Arbeit und Freizeit – in Australien gehört dies untrennbar zusammen: „Old bar“ heißt der Künstenabschnitt vor der Stadt Taree an der Ostküste Australiens, wo Freizeit zur „Quality time“ wird. Foto: © Sabine Kopsch

Obwohl Australien dringend GeburtshelferInnen benötigt, sind die bürokratischen Hürden für europäische Hebammen recht hoch. Doch es lohnt sich, dies auf sich zu nehmen. Eine deutsche Hebamme erfüllte sich einen Traum: Seit über einem Jahr arbeitet und lebt sie mit ihrem Mann in Down Under. 

„No two days are ever the same”, ist der Leitspruch der Hebammen im Bundesstaat New South Wales in Australien – salopp übersetzt: „Jeder Tag ist anders“. Seit einem Jahr ist es auch mein Leitspruch geworden, denn so lange leben und arbeiten mein Mann und ich jetzt in Down Under. Wir sind nach Australien gegangen, weil wir den Wunsch hatten, für einige Zeit im Ausland zu arbeiten. Und da wir Australien bereits mehrmals bereist hatten, fiel die Wahl schnell auf Down Under. In Taree, fünf Autostunden nördlich von Sydney, haben wir eine neue Heimat gefunden. Mein Mann ist Anästhesist und hat eine Stelle als Facharzt, ich bin als Registered Midwife – nur als solche bin ich arbeitsberechtigt und versichert – eingestellt worden. Das Krankenhaus in Taree hat 180 Betten, die Maternity Unit mit 750 Geburten im Jahr ist eine der größeren Abteilungen des Krankenhauses. Das nächste Maximalversorgungskrankenhaus mit Neonatologie liegt zwei Autostunden entfernt in Newcastle. Jeder, der einen medizinischen Beruf in Australien ausüben möchte, muss sich zunächst bei der Zulassungsbehörde AHPRA (Australian Health Practitioner Regulation Agency) registrieren lassen, um eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen. Nach mehr als einem Jahr Vorbereitung, Wartezeit auf die Registrierung, Schriftverkehr mit dem Arbeitgeber, Englischtest (International English Language Testing System, IELTS), Übersetzung und Beglaubigung von Dokumenten und Beantragung des Visums, sind wir im Sommer 2012 nach Australien gezogen.

Hebammenmangel

Die Maternity Unit, in der ich arbeite, besteht aus drei Kreißsälen, einer Wochenbettstation mit 13 Betten und einer Überwachungsstation für Neugeborene. Alle drei Stationen sind räumlich miteinander verbunden und werden pro Schicht mit jeweils einer Hebamme besetzt. Tagsüber löst eine vierte Hebamme die Kolleginnen zur Pause ab. Sie ist auch die zweite Hebamme bei Geburten und hilft dort, wo am meisten Arbeit anfällt. Nachts gibt es statt einer vierten Hebamme eine Rufbereitschaft. In Australien begleiten immer zwei Hebammen eine Geburt, bei Frauen mit einem erhöhten Risiko wird der Arzt dazu gerufen. Ähnlich wie in Deutschland gibt es oft mehr zu tun, als eine Hebamme leisten kann. Es gibt dauerhaft berufspolitische Diskussionen über den Mehrbedarf an Hebammen. Erschwerend kommt hinzu, dass dieser erhöhte Bedarf nicht gedeckt werden kann, da es australienweit zu wenige Hebammen gibt. Bis vor kurzem war es nur möglich, nach abgeschlossener Ausbildung als Krankenschwester den Hebammenberuf zu erlernen. Inzwischen ist der Direkteinstieg über den Bachelor of Science (Midwifery) möglich. Die australische Regierung hofft, damit dem landesweiten Hebammenmangel entgegenzuwirken. Durch die Registrierungsbehörde AHPRA werden alle aktuell arbeitenden Hebammen statistisch erfasst. Aber nicht alle registrierten Hebammen arbeiten auch tatsächlich in ihrem Beruf, sondern viele sind auch oder wieder als Krankenschwestern tätig. Die Regierung hofft zwar, durch das Studium dem Mangel entgegenzuwirken, aber viele kleine Krankenhäuser werden weiterhin gezielt nach Hebammen suchen, die sie im ganzen Haus universell als Krankenschwestern einsetzen können. Viele Kolleginnen glauben nicht, dass sich an dem schon seit vielen Jahren bestehendem Mangel etwas ändern wird.

Professioneller Abstand

Ich werde als Registered Midwife in jedem Tätigkeitsfeld eingesetzt und rotiere täglich zwischen Kreißsaal, Wochenbettstation und der Überwachungsstation. Nach drei (!) Tagen Einarbeitungszeit und inzwischen ein paar Monaten Routine fühle ich mich angekommen und in der Lage, die Frauen meinen eigenen Ansprüchen und den australischen Standards entsprechend gut zu betreuen und gleichzeitig den Berg an Papier zu bewältigen. Das war am Anfang nicht so einfach. Trotz meiner jahrelangen Erfahrung bin ich anfangs unsicher gewesen, da die kulturellen Unterschiede größer sind als erwartet. In Australien wird sehr viel Wert auf professionellen Abstand zu den Familien gelegt: Die Frauen werden, außer für Untersuchungen, nicht berührt, das bleibt den Begleitpersonen vorbehalten. Auch ist die englische Fachsprache im Gegensatz zur Umgangssprache im Kreißsaal eine ganz andere. Wer kann schon wissen, dass alle Kinder „Bub” (Baby) als Kosenamen haben? Den Begriff „Integrative Wochenbettpflege“ gibt es hier nicht, da Hebammen immer schon eine ganzheitliche Betreuung geleistet haben. Morphin und Lachgas als Schmerzerleichterung waren ebenfalls neu für mich. Als Hebamme bin ich immer wieder überrascht und glücklich, wie selbstverständlich das Stillen sein kann. Der Nutzen von Kolostrum ist fast jeder Frau bekannt und so legen die meisten Frauen ihr Kind automatisch nach der Geburt an – selbst Mütter, die nicht weiter stillen möchten.

Guidelines und Policys

Hebammen in Australien arbeiten nach Guidelines (Leitlinien) und jedes Procedere hat eine eigene Policy. Das heißt, jeder Arbeitsvorgang ist schriftlich niedergelegt. Die Policys werden der aktuellen Evidenz angepasst, so dass wissenschaftlich basiertes Handeln möglich ist. Andererseits erschwert es für mein Empfinden manchmal ein individuelles Handeln. Bevor bestimmte Arbeitsgänge durchgeführt werden können, muss zunächst der Policy entsprechend jeder Arbeitsschritt davor dem Protokoll entsprechen. Für mein Verständnis geht in einigen dringlichen Situationen somit wertvolle Zeit verloren. Ich darf zum Beispiel Oxytocin als Notfallmedikament nicht eigenverantwortlich geben, sondern muss es immer von einer zweiten Hebamme prüfen lassen. Diese Art der Doppelprüfung von Medikamenten an sich ist sehr sinnvoll, im Falle einer postpartalen Blutung müssen jedoch beide Fachkräfte ihr Notfallmanagement unterbrechen und das zu gebende Medikament gegenzeichnen. Die Herausforderungen für mich in diesem Land – und speziell in der ländlichen Umgebung – besteht darin, Situationen zu meistern, die ich so nicht kannte: Alle Ärzte und das OP-Personal machen in Taree ab 16 Uhr eine Rufbereitschaft. Das heißt, im Falle einer Notsectio dauert es eine dreiviertel Stunde, bis das gesamte Team vor Ort ist. In der Neugeborenenstation gibt es keine Beatmungsplätze. Beatmungspflichtige Neugeborene werden von Hebammen und Kinderärzten versorgt, bis das Verlegungsteam vor Ort ist. Die Organisation einer Verlegung ist sehr aufwändig: Es muss eine Hebamme für den Transport organisiert werden, ein freies Bett für Mutter und Kind muss besorgt und schließlich die gesamte Versorgung und Verlegung sorgfältig dokumentiert werden. Die Abwicklung einer solchen Verlegung kann drei bis zehn Stunden dauern. Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten auf dem Land ist das die herausforderndste Umstellung für mich: eine bestmögliche Versorgung zu gewährleisten, obwohl die Möglichkeiten begrenzt und die Transportwege lang sind. Auch Frauen mit drohender Frühgeburt werden verlegt. Je nach Art des Transportmittels, Auto oder Hubschrauber, wird die Frau von einer Hebamme begleitet. Im Falle einer nicht akuten Verlegung – beispielsweise vorzeitiger Blasensprung in der 30. Schwangerschaftswoche ohne Wehen – wird die Frau von einer Hebamme aus dem Team im Krankenwagen begleitet. Im Falle einer Akutverlegung (28. Schwangerschaftswoche und unaufhaltsame Wehen) wird mit der Flugambulanz verlegt. Die Frau wird von einem Team (Hebamme und Gynäkologe) aus dem Krankenhaus begleitet, in das verlegt wird. In einigen Fällen begleitet auch ein Team für das noch ungeborene Kind den Flug. Regelmäßige Fortbildungen sind eine der Voraussetzungen der Registrierung und ebenfalls vom Arbeitgeber gefordert. Es gibt verpflichtende Fortbildungen, wie Neugeborenenreanimation oder CTG-Anwendung, und zahlreiche freiwillige. Je nach Fortbildung ist es möglich, einen Großteil davon online zu absolvieren. So bleibt man auf dem aktuellen Stand und kann in seinem eigenen Tempo lernen. Praktische Fortbildungen, wie zum Beispiel in Reanimation oder Schulterdystokie finden regelmäßig in den Übergabezeiten statt.

Quellen: Australian Bureau of Statistics 2013, National Salary Data; AIHW 2011. Australia’s mothers and babies 2009. Perinatal statistics series no. 25. Cat. no. PER 52. Canberra: AIHW. Viewed 11 August 2013; http://www.aihw.gov.au/publication-detail/?id=10737420870>, Zugriff 9.8.2013; King J F & Sullivan EA 2006. Maternal deaths in Australia 2000-2002. Maternal deaths series no. 2. Cat. no. PER 32. Canberra: AIHW, 49,6 % in 2009 geltend fuer Erstgebaerende (6AIHW National Perinatal Epidemiology and Statistics Unit and AIHW 2013. National core maternity indicators. Cat. no. PER 58. Canberra: AIHW); http://www.abs.gov.au/AUSSTATS/abs@.nsf/Latestproducts/04FEBEF9C81FE6B
ACA25732C002077A2, Zugriff: 9.9.2013; Australian Bureau of Statistics,
http://www.abs.gov.au/AUSSTATS/abs@.nsf/Latestproducts/04FEBEF9C81
FE6BACA25732C002077A2

Schwangerenvorsorge bei Hebamme und Arzt

Das Team der 32 Hebammen in Taree bietet jeden Tag Vorsorgeuntersuchungen in einer eigens eingerichteten Hebammensprechstunde (antenatal clinic) an. Viele Frauen nutzen dieses Angebot und wechseln in der Betreuung zwischen Arzt und Hebamme ab – auf dem Lande etwa eins zu eins. Der Home Midwifery Service bietet postnatal eine Versorgung in den ersten sieben Tagen nach der Geburt an und es gibt ein Angebot für Vorbereitungskurse. Alle diese außerklinischen Tätigkeiten werden von Hebammen des Teams in der regulären Arbeitszeit geleistet. Sie werden finanziell aus unterschiedlichen „Töpfen” gefördert, so dass es jedes Jahr Verhandlungen über die Notwendigkeit und Bezahlung dieser Arbeiten gibt. Es gibt leider in dieser Gegend seit einigen Jahren keine Finanzierung für freiberufliche Hebammen. Das heißt, es gibt hier keine registrierten Hebammen, die Hausgeburten begleiten. Es gibt allerdings nicht registrierte Hebammen, die nicht versichert sind und bis zu 10.000 Australische Dollar (7.000 Euro) privat von den Frauen verlangen, um die Geburt zu begleiten. Da die Hebammen nicht registriert sind, haben sie offiziell keine Arbeitserlaubnis und dürfen nicht mit dem öffentlichen Gesundheitssystem abrechnen. Frauen im Umkreis von 100 bis 200 Kilometer haben mangels Möglichkeiten keine freie Wahl des Geburtsortes. Sie müssten eine lange Reise auf sich nehmen, um beispielsweise in ein Geburtshaus zu fahren, oder sie gehen das Risiko einer Hausgeburt ein und gebären damit alleine, ohne jegliche fachliche Kompetenz. Ein hebammengeleitetes Geburtshaus gibt es in Newcastle, zwei Autostunden entfernt.

Nicht länger ein Traum

Freie Zeit („Quality time“) mit der Familie wird in Down Under groß geschrieben. Es ist für uns nicht mehr nachvollziehbar, warum dies in Deutschland, gerade für MitarbeiterInnen im Gesundheitssystem, nicht durchführbar ist. Dies war auch ein Grund für uns, nach Australien zu gehen. Mein Mann als Arzt ist angehalten, nicht mehr als 40 Stunden in der Woche zu arbeiten – das war in Deutschland anders. Auch ich komme selten über meine Wochenarbeitszeit hinaus. Unsere Dienstpläne können mein Mann und ich gut aufeinander abstimmen und haben so gemeinsame freie Wochenenden. Das heißt nicht, dass es keine Überstunden gäbe. Aber sie müssen vom übergeordneten Supervisor genehmigt werden, der zunächst versucht, einen Ersatz zu besorgen. Sollte das nicht möglich sein, werden Überstunden in letzter Instanz sehr gut bezahlt. An einem verlängerten Wochenende schnorcheln zu gehen, eine Tour ins Outback zu machen, wandern zu gehen oder vor dem Spätdienst im Meer zu schwimmen – das alles ist nun nicht länger ein Traum. Es hat sich gelohnt!

Als ausländische Hebamme in Australien
Die australische Regierung hat die deutsche Ausbildung nach der EU-Direktive 2005/36/EG anerkannt, das allerdings nur auf dem Papier. Viel wichtiger, so scheint es, ist vor allem eine Kontinuität im Hebammenberuf der letzten fünf Jahre nachweisen zu können. Wer genau über die Zulassung entscheidet, ist unklar und man hat leider keinen Einfluss darauf. Die Anerkennung des Hebammenberufes ist nicht einfach, obwohl so dringend Fachkräfte gesucht werden. Der Hebammenberuf steht auf der sogenannten „skilled occupation list“, das ist eine von der Regierung herausgegebene Liste der meistgesuchten Berufe in Australien. Wenn der gesuchte Beruf auf dieser Liste steht, hat man sehr gute Chancen, direkt mit einer unbeschränkten Aufenthaltsgenehmigung in Australien leben und arbeiten zu können. Nichtsdestotrotz braucht man zunächst einen Sponsor, das heißt einen Arbeitgeber, der dieses Visum unterstützt. Die Australier, obwohl sehr entspannt im Lebensstil, haben in Sachen Bürokratie auf jeden Fall die Nase vorn! Voraussetzung:

  • Registrierung bei AHPRA (www.ahpra.gov.au)
  • International English Language Test System/IELTS: 7,0 in jeder Kategorie (www.ielts.britishcouncil.org)
  • alle Dokumente bezüglich der Hebammenarbeit (Zeugnisse, Zertifikate, Fortbildungsbescheinigungen der letzten fünf Jahre) übersetzen und anschließend notariell beglaubigen lassen

Visum

  • Businessvisa 457 vom Arbeitgeber gesponsert (www.immi.gov.au) oder
  • Permanent residency (www.anmac.org.au)

Kosten

  • Etwa 3.500 – 5.000 Euro (je nach Umfang der Übersetzungen und Prüfungen für den Englischtest)
Zitiervorlage
Kopsch S: Hebamme in Australien: “Quality time”. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (12): 78–80
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