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Sepsis ist wie Herzinfarkt und Schlaganfall ein medizinischer Notfall. Da Schwangere und Säuglinge zu den Risikogruppen zählen, sollten Hebammen junge Familien über die Warnsymptome einer frühen Sepsis aufklären und bei Verdachtsfällen sofort reagieren. Fakten zu Epidemiologie, Definition, Früherkennung, Prävention und Sepsisfolgen untermauern die Dringlichkeit.

Ein Fallbeispiel: Frau F. ist eine gesunde 35-jährige Mutter. Seit hat vor 14 Tagen einen gesunden Jungen zur Welt gebracht. Seit gestern fühlt sie sich zunehmend krank und schlapp. Der Ehemann ruft voller Sorge bei der Hebamme an und fragt, was er machen soll. Auf Nachfrage sagt er, dass seine Frau kurzatmig und ungewöhnlich schläfrig sei. Sie klagt seit dem Vortag über Unterleibsbeschwerden, hat eine kalte feuchte Haut, ist seit dem Morgen fiebrig und kann das Kind nicht versorgen. Bislang hatte alles prima geklappt. Woran denken Sie?

Im Fall von Frau F. besteht der dringende Verdacht auf Sepsis. Sie benötigt die sofortige ärztliche Abklärung mit der Frage »Könnte es eine Sepsis sein?« über Hausärzt:innen, behandelnde Gynäkolog:innen, den ärztlichen Bereitschaftsdienst der Krankenversicherung (Telefon 116 117) oder im Notfall den Rettungsdienst (112).

Epidemiologie

Sepsis gilt als eine der häufigsten Todesursachen weltweit und ist für 20 % aller globalen Todesfälle verantwortlich (Global Burden of Diseases Study – GBD, 2020). Im Jahr 2017 wurden weltweit schätzungsweise 48,9 Millionen Fälle von Sepsis und etwa 11 Millionen sepsisbedingte Todesfälle registriert und gemeldet. Das bedeutet, dass jeder 5. Mensch weltweit an oder mit einer Sepsis stirbt (Rudd et al., 2020). Jährlich entwickeln mehr als 300.000 Menschen in Deutschland eine Sepsis (Fleischmann-Struzek et al. 2018). Mit über 75.000 Todesfällen pro Jahr ist die Sepsis häufiger als Herzinfarkt, Brust- oder Darmkrebs.

Grundsätzlich kann jeder Mensch an einer Sepsis erkranken, es gibt jedoch besondere Risikogruppen. Dazu gehören Menschen, deren Immunsystem durch chronische Erkrankungen geschwächt ist, zum Beispiel an der Lunge, der Leber, den Nieren, des Herzens oder durch Diabetes oder Krebserkrankungen. Dazu gehören auch Menschen mit angeborener oder erworbener Immunschwäche (zum Beispiel durch Aids), mit einer fehlenden Milz (Asplenie) oder bei Medikamenteneinnahme, die das Immunsystem beeinträchtigen können (zum Beispiel Cortisontherapie).

Ein geschwächtes Immunsystem und eine verminderte Infektabwehr haben auch ältere Menschen > 60 Jahre, Schwangere, Frühgeborene, Kinder unter einem Jahr und Menschen, die bereits eine Sepsis durchgemacht haben. Bei all diesen Personen besteht ein hohes Risiko, dass sie septische Komplikationen entwickeln.

Sepsis Facts
Sepsis, auch »Blutvergiftung« genannt, ist die schwerste gemeinsame Komplikation von Infektionen durch Bakterien, Viren oder andere Erreger.

  • Am Anfang einer Sepsis steht immer eine – zunächst lokal begrenzte
  • Infektion.
  • Sepsis entsteht, wenn die körpereigene Immunantwort auf diese Infektion das eigene Gewebe und die Organe schädigt. Nicht rechtzeitig erkannt und sofort behandelt führt sie zu Schock, Multiorganversagen und Tod.
  • Verdacht auf Sepsis besteht, wenn bei einer vermuteten oder nachgewiesenen Infektion eines oder mehrere der gezeigten Symptome auftreten (siehe Abbildung).
  • Jede Infektion kann zu einer Sepsis führen! Und bei Verdacht auf Sepsis muss eine zeitnahe Behandlung erfolgen!
  • Je früher eine drohende Sepsis erkannt und behandelt wird, je mehr Chancen auf Überleben und desto weniger Folgen!

Eine Sepsis entsteht immer dann, wenn die körpereigene Abwehr nicht mehr in der Lage ist, die Ausbreitung einer einfachen und lokal begrenzten Infektion zu verhindern. In diesem Fall dringen die Krankheitserreger in den Blutkreislauf ein. Deshalb wird die Sepsis oft auch als »Blutvergiftung« bezeichnet. Die Gefährlichkeit einer Sepsis liegt jedoch nicht in den Erregern selbst, sondern in der Überreaktion des körpereigenen Abwehrsystems. Ursprünglich auf die Bekämpfung der Krankheitserreger ausgerichtet, kommt es zu einer Kettenreaktion, die – im Sinne eines Kollateralschadens – zur Schädigung körpereigener Organsysteme und Gewebe führt. Am Ende droht ein Multiorganversagen oder der Tod.

Definition und Scores

Seit Anfang 2016 wird die Sepsis international als lebensbedrohliche Organfunktionseinschränkung durch eine fehlregulierte Wirtsantwort auf eine Infektion definiert (Singer et al., 2016). Der septische Schock ist dabei eine »Unterform« der Sepsis mit schwerster Kreislauf-, Zell- und Stoffwechselentgleisung und hohem Sterberisiko. Die alte Definition aus dem Jahr 2004 (Sepsis-2), die bis dahin eine mehrstufige Entwicklung des Schweregrades der Sepsis vorsah, wurde aufgegeben (Singer et al., 2016).

SOFA-Score (Sequential Organ Failure Assessment Score) nach Konsensuskonferenz 2016

Sechs Organsysteme (Lunge, Herz, Niere, Leber, ZNS, Gerinnung) werden kodiert mit einem Punktesystem von 0–4, für die Beurteilung einer abgestufte Veränderung der Organfunktion. Bei Patient:innen ohne vorbestehende Organdysfunktion wird ein SOFA-Score von 0 angenommen.

Ein SOFA-Score von ≥ 2 Punkten entspricht einem Mortalitätsrisiko von > 10 %, Mortalitätsrisiko im septischen Schock > 40 %.

Die gezielte Einschätzung einer Sepsis-assoziierten Organdysfunktion erfolgt heute über die Erhebung des SOFA-Score (Sequential Organ Failure Assessment Score) (siehe Kasten: SOFA-Score). Für die Feststellung einer Organdysfunktion muss eine Veränderung des SOFA-Scores von ≥ 2 Punkten vorliegen. Der SOFA-Score ist komplex und die darin enthaltenen klinischen Parameter können außerhalb der Intensivstation nicht routinemäßig einfach und regelmäßig bestimmt werden. Daher wurde im Rahmen der Sepsis-3-Definition ein neuer Score eingeführt: quick-SOFA oder qSOFA. Der qSOFA-Score verwendet drei Variablen zur Risikostratifizierung: veränderter mentaler Status, systolischer Blutdruck ≤ 100 mmHg und Atemfrequenz ≥ 22/min (siehe Kasten: qSOFA Score). Ursprüngliche Intention: Schnelle Risikoabschätzung und Identifizierung von Patient:innen in der Notaufnahme oder auf der Normalstation mit erhöhtem Risiko für progredientes Organversagen (Singer et al., 2016).

qSOFA-Score
Ein positiver qSOFA Score (> 2 Punkte) besagt, dass das Risiko, länger auf der Intensivstation zu liegen oder im Krankenhaus zu sterben, steigt:

  • qSOFA = 2 Punkte: Mortalität um das 3-fache erhöht
  • qSOFA = 3 Punkte, Mortalität um das 14-fache erhöht

Quelle: Deutsches Ärzteblatt. (2017).
114(29-30): A-1424 /B-1196 / C-1170

Sofortige Therapie

Die Sepsis ist eine zeitkritische Erkrankung. Für das Überleben ist die rasche Einleitung einer adäquaten Therapie entscheidend, im Idealfall in der ersten Stunde nach Diagnosestellung, da sich unbehandelt innerhalb weniger Stunden ein septischer Schock mit lebensbedrohlichem Organversagen entwickeln kann. Die Grundsäulen der Sepsisbehandlung bestehen weiterhin in der frühzeitigen organunterstützenden Therapie, der gezielten antimikrobiellen Therapie des Erregers und der Sanierung des Infektionsherdes (chirurgisch oder interventionell). In der Frühphase geht es dabei um sechs Therapiemaßnahmen, die nach der Diagnose einer Sepsis sofort zur Anwendung kommen müssen und unter dem Begriff der »Sepsis-Six« bekannt sind (siehe Kasten).

Septischer Schock
Der septische Schock stellt eine »Unterform« der Sepsis dar, assoziiert mit schwerster Kreislauf-, Zell- und Stoffwechseldysfunktion und hohem Sterberisiko. Ein Laktatwert von > 2 mmol/L und eine persistierende Hypotonie, die den Einsatz von Vasopressoren notwendig macht, um den mittleren arteriellen Blutdruck (MAP) > 65 mmHg zu halten, definieren den septischen Schock.

Insbesondere die Wahl des resistenzgerechten Antibiotikums, der Zeitpunkt des Therapiebeginns und die unterstützende intensivmedizinische Behandlung haben entscheidenden Einfluss auf die Sterblichkeit. So erhöht bei einer bakteriellen Sepsis jede Stunde Verzögerung der Antibiotikagabe das Sterberisiko um 0,3–1,8 %. Im Frühstadium (Sepsis ohne Organversagen) kann die Sepsis mit Antibiotika und intravenöser Flüssigkeitstherapie gut behandelt werden (Liu et al., 2017).

Merke: Sepsis mit Organversagen: Krankenhaus-Sterblichkeit 41,7 %, Sepsis im Frühstadium ohne Organversagen: Krankenhaus-Sterblichkeit 10 % (Fleischmann-Struzek et al., 2018).

Sepsis gilt weltweit nach wie vor als eine der Hauptursachen für erhöhte Mütter- und Neugeborenensterblichkeit. Sie tritt nicht nur in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf (Burlinson et al., 2018).

Weltweit: 2017 erkrankten rund 20 Millionen Neugeborene und Kinder unter 5 Jahren sowie 5 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 19 Jahren an Sepsis, 3 Millionen von ihnen starben. Im Jahr 2020 veröffentlichte die WHO die Ergebnisse der GLOSS-Studie (»Global Maternal Sepsis Study«). Danach sterben jährlich circa 260.000 Frauen an einer schwangerschaftsassoziierten Sepsis (Burlinson et al., 2018). Die Rate mütterlicher Infektionen bei geburtshilflich stationär behandelten Patientinnen lag in der Studie bei 70,4/100.000 Geburten. Die Rate schwerer infektions­assoziierter mütterlicher Komplikationen lag weltweit bei 10,9/100.000 Geburten (The WHO Global Maternal Sepsis Study (GLOSS) Research Group, 2020).

Vereinigtes Königreich: Im aktuellen Report MBRRACE-UK »Mothers and Babies: Reducing Risk through Audits and Confidential Enquiries across the UK« von 2022 war eine Sepsis im Zeitraum von 2018 bis 2020 für circa 7 % der mütterlichen Todesfälle in England verantwortlich (National Perinatal Epidemiology Unit, 2022).

Deutschland: Verlässliche Daten zur Häufigkeit von Sepsis in Schwangerschaft und Wochenbett liegen für Deutschland kaum vor. Nach einer 2021 publizierten retrospektiven Beobachtungsstudie auf Basis der deutschlandweiten fallpauschalenbezogenen Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) traten Todesfälle aufgrund einer Neugeborenensepsis oder einer schwangerschaftsassoziierten Sepsis nur sehr selten auf (0,2 % bzw. 0,005 % der Sepsis-Todesfälle) (Fleischmann-Struzek et al., 2021). Es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt, denn eine zentrale Dokumentation der Fälle dieser Frauen und ihrer ungeborenen Kinder existierte bisher nicht. Das neue DIVI-Schwangeren-Intensivregister soll diese Lücke schließen und erhebt ab Dezember 2022 valide Daten zur Versorgung dieser vulnerablen Gruppe (siehe Seite 48 ff.).

Notfallmaßnahmen innerhalb der ersten Stunde
  • Sauerstoff geben
  • Blutkultur abnehmen
  • i.v. Antibiotika bei V.a. bakterielle Sepsis
  • i.v. Flüssigkeit geben
  • Laktat messen
  • Urinausscheidung messen

Quelle: https://www.sccm.org

Maternale Sepsis

Angelehnt an die Sepsis-3 Definition ist die mütterliche Sepsis nach der Definition der WHO ein lebensbedrohlicher Zustand mit Organdysfunktion, ausgelöst durch eine Infektion während der Schwangerschaft, der Geburt, nach einem Schwangerschaftsabbruch oder im Wochenbett. Sie kann jederzeit während der ante-, intra- und postpartalen Periode auftreten. Die Hauptinfektionsherde einer maternalen Sepsis sind:

  • 30 % Infektionen des Genitaltraktes (Endometritis, Chrioamnionitis, Infektionen nach Schwangerschaftsabbruch)
  • 30 % Harnwegsinfektionen
  • 15 % Weichteilinfektionen.

Puerperalsepsis: »Kindbett- oder Wochenbettfieber«

Die Puerperalsepsis ist eine Infektion des Genitaltraktes, die nach dem Blasensprung bis zum 42. postpartalen Tag auftreten kann. Auslösende Bakterien sind beta-hämolysierende Streptokokken (häufig der Gruppe A), Staphylokokken, Enterokokken, Escherichia coli und Proteus. Die Erreger können über die Geburtswunden in den Körper eindringen und zu einer lokalen Infektion führen, zum Beispiel in der Gebärmutterschleimhaut (Endometritis puerperalis), oder zu einer Ausbreitung im ganzen Körper (septisches Kindbettfieber oder Puerperalsepsis). Klinisch fallen erhöhte Temperatur oder Fieber, Unterbauchschmerzen mit oder ohne Abwehrspannung, übelriechender Ausfluss, gelegentlich Blutungen, Übelkeit und Erbrechen sowie eine verzögerte Rückbildung der Gebärmutter auf (National Perinatal Epidemiology Unit, 2014).

Eine seltene Sonderform der Typ- A-Streptokokken-Sepsis stellt das so genannte »Streptococcal Toxic Shock Syndrome (STSS) oder »Streptogenes Toxic Shock – like Syndrom (TSLS)« dar, das auch heute noch trotz bester intensivmedizinischer Behandlung zum Tode führen kann. Es handelt sich um eine systemisch induzierte Erkrankung, die durch das Exotoxin von Streptococcus pyogenes (β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A) ausgelöst wird: Streptococcal pyrogene Exotoxine A und C (SPE-A und-C). Die Toxine wirken als »Superantigene« und führen über eine unkontrollierte Aktivierung der T-Lymphozyten zu einer massiven Freisetzung von immunologischen Botenstoffen (Zytokinen), die meist im Rahmen einer klinisch manifesten invasiven Streptokokkeninfektion ausgelöst wird. Typisch sind ein septischer Schock mit Hypotonie und Tachykardie, Fieber, ein masernartiges (morbilliformes) Exanthem, im Verlauf Hautabschälungen, Weichteilnekrosen und schließlich Multiorganversagen (siehe Link RKI).

Deshalb ist jeder Temperaturanstieg im Wochenbett mit größter Wachsamkeit abzuklären. Die Frage, ob es in der Familie Streptokokken-Infektionen gab oder gibt, kann richtungsweisend sein – zum Beispiel Mandelentzündung oder Scharlach als Prädilektionsstellen für Streptokokken-Infektionen. Aufgrund des raschen und lebensbedrohlichen Verlaufs ist es besonders wichtig, die Diagnose eines sich entwickelnden STSS frühzeitig zu stellen, um eine effektive intensivmedizinische Behandlung einleiten zu können.

Neugebonen-Sepsis

Es gibt keine einheitliche internationale Definition der neonatalen Sepsis oder der neonatalen bakteriellen Infektionen. Pathophysiologisch kommt es bei einer invasiven bakteriellen Infektion des Neugeborenen zur konsekutiven Inflammation in üblicherweise sterilen Kompartimenten des Körpers (zum Beispiel im Blut oder Liquor). In der Literatur wird häufig zwischen einer frühen (early onset) und einer späten (late onset) Form unterschieden (AWMF-Leitlinien-Register Nr. 024/008 – zurzeit in Überarbeitung (Zemlin et al., 2019).

Die frühe Form (Early onset Sepsis – EOS) kann bereits intrauterin erworben werden. Sie tritt innerhalb der ersten 72 Stunden nach der Geburt auf. Die Late.Onset Sepsis (LOS) tritt später auf, Krankheitssymtome entwickeln sich in den ersten 3 bis 7 Lebenstagen (bei B-Streptokokken). Infektionen mit beta-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe B (GBS) gehören zu den häufigsten Ursachen von schweren Infektionen im Neugeborenenalter.

Das Erregerspektrum bei Early onset Sepsis:

  • Streptokokken der Gruppe B (GBS)
  • Escherichia coli
  • Haemophilus influenzae
  • Listeria monocytogenes
  • Herpes simplex virus

Das Erregerspektrum bei Late onset Sepsis:

  • Group B Streptococcus
  • Escherichia coli
  • Staphylococcus aureus
  • andere gram negative Erreger
  • Herpes simplex virus
  • Koagulase negative Staphylokokken.

Modifiziert nach Newborn antibiotic guideline for early and late onset of sepsis (Clinical Excellence Commission, 2018)

Sepsis frühzeitig erkennen

Leider wird Sepsis viel zu oft verspätet und nicht im Frühstadium diagnostiziert, wenn sie meistens noch potenziell reversibel ist. Insbesondere bei Kindern und Neugeborenen können die Anzeichen und Symptome unspezifisch sein: zum Beispiel Apathie, Wesensveränderung, schnelle schwere Atmung, schneller Puls. Und auch bei gesunden jungen Schwangeren kann eine kritische Erkrankung wie die Sepsis häufig übersehen und als schwangerschaftsassoziierte Veränderungen missinterpretiert werden (Greer et al., 2020).

Die klinische Diagnose basiert im Wesentlichen auf dem Nachweis oder dem Verdacht einer Infektion. Allgemeine Infektionszeichen sind Fieber, gegebenenfalls Schüttelfrost und Abgeschlagenheit. Lokale Infektionszeichen können in Abhängigkeit vom Infektionsort variieren: Schmerzen, Schwellung, Rötung von Wunden. Spezifische Anzeichen für eine akute Organdysfunktion von einem oder mehreren Organsystemen (Lunge, Herz, Niere, Gehirn, Gerinnungssystem), die fern vom Infektionsort auftritt, können variieren und werden häufig in der Frühphase nicht als solche wahrgenommen: zum Beispiel Verwirrtheit, schweres Krankheitsgefühl, hohe Atemfrequenzen, Blutdruckveränderungen, Veränderung des Hautkolorit, Zeichen der Zentralisation.

Cave! Die Sepsis kann ohne Fieber einhergehen. Und die Höhe des CRP ist irrelevant für die Diagnose der Sepsis.

Die frühzeitige Erkennung und Therapieeinleitung ist essenziell, um das Überleben zu sichern und Folgeerkrankungen zu verhindern. Diverse Scores zur Risikostratzifizierung der Sepsis wurden im Laufe der Jahre entwickelt. Neben SOFA und qSOFA existieren noch andere professionelle Bedside Risikoscores, die besonders in angelsächsisch geprägten Gesundheitssystemen für die Risikobewertung kritisch Kranker genutzt werden. Für die besondere Risikogruppe der Schwangeren und Wöchnerinnen sind diese Scores an die veränderte Physiologie der Schwangerschaft angepasst worden durch eine Adaptation der schwangerschaftsbedingten Veränderungen von Vital- und Laborparametern. Ziel ist, gefährdete Frauen frühzeitig zu erkennen und für die weitere interdisziplinäre Behandlung zu triagieren (Einleitung Sepsis Six, Verlegung auf die Intensivstation). Der Score dient als Hilfsmittel für die Erkennung und Beurteilung von kritischen Gesundheitsproblemen bei Patient:innen. Basierend auf Veränderungen von definierten Vitalparametern wird in Abhängigkeit der Dringlichkeit die einzuleitende Intensität der medizinischen Maßnahmen triagiert. In englisch geprägten Ländern werden Risikoscores bereits im Studium gelehrt. In Deutschland spielen sie keine Rolle und sind weitgehend unbekannt.

Limitationen von Screenings

Es hat sich gezeigt, dass alle Scores Limitationen in der sicheren Erkennung einer Sepsis aufweisen. Das gilt insbesondere für qSOFA, der sich seit seiner Einführung zu einem der führenden Triagierungstool in der klinischen Anwendung entwickelt hat, weil er einfach anzuwenden ist. Für die Früherkennung einer Sepsis ist er jedoch nicht ausreichend geeignet.

Hintergrund: Der qSOFA zeigt eine mehrfach beschriebene schwache Sensitivität (ca. 40 bis 60 %) – somit werden etwa die Hälfte aller Patient:innen mit Sepsis übersehen (Herwanto et al., 2019). Die im Herbst 2021 veröffentlichte Leitlinie der Surviving Sepsis Campaign (SSC) empfiehlt daher nun explizit, qSOFA nicht mehr als alleiniges Screening-Tool zu nutzen, sondern nur noch in Kombination mit anderen Instrumenten (SIRS, MEWS). Ein positiver qSOFA sollte jedoch als Warnhinweis verstanden werden und die Behandler:innen veranlassen, bei einer Infektion eine Sepsis aktiv auszuschließen. Veränderte Vitalparameter können eine sich entwickelnde Organschädigung anzeigen. Besteht bereits der Verdacht auf eine Infektion, kann aus den abweichenden Vitalparametern eine Risikoerhöhung für das Vorliegen einer Sepsis abgeleitet werden (Evans et al. 2021).

Für medizinische Laien ist die Früherkennung besonders schwierig. Häufigkeit und Letalität der Sepsis werden in der öffentlichen Wahrnehmung stark unterschätzt. Insgesamt ist das Wissen über das Wesen der Sepsis in der Bevölkerung begrenzt. Interaktive Sepsis-Checklisten können hier helfen, eine Sepsis frühzeitig zu erkennen und Hilfe zu suchen. Sie verwenden vereinfachte Algorithmen, die auf den professionellen Risiko-Tools basieren, und übersetzen die klinischen Symptome in einfache Piktogramme (siehe Kasten: Sepsis Facts).

Die Sepsis-Checkliste wurde von der Sepsis-Stiftung erarbeitet. Sie wird aktuell erprobt und wissenschaftlich validiert. Die Checkliste richtet sich an Pflegekräfte und die allgemeine Bevölkerung und soll ihnen ermöglichen, eine akute Erkrankung besser einzuschätzen und das Rettungspersonal mit zusätzlichen wichtigen Informationen zu versorgen. Liegen wahrscheinliche oder gar eindeutige Sepsis-Anzeichen vor, zeigt die Checkliste, was zu tun ist: ärztliche Abklärung oder den Notarzt anrufen. Denn: Sepsis ist ein Notfall, jede Stunde zählt!

Folgeerkrankungen

Wir wissen heute, dass lebensbedrohliche Infektionen zu chronischen Folgeerkrankungen führen können. Eine Analyse deutscher Krankenkassendaten hat ergeben, dass 74 % der Menschen, die eine Sepsisbehandlung im Krankenhaus überleben, im Folgejahr an neuen Erkrankungen leiden. Dazu gehören vor allem Erkrankungen des Muskel- und Nervensystems, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, kognitive Einschränkungen, Depressionen oder ein Erschöpfungssyndrom. 32 % der Sepsis-Überlebenden, die vorher selbstständig waren, waren nach der Sepsis pflegebedürftig und 31 % verstarben im Folgejahr (Fleischmann-Struzek et al. 2021). Als Ursachen werden strukturelle Schäden durch Organversagen, Mikrozirkulationsstörungen und tiefgreifende Veränderungen durch die Immunantwort auf die Infektion vermutet (Oronsky et al., 2021). COVID-19-Genesene sprechen von »Long-COVID« und berichten von ähnlichen Langzeitfolgen, unter anderem mit neuromuskulären Beschwerden, Fatigue und Depression (Carfì et al., 2020; Cirulli et al., 2020).

Der Bedarf an zeitnaher Rehabilitation und Nachsorge für Menschen, die an den Folgen schwerer Infektionen leiden, ist enorm. Aber gezielte Angebote für das Spektrum körperlicher, kognitiver und psychischer Folgeerkrankungen sind derzeit nicht ausreichend verfügbar.

Sepsis verhindern

Die WHO geht davon aus, dass die Mehrzahl der Sepsis-Todesfälle vermeidbar ist (Reinhart et al., 2017). Allein in Deutschland wird geschätzt, dass mindestens 15-000–20.000 der jährlich rund 75.000 Sepsistoten durch bessere Vorbeugung und vor allem Früherkennung und Behandlung als Notfall noch leben würden (Nationaler Sepsisplan, 2018).

Folgende Maßnahmen können dabei helfen, Infektionen vorzubeugen – und damit auch das Risiko für das Auftreten einer Sepsis zu senken:

  • Basishygiene, insbesondere regelmäßiges und gründliches Waschen der Hände
  • erhöhte Aufmerksamkeit und gegebenenfalls ärztliche Behandlung bei Infektionen
  • die korrekte Einnahme ärztlich verordneter Antibiotika und anderer Antiinfektiva
  • konsequente Behandlung chronischer Krankheiten (zum Beispiel der Lunge, Leber oder Diabetes)
  • sorgfältiger Umgang mit Wunden und entzündeten Insektenstichen
  • gesunde Lebensweise (ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung)
  • Impfungen entsprechend der Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO).

Impfungen – Primäre Infektionsprävention: Durch Impfungen lassen sich verschiedene schwerwiegende Infektionskrankheiten verhindern und damit auch die Gefahr der Entwicklung einer Sepsis. Für gefährdete Risikogruppen sind Impfungen gegen Influenza, Pneumokokken, Meningokokken und COVID-19 besonders wichtig. Schwangere sind grundsätzlich als Hochrisikogruppe anzusehen, da sie ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe und ungünstige Schwangerschaftsergebnisse haben. Nicht alle Impfungen können in der Schwangerschaft durchgeführt werden. Daher empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) einige Impfungen für Frauen im gebärfähigen Alter bereits vor einer möglichen Schwangerschaft. Ausdrücklich auch in der Schwangerschaft empfohlen werden hingegen Impfungen gegen Grippe und Keuchhusten. Schwangere können mit sogenannten Totimpfstoffen geimpft werden, wie sie auch gegen Grippe, Tetanus oder Keuchhusten verwendet werden. Die Impfungen werden vorzugsweise ab dem zweiten Drittel der Schwangerschaft durchgeführt.

Sepsissterblichkeit senken: Im Vergleich zu anderen westlichen Industrienationen ist die Sepsissterblichkeit in Deutschland relativ hoch. 2014 lag die Krankenhaussterblichkeit von Sepsispatient:innen in den USA bei 24 % und damit deutlich niedriger ist als in Deutschland mit 42 % (Rhee et al., 2009-2014).

Bereits 2017 wurde in einem breit getragenen Memorandum ein nationaler Sepsisplan gefordert, um die Sepsisinzidenz und -mortalität in Deutschland zu senken (Nationaler Sepsisplan, 2018). Im Jahr 2019 wurde das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit einer Konzeptstudie für ein Qualitätsicherungs (QS)-Verfahren Sepsis beauftragt. Das zukünftige QS-Verfahren soll die Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität von Krankenhäusern einschließlich Notaufnahmen/Rettungsdiensten bei der Behandlung von erwachsenen Patient:innen mit Sepsis einrichtungsvergleichend abbilden. Die Studienergebnisse sind 2022 zur Veröffentlichung freigegeben worden. Ziel des QS-Verfahrens Sepsis ist die Messung und vergleichende Darstellung patientenrelevanter Qualitätsaspekte, um die Mortalität, Morbidität und Pflegebedürftigkeit von Patient:innen mit Sepsis zu senken (Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen, 2022).

Öffentlichkeitsarbeit und Steigerung der Gesundheitskompetenz: Im Februar 2021 hat unter der Schirmherrschaft des Aktionsbündnisses für Patientensicherheit (APS) das Bündnis »Deutschland erkennt Sepsis« eine bundesweite Aufklärungskampagne gestartet (siehe Links). In der Modellregion Berlin-Brandenburg arbeitet seit August 2021 die regionale Kampagne »SepsisWissen« daran, bei Risikogruppen und Gesundheitsberufen das Bewusstsein für Sepsis zu schärfen (siehe Links).


Hinweis: Dieser Artikel ist Teil des vom G-BA geförderten Projekts »Sepsis Wissen« (SepWiss) zur Steigerung der Gesundheitskompetenz von Risikopatienten in der Region Berlin und Brandenburg (Förderkennzeichen: 01VSF19020). Weitere Informationen finden Sie unter: www.sepsiswissen.de.


Zitiervorlage
Toubekis, E. (2023). Sepsis: Der unterschätzte Notfall. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 75 (9), 40–47.
Links
Literatur
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