Die Verhandlungen am 30. November 2011 in Berlin wurden von den Vertreterinnen der Hebammen abgebrochen. Ein starkes Signal nach dem Angebot des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherungen, die Vergütung in Höhe der Grundlohnsummensteigerung um 1,98 Prozent anzuheben. Dieses starke Zeichen steht im Widerspruch zu unserem Rückblick auf den folgenden Protest: Wir ziehen als viel zu kleine, freundlich lächelnde „Horde” durch die Berliner Innenstadt zum AOK-Bundesverband. Der Unmut über steigende Haftpflichtprämien und inakzeptable Vergütung unserer Arbeit soll durch umgedichtete Weihnachtslieder deutlich werden? Ein Leierkastenmann singt unterhaltsam vom anstrengenden Hebammendasein. Im Wortlaut: „Alle Jahre wieder steigt die Berufshaftpflicht, doch das Geld der Hebammen, das steigt leider nicht.” Wir sind friedlich und geduldig. Bloß nicht zu laut, nur keine Aggressionen. Singend angekommen beim Bundesverband der AOK, werden wir von den Angestellten aus verschiedenen Etagen interessiert belächelt. Die Verhandlungen wurden vertagt, die gesetzte Frist verstreicht, jedoch ohne ein neues Angebot der Krankenkassen. Währenddessen geben die Krankenkassen bekannt, dass sie in den ersten drei Quartalen des Jahres vier Milliarden Euro Gewinn zu verzeichnen haben. Von ihrem Gesamtbudget geben die Krankenkassen nur 0,3 Prozent für Hebammenleistungen aus.
Die erste Tugend der Hebamme ist die Geduld. Bei einer Geburt ist sie unentbehrlich. In Bezug auf die politischen Entwicklungen und die horrende steigenden Haftpflichtprämien ist sie jedoch nicht mehr angezeigt. Die Teilnahme von Hebammen an Demos gegen die Erhöhung der Haftpflichtversicherung bei gleichbleibend schlechten Lohnbedingungen nimmt ab. „Es bringt ja eh nichts!”
Nun sind wir in wenigen Monaten mit unserer Ausbildung fertig. Wir machen uns Sorgen um unsere Zukunft. Als Schülerinnen verfolgen wir seit drei Jahren die verzweifelten Bemühungen der Hebammen, sich Gehör in der Öffentlichkeit zu verschaffen und die Verhandlungen auf unterschiedlichen Ebenen in Gang zu setzen. Regelmäßig stehen wir seitdem geduldig auf der Straße, schwenken Plakate und versuchen, auf unsere Situation aufmerksam machen. Warum sollen wir jetzt noch geduldig sein? Warum sollen wir leise sein?
Unsere Geduld ist zu Ende! Wir fragen uns, wo die Geschäftsfrauen sind unter den Hebammen, die streiken und demonstrieren, weil sie nicht nur irgendwie überleben wollen? Wo sind diejenigen, die dazu stehen, von diesem verantwortungsvollen Job ohne Existenzängste leben zu wollen? Wir wollen kämpfen. Und wir sind für einen bundesweiten Streik! Nehmen wir uns doch ein Beispiel an den Fluglotsen oder an den Bahnangestellten! Wir Hebammen haben Skrupel gegenüber den Frauen und Familien, aber gerade denen sind wir es auch schuldig zu streiken. Nur dann bleibt ihnen die freie Wahl des Geburtsortes erhalten! Nur dann ist eine flächendeckende Hebammenbetreuung im Ansatz gewährleistet.
Es sollte ein einheitliches Streikkonzept von angestellten und freiberuflichen Hebammen in Kliniken, Geburtshäusern und in der Hausgeburtshilfe erarbeitet werden. Hebammenbetreuung und außerklinische Geburten gibt es in einem vereinbarten Zeitraum nicht, Kliniken bleiben während des Streiks „hebammenfrei”. Alle Frauen mit Überweisung vom Frauenarzt werden nur notfallmäßig behandelt. Hausgeburts-, Klinik-, Nachsorge-, Beleg-, oder Geburtshaushebamme, vergesst nicht: Wir sind alle Hebammen. Erst wenn alle sich gleichermaßen für die Aufrechterhaltung unseres Berufstandes einsetzen, können wir wirklich über Solidarität sprechen. Steht auf, werdet ungeduldig und laut!