Im Rahmen des XIII. Hebammenkongresses in Nürnberg fand am Tag vor dem Hauptkongress der Forschungsworkshop der Hebammengemeinschaftshilfe (HGH) statt. Er widmete sich vielen aktuellen Fragen aus der täglichen Hebammenpraxis. Hebammen, Studierende und Schülerinnen stellten ihre Forschungsergebnisse vor und schärften den Blick für innovative Wege.
Zeitgleich mit dem Vorkongress, der über zwei Tage Fortbildungen anbot, fand der Hebammenforschungsworkshop am 5. Mai, einen Tag vor Beginn des XIII. Hebammenkongresses in Nürnberg statt. 160 TeilnehmerInnen hatten sich dazu angemeldet. Unter der bewährten Moderation von Ursula Jahn-Zöhrens, der ersten Vorsitzenden der HGH, und Andrea Bosch, Leitende Hebamme im Klinikum Stuttgart, bekamen sie einen spannenden Einblick in laufende und abgeschlossene Forschungsprojekte von Kolleginnen, Hebammenschülerinnen und -studentinnen. Dabei beeindruckten sowohl das Spektrum der Themen als auch ihre Implikationen für die Praxis.
Belastungssituationen
Gleich die erste Präsentation betraf ein wichtiges und (leider) sehr aktuelles Problem aus der Praxis. Die Hebamme und Pflegewissenschaftlerin Britta Boente hatte ihre Bachelorarbeit dem Thema „Psychosoziale Belastungssituationen berufserfahrener Hebammen” gewidmet. Sie fand drei zentrale stressrelevante Bereiche, die entweder mit prozesshafter Kommunikation – der Verständigung im Zuge von Prozessen wie eben der Geburt – oder mit Zuständigkeitsstrukturen oder mit beiden Ebenen zusammenhängen: Stress in der Beziehung zwischen Hebamme und Frau, zwischen Hebamme und Arzt oder Ärztin und Stress in den Beziehungen der Hebammen untereinander. Boentes wichtigstes Ergebnis: Hebammen können sich durch die Erweiterung ihrer kommunikativen Kompetenzen vor psychosozialen Belastungen schützen. Auch strukturelle Änderungen, etwa in der Zusammenarbeit mit ÄrztInnen, sind hilfreich. Konkurrenz untereinander ist ebenfalls ein großes Feld möglicher Belastungen. Umso wichtiger – das wurde in der Diskussion deutlich – ist das Erlernen von Teamfähigkeit während der Ausbildung, um psychosozialen Belastungen entgegenzuwirken.
Ein weiteres für Hebammen belastendes Thema stellte die Hebamme und Dozentin am Institut für Hebammen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) Gabriele Hasenberg vor. In ihrer Grounded Theory Studie zum Thema „Hebammenarbeit in der Situation des Schwangerschaftsabbruchs im zweiten und dritten Trimenon” hatte sie neun narrative Interviews mit Kolleginnen in der Schweiz geführt. Thema war die Begleitung von Frauen bei einem Schwangerschaftsabbruch im zweiten und dritten Schwangerschaftsdrittel. Deutlich wurde bei der Präsentation der Ergebnisse, dass sich – neben vielen Übereinstimmungen im Erleben der Hebammen und den Zielen der Begleitung – auch graduelle Unterschiede im Vergleich zu den Einstellungen von Hebammen in Deutschland feststellen lassen. Noch akzentuierter als bei uns ist, neben einer würdevollen Begegnung mit dem Kind, die Autonomie der Frau bei dieser Begleitung ein zentraler Wert der Schweizer Hebammen. Auch das Vertrauen in die Werteabwägung und Entscheidung der klinischen Ethikkommissionen scheint dort größer zu sein als in Deutschland.
Schwierige Geburtsverläufe
Ganz praxisnah und elementar wichtig für Hebammen war auch das Thema der qualitativen Studie der Hebamme und Psychologiestudentin Andrea Schnitt aus Berlin: „Die psychische Verarbeitung schwieriger Geburtsverläufe durch die betreuenden Hebammen”. Schwere Geburten, bei denen Mutter und Kind oder auch beide Schaden erleiden, können lang anhaltende Effekte für Hebammen und ÄrztInnen haben wie Schuldgefühle, emotionale Distanzierung, Selbstwertprobleme, Zweifeln an der eigenen Kompetenz bis hin zum In-Frage-stellen des Berufes. Gegenseitige Schuldzuweisungen im Team, die Angst vor Klagen, keine Austauschmöglichkeiten oder gefälschte und manipulierte Dokumentationen, zu denen man gezwungen wurde, können die Situation noch unerträglicher machen und einen Teufelskreis der Selbstabwertung in Gang setzen.
Hilfreiche Strategien, die in den sechs qualitativen Interviews genannt wurden, waren: in die Auseinandersetzung gehen
- sich bewusst machen,
- alles getan zu haben
- sich der eigenen Kompetenzen wieder vergewissern
- den Erfahrungen einen Sinn geben durch das Entwickeln von Handlungsanweisungen für zukünftige Situationen
- das Einholen von Rechtssicherheit.
Die Hebamme und Psychologiestudentin entwickelte aus ihrer Arbeit auch wertvolle Empfehlungen für die Praxis:
- ausreichend Zeit für die Dokumentation und die emotionale Verarbeitung
- eine zeitnahe Supervision mit einer geburtshilflich versierten Expertin oder einem Experten
- dienstfreie Tage zur Regeneration
- regelmäßige Weiterbildungen
- Notfalltrainings für das Team.
In der Hebammenausbildung können zum Beispiel das Erlernen des Rollenstressmodells im Psychologieunterricht und eine solide Notfallkompetenz die Lernenden fachlich und emotional auf den Umgang mit schwierigen Geburten vorbereiten.
Originäre Hebammenarbeit
Wie wichtig es ist, die eigenen Routinen kritisch zu reflektieren und wissenschaftlich zu hinterfragen, zeigte die Studie von Luise Lengler. Die Hebamme und Absolventin des Europäischen Masterstudiengangs der Medizinischen Hochschule Hannover ging der Frage nach: „Welche Einstellungen haben Hebammen gegenüber der Oxytocingabe bei risikoarmen Geburten?” Die größte Bereitschaft zur Oxytocingabe fand Lengler bei Kolleginnen in der Altersgruppe zwischen 40 und 49 Jahren, die ausschließlich in einer Klinik arbeiten, der eine neonatologische Abteilung angeschlossen ist. Je früher die Frau zur Aufnahme in die Klinik kam, desto mehr Oxytocin wurde verabreicht – ein Ergebnis, das nachdenklich macht. „Wissen Hebammen nicht, dass Oxytocin gefährlich ist?”, fragte die Referentin.
Ebenfalls originäre Hebammenarbeit betrafen zwei Vorträge zum Umgang mit Dammverletzungen, deren unterschiedliche Perspektiven sich gut ergänzten. Die österreichische Hebamme Sylvia Kvasnicka hatte in einer Onlinebefragung, an der 117 deutsche und österreichische Kolleginnen teilnahmen, untersucht, in welchem Umfang die Hebammen DR I- und DR II-Verletzungen nähten oder auch nicht weiter versorgten und einer spontanen Heilung den Vorzug gaben. Ihre Ergebnisse, wie etwa die Tatsache, dass fast zehn Prozent dieser Hebammen auch bei einem DR II angaben, dass sie nicht selbstverständlich nähen, sondern abwägen würden, wurden lebhaft diskutiert. Es wurde festgestellt, dass in beiden Ländern zu diesem Thema Fortbildungsbedarf besteht. Peggy Seehafer, Hebamme und Anthropologin, stellte ein E-Learning-Portal zum evidenzbasierten Lernen von Diagnostik, Analgesie und der Naht von Geburtsverletzungen vor. Das in Skandinavien in der Ausbildung von ÄrztInnen und Hebammen bewährte Lerninstrument wird zunehmend auch in Deutschland zur Ausbildung eingesetzt.
Auch die postpartale Versorgung war Thema in den vorgestellten Studien. Die Hebamme Elisabeth Haselsteiner aus Wien hatte die Rahmenbedingungen im klinischen Setting auf der Wochenbettstation in Österreich und die mangelhafte Versorgung der Wöchnerinnen zu Hause untersucht. Die Schweizer Erziehungswissenschaftlerin und Pfegefachfrau Susanne Knüppel-Lauener stellte ein aussagekräftiges, leicht anwendbares und nicht zeitaufwändiges zweistufiges Screeningverfahren zur Früherkennung einer postnatalen Depression vor. Angesichts der Tatsache, dass 10 bis 15 Prozent aller Wöchnerinnen davon betroffen sind und die Erkrankung bei mehr als 50 Prozent der Frauen nicht erkannt und nicht behandelt wird, erscheint dieser Test als äußerst hilfreiches Instrument. Er sollte in die Routinebetreuung der Wöchnerinnen aufgenommen werden.
Auch der erste primärqualifizierende Studiengang für Hebammen an der Hochschule für Gesundheit in Bochum wurde im Rahmen des Forschungsworkshops durch Prof. Dr. Nicola Bauer vorgestellt. In diesem Jahr beenden die ersten Absolventinnen dort ihre Ausbildung. Eine Arbeit im Werden stellte die Hebamme und Pflege- sowie Gesundheitswissenschaftlerin Lea Beckmann mit ihrem Dissertationsprojekt vor: „Die Geburt im außerklinischen Setting bei Status nach Sectio”, erarbeitet an der Hochschule Osnabrück vor.
Neben den gehaltvollen Vorträgen war auch ein Teil der Mittagspause mit zahlreichen spannenden Posterpräsentationen ausgefüllt.
Highlights
Ein besonderes Highlight des Workshops waren die Vorträge der Hebammenschülerinnen und Studierenden. „Hier unten kommt ja gar nichts an …!”, hieß die Untersuchung zur Kommunikation während der Geburt der Schülerinnen der Hebammenschule Hannover Susanne Huhndorf und Mareike Kubela (siehe auch DHZ 2/2013, Seite 66ff). Mit ihrer Onlinebefragung wollten sie herausfinden, wie Frauen die Kommunikation während der Geburt nachträglich in Erinnerung haben und welche Bedeutung dies für ihr Geburtserlebnis hat. Der Onlinefragebogen, den sie dafür entwickelt hatten, wurde innerhalb von acht Wochen von 516 Frauen im Alter von 18 bis 54 Jahren beantwortet. Dass auch Frauen antworteten, deren Geburten Jahre und Jahrzehnte zurücklagen, zeigt, wie bewegend das Thema ist. Das Ergebnis bestätigt die Ausgangshypothese: Positive Kommunikation fördert ein positives Geburtserleben, während negative Kommunikation sich negativ auswirkt. Interessant ist auch, dass 87 Prozent der Frauen mit einer primären Sectio eine negative Kommunikation erlebt haben. Das Beispiel der jungen Forscherinnen zeigt die große Resonanz von Onlinebefragungen für diesen Themenkomplex – vielleicht eine Inspiration für weitere Forschungen.
Beeindruckend war auch die zweite Präsentation des Hebammennachwuchses: Kai-Esther Schlender, Hebammenstudentin der Hochschule für Gesundheit Bochum, recherchierte die Studienlage zum Einfluss von Hypnose auf den Schmerzmittelverbrauch von Gebärenden. Auch ihre Ergebnisse stehen für eine solide wissenschaftliche Qualifikation und einen hohen Ausbildungsstandard der nachkommenden Hebammengeneration.
Insgesamt war es ein prall gefüllter, spannender Tag. Eine große Freude ist es, den stetig wachsenden Anteil an Forschungsergebnissen zu erleben, mit dem Hebammen sich zu Wort melden. Gleichzeitig können wir stolz sein auf unsere Schülerinnen und Studentinnen, die sich hier zunehmend einbringen und uns inspirieren!