Im Kino Babylon in Berlin-Mitte hat der DHV am 13. März zu einem Festempfang eingeladen. Foto: © Katja Baumgarten

Der Deutsche Hebammenverband hatte Mitte März ins Kino Babylon in Berlin eingeladen, um mit Weggefährt:innen und Unterstützer:innen die Aufnahme des Hebammenwesens in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit zu feiern. Die Präsidentin des DHV würdigte das Engagement der Initiatorinnen dieses bedeutenden Schrittes der Anerkennung.

Ein Grund zum Feiern: Nachdem am 6. Dezember 2023 der Zwischenstaatliche Ausschuss des UNESCO-Übereinkommens auf seiner Sitzung in Botswana das Hebammenwesen in die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen hatte, gab es am 13. März in Berlin-Mitte ein Fest. Der Deutsche Hebammenverband (DHV) hatte ins traditionsreiche Kino Babylon zu einem Empfang eingeladen. Unter den rund 120 Gästen waren unter anderem Interessenvertreter:innen, Weggefährt:innen sowie Unterstützer:innen aus allen Bereichen des Gesundheitswesens, aus Politik und Gesellschaft. Natürlich waren darunter viele Hebammenkolleginnen, wie auch Vertreterinnen des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD) und des Vereins Hebammen für Deutschland (HfD), die gemeinsam mit dem DHV im deutschen Team den Antrag erarbeitet und eingereicht hatten.

Jahrelange Vorarbeit

Der große Tag im Dezember hatte eine jahrelange Vorgeschichte. Bereits 2016 war das Hebammenwesen in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden. 2018 hatte die deutsche UNESCO-Kommission die Nominierung des Hebammenwesens als Immaterielles Kulturerbe für die internationale UNESCO-Liste beschlossen.

Die Präsidentin des DHV, Ulrike Geppert-Orthofer, würdigt in ihrer Ansprache die Initiator:innen des UNESCO-Antrags, die einen langen Atem hatten. Fotos: © DHV_Wyrwa

Aber nicht nur aus Deutschland war der Vorschlag auf den Weg gebracht worden: Acht Nationen von vier Kontinenten hatten nach einer zunächst nationalen Anerkennung des Hebammenwesens als Immaterielles Kulturerbe in ihrem Land die internationale Bewerbung an die UNESCO unterstützt und eingereicht. Über große Entfernungen und trotz der Reisebeschränkungen hatten sie auch während der Corona-Pandemie intensiv über mehrere Kontinente hinweg zusammengearbeitet.

Eine internationale Arbeitsgruppe aus Hebammen und Mitarbeiter:innen der jeweiligen staatlichen Stellen oder UNESCO-Nationalkommissionen hatte schließlich nach vierjähriger Arbeit im März 2022 den Antrag zur Aufnahme des Hebammenwesens in die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit fertiggestellt und eingereicht. Im Logo des gemeinsamen Antrags sind die beteiligten Nationen genannt: Die Länder Kolumbien, Zypern, Deutschland, Kirgisistan, Luxemburg, Nigeria, Slowenien und Togo unterstützten mit der Nominierung die globale Bedeutung, das Hebammenwesen und seine Praktiken in seiner Vielfalt als immaterielles Weltkulturerbe zu schützen und zu erhalten. Im deutschen Team hatten sich Deike Terruhn (HfD), Lisa von Reiche (HfD), Justine Boguslawski (BfHD), Lisa Welcland (DHV), Susanne Steppat (DHV), Judith Otter (DHV) und Andrea Köbke (DHV) dafür eingesetzt.

Dank in viele Richtungen

Die Präsidentin des DHV Ulrike Geppert-Orthofer begrüßte alle Gäste auf der Bühne des altehrwürdigen Kinosaals und dankte vielen für die jahrelange Unterstützung, darunter Prof. Dr. Christoph Wulf, dem Vorsitzenden des Expertenkomitees Immaterielles Kulturerbe von der UNESCO-Kommission.

Auch Vertreter:nnen von Ministerien, politischen Parteien, Kliniken, Krankenkassen, Versicherern, Verbänden, Gäste aus Kultur und Gesellschaft und natürlich zahlreiche Hebammenkolleg:innen und auch Vertreterinnen der Mütter und Eltern begrüßte sie und dankte ihnen. Deike Terruhn sprach sie direkt an als »Frau der ersten Stunde im Anerkennungsprozess«, wie Geppert-Orthofer herausstellte. »Ihnen, Frau Terruhn, und den Vertreter:innen des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands und Hebammen für Deutschland und Ihnen, Herr Wulff, gilt mein Dank, dass wir den langen, manchmal auch beschwerlichen Weg zu diesem wichtigen Meilenstein gemeinsam gegangen sind!«, betonte sie. »Heute können wir sagen: Es hat sich gelohnt!«

Auch Karin Berghammer, die leider krankheitsbedingt nicht beim Festabend dabei sein konnte, würdigte die Präsidentin: »Karin Berghammer ist die großartige Frau, Hebamme und Filmemacherin, die den Bewerbungsfilm für uns gedreht hat. Es ist gelungen, den Kern unserer Profession und Berufung einzufangen. Die Kultur des Hebammenwesens.«

Das Hebammenwesen sei – vollkommen zu Recht – als Teil des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit anerkannt und geehrt worden, unterstrich Geppert-Orthofer. Es sei die Anerkennung einer simplen und essenziellen Wahrheit: »Es ist eben nicht egal, wie wir geboren werden.« Wie wir geboren werden, sei ein prägendes Element jeden Lebens. »Jede Frau und jedes Kind hat das Recht auf eine gute, eine behütete und begleitete Geburt. Eine gute Geburt stärkt Mutter und Kind. Und auch eine schlechte Geburtserfahrung prägt beide ihr Leben lang.«

»Egal ob in Europa, Afrika, dem Amerikanischen Kontinent, Australien oder irgendwo anders auf der Welt«, fuhr sie fort, »in jeder Kultur haben Frauen diese Aufgabe für andere Frauen übernommen. In eigentlich jeder Kultur gab und gibt es Hebammen.« Sie stellte heraus: »Das Hebammenwesen ist ein verbindendes Element zwischen Kulturen, die unterschiedlicher kaum sein können. Eben weil die Geburt der eine Moment ist, der überall auf der Welt allen Menschen gemein ist.«

Geppert-Orthofer wies besonders auf einen Punkt hin: »In allen Kulturen der Welt hat es sich durchgesetzt, dass Frauen unter der Geburt nicht allein gelassen werden.« Mit Blick auf die vielen Hebammen im Kinosaal ergänzte sie: »Ich weiß, einige Kolleginnen im Raum lächeln jetzt gequält angesichts der extrem belastenden Betreuungsrelationen in unserer klinischen Geburtshilfe. Und ja, Herr Weller vom Bundesministerium für Gesundheit – der heute auch hier ist – wir stehen deswegen schon sehr lange im Austausch.« Darum gehe es aber heute nicht, sondern um den Kern des Hebammenwesens, um das, was Kulturen präge, um das, was unseren Beruf ausmache.

Über Generationen tradiertes Wissen

»Warum ist es notwendig, das Hebammenwesen als Immaterielles Kulturerbe extra auszuzeichnen?«, fragte sie. »Hebamme, das war schon immer ein Frauenberuf. Kundige Frauen haben sich über Generationen Wissen rund um Schwangerschaft, Gebären und Stillzeit erarbeitet und an andere Frauen weitergegeben. In alten Zeiten hatten sie wenige Mittel, wenn es während einer Geburt zu Blutungen oder zu Infektionen kam. Hebammen waren aber seit jeher Meisterinnen im Verhindern dieser Komplikationen«, erinnerte sie.

»Nicht umsonst hat sich um den ganzen Globus herum die aufrechte Gebärposition durchgesetzt. Sie hilft, Infektionen und Blutungen zu vermeiden.« Ebenso sei seit Jahrhunderten erwiesen, dass die engmaschige Betreuung der Frau durch eine Hebamme vor, während und nach der Geburt das Wohlbefinden von Mutter und Kind deutlich verbessere. Heutzutage vergesse man leicht: »Das Wissen von Hebammen wurde sehr lange sehr schlecht dokumentiert. In vielen Kulturen – auch in Europa – wurde das Hebammenwissen lange Zeit ausschließlich mündlich weitergegeben.«

Ein Hoch auf das Hebammenwesen als Weltkulturerbe der Menschheit.

Frauen hätten lange Zeit keinen Zugang zur Bildung gehabt. Sie seien lange Analphabetinnen gewesen und hätten ihr Wissen nicht schriftlich dokumentieren können, führte Geppert-Orthofer vor Augen: »Bis zu Justine Siegemundin, die als Autodidaktin 1690 das erste Lehrbuch für Hebammen veröffentlicht hat. Das war die erste Trendwende – bis zu einem gleichberechtigten Beruf mit eigenständiger wissenschaftlicher Disziplin war es noch ein langer Weg.«

Heute seien wir froh, dass Hebamme auch in Deutschland seit vier Jahren ein vollständig akademisierter Beruf ist. »Unsere Profession vereint heutzutage sehr gelungen jahrtausendealte Tradition mit modernster Wissenschaft in einem Beruf. Immer mit dem Wohlergehen der Frau und des Kindes im Mittelpunkt aller Lehren. Darauf dürfen wir heute zusammen stolz sein.«

Der Bewerbungsfilm

Nach der Ansprache der Präsidentin wurde der Bewerbungsfilm auf großer Leinwand gezeigt. In der 20-minütigen, englisch untertitelten Dokumentation »Midwifery – knowledge, skills and practices« hatte Karin Berghammer gekonnt unterschiedliches Filmmaterial zur Hebammenarbeit zusammengefügt, das die acht mitzeichnenden Länder eingereicht hatten (siehe Link). Der Kurzfilm gibt die existenzielle Bedeutung, die Vielfalt und Komplexität wieder, wie das Hebammenwesen in unterschiedlichen Formen praktiziert wird mit den unterschiedlichen Anforderungen in den verschiedenen Regionen der Erde – je nach sozialem und kulturellem Kontext. Hebammen aus verschiedenen Erdteilen werden bei ihrer Arbeit gezeigt und kommen zu Wort.

Der professionelle Hintergrund von Karin Berghammer, die selbst zunächst als Hebamme gearbeitet hatte, bevor sie nach einem Filmstudium in ihren zweiten Beruf als Filmemacherin wechselte, ist dabei deutlich zu spüren.

Bis spät abends kommen die Gäste miteinander ins Gespräch.

Der Bewerbungsfilm war vom Drogeriemarkt »dm« gesponsert worden, was in den Danksagungen der Präsidentin herausgestellt worden war. Denn dem Film war mit seiner vielgestaltigen Darstellung des internationalen Hebammenwesens bei der Bewerbung eine besondere Bedeutung zugefallen. Der Zauber und die Wichtigkeit, die in der Arbeit rund um die Geburt liegen, waren gerade auch im emotionalen Gehalt in ihrer Tiefe zu spüren. Sicher hatte der Film durch seine Überzeugungskraft mit zum positiven Votum beigetragen.

Im Anschluss an die eindrückliche Filmvorführung wurde zum Sektempfang geladen. An Stehtischen im Kinofoyer waren Fragen zur Geburtshilfe vorbereitet, mit denen die Gäste untereinander ins Gespräch kommen konnten, immer wieder versorgt mit köstlichen Kleinigkeiten und Getränken. So sah man noch lange viele der Gäste angeregt in Diskussionen vertieft.

Ein würdiger und gelungener Abend zu einem glücklichen Anlass. Bleibt zu hoffen, dass das Hebammenwesen nach der Würdigung auf international höchster Ebene auch in den Niederungen des Tagesgeschäfts bei der Vergütung, der Gestaltung der Arbeitsbedingungen und bei der Versorgungssituation und dem Wahlrecht für die betreuten Familien eine solche Wertschätzung erfährt.

Offizielle Verleihung

Der krönende Abschluss zum erfolgreichen Anerkennungsverfahren als Kulturerbe der Menschheit findet am 4. Oktober 2024 in Köln statt: Die offizielle Verleihung der Urkunde durch die UNESCO und das Außenministerium ist im Rahmen des Hebammenkongresses des BfHD geplant. Die beteiligten Verbände und Initiativen aus Deutschland werden dort vertreten sein und noch einmal miteinander feiern.

Zitiervorlage
Baumgarten, K. (2024). Feierlicher Empfang des DHV in Berlin: Kulturerbe der Menschheit! Deutsche Hebammen Zeitschrift, 76 (6), 78–80.
Links
Film »Midwifery – knowledge, skills and practices« von Karin Berghammer bei Youtube: > www.youtube.com/watch?v=uqDmnn2Lvws
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