Hebammenkunde studieren heißt zu lernen, wie evidenzbasiertes Wissen genutzt werden kann, um Hebammenhandeln in der Praxis zu begründen. Foto: © Volker Wiciok, www.wiciok.de/hsg

Ein Blick auf die Hebammenausbildung, wie sie war, ist und sein könnte. Andere Länder zeigen, wohin die Qualifizierung von Hebammen sich mit der Akademisierung bewegt. Auch in der Schweiz gibt es diesbezüglich eine facettenreiche Landschaft. Neue Wege und Übergangsprozesse sind unvermeidlich.

Im letzten Jahr meiner Ausbildung vor 25 Jahren saßen wir manchmal zusammen und überlegten uns, wie die Hebammenqualifikation der Zukunft aussehen müsste. Wir fanden, sie sollte auf jeden Fall insgesamt länger sein, also mindestens vier Jahre, um all die spannenden und relevanten Themen unterzubringen, die wir mühsam in vielen kleinen Workshops neben den Diensten aus eigener Initiative selbst erarbeiteten. Das Externat sollte länger sein und ins Ausland wollten wir gehen können. Und mitten in unsere gedanklichen Blasen platzte dann eine heraus: „Und stellt euch vor, wir könnten sogar studieren. So wie die Ärzte. Dann wär‘ das alles möglich, und vielleicht noch mehr!“ Aufgeschreckt blickten wir sie, die bereits studiert hatte, an. Fast unmerklich rückten einige von ihr ab. „I wär dann fei koi Hebamm g’worre“, sagte eine und sprach offensichtlich damit auch anderen aus der Seele. Nur eine andere werdende Hebamme und ich – wir waren damals die beiden einzigen in der Runde mit Abitur – wagten, still und heimlich weiter auch diesen Traum zu träumen. Die „Gemeinschaftsblase“ aber war zerplatzt.

Umbruch – Um-Ordnung – Unordnung?

Schnellvorlauf. Wir befinden uns im Jahre 2017: An allen Ecken und Enden in Deutschland sprießen sowohl Fachhochschulen als auch Universitäten – vor allem medizinische Fakultäten – mit dem Angebot Hebammenkunde oder Hebammenwissenschaft aus dem Boden. An den Hochschulen dauert der Weg zur Hebamme mindestens vier Jahre. Dann aber hat eine Hebamme einen Doppelabschluss: die Berufsurkunde und -zulassung sowie den wissenschaftlichen Titel Bachelor of Science. Hartnäckig harren neben diesen Neuwüchsen alteingesessene Hebammenschulen mit der klassischen dreijährigen berufsfachschulischen Ausbildung aus. Einige von ihnen haben sich mit Hochschulen liiert und senden alle oder einige Schülerinnen und – wenn keine möchte – auch gar keine Schülerinnen für wissenschaftliche oder andere spezifische Inhalte an die Hochschule. Gleichzeitig – und meist mit dem Hinweis auf den derzeitigen Hebammenmangel und die mangelnde Versorgung von Frauen und Familien – werden gerade in letzter Zeit an einigen Orten neue Hebammenschulen gegründet mit dem traditionellen dreijährigen Programm. Einige streben eine sofortige Kooperation mit bestehenden Hochschulprogrammen an. Andere halten sich diese Option noch offen und liebäugeln mit der Idee, irgendwann in der Zukunft einen eigenen Studiengang zu entwickeln, beispielsweise in Zusammenarbeit mit privaten Hochschulen. Die Hebammenqualifizierung in Deutschland ist im Umbruch, sie ordnet sich neu. Dieser Prozess des Wandels erscheint momentan vielfach (auch) als Unordnung. Dieser Eindruck wird verstärkt durch unterschiedliche Gesetzgebungen für und an Hochschulen und den offensichtlich unterschiedlichen politischen Willen der Bundesländer für innovative Wege, um die Hebammenbetreuung für Familien zu sichern. Bildung ist Ländersache, Hebammen(aus)bildung ebenfalls. Das Einzige, was uns, die ausbildenden Institutionen, verbindet, ist die Hebammenausbildungs- und prüfungsverordnung (HebAPrV). Diese bildet als Bundesgesetz eine übergeordnete rechtliche Basis, stammt allerdings bereits aus dem Jahre 1986.

Aufbruch – Umbruch – Unsicherheit

Der Berufsstand der Hebammen befindet sich mitten im Wandel. Wie jeder Aufbruch aus lange gelebten Strukturen und Traditionen ist auch unser Start zum einen mit Euphorie, zum anderen mit Unsicherheit verbunden. Manche von den „Alten“ erfüllt dieser von außen herangetragene Umbruch mit Beunruhigung und (Vor-)Sorge, vielleicht auch mit berechtigter Empörung. Viele von ihnen haben nicht studiert, und trotzdem sind sie gute Hebammen geworden. Daher ist die Frage nach dem Mehrwert eines zusätzlichen Studiums berechtigt. Ebenso die Frage, ob studierte Hebammen mehr verdienen werden als die Kolleginnen mit vielen Dienstjahren und der traditionellen Ausbildung. Manch eine von den „Alten“ befürchtet vielleicht, mit jungen gerade erst mit Bachelorabschluss versehenen Hebammen konfrontiert zu werden, die meinen, es besser zu wissen als sie mit ihrer langjährigen Berufserfahrung. Nach Gesprächen mit etlichen Kolleginnen in der Praxis zeigt sich aber, dass viele interessiert sind an der Entwicklung, sie wollen weitergehen und Neues lernen.

Systematisch erforschtes Wissen

Neben der eigenen und sehr individuell gelagerten Lust, stehen für mich drei Aspekte im Vordergrund. Der erste betrifft die bestmögliche Versorgung von Frauen und Familien. Diese stehen im Zentrum der professionellen Arbeit. Das Streben danach bindet Hebammen, alte wie junge, stärker zusammen als die HebAPrV.

Studieren ganz allgemein bedeutet zu lernen, eine besondere Art des Wissens zu erwerben und zu generieren – wissenschaftliches, nach bestimmten Regeln systematisch erforschtes und dokumentiertes Wissen. Hebammenkunde studieren heißt darüber hinaus zu lernen, wie dieses Wissen genutzt werden kann, um Hebammenhandeln in der Praxis zu begründen und in die Entscheidungsfindung für oder gegen eine Betreuungsmaßnahme einfließen zu lassen (Stahl 2008). Neben der klinischen Erfahrung und Expertise – der sogenannten internen Evidenz – eigenen Ansichten und Werthaltungen sowie den Wünschen und Werthaltungen der Frauen, beruht die dritte Komponente auf Studienergebnissen aus systematischer Forschung (siehe Abbildung). Die Mehrkompetenz studierter Hebammen besteht darin, dass sie diesen Wissensbestand als eine dritte Säule für ihr Handeln, für eine informierte Wahl der Frau und auch in der interdisziplinären Zusammenarbeit nutzen können.

Für sich alleine genommen reicht keine der Komponenten aus, um eine bestmögliche Betreuung zu gewährleisten im Hinblick auf körperliche und persönliche Integrität, emotionales und psychisches Wohlbefinden und Sicherheitsgefühl der betreuten Frauen, Kinder und Familien. Evidenzbasiert arbeiten beinhaltet die Zusammenführung aller drei Komponenten.

Der zweite Aspekt betrifft die Herausforderung, ausreichend und ausreichend qualifizierten Nachwuchs zu generieren. Es braucht junge Kolleginnen, die nicht nur Lust haben, in den Beruf einzusteigen, sondern auch dabei zu bleiben. Die nach den eigenen Kindern in den Beruf zurückkehren oder sich vielleicht ein anderes Tätigkeitsfeld oder eine Tätigkeit auf einer anderen Ebene eröffnen, auf der sie für die Gesundheit von Frauen und Kindern streiten können. Ein Bachelorstudium bietet hier die Möglichkeit, sich darauf aufbauend mit einem Master zu spezialisieren. Wir brauchen diese spezialisierten Hebammen, die auf Augenhöhe in weiteren Teilen der Gesellschaft auch außerhalb der Klinik vertreten sind, beispielsweise in Politik, Wirtschaft, Kultur oder in den Chefetagen der Krankenkassen. Die Herausforderung wird darin liegen, von dieser Möglichkeit niemanden aufgrund finanzieller Unmöglichkeiten auszuschließen, sondern Strukturen zu schaffen, wie auch Praxisanteile im Hebammenstudium finanziert werden können, so wie momentan die fachschulische Ausbildung finanziert wird.

Der dritte Aspekt betrifft unsere berufliche Mobilität. Deutschland bildet in Europa momentan das Schlusslicht akademisierter Hebammen. Aus Befragungen mit derzeitigen Studentinnen ist deutlich geworden (Evaluationsberichte Hochschule Fulda, vergleiche auch Butz et al. 2017), dass eine wesentliche Motivation zu studieren für junge Frauen darin liegt, auch im Ausland als Hebamme anerkannt zu werden oder dort weiter zu studieren.

Gemischte Hebammenteams

Gleiche Tätigkeit wird gleich entlohnt. Eine erfahrene, an einer Berufsfachschule ausgebildete Hebamme, die eine Gebärende begleitet und vor dem Hocker kniet, erhält bisher den gleichen Lohn wie eine Hebamme mit Bachelor- oder Masterabschluss oder sogar Promotion. Ein wissenschaftlicher Abschluss führt also nicht automatisch zu einer Höherentlohnung. Übernimmt die wissenschaftlich qualifizierte Hebamme jedoch andere Aufgaben, beispielsweise indem sie auf wissenschaftlicher Grundlage hausinterne Standards in der Geburtshilfe entwickelt, Forschungsprojekte anstößt oder daran mitwirkt, kann und muss sie höher entlohnt werden. Studierte Hebammen aus den bisherigen Studiengängen haben das bereits erfolgreich verhandelt. In den nächsten Jahren werden sich Teams mit großer Wahrscheinlichkeit differenzieren und diversifizieren: Junge, primärqualifizierend ausgebildete Bachelorhebammen werden neben nachqualifizierten berufserfahrenen Bachelorhebammen, neben Hebammen mit Masterabschluss und neben Kolleginnen arbeiten, die zwar keine wissenschaftliche Qualifikation, dafür aber viele Jahre Berufserfahrung und spezielle Weiterbildungen aufweisen. Was für ein Schatz für die Frauen und Familien, die wir so zusammenarbeitend betreuen! Was für eine Quelle für befruchtenden Austausch dieser unterschiedlichen Expertise und Kompetenzen – wenn wir es schaffen, diese gezielt zu nutzen! Dazu gehört auch, mit den akademischen Abschlüssen mehr Gehalt zu fordern, statt sich in alten finanziellen Strukturen einzurichten.

Erfahrungen anderer Länder

An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Schweiz. Hier hat die Akademisierung bereits 2008 begonnen und hat in den Kantonen und Spitälern unterschiedliche Teamzusammensetzungen zum Vorschein gebracht. In vielen Spitälern gibt es bereits eine große Team-Diversität, in anderen gibt es „Monokulturen“ – entweder nur akademisierte oder nur fachschulisch ausgebildete Hebammen. Einige Spitäler haben ihre Hebammen aufgefordert, sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums akademisch nachzuqualifizieren. Sie bezahlen teilweise die dafür anfallenden Studiengebühren und stellen höherer Gehälter in Aussicht. In anderen Spitälern werden alle Hebammen gleichermaßen angestellt und die akademisierten Hebammen verhandeln individuell. Manche Kantone fordern eine bestimmte Quote akademisierter Hebammen, andere nicht. Wie das Gesundheitswesen in Deutschland oder die Länder mit dieser Diversität umgehen werden, ist noch unklar. Der Blick in die Schweiz macht aber auch klar, dass „der Markt“ und vielleicht nicht notwendigerweise die große Politik über die Frage entscheidet, ob Hebammen sich akademisch nachqualifizieren sollten. Und vielleicht entscheiden darüber irgendwann die Frauen mit der Wahl der Geburtsklinik oder -institution? Wer eine freie Wahl haben will, sollte also – auch noch als Spätberufende – studieren!

Abwartendes oder aktives Management?

Die Schweiz hat viele kleine interessante und sehr pragmatische Übergangsregelungen geschaffen. Deutschland agiert hier eher schwerfälliger, was auch dem föderalen Bildungssystem geschuldet ist. Frauenpolitisch stellt sich aber in der Tat die Frage, ob „Studieren in dritter Reihe“ unserer Professionalisierung wirklich dienlich ist. Wir haben Möglichkeiten, bereits examinierte Hebammen berufsbegleitend an unterschiedlichen Hochschulen und mit verschiedenen Programmen zur Bachelorhebamme zu qualifizieren. Die ist umso wichtiger, weil die Neuwüchse in der Ausbildungslandschaft rasch eine ausreichende Zahl an Professorinnen und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen benötigen. Sonst laufen wir Gefahr, dass unter dem bestehenden Zeitdruck Lehrstühle und Stellen an Hochschulen stattdessen mit ÄrztInnen oder anderen nahestehenden Professionen besetzt werden. Daher sollten jetzt alle Akteurinnen an einem Strang ziehen.

Blick ins Jahr 2030

In der neuen „Gemeinschaftsblase“, die ich mir vorstelle, haben wir es geschafft, für alle Bundesländer eine Anzahl von Hochschulen festzulegen, die uns qualifizierten Nachwuchs sichert, ohne dass wir uns diesen gegenseitig „abgraben“. In diesen Hochschulen wird Hebammenkunde von Anfang an studiert. Die 2017 noch nicht studierten Hebammen haben sich akademisch nachqualifiziert und bilden mit ihrer langjährigen klinischen Erfahrung nebst Studium mit den 2017 studierten Hebammen, die dann auch schon 13 Jahre Berufserfahrung haben, das Zentrum evidenzbasierter geburtshilflicher Praxis im Betreuungsbogen. Wir haben es geschafft, Übergangsregelungen durchzusetzen, die uns in der Ausbildung sowohl die Expertise der Lehrhebammen gesichert haben als auch die klinische Expertise der nicht akademisch ausgebildeten Kolleginnen bewahrt und/oder diese pragmatisch nachqualifiziert haben. Wir haben alle Professuren mit Hebammen besetzt und können im Mittelbau, bei den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, auf eine Vielzahl von berufserfahrenen Bachelor- und Masterhebammen zurückgreifen, die mit unterschiedlichem Studienhintergrund lehren und methodisch forschend vorgehen. Frauen und Familien sind in Deutschland flächendeckend bestmöglich und evidenzbasiert versorgt. In den interdisziplinären Teams der Geburtshilfe entwickeln wir gemeinsam auf Augenhöhe Standards auf wissenschaftlicher Grundlage. Wir haben Regelungen gefunden, die akademische Qualifizierung zur Hebamme in den praktischen Einsatzzeiten finanziell zu vergüten. Die werdenden Hebammen von 2030 schauen uns komisch an, wenn wir von den jetzigen Pionierjahren und Auseinandersetzungen sprechen, genauso wie unsere Kinder uns komisch ansehen, wenn wir davon erzählen, dass einmal eine Mauer eine Stadt geteilt hat. Hebammenkunde zu studieren ist normal geworden. Neue Hebammen hat das Land.

Schlüsselbotschaften
Voraussetzung für das Studium:

  • Hochschulzugangsberechtigung (Fachabitur, Abitur oder eine Anerkennung der beruflicher Qualifikation)

Mehrwert des Studiums:

  • wissenschaftliche Grundlage für die informierte Wahl der Frau
  • Sicherung des Nachwuchses
  • Auslandsmobilität

Verdienst:

  • je nach Tätigkeit/Aufgabe mehr als die für Hebammen seit 1.1.2017 geltende Einstufung in die Entgeltgruppe P 8 (TvÖD – BTK Krankenhäuser), beispielsweise EG P 9

Im Übergang:

  • „bunte“ Teams aus Hebammen mit unterschiedlicher Evidenzkompetenz
  • Forderung einer akademischen Nachqualifikation durch Kliniken oder bestimmte Bundesländer und/oder Frauen
Zitiervorlage
Müller-Rockstroh B: Mehrwert Studium? DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (8): 43–45
Literatur
Butz J, Walper K, Wangler S, Simon A: Anforderungen, Mehrwert und Kompetenzen für die Akademisierung – Ergebnisse einer Expertenbefragung. DDHWi 2017. 5/2017, Heft 1: 12–17

Sacket DL, Rosenberg WM, Gray AJ, Haynes RB, Richardson WS: Evidence based medicine: what it is and what it isn’t. BMJ 1996. 312 (7028): 71–72

Sackett D, Richardson W, Rosenberg W, Haynes R: Evidenzbasierte Medizin. EBM-Umsetzung und Vermittlung. Deutsche Ausgabe: Kunz R, Fritsche L W (Hrsg.). München. Zuckschwerdt Verlag 1997

Stahl K: Evidenzbasiertes Arbeiten. Hebamme.ch 2008. 10/2008: 4–7

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