Für sich alleine genommen reicht keine der Komponenten aus, um eine bestmögliche Betreuung zu gewährleisten im Hinblick auf körperliche und persönliche Integrität, emotionales und psychisches Wohlbefinden und Sicherheitsgefühl der betreuten Frauen, Kinder und Familien. Evidenzbasiert arbeiten beinhaltet die Zusammenführung aller drei Komponenten.
Der zweite Aspekt betrifft die Herausforderung, ausreichend und ausreichend qualifizierten Nachwuchs zu generieren. Es braucht junge Kolleginnen, die nicht nur Lust haben, in den Beruf einzusteigen, sondern auch dabei zu bleiben. Die nach den eigenen Kindern in den Beruf zurückkehren oder sich vielleicht ein anderes Tätigkeitsfeld oder eine Tätigkeit auf einer anderen Ebene eröffnen, auf der sie für die Gesundheit von Frauen und Kindern streiten können. Ein Bachelorstudium bietet hier die Möglichkeit, sich darauf aufbauend mit einem Master zu spezialisieren. Wir brauchen diese spezialisierten Hebammen, die auf Augenhöhe in weiteren Teilen der Gesellschaft auch außerhalb der Klinik vertreten sind, beispielsweise in Politik, Wirtschaft, Kultur oder in den Chefetagen der Krankenkassen. Die Herausforderung wird darin liegen, von dieser Möglichkeit niemanden aufgrund finanzieller Unmöglichkeiten auszuschließen, sondern Strukturen zu schaffen, wie auch Praxisanteile im Hebammenstudium finanziert werden können, so wie momentan die fachschulische Ausbildung finanziert wird.
Der dritte Aspekt betrifft unsere berufliche Mobilität. Deutschland bildet in Europa momentan das Schlusslicht akademisierter Hebammen. Aus Befragungen mit derzeitigen Studentinnen ist deutlich geworden (Evaluationsberichte Hochschule Fulda, vergleiche auch Butz et al. 2017), dass eine wesentliche Motivation zu studieren für junge Frauen darin liegt, auch im Ausland als Hebamme anerkannt zu werden oder dort weiter zu studieren.
Gemischte Hebammenteams
Gleiche Tätigkeit wird gleich entlohnt. Eine erfahrene, an einer Berufsfachschule ausgebildete Hebamme, die eine Gebärende begleitet und vor dem Hocker kniet, erhält bisher den gleichen Lohn wie eine Hebamme mit Bachelor- oder Masterabschluss oder sogar Promotion. Ein wissenschaftlicher Abschluss führt also nicht automatisch zu einer Höherentlohnung. Übernimmt die wissenschaftlich qualifizierte Hebamme jedoch andere Aufgaben, beispielsweise indem sie auf wissenschaftlicher Grundlage hausinterne Standards in der Geburtshilfe entwickelt, Forschungsprojekte anstößt oder daran mitwirkt, kann und muss sie höher entlohnt werden. Studierte Hebammen aus den bisherigen Studiengängen haben das bereits erfolgreich verhandelt. In den nächsten Jahren werden sich Teams mit großer Wahrscheinlichkeit differenzieren und diversifizieren: Junge, primärqualifizierend ausgebildete Bachelorhebammen werden neben nachqualifizierten berufserfahrenen Bachelorhebammen, neben Hebammen mit Masterabschluss und neben Kolleginnen arbeiten, die zwar keine wissenschaftliche Qualifikation, dafür aber viele Jahre Berufserfahrung und spezielle Weiterbildungen aufweisen. Was für ein Schatz für die Frauen und Familien, die wir so zusammenarbeitend betreuen! Was für eine Quelle für befruchtenden Austausch dieser unterschiedlichen Expertise und Kompetenzen – wenn wir es schaffen, diese gezielt zu nutzen! Dazu gehört auch, mit den akademischen Abschlüssen mehr Gehalt zu fordern, statt sich in alten finanziellen Strukturen einzurichten.
Erfahrungen anderer Länder
An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Schweiz. Hier hat die Akademisierung bereits 2008 begonnen und hat in den Kantonen und Spitälern unterschiedliche Teamzusammensetzungen zum Vorschein gebracht. In vielen Spitälern gibt es bereits eine große Team-Diversität, in anderen gibt es „Monokulturen“ – entweder nur akademisierte oder nur fachschulisch ausgebildete Hebammen. Einige Spitäler haben ihre Hebammen aufgefordert, sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums akademisch nachzuqualifizieren. Sie bezahlen teilweise die dafür anfallenden Studiengebühren und stellen höherer Gehälter in Aussicht. In anderen Spitälern werden alle Hebammen gleichermaßen angestellt und die akademisierten Hebammen verhandeln individuell. Manche Kantone fordern eine bestimmte Quote akademisierter Hebammen, andere nicht. Wie das Gesundheitswesen in Deutschland oder die Länder mit dieser Diversität umgehen werden, ist noch unklar. Der Blick in die Schweiz macht aber auch klar, dass „der Markt“ und vielleicht nicht notwendigerweise die große Politik über die Frage entscheidet, ob Hebammen sich akademisch nachqualifizieren sollten. Und vielleicht entscheiden darüber irgendwann die Frauen mit der Wahl der Geburtsklinik oder -institution? Wer eine freie Wahl haben will, sollte also – auch noch als Spätberufende – studieren!
Abwartendes oder aktives Management?
Die Schweiz hat viele kleine interessante und sehr pragmatische Übergangsregelungen geschaffen. Deutschland agiert hier eher schwerfälliger, was auch dem föderalen Bildungssystem geschuldet ist. Frauenpolitisch stellt sich aber in der Tat die Frage, ob „Studieren in dritter Reihe“ unserer Professionalisierung wirklich dienlich ist. Wir haben Möglichkeiten, bereits examinierte Hebammen berufsbegleitend an unterschiedlichen Hochschulen und mit verschiedenen Programmen zur Bachelorhebamme zu qualifizieren. Die ist umso wichtiger, weil die Neuwüchse in der Ausbildungslandschaft rasch eine ausreichende Zahl an Professorinnen und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen benötigen. Sonst laufen wir Gefahr, dass unter dem bestehenden Zeitdruck Lehrstühle und Stellen an Hochschulen stattdessen mit ÄrztInnen oder anderen nahestehenden Professionen besetzt werden. Daher sollten jetzt alle Akteurinnen an einem Strang ziehen.
Blick ins Jahr 2030
In der neuen „Gemeinschaftsblase“, die ich mir vorstelle, haben wir es geschafft, für alle Bundesländer eine Anzahl von Hochschulen festzulegen, die uns qualifizierten Nachwuchs sichert, ohne dass wir uns diesen gegenseitig „abgraben“. In diesen Hochschulen wird Hebammenkunde von Anfang an studiert. Die 2017 noch nicht studierten Hebammen haben sich akademisch nachqualifiziert und bilden mit ihrer langjährigen klinischen Erfahrung nebst Studium mit den 2017 studierten Hebammen, die dann auch schon 13 Jahre Berufserfahrung haben, das Zentrum evidenzbasierter geburtshilflicher Praxis im Betreuungsbogen. Wir haben es geschafft, Übergangsregelungen durchzusetzen, die uns in der Ausbildung sowohl die Expertise der Lehrhebammen gesichert haben als auch die klinische Expertise der nicht akademisch ausgebildeten Kolleginnen bewahrt und/oder diese pragmatisch nachqualifiziert haben. Wir haben alle Professuren mit Hebammen besetzt und können im Mittelbau, bei den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, auf eine Vielzahl von berufserfahrenen Bachelor- und Masterhebammen zurückgreifen, die mit unterschiedlichem Studienhintergrund lehren und methodisch forschend vorgehen. Frauen und Familien sind in Deutschland flächendeckend bestmöglich und evidenzbasiert versorgt. In den interdisziplinären Teams der Geburtshilfe entwickeln wir gemeinsam auf Augenhöhe Standards auf wissenschaftlicher Grundlage. Wir haben Regelungen gefunden, die akademische Qualifizierung zur Hebamme in den praktischen Einsatzzeiten finanziell zu vergüten. Die werdenden Hebammen von 2030 schauen uns komisch an, wenn wir von den jetzigen Pionierjahren und Auseinandersetzungen sprechen, genauso wie unsere Kinder uns komisch ansehen, wenn wir davon erzählen, dass einmal eine Mauer eine Stadt geteilt hat. Hebammenkunde zu studieren ist normal geworden. Neue Hebammen hat das Land.