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Freie Bewegung während der Geburt, das klingt so selbstverständlich, dass es beschämend ist, dass wir heute noch immer dafür streiten müssen. Da ich über meine Fortbildungstätigkeit mit Hunderten von Hebammen und angehenden Hebammen, teils auch mit Ärzt:innen dazu im Austausch bin, weiß ich, dass es viele Kliniken gibt, in denen die freie Wahl der Geburtsposition längst Normalität ist. Leider ist das aber an vielen anderen nicht so.
Als ich vor knapp 26 Jahren als junge Hebamme in die Freiberuflichkeit startete, musste ich mich erst einmal von den teils verstörenden Eindrücken im Kreißsaal erholen. Ein Comic, den ich damals entwarf, veranschaulicht – nur beim zynischen Kommentar des Geburtshelfers etwas übertrieben – den Höhepunkt der Technisierung und der damit verbundenen Entmündigung und Entwürdigung der Frauen während der Geburt (Abbildung 1). Viel zu viele Frauen wurden mehr oder weniger ungefragt mit einer PDA, einem Oxytocintropf und der dazugehörigen Überwachung per EKG, einer Sauerstoffmaske, Dauer-CTG mittels einer KSE über Stunden in Steinschnittlage liegend der Geburt zugeführt. Aber unsere Hebammen-Generation war sich sicher: Das kann nur besser werden!
Vor 15 Jahren schrieb ich einen Artikel (Franke 2016) über die Erlebnisse von Monika Vitt, einer Frau, die ich auf ihren expliziten Wunsch vor der Geburt über die Möglichkeiten aufrechter Gebärhaltungen bei mütterlichem Herzfehler informiert und im Wochenbett betreut hatte, und die lange damit haderte, wie sie im Kreißsaal behandelt worden war. Sie erzählte: »Für mich war eine gute Lösung der Vierfüßlerstand auf dem Entbindungstisch. (…) Die Hebamme sagte, dass ich die Beine weiter öffnen müsste. Ich fühlte mich gut in meiner Position und hatte mich vorher erkundigt, dass man das automatisch richtig macht. Ich wollte mich aber nicht schon wieder anlegen und öffnete die Beine etwas. Die Hebamme drückte sie mir noch weiter auseinander und sagte, dass das Kind sonst nicht raus kann. Ich wurde wackelig in meinem Stand und fühlte mich unsicher.« (…) »Ich wollte mich sofort nach meinem Kind umdrehen, wurde aber empört zurückgewiesen: ›Nicht umdrehen, Sie reißen Ihr Kind sonst vom Tisch!‹ Bei dieser Aussage kommen mir immer noch die Tränen.« Monika Vitt fasste ihr Erlebnis damals zusammen: »Ich empfand es als Kleinkrieg im Kreißsaal: Wer wird der Stärkere sein? Es war mir in dem Moment klar, dass ich meine Sache so durchziehen würde, wie ich es›gelernt‹ hatte. Also doppelte Kraftanstrengung: Auflehnen gegen Hebamme und Ärztin und Kind kriegen. (…) Die Geburt dauerte circa zwei Stunden im Kreißsaal, was ich nicht als lang empfand. Ich hatte keine äußerlichen Verletzungen im Vaginalbereich, aber Verletzungen an meiner Seele. Ich war keine gute Gebärende, denn ich hatte eigene Vorstellungen und Wünsche und habe nicht ›gehorcht‹. (…) Das Schöne wurde mir genommen, ich musste im Kreißsaal kämpfen. Zum Glück habe ich gekämpft.« Monika Vitts Sohn ist inzwischen fast erwachsen, das Problem der vielfältigen Bevormundung von Frauen bei der Wahl der Gebärposition ist bis heute aber leider nicht gelöst.
Eine Arbeitsgruppe von Hebammen und Ärzt:innen, die sich 2001 gründete, veröffentlichte 2012 für den Deutschen Hebammenverband Empfehlungen für eine traumasensible Begleitung durch Hebammen (DHV 2012). Die Gruppe, der auch ich angehörte, stellte bei ihrer Arbeit fest, dass ein erheblicher Anteil an Frauen im Laufe ihres Lebens körperliche, seelische oder sexualisierte Gewalt erfährt und dass diese Erfahrungen durch Geburten, vor allem aber durch übergriffiges Verhalten von Geburtshelfenden, getriggert und diese Frauen dadurch retraumatisiert werden können. Und wir betonten: »Fehlende oder nicht ausreichende Information über bevorstehende Interventionen, körperliche Eingriffe, insbesondere ohne ausdrückliche Einwilligung der Frau, Übergriffe wie Festhalten, Lautwerden oder Anschreien, Vorenthalten von Schmerzmitteln oder eine anhaltend lieblose oder unfreundliche Behandlung bergen ein hohes Risiko, eine Frau (erneut) zu traumatisieren.« In meinen Vorträgen und Seminaren fasste ich die Grundsätze dieser traumasensible Hebammenhilfe zusammen (siehe Kasten).
In einem Fachartikel über Ängste von Frauen vor der Geburt (Gutteridge 2013) finden sich neben vielen natürlichen Ängsten, wie der vor Komplikationen, dem Schmerz oder der Ungewissheit vor dem Kommenden, leider noch immer viele Dinge, die auch oder ausschließlich mit der Geburtshilfe zu tun haben: vom Verlust von Privatsphäre, Intimsphäre und Würde über das Erduldenmüssen ungewollter Interventionen, Kontrollverlust, Dinge tun zu müssen, die sie nicht können, vaginale Untersuchungen und intime Prozeduren, auf dem Bett festgehalten zu werden oder unfreundliche Hebammen und/oder Ärzt:innen ausgesetzt zu sein. Ebenso legen seit dem Jahr 2011 jährlich am 25. November weltweit Frauen rosafarbene Rosen vor den Türen von Kreißsälen und Kliniken ab, in denen sie während der Geburt ihrer Kinder Gewalt erfahren haben, und teilen anschließend Bilder der Niederlegung im Internet (Link: Roses Revolution Day).
Eine niederländische Studie mit Tiefeninterviews mit 20 Frauen zeigt: Die freie Wahl der Gebärhaltung als eine Möglichkeit der Selbstbestimmung und Kontrolle trägt für viele Frauen zu einem positiven Geburtserlebnis bei. Eine Frau formulierte dies so: »Ich finde (…) je mehr du dir selbst überlegen kannst, welche Position gut für dich ist, desto besser wirst du mit der Geburtssituation fertig, auf jeden Fall besser, als wenn dir jemand sagt ›Und jetzt leg dich hin, und dann drückst du‹, weil ich mich dann fühle (…) als könnte ich es nicht selbst.« (de Jonge 2015)
Es gibt vermutlich so viele Arten, Gebärende zu begleiten, wie es Hebammen und Ärzt:innen gibt, und es gibt eine ganz große Mehrheit an Kolleg:innen, die trotz widriger Umstände ihr Bestes geben, um der Gebärenden und ihrer Familie eine gesunde, selbstbestimmte und freudvolle Geburt zu ermöglichen. Leider kommen wir aber nicht umhin festzustellen, dass es offensichtlich dennoch ein Problem gibt. Frauen und Paare haben kein unbedingtes Vertrauen und keine Garantie dafür, dass sie ohne Bevormundung und Übergriffe während ihrer Geburt begleitet werden. Manche Frauen erleben ihre Geburten als gewaltvoll und dokumentieren dies am Roses Revolution Day mit Rosen, die sie vor den Türen von Kreißsälen, aber vereinzelt auch vor Geburtshäusern ablegen. Sie tun dies nicht, um uns Hebammen oder die dortigen Ärzt:innen anzugreifen, sondern weil sie Hoffnung haben, dass wir dieses Signal ernstnehmen und unser Handeln überdenken.
Dass es gleich mehrere Initiativen wie Mother Hood e.V. oder Greenbirth gibt, die sich für einen Wandel in der Geburtshilfe einsetzen, zeigt, wie notwendig dies ist. Am 25. März 2014 startete die zweifache Mutter und Journalistin Michaela Skott eine Petition an den Bundestag. Sie forderte, dass das Recht auf eine selbstbestimmte Geburt im Grundgesetz verankert werden soll, und wurde zwei Jahre später im Petitionsausschuss dazu angehört (Franke 2016).
Im Jahr 2014 erschien der Expertinnenstandard des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP), in dem es heißt: »Frauen sollten ihre Gebärposition frei wählen können und ermutigt werden, die Position einzunehmen, die für sie in der aktuellen Situation am angenehmsten ist und den physiologischen Geburtsverlauf unterstützt. Die Hebamme leistet auch hier entsprechende Hilfestellung. Die Rücken- oder Steinschnittlage ist zu vermeiden.« (DNQP 2015) Inwieweit dies in Deutschland tatsächlich umgesetzt wird, lässt sich kaum beurteilen, da die Statistiken der klinischen Geburtshilfe dies bis 2016 ungenau dokumentierten: Es gab nur die teils kombinierten Rubriken »Kreißbett/horizontale Position«, »Hocker/vertikale Position«, »Unterwassergeburt« und »andere« (siehe Abbildung 2). Diese schildern eher den Ort, an dem das Kind zur Welt kam, nicht aber, welche der vielen unterschiedlichen Positionen die Frau dort eingenommen haben könnte. Noch weniger lässt sich aus den vorliegenden Zahlen ablesen, wie viele Frauen selbst darüber entscheiden konnten, in welcher Haltung sie die Wehen verarbeiten und das Kind gebären. Seit 2017 werden die Geburtspositionen in diesen jährlichen Berichten gar nicht mehr veröffentlicht. Die außerklinische Geburtshilfe kann mit den Daten ihrer Qualitätssicherung mehr Aufschluss geben über die Praktiken der Geburtsposition (siehe Abbildung 3) und zeigt über die Jahre auch Entwicklungen auf. Ob diese von den Frauen, den Hebammen oder beiden ausgehen, ist dem allerdings auch nicht zu entnehmen.
Besagte niederländische Studie mit Tiefeninterviews zeigte auch, dass der Rat der Hebamme bei Weitem der wichtigste Faktor für die Wahl der Gebärhaltung ist. Die Autorin konstatiert darin: »Hebammen sollten Frauen dazu ermutigen, selbst die Haltung zu finden, die für sie am besten passt: durch die praktische Anregung zu verschiedenen Möglichkeiten in Schwangerschaft und Geburt.« (de Jonge 2015)
Ich habe im vergangenen Jahr vorübergehend in mehreren Kreißsälen gearbeitet. Die erste Geburt, die ich – nach 24 Jahren ohne klinische Geburtshilfe – während einer Hospitation sah, war ein echter Schock für mich. Eine junge, ruhige Hebamme betreute eine Erstgebärende bei einer ruhigen, physiologischen Geburt. Die Frau lag auf der Seite und hatte spontan begonnen zu schieben. Als der diensthabende Oberarzt hinzukam, übernahm er lautstark das »Kommando« und befahl der Gebärenden, sich auf den Rücken zu legen und die Beine anzustellen. Die Frau gehorchte, die Hebamme schwieg – auch, als der Arzt der Frau die Beine mehrfach mit physischer Gewalt weiter öffnete, indem er sich zwischen diese beugte und mit beiden Oberarmen auseinander zwang. Als ich die Hebamme später darauf ansprach, meinte sie, sie sei noch eine eher unerfahrene Hebamme und könne dem Oberarzt nicht widersprechen. Ich habe dort nicht weitergearbeitet. Ich erlebte aber auch in weiteren Häusern bei einigen Ärzt:innen, dass Frauen nicht einmal dann Mitsprache bei der Wahl ihrer Position hatten, wenn alles völlig physiologisch verlief..
Viele Dienste später wurde mir klar, dass es ein manifestes Machtproblem in vielen unserer Kreißsäle gibt, in denen die Zusammenarbeit durch eine starke Hierarchie zwischen Ärzt:innen und Hebammen geprägt ist. Und dass dieses das Risiko für die Gebärenden zusätzlich erhöht, sich nicht frei bewegen und positionieren zu können.
Ich erlebte in meiner Kliniktätigkeit allerdings auch vereinzelt Hebammen, die bevormundend und dominant auftraten.
Eine kleine qualitative Studie mit sechs Expertinneninterviews in norddeutschen Kliniken zum Erleben der dort tätigen Hebammen von Gewalt in der Geburtshilfe zeigte, welche Ursachen der Gewalt diese vermuteten: Neben verfrühten und unnötigen geburtshilflichen Interventionen, Zeitmangel, den Erwartungen der Frauen an die Geburtshilfe und der Gegenüberstellung der Gesundheit und Bedürfnisse der Frau gegen die des Kindes benannten sie auch »Hierarchien und angepasstes Verhalten von Hebammen und Gebärenden« (Sénac 2018).
Hebammen beklagen oft, dass die Frauen ja selbst »die Verantwortung an der Kreißsaaltür abgeben«. Aber: Nach so vielen Jahrzehnten, in denen ein Großteil der gebärenden Frauen »entbunden« und bevormundet wurde, kann ein Paradigmenwechsel nur gelingen, wenn die Geburtshelfer:nnen, Hebammen wie Ärzt:nnen, bewusst den schwangeren und gebärenden Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht zurückgeben und sie ausdrücklich zur aktiven Teilnahme am Prozess des Gebärens ermutigen.
Die neue Leitlinie zur Geburt am Termin (AWMF 2020) betont nun erstmals grundsätzlich das Recht der Frau auf Selbstbestimmung – auch in Bezug auf die Position und Bewegung während der Geburt: »Die Gebärende sollte dazu ermutigt werden, sich zu bewegen und die Position einzunehmen, die für sie am angenehmsten ist. Sie soll aktiv bei der Einnahme der von ihr gewählten Positionen unterstützt werden« (Empfehlung 7.35). Hoffen wir, dass diese Empfehlungen der Leitlinie tatsächlich sehr bald überall umgesetzt werden.
Im Frühjahr dieses Jahres besuchte ich eine Hebammen-Tagung, auf der ein bekannter Chefarzt zu überflüssigen und schädlichen Interventionen in der Geburtshilfe sprach. Er betonte, es werde sich erst etwas ändern, wenn auch Hebammen mit Studien zeigen, dass bestimmte Praktiken schädlich oder andere sinnvoller sind. Er behauptete, es gäbe von Hebammenseite aus noch keine Bemühungen, den Nutzen von aufrechten Haltungen und selbstbestimmter Wahl der Gebärposition mit Evidenzen zu untermauern. Das evidenzbasierte Buch »Geburt in Bewegung« erschien erstmals 2015, und meine Erfahrung ist, dass auch diese Veröffentlichung und mein geballtes Wissen aus 15 Jahren Fortbildungen zu diesem Thema nicht dazu geführt haben, dass ich im Kreißsaal nach bestem Wissen und Gewissen arbeiten kann. Immer wieder konnte ich die Frauen bei ihrem Wunsch nach aufrechten Geburtspositionen – oder anderen selbstbestimmten Entscheidungen – nicht erfolgreich unterstützen. Das Problem waren nicht fehlende Argumente und Evidenzen, sondern die starken Hierarchien und die Dominanz einiger Ärzt:innen, die die Rückenlage bevorzugten und immer wieder erzwangen.
Wenn sich – statt einer einzelnen Hebamme – aber ein ganzes Team gegen solche übergriffigen Praktiken wehren würde, könnte es sicher erfolgreicher sein – zumal es aktuell einen so großen Personalmangel in Deutschlands Kreißsälen gibt.
Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) & Verbund Hebammenforschung (Hrsg.): Expertinnenstandard Förderung der physiologischen Geburt 2014
Franke T: »Das Schöne wurde mir genommen. Gewalterfahrung in der Geburt«. Deutsche Hebammen Zeitschrift 2006. 10
Franke T: Eindringliche Botschaft. Die Petition. Deutsche Hebammen Zeitschrift 2016. 8
Franke T: Geburt in Bewegung, die Kräfte nutzen. 1./2. Auflage. Elwin Staude Verlag. Hannover 2015/2019
Gutteridge K: Who’s afraid of the big bad birth? MIDIRS Midwifery Digest 2013. 23(4): 441–446
De Jonge A, Lagro-Janssen AL: Birthing positions. A qualitative study into the views of women about various birthing positions. Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology 2004. 25(1), 47–55
Sénac C: Gewalt unter der Geburt eine Befragung klinisch tätiger Hebammen. 4. Internationale Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaften (DGHWi). Mainz, Düsseldorf. 2018