Als ein Kunstobjekt hat die junge Architektin und angehende Hebamme Anka Dür eine kleine Gebärhütte entworfen. Sie wurde anlässlich der Ausstellung zur Geburtskultur neben dem Frauenmuseum im österreichischen Hittisau als rundlicher Lehmkörper errichtet. Hier können auch Workshops veranstaltet werden. Foto: © Frauenmuseum Hittisau / Laurenz Feinig

Inspirierende Beispiele in Vorträgen und Bildern weiteten im Rahmen einer Tagung den Blick für die Möglichkeiten einer »heilsamen Architektur«. 

Eine spannende Online-Tagung rund um Design und Architektur von Gebärräumen ersetzte Ende März einen geplanten dreitägigen Kongress unter dem Motto: »The First Room – Geburtskultur trifft Architektur«. Die Veranstalter waren das Frauenmuseum im österreichischen Hittisau, einer kleinen Gemeinde in Vorarlberg, vertreten von dessen Leiterin Stefania Pitscheider-Soraperra, und der Verein Geburtskultur a–z. Letzterer macht sich für eine ganzheitliche Geburtskultur stark und wurde vertreten durch die Kulturschaffende Brigitta Soraperra, die durch das Programm führte. Kooperierende Partner waren das Vorarlberger Architektur Institut sowie das Institut für Architektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien.

Die Onlinetagung begann mit der Eröffnungsveranstaltung am Vorabend, am 25. März. Im weiteren Verlauf der folgenden zwei Tage gab es Vorträge von rund 20 ExpertInnen aus der Geburtshilfe oder Architektur. Jeder Tag endete mit einem abschließenden Roundtable. Zwischendurch gab es für die 150 TeilnehmerInnen auch die Möglichkeit zu Diskussionen in Kleingruppen.

Deutlich wurde, wie stark die Wirkung eines geschützten Raumes für die Geburt ist. Im Grunde ist das ein verbreitetes Wissen, doch es muss wohl immer neu etabliert sowie mit neuen Ideen unterfüttert werden.

Ein Entwurf der Studentin Anna Kapranova für ein Geburtshaus am Joseph-Krankenhaus in Wien – mit vielen Rundungen und Nischen. Fotos und Abbildungen: Birgit Heimbach

Erster oder zweiter Raum

Der Titel »The First Room« wurde von einem Seminar zu Räumen rund um die Geburt von der Architektin Evelyn Temmel übernommen, die am Institut für Architektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien lehrt. Genau genommen müsste man vom »Second Room« sprechen, merkten später einige der Teilnehmenden an, hat das Kind doch bereits Monate lang in einem anderen Raum gelebt.

Das Spezialgebiet von Temmel ist die »Health Architecture«. In ihrem Seminar zu Geburtsräumen hatten die StudentInnen die Aufgabe, ein mehrstöckiges Geburtshaus auf dem Gelände des St. Joseph Krankenhauses in Wien zu entwerfen. Es entstanden vielseitige Projekte, von denen auf der Tagung sieben in kurzen Präsentationen von den studentischen Arbeitsgruppen vorgestellt wurden. Vielfach verwendete Materialien waren Lehm und Holz. Dazu gab es am und um das Gebäude herum viel Pflanzengrün einschließlich Kräuterbeeten.

Der Geburtsraum als Ressource

Der Intro-Vortrag für die Tagung stammte von der Architektin Anka Dür, die in ihrer Diplomarbeit ebenfalls ein Geburtshaus entworfen hatte und daraufhin eine Ausbildung zur Hebamme begann. Die österreichische WeHe erklärte, dass es bei den gängigen Geburtsräumen in der Klinik immer noch zu stark um Überwachung und Kontrolle gehe. Bei der Geburt als einem Eröffnungsprozess sei es dagegen wichtig, sich zu entspannen, was einer Atmosphäre des Vertrauens bedürfe. Für die Geburt als transformative Erfahrung müsse es einen Raum geben, der eine Ressource darstelle. Natürlich würden sich mit dem Fokus auf Gesunderhaltung von Frau und Kind alle dasselbe Ergebnis wünschen, aber wie das erreicht werden könne, sei eben sehr unterschiedlich. Die Tagung solle einen Austausch darüber ermöglichen und zu neuen Lösungen verhelfen.

Anka Dür selbst hat einen Raum entworfen, der letztes Jahr als Kunstobjekt vor dem Frauenmuseum Hittisau errichtet wurde, als Teil einer Ausstellung rund um das Gebären. Dieser Körper aus Lehm, der mit verschiedenen getönten Holzschindeln rundum bedeckt ist, sei wie ein Experimentierraum für Geburt und Sinne zu verstehen. Er sei nicht sehr groß, damit man alles im Überblick habe. Dieser Raum habe keine Ecken und Kanten, sondern erinnere fast an ein Körperinneres. Wenn ein Kind zur Welt kommt, würde es auch keine Ecken und Kanten kennen, erklärte Dür.

Vertrauen statt Kontrolle

Für das kleine Geburtshaus aus Lehm werde noch eine Hebamme gesucht, die darin eine Geburt betreut – allerdings äußerte eine Hebamme, die das kleine runde Gebäude kennt, Bedenken: Es sei nicht unbedingt praktisch, es fehle beispielsweise eine Toilette.

Dür betonte in ihrem Vortrag, dass sich Frauen in einem Geburtsraum zu Hause fühlen sollten. Dafür seien gängige Gebärbetten nicht geeignet. Eine heilsame Architektur mit ergonomischer Gestaltung könne der Frau helfen, ihr Potenzial zu entfalten. Im Idealfall wären am Ende alle im Zauber der Situation gefangen, ohne dass die Hebamme etwas zu tun habe. Wichtig sei: »Trusting enough to be out of Control« – »Genug vertrauen, um außer Kontrolle zu sein«. In einem idealen Geburtsterritorium könne eine Frau expandieren. Dür wies ermunternd darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 2010 die freie Wahl des Geburtsorts als eine Form der Ausübung körperlicher Autonomie anerkannt habe.

Beteiligt an dem Projekt des Geburtshauses von Dür waren die Architektin Anna Heringer und der Lehmbauexperte Martin Rauch, die in ihrem gemeinsamen Vortrag die positiven Eigenschaften von Lehm unterstrichen. Er wirke sich ideal auf das Raumklima aus. Gestampfte Lehmwände könnten Temperaturspitzen kappen. Die Fähigkeit, Feuchtigkeit aus der Luft schnell aufzunehmen und wieder abzugeben, schaffe ein angenehmes und gesundes Klima. Neben Gerüchen binde Lehm auch Schadstoffe.

Durch die feuchtigkeitsaktive Wirkung des Lehms könnten sich Mikroorganismen wie Pilzbefall nicht bilden. Im Außenbereich überzeuge der Stampflehm durch seine lichtechte Farbigkeit über Jahrzehnte.

»Kathedrale der Glückseligkeit«

Der Geburtshelfer Prof. Dr. Sven Hildebrandt, zu dessen Praxis in Dresden ein Geburtshaus gehört, erläuterte in seinem Vortrag seine Vision einer beziehungsgeleiteten Geburt, die die medizingeleitete ablösen müsse. Dazu solle es keine Störung der Abläufe und der Intimität geben. Die Gebärende dürfe ungestört den ekstatischen Zustand bei der Geburt erleben. Dem Kind solle man einen Begrüßungsraum bieten, der dem Erleben in der Gebärmutter nachempfunden sei.

Der Geburtsraum müsse eine »Kathedrale der Glückseligkeit« sein. Hildebrandt wünschte sich darin Gefühle wie Demut und Staunen, nicht Angst und Kontrollbedürfnis. Zu jeder Kathedrale gehöre eine Vorhalle mit einem schönen Portal, das sei auch für Gebärräume wichtig. Er könne sich einen Ritualraum zur Begrüßung vorstellen, wo man einen Tanz absolviere oder etwas anderes. Man dürfe ruhig mal verrückt denken. Eine Latenzlounge mit einem Pool könne er sich ebenso vorstellen.

Die in Spanien lebende Architektin Angela E. Müller hat sich in den vergangenen 15 Jahren auf die Gestaltung von Gebärräumen spezialisiert (siehe DHZ 11/2016, Seite 80ff.). Sie definierte Raum und Design als weiteren Betreuer – später sprachen ReferentInnen auch vom dritten Heiler, der als kraftspendende Oase zu einer aktiven Geburt anrege. Über den Kampf für Frauenrechte sei sie mit ihrer Partnerin im gemeinsamen Architekturbüro dazu gekommen, Geburtsräume zu designen. Müller schilderte, dass sich die OP-artigen Geburtsräume in Spanien in vielen Kliniken wie vergessene Räume im Keller befinden würden – ohne Fenster. Deren Raumkonzept basiere auf Gewalt und Unterwerfung, das Bett in der Mitte des Raumes erinnere an eine Hebebühne in einer Autowerkstatt oder an einen Anklagestuhl vor Gericht. In solch einem Ambiente fühle sich die Frau allein, beobachtet und kontrolliert – unmöglich, dass körperliche Prozesse dann gelängen. Das Argument, dass kein Budget für andere Räumlichkeiten zur Verfügung stünde, sei in ihren Augen keines.

Ein Geburtsraum müsse Halt geben und gleichzeitig genug Platz für Bewegung. Das, was die Sinne der Frau dabei erfahren, dürfe nicht zur Ausschüttung von Adrenalin führen. Eine Studie, die das Outcome in herkömmlichen Räumen mit dem in ihren Geburtsräumen verglich, habe beispielsweise eine Reduktion von Sectiones gezeigt.

Die Corona-Pandemie sei eine Chance zur Veränderung, denn man habe nun erfahren, dass Krankenhäuser nicht mehr als die einzig sicheren Orte gelten. Müller zeigte Bilder, auf denen Soldaten mit Gasmasken durch Altersheime patrouillierten, und Freizeithallen, vollgestellt mit Särgen. Viele geburtshilfliche Stationen in Madrid seien im letzten Jahr wegen der Pandemie geschlossen worden. Hotels seien zu medizinischen Zentren umfunktioniert worden. Müller sei dabei klar geworden, dass der Luxus eines 5-Sterne-Hotels genau das sei, was Gebärende bräuchten. Sie forderte auch sogenannte Filterräume, in denen sich Frauen, Männer und auch Hebammen zurückziehen könnten, um das Erlebte zu filtern.

Messbarer Einfluss

In einer virtuellen Kleingruppe betonten eine Hausgeburtshebamme und eine werdende Hebamme, wie unselbstständig und nahezu unterwürfig viele der Schwangeren auftreten würden. Verena Konrad, Direktorin vom Vorarlberger Architektur Institut: »Wir sind sinnliche Wesen. Gestaltung hat viel mit Würde zu tun.« Und sie ermutigte: Selbstbestimmung müsse man selbst erlernen.

PD Dr. Ing. Katharina Brichetti, Architektin aus Deutschland, zitierte den ehemaligen Premierminister Großbritanniens, Winston Churchill: »We shape our Buildings; thereafter they shape us.« – «Wir formen unsere Gebäude; danach formen sie uns«. Sie erläuterte, dass das Wohlbefinden in Räumen messbar sei. Das Design habe eindeutig Einfluss auf das Erleben der Menschen, es könne die Stimmung heben und sei biophiles Design. Biophilie meint wörtlich: die Liebe zum Lebendigen, die Zuneigung zur Natur. Erwiesen sei, dass der Blick ins Grüne etwa hilft, gesund zu werden. Dieses Wissen werde immer häufiger auch im Krankenhausbau eingesetzt.

Sie erläuterte in ihrem Vortrag eine Studie des schwedischen Architekten Prof. Dr. Roger Ulrich, die bereits 1984 ergab, dass der Blick ins Schöne den Klinikaufenthalt verkürze. Mit Ulrichs Studie begann eine neue wissenschaftliche Disziplin, das evidenzbasierte Healthcare-Design. Sie erläuterte den Begriff der Synästhesie, der Kopplung von zwei Sinneswahrnehmungen, auch wenn zunächst nur ein Sinn angesprochen werde. So könnten etwa Farben nicht nur die Augen, sondern auch den Hörsinn aktivieren, es gebe quasi ein Hören von Farben. Durch eine intensive Atmosphäre, die dieses Prinzip berücksichtigt, könne man den Frauen auch in Gebärräumen helfen, in eine bestimmte Stimmung zu kommen.

Als die zwei wichtigsten Faktoren für Geburtsräume nannte sie flexible Bewegung und maximale Entspannung. Sie erwähnte die aktuell in Deutschland laufende Be-Up-Studie, in der anhand von 3.500 Frauen in 17 Kliniken untersucht werde, ob sich durch eine Kreißsaaleinrichtung, die den Gebärenden bessere Bewegungsmöglichkeiten anbietet, die Sectiorate gesenkt werden könne (siehe DHZ 4/2020, Seite 74ff.). Bei der der Studie werden etwa durch veränderbare Raumelemente aus Schaumstoff unterschiedliche Körperhaltungen ermöglicht – auf das übliche Kreißbett wird verzichtet. Brichetti, die seit 2015 eine Lehrveranstaltung an der Technischen Universität Berlin mit dem Titel »Heilsame Architektur« hält, erklärte, dass ihr eine gestalterisch gut durchdachte Kombination von Hospiz und Geburtshaus als ideal erscheint.

Susanne Hunold-Sam vertrat in ihrem Vortrag die Sicht der Hebamme auf Räume. Sie betreute während ihrer 40 Dienstjahre rund 4.000 Geburten – auch viele Hausgeburten. Sie machte deutlich, wie weit weg wir in Deutschland immerhin schon seien von einer »nahezu bewusst inhumanen Geburtshilfe«, die es ihrer Meinung nach erstaunlicherweise tatsächlich gab: Während ihrer Ausbildung 1978/79 sei es üblich gewesen, dass drei gebärende Frauen in einem Raum untergebracht waren, weshalb auch keine Männer mit dabei sein durften. Den Schülerinnen war es untersagt, die Frauen, die nur liegen durften, emotional zu begleiten: Handhalten gab es nicht – Order der Lehrhebammen. Der Vorteil der Hausgeburtshilfe für die Frauen: Sie könnten ihre Umgebung selbst definieren und auch bestimmen, wer bei der Geburt dabei sei. Ihre dringende Bitte: ArchitektInnen sollten Klinikhebammen bei der Gestaltung der Gebärräume miteinbeziehen. Oft seien die Räume zu klein, die Toiletten ungünstig platziert.

Mit diesem Entwurf einer Außenanlage für ein Gesund­heits­zentrum für Frauen, präsentiert von der Hebamme Verena Schmid, betont die Architektin Fanny di Cara aus Florenz die Bedeutung von Wasser als wichtige Ressource für die Geburt. Fotos und Abbildungen: Birgit Heimbach

Von Ameisen lernen

Der Holzbaupionier Erwin Thoma empfindet es als tragisches Zeugnis unserer Kultur, dass die Geburten in Kliniken »irgendwie abgewickelt werden», dagegen müssten doch Geburts- und Sterberäume erklärtermaßen die wichtigsten Räume sein. Hier könnten wir von den Ameisen lernen, deren Geburtenstation die größte Priorität beigemessen werde. Dort werde beispielsweise die Temperatur Tag und Nacht konstant gehalten. Der ehemalige Förster betonte, wie hervorragend Holz für Krankenhäuser geeignet sei, denn es wirke antibakteriell und antiviral.

Die pensionierte Hebamme Verena Schmid, die ab 1988 in Florenz ihr geburtshilfliches Wissen weitergab und von 2011 bis 2020 an der Fachhochschule in Salzburg, sieht in der Geburt einen Prozess, in dem sexuelle Energie frei werde und dessen tiefe Befriedigung eine Zärtlichkeit aktiviere, die sich auf das Kind ausrichte. In einer Art Trancezustand stünde die Gebärende im Kontakt mit dem Universum, wodurch eine spirituelle Metamorphose stattfinde, Frau und Kind würden sich in etwas Neues verwandeln.

Dabei brauche die Frau auch räumlich ein Sicherheitsgefühl, Stressfreiheit, die Möglichkeit zur Hingabe. Alle Elemente der Natur stünden ihr dabei zur Verfügung: Erde, auf der sie mit den Füßen stehen könne, denn bei diesem vertikalen Prozess vom Himmel zur Erde sei die Frau wie ein Kanal. In diesem Element sehe sie Prostaglandin und Progesteron angesiedelt. Wasser in jeder Form helfe im affektiven Bereich. Hier sehe sie die Endorphine, Prolaktin und die Östrogene am Werk. Das Feuer stehe für Motivation. Es brauche körperliche und seelische Wärme bei einer Geburt. Dafür nannte sie Oxytocin und Adrenalin. Die Luft symbolisiere das Kognitive und das Kulturwissen. Während ihres Vortrages zeigte sie Design-Entwürfe, die ihr gefielen: Gebärräume mit Wasserbecken und Pflanzen, einfach und harmonisch, ganz ohne medizinisches Interieur.

Mehr Farbe in die Kliniken

Die Farbdesignerin Monika Heiss hatte 2003 den Kreißsaal in der Uniklinik Innsbruck farblich gestaltet. Sie schilderte, wie mühsam es war, ihre Vorstellungen durchzusetzen – alle Entscheidungsträger waren Männer. Unterstützung fand sie im Chefarzt, der ihr Rückhalt gab. Ihr Farbkonzept übernahm sie von einer Knospe: frisches erstes Grün. Heiss übernahm die Tradition der Schweizer Gemeinde Aarau, die Namen der neuen Erdenbürger auf eine Wand in der Stadt zu schreiben. Sie plädierte für mehr Farbe in den Kliniken, die vor allem eines vermitteln sollen: Fröhlichkeit. Neuerdings arbeitet sie auch mit LichtplanerInnen zusammen.

Renate Ruckstuhl-Meier hat 2006 in Oberkirch in der Schweiz auf einem Hochplateau in atemberaubender Landschaft das Geburtshaus Terra Alta gegründet, dem 2014 ein großzügiger Holz-Anbau ein neues Gesicht verlieh (siehe DHZ 10/2016, Seite 84ff.). Das Gebäude aus dunklem Holz wirkt ein wenig wie eine trutzige Festung, vermittelt Schutz und Geborgenheit. 50 % der Kinder werden dort im Wasser geboren. In den Gebärräumen soll sich keine Geburtsposition aufdrängen, alles soll möglich sein. In einem der Räume hängt an der Decke eine Lampe wie eine riesige Sonne. Sie gibt nicht nur Licht, sondern vermittelt auch Energie.

Manche Frauen seien zu sehr im Denken, wichtig sei ein nicht zu aktivierter Neokortex, betonte die erfahrene Hebamme auf der Tagung. Ruckstuhl-Meiers Projekt sei so erfolgreich, dass sie nun eine zweite Einrichtung in Luzern aufbaut. Geplant sei ein Geburtspavillon mit zwei Geburtsräumen in der Nähe der Klinik. Sie möchte sich dabei an einem Thermalbad orientieren, es solle eine Kombination der Materialien Holz, Lehm und Stein werden.

Design aus New Mexico

Aus größter Entfernung zugeschaltet war Nicolle L. Gonzales, eine staatlich examinierte Hebamme aus New Mexico. Sie stammt aus dem zweitgrößten indianischen Volk in den USA mit gut 332.000 Stammesangehörigen, den Nawajo, auch Diné genannt. Sie nennt sich Diné Nurse-Midwife und hat die Changing Woman Initiative gegründet. Der Name geht auf die erste Führerin der Nawajos zurück: Asdzáá Naadleehi, was Changing Woman bedeutet. Die Nawajos sind eine matrilineale Gesellschaft, bei der Verwandtschaftsbeziehungen einlinig nach der Abstammung der Frau definiert werden und die Töchter das Erbe ihrer Mutter antreten – die Söhne erben nur ihren Namen.

Die Changing Woman Initiative hat es sich zur Aufgabe gemacht, das kulturelle Geburtswissen zu erneuern, um die indigene Souveränität der Frauenmedizin und die traditionellen Lehren zur Lebensweise zu stärken und zurückzugewinnen. Sie soll Lücken in der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen für indianische Frauen in New Mexico schließen – durch neue kulturelle Geburtsdienste zu Hause, die traditionelle Lehren und pflanzenmedizinisches Wissen integrieren. Ein vorherige Befragung in den Pueblo-Gemeinden ergab, dass viele Frauen sich eine Hausgeburt wünschten, was aber weder personell noch finanziell möglich war. Die Hälfte der Frauen wollte zudem, dass ihre kulturellen Praktiken in ihre Geburtserfahrung integriert werden, empfanden die Krankenhäuser aber nicht als kultursensibel. Sie erlebten geburtshilfliche Gewalt, die zu Geburtstraumata führte, gefolgt von postpartalen Depressionen.

Gonzales plant nun »Healing Birthplaces« für die nächste Generation. Ein wichtiger Aspekt bei der Gestaltung sei die Möglichkeit, spirituelle Rituale stattfinden zu lassen, wozu Feuer und Kräuter gehörten. Geburt erlebten die Nawajos als heiligen Prozess. Ganz wesentlich sei eines ihrer traditionellen Gedichte: »The Beauty Way«. Die Zeremonie solle helfen, das Gleichgewicht im Leben wiederherzustellen, wenn man beispielsweise erschöpft ist. Es gehe darum zu spüren, dass Schönheit in uns und um uns herum existiert. Dazu gehöre auch ein schöner Geburtsort. Gonzales betonte: »Body is responding to the Space.« – »Der Körper reagiert auf den Raum.«

Der Geburtsraum »Luna« im Geburtshaus Terra Alta im Schweizer Oberkirch wird von einer Mondlampe beschienen – und bietet einen freien Blick in die Natur. Fotos und Abbildungen: Birgit Heimbach

Traditional Birth & Wellness Center in New Mexiko – in dem Gebäude sollen sich indigene Traditionen und moderne Standards begegnen. Drei »Geburtssuiten« mit Gebärwanne sind geplant. Fotos und Abbildungen: Birgit Heimbach

Frischer Wind

Die Tagung war enorm inspirierend. Es war erfreulich, was für spannende Leuchtturmprojekte es gibt. Manchmal schien man allerdings zu vergessen, dass es seit Jahren wundervolle Geburtshäuser gibt und auch viele Kliniken große Anstrengungen unternommen haben, ein freundliches Ambiente für die Geburt zu schaffen. Nichtsdestotrotz ist es gut, dass mal wieder frischer Wind aufgekommen ist.

Am abschließenden »Round Table« wurde festgehalten, dass ein wichtiger Faktor für Veränderung die Politik sei. Das würden die Niederlande und England deutlich zeigen, wo für Geburtsorte bereits mehr Möglichkeiten bestünden als in Deutschland. Ein wichtiger Grund dafür sei, dass die Hebammen dort viel selbstständiger arbeiten könnten und mehr Entscheidungsfreiheiten hätten. Zudem sei der Fokus bei Schwangerschaften mit niedrigem Risiko in diesen Ländern nicht auf eine Klinikgeburt ausgerichtet. Doch viele treibende Kräfte befinden sich bereits auf einem guten Weg.

Ausstellung
Geburtskultur
Die Ausstellung »geburtskultur. vom gebären und geboren werden« im Frauenmuseum Hittisau spannt einen Bogen von alten Geburtsgeschichten über weltweite Rituale bis hin zu aktuellen Debatten rund um Technologien der Reproduktion. ZeitzeugInnen schildern ihre Erfahrungen als Mütter und Väter, zeitgenössische Kunst vertieft und erweitert diese Ausstellung bis zum 31. Oktober 2021.

Hittisau liegt in Vorarlberg, das bis in die 1970er Jahre hinein 27 Entbindungsheime aufwies – eine Besonderheit in Österreich. Heute existiert keines mehr. Eine interaktive Karte bildet Vorarlbergs aktuelles Versorgungsnetz ab und lädt BesucherInnen dazu ein, sich über die Gründe für den Verlust auszutauschen.

Aufgrund der derzeitigen Covid-19-Situation kann die Ausstellung nur mit persönlicher Einführung für maximal zehn Personen stattfinden. Alternativ kann eine Online-Führung für Gruppen gebucht werden.

 www.frauenmuseum.at

Zitiervorlage
Heimbach, B. (2021). Tagung vom Frauenmuseum Hittisau: Geburtskultur trifft Architektur. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 73 (6), 86–91.
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