Fragen nach individuellen Kraftquellen können eine innere Schatztruhe öffnen: Wenn Sie einfach mal abschalten wollen, was ist Ihre Lieblingsbeschäftigung? Foto: © Markus Heimbach
Grundlage für die Arbeit der Hebamme ist es, Ressourcen wahrzunehmen – die der KlientInnen wie auch ihre eigenen. Im medizinischen Kontext ist es sinnvoll, problemorientiert zu denken, um Symptome richtig einzuordnen und zu behandeln. Das können Hebammen und hierfür haben sie eine professionelle Wahrnehmung. Die ressourcenorientierte Gesprächsführung in der Psychologie stellt dieses Modell auf den Kopf: Das Problem tritt in den Hintergrund, Bewältigungsstrategien und Lösungsideen der KlientInnen werden beleuchtet. Wenn man ausschließlich auf Probleme fokussiert, lässt sich dies mit einem Bühnenbeleuchter vergleichen, der nur ein Detail sichtbar macht. Mögliche weitere Lösungsideen bleiben im Dunkeln. Ressourcen zu sehen, stärkt die KlientInnen darin, sich selbstwirksam zu erleben, und wirft neues Licht auf die Dinge. Potenziale und Ressourcen, die wir im Laufe des Lebens gesammelt haben und deren Wert sich aus Geschichten, Gefühlen und Erinnerungen ergibt, kann man als eine Art innere Schatztruhe betrachten. In der Beratung ist es hilfreich, den KlientInnen die eigenen Kompetenzen und Lösungsideen erlebbar zu machen. Die individuellen Fähigkeiten, bestimmte Lebenssituationen zu meistern, sind in jedem Menschen bereits vorhanden. Wenn Menschen allerdings etwas als problematisch und nicht lösbar erleben, fehlt ihnen gerade der Zugriff auf die eigenen Kompetenzen. Dann ist es hilfreich, wenn jemand ressourcenorientiert fragt und die Perspektive verändert, so dass neue Ideen entstehen.
Schwangerschaft und Geburt sind besondere Herausforderungen im Leben von Frauen und deren PartnerInnen. Dann kann es sehr interessant sein, zu wissen, auf welche Art die Menschen Herausforderungen in ihrem Leben bisher gemeistert haben. Welche Kompetenzen eignen sich nun für die Lebensphase rund um die Geburt eines Kindes? Aus inneren Kraftquellen lässt sich schöpfen, wenn es beispielsweise um Angst oder Unsicherheit geht, um selbstbewusste Entscheidungen und die Übernahme von Verantwortung. Sich die eigenen Ressourcen bewusst zu machen, bedeutet, sich einer Situation gewachsen zu fühlen und dabei im besten Falle wieder ein Stück über sich hinaus zu wachsen.
Den Fokus mehr auf besondere Fähigkeiten und Stärken zu lenken, hat für Beratende oder Betreuende den Vorteil, dass es – neben der Unterstützung der KlientInnen – gleichzeitig eine Erleichterung ihrer Arbeit mit sich bringt. Bleiben wir in einer problemorientierten Kommunikation, vertiefen wir uns detailliert in die Beschreibung und Wahrnehmung von Problemen. Dies führt die Betroffenen oft noch weiter in das Problem hinein. Der Sinn eines professionellen Gesprächs über eine schwierige Entscheidung oder ein problematisches Erleben besteht aber eher darin, Erleichterung zu erfahren und Lösungen oder Hilfe zu finden, um das Problem aufzulösen und neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Natürlich hat jedes Anliegen und Problem seine Berechtigung und will gehört sein. Es macht allerdings einen Unterschied, ob man nach einem Gespräch das Problem noch intensiver wahrnimmt, nichts Neues erkannt hat und sich sogar hoffnungsloser fühlt – oder ob das Gespräch hilft, neue Sichtweisen einzunehmen, die gleichzeitig Erkenntnisse und Lösungsideen entstehen lassen. Daraus entspringen Erleichterung und Handlungskompetenz. In der Lösungsorientierten Kurzzeittherapie spricht der US-amerikanische Psychotherapeut Steve de Shazer von dem Unterschied zwischen „Problemtalk” und „Solutiontalk” (solution: engl. für Lösung; de Shazer 2004).
Die Botschaft ist einfach: Je mehr individuelle Ressourcen eine Hebamme im Gespräch erfragen und heraushören und einer Frau bewusst zurückmelden kann, desto selbstbewusster wird diese für ihre Bedürfnisse und ihre Lebenskompetenz. Der Gewinn auf Seiten der Begleiterin besteht darin, noch zielgenauer und effizienter ihre professionelle Hilfe einzusetzen.
Fragen zu stellen, ist bei der Ressourcenfindung ein wirksamer Schlüssel und effektiv dafür geeignet, die eigenen Ressourcen zu schonen. Die Lebenserfahrungen eines Menschen lassen sich mit einer Art Bibliothek vergleichen, in der stetig neue Seiten geschrieben und Kapitel eröffnet werden. In Form von Bildern, Gefühlen und Einstellungen werden Seiten einer Persönlichkeit entwickelt und gespeichert. Wie jemand die Welt sieht und Situationen bewältigt, erklärt sich aus dieser vielfältigen inneren Wirklichkeit.
Fragen zu Erfahrungen aus der Lebensgeschichte aktivieren den Fokus auf individuelle Kraftquellen und unterstützen darin, in der inneren Schatztruhe zu stöbern. Einige bewährte Fragen lauten: Was sind besondere Eigenschaften an Ihnen? Was brauchen Sie, um in Ihrer Kraft zu sein? Woraus schöpfen Sie Kraft? Wann fühlen Sie sich wohl? Worauf legen Sie besonderen Wert in Ihrem Leben? Womit kann man Ihnen eine Freude machen? Was brauchen Sie, um sich zu entspannen? Wenn Sie einfach mal abschalten wollen, was ist Ihre Lieblingsbeschäftigung? Wann sind Sie mit sich selbst zufrieden? Wann waren Sie das letzte Mal richtig stolz auf sich und dachten: Das habe ich wirklich gut gemacht? Wie schenken Sie Ihrem Körper pures Wohlbefinden? Welchen Augenblick in Ihrem Leben möchten Sie einrahmen, weil er so schön war? Wenn Sie anderen einen wertvollen Ratschlag geben, der hilft, das Leben zu meistern, welchen Rat geben Sie? Wenn Sie auf Ihr Inneres hören, was ist ein wichtiger Rat, den Sie sich selber geben? Was ist Ihr persönliches Rezept, um schwierige Situationen zu meistern? Was würde mir Ihr Mann oder ihre beste Freundin sagen, welches besondere Qualitäten von Ihnen sind?
Diese Fragen richten die Aufmerksamkeit auf die individuellen Kraftquellen und bringen diese zum Sprudeln.
Beratung bedeutet zu einem Teil, jemanden wichtige Informationen zu geben, aufzuklären und Rat zu erteilen. Gerade in den helfenden Berufen kann es in manchen Situationen passieren, dass Lösungen zu rasch angeboten werden, obwohl die KlientInnen bereits eigene Ideen hätten. Das ExpertInnenwissen wird dann verschwendet. Erschöpfend wird es dann, wenn die KlientInnen am Ende kein Angebot annehmen, unzufrieden sind und man sich selbst ausgelaugt fühlt. In einem solchen Fall haben die Betreuenden mehr gearbeitet als nötig und zu wenig auf ihre eigenen Kräfte geachtet. Eine Ursache kann darin liegen, dass im Beratungsprozess eine genaue Auftragsklärung fehlt. Je genauer die Beraterin erfragt, was die Klientin braucht und von ihr erwartet, desto zielgenauer kann sie beraten und überprüfen, ob das auch ihren Vorstellungen einer Zusammenarbeit entspricht.
Die Erwartungen zu klären und eigene Ziele zu formulieren, auf die man sich in der Beratung einigt, hilft den KlientInnen, sich selbstwirksamer zu erleben. Schließlich sind sie die ExpertInnen für ihre Bedürfnisse. Für die professionellen BegleiterInnen entsteht Transparenz und Klarheit. Mögliche Fragen, um einen Auftrag zu klären, können sein: Was brauchen Sie von mir als Ihre Hebamme? Was genau brauchen Sie jetzt? Was erwarten Sie von mir? Wie kann ich Sie am besten unterstützen? Wie können Sie am besten Unterstützung annehmen? Welche Ideen haben Sie bereits, wie ich besonders hilfreich für Sie sein kann? Wann fühlen Sie sich verstanden und gut beraten? Was möchten Sie über meine Begleitung am Ende des Wochenbettes sagen können?
Diese wichtigen Informationen helfen der Beraterin, ihr Angebot deutlich zu definieren und möglicherweise unrealistische Vorstellungen von Seiten der Klientin zu klären. Bei jedem Treffen lohnt es sich, anfangs zu klären: „Was oder welche Fragen möchten Sie heute nach unserem Treffen für sich geklärt haben?” Damit wäre schon einmal eine Landkarte erstellt, die eine gemeinsame Richtung ermöglicht.
Interessant kann es ebenfalls sein, am Anfang der Zusammenarbeit zu fragen: „Was sollte ich auf keinen Fall tun oder was brauchen Sie gar nicht?” Damit können Missverständnisse vermieden und die Erwartungen noch einmal genauer betrachtet werden. Die KlientInnen greifen auch dabei wieder auf ihr Wissen über sich selbst zurück und können klarer ihre Bedürfnisse formulieren. Es kann sein, dass es für viele Menschen im medizinischen Kontext eine völlig neue Erfahrung ist, nach den eigenen Erwartungen, Bedürfnissen und Kompetenzen gefragt zu werden, statt Antworten und Anweisungen zu bekommen.
Durch ihren Beruf verfügen Hebammen über eine Expertise und die Erfahrungen von Jahren lassen sie angefüllt sein mit Wissen und Können. Es ist gut zu wissen, dass dies alles im Hintergrund ständig präsent ist. Am besten funktioniert die Freude am eigenen Tun dann, wenn sie auf Resonanz und Wertschätzung trifft. Je genauer Hebammen wissen, was ihre KlientInnen von ihnen brauchen und erwarten, desto gezielter setzen sie ihre Kraft ein. Um die eigene innere Schatztruhe ihres professionellen Selbst zu nutzen, bietet es sich an, sich diese Kompetenz bewusst zu machen. Sie symbolisiert einen wertvollen Teil der Persönlichkeit. Folgende Fragen können dabei unterstützen: Wie kam eigentlich der Beruf der Hebamme in Ihr Leben? Welche Ereignisse haben Sie in diesem Beruf geprägt? Welche Personen gibt es, die Sie beeinflusst haben? Was sind Ihre Talente und Stärken als Hebamme? Welche Grundüberzeugungen und Werte haben Sie im Beruf? Was bereitet Ihnen in Ihrem Beruf die meiste Freude?
Diese Betrachtungen brauchen etwas Zeit, damit die wertvollen Schätze in der persönlichen Schatzkiste bewusst werden. Welche Antworten tauchen auf? Vielleicht ist es nützlich, sie aufzuschreiben? Es ist auch interessant, bei Gelegenheit mal eine Kollegin zu fragen, was ihr am meisten Freude macht. Möglicherweise inspiriert es beide zu der einen oder anderen neuen Sichtweise.
Bamberger, G.: Lösungsorientierte Beratung. Beltz. Weinheim (2001)
Kindl-Beilfuß, C.: Fragen können wie Küsse schmecken. Carl-Auer-Verlag. Heidelberg (2008)
Kopf, A.: Traumgeburt. Gelassenheit, Entspannung und Schmerzkontrolle durch Selbsthypnose. Carl Auer Verlag. Heidelberg (2015)
Prior, M.: MiniMax-Interventionen. Carl-Auer-Verlag. Heidelberg (2004)
De Shazer, S.: Der Dreh. Carl-Auer-Verlag. Heidelberg (2004)