Aber nicht nur aus Deutschland war der Vorschlag auf den Weg gebracht worden: Acht Nationen von vier Kontinenten hatten nach einer zunächst nationalen Anerkennung des Hebammenwesens als Immaterielles Kulturerbe in ihrem Land die internationale Bewerbung an die UNESCO unterstützt und eingereicht. Über große Entfernungen und trotz der Reisebeschränkungen hatten sie auch während der Corona-Pandemie intensiv über mehrere Kontinente hinweg zusammengearbeitet.
Eine internationale Arbeitsgruppe aus Hebammen und Mitarbeiter:innen der jeweiligen staatlichen Stellen oder UNESCO-Nationalkommissionen hatte schließlich nach vierjähriger Arbeit im März 2022 den Antrag zur Aufnahme des Hebammenwesens in die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit fertiggestellt und eingereicht. Im Logo des gemeinsamen Antrags sind die beteiligten Nationen genannt: Die Länder Kolumbien, Zypern, Deutschland, Kirgisistan, Luxemburg, Nigeria, Slowenien und Togo unterstützten mit der Nominierung die globale Bedeutung, das Hebammenwesen und seine Praktiken in seiner Vielfalt als immaterielles Weltkulturerbe zu schützen und zu erhalten. Im deutschen Team hatten sich Deike Terruhn (HfD), Lisa von Reiche (HfD), Justine Boguslawski (BfHD), Lisa Welcland (DHV), Susanne Steppat (DHV), Judith Otter (DHV) und Andrea Köbke (DHV) dafür eingesetzt.
Dank in viele Richtungen
Die Präsidentin des DHV Ulrike Geppert-Orthofer begrüßte alle Gäste auf der Bühne des altehrwürdigen Kinosaals und dankte vielen für die jahrelange Unterstützung, darunter Prof. Dr. Christoph Wulf, dem Vorsitzenden des Expertenkomitees Immaterielles Kulturerbe von der UNESCO-Kommission.
Auch Vertreter:nnen von Ministerien, politischen Parteien, Kliniken, Krankenkassen, Versicherern, Verbänden, Gäste aus Kultur und Gesellschaft und natürlich zahlreiche Hebammenkolleg:innen und auch Vertreterinnen der Mütter und Eltern begrüßte sie und dankte ihnen. Deike Terruhn sprach sie direkt an als »Frau der ersten Stunde im Anerkennungsprozess«, wie Geppert-Orthofer herausstellte. »Ihnen, Frau Terruhn, und den Vertreter:innen des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands und Hebammen für Deutschland und Ihnen, Herr Wulff, gilt mein Dank, dass wir den langen, manchmal auch beschwerlichen Weg zu diesem wichtigen Meilenstein gemeinsam gegangen sind!«, betonte sie. »Heute können wir sagen: Es hat sich gelohnt!«
Auch Karin Berghammer, die leider krankheitsbedingt nicht beim Festabend dabei sein konnte, würdigte die Präsidentin: »Karin Berghammer ist die großartige Frau, Hebamme und Filmemacherin, die den Bewerbungsfilm für uns gedreht hat. Es ist gelungen, den Kern unserer Profession und Berufung einzufangen. Die Kultur des Hebammenwesens.«
Das Hebammenwesen sei – vollkommen zu Recht – als Teil des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit anerkannt und geehrt worden, unterstrich Geppert-Orthofer. Es sei die Anerkennung einer simplen und essenziellen Wahrheit: »Es ist eben nicht egal, wie wir geboren werden.« Wie wir geboren werden, sei ein prägendes Element jeden Lebens. »Jede Frau und jedes Kind hat das Recht auf eine gute, eine behütete und begleitete Geburt. Eine gute Geburt stärkt Mutter und Kind. Und auch eine schlechte Geburtserfahrung prägt beide ihr Leben lang.«
»Egal ob in Europa, Afrika, dem Amerikanischen Kontinent, Australien oder irgendwo anders auf der Welt«, fuhr sie fort, »in jeder Kultur haben Frauen diese Aufgabe für andere Frauen übernommen. In eigentlich jeder Kultur gab und gibt es Hebammen.« Sie stellte heraus: »Das Hebammenwesen ist ein verbindendes Element zwischen Kulturen, die unterschiedlicher kaum sein können. Eben weil die Geburt der eine Moment ist, der überall auf der Welt allen Menschen gemein ist.«
Geppert-Orthofer wies besonders auf einen Punkt hin: »In allen Kulturen der Welt hat es sich durchgesetzt, dass Frauen unter der Geburt nicht allein gelassen werden.« Mit Blick auf die vielen Hebammen im Kinosaal ergänzte sie: »Ich weiß, einige Kolleginnen im Raum lächeln jetzt gequält angesichts der extrem belastenden Betreuungsrelationen in unserer klinischen Geburtshilfe. Und ja, Herr Weller vom Bundesministerium für Gesundheit – der heute auch hier ist – wir stehen deswegen schon sehr lange im Austausch.« Darum gehe es aber heute nicht, sondern um den Kern des Hebammenwesens, um das, was Kulturen präge, um das, was unseren Beruf ausmache.
Über Generationen tradiertes Wissen
»Warum ist es notwendig, das Hebammenwesen als Immaterielles Kulturerbe extra auszuzeichnen?«, fragte sie. »Hebamme, das war schon immer ein Frauenberuf. Kundige Frauen haben sich über Generationen Wissen rund um Schwangerschaft, Gebären und Stillzeit erarbeitet und an andere Frauen weitergegeben. In alten Zeiten hatten sie wenige Mittel, wenn es während einer Geburt zu Blutungen oder zu Infektionen kam. Hebammen waren aber seit jeher Meisterinnen im Verhindern dieser Komplikationen«, erinnerte sie.
»Nicht umsonst hat sich um den ganzen Globus herum die aufrechte Gebärposition durchgesetzt. Sie hilft, Infektionen und Blutungen zu vermeiden.« Ebenso sei seit Jahrhunderten erwiesen, dass die engmaschige Betreuung der Frau durch eine Hebamme vor, während und nach der Geburt das Wohlbefinden von Mutter und Kind deutlich verbessere. Heutzutage vergesse man leicht: »Das Wissen von Hebammen wurde sehr lange sehr schlecht dokumentiert. In vielen Kulturen – auch in Europa – wurde das Hebammenwissen lange Zeit ausschließlich mündlich weitergegeben.«