücklich.«

Allerdings verließen wenige Jahre später Frau und Kinder die Achalm. Grieshaber hatte eine neue Lebensgefährtin gefunden, mit der er ab 1967 bis zu seinem Tod zusammenlebte, die Lyrikerin Margarete Hannsmann. »Du kannst nicht ewig im Paradies leben, du wirst irgendwann verstoßen«, so Ricca. Er sei eben ein Heißblut gewesen, es gab einige Frauengeschichten.

Grieshaber starb auf der Achalm, Riccarda, die Mutter der beiden Töchter, mit der ein starkes inneres Band bestand, war zugegen. Zum Gelderwerb arbeitete sie seit der Trennung vor allem kunsthandwerklich, und um der Benachteiligung als Frau zu entgehen, teils unter dem männlichen Pseudonym Ralf Gregor. Als Tochter Christiane 2003 im Reutlinger Gemälde-Katalog ihre Mutter zu würdigen hatte, bezog sie den Stiefvater mit ein: »HAP und sie blieben Freunde, und sie war für ihn immer der einzige Mensch, der ihm künstlerisch etwas gab.«


Hinweis: Baby II und sieben weitere Babyholzschnitte von HAP Grieshaber waren in den vergangenen Monate im Städtischen Kunstmuseum Spendhaus der Stadt Reutlingen zu sehen (noch bis zum 3. Oktober 2017). Das Museum ist im Besitz zahlreicher Werke von Grieshaber, die in immer neuen Ausstellungen gezeigt werden.


Zitiervorlage
Heimbach B: Ins Leben durch ein Leben. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (10): 94–96
Literatur

Ausstellungskatalog »Grieshaber – Das Werk«. Städtischen Kunstmuseum Spendhaus .Reutlingen 1990

Ausstellungskatalog »HAP Grieshaber – Texte und Bestandskatalog«. Staatsgalerie Stuttgart 1999

Gregor-Grieshaber, Riccarda: Mit Kugelschreiber und Kochlöffel – Aufzeichnungen einer törichten Frau«. Frankfurt am Main 1961

Ausstellungskatalog »HAP Grieshaber Figuren-Welten«, Städtische Galerie Karlsruhe, Karlsruhe 2003

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