Franka Cadée (l.), Präsidentin der International Confederation of Midwives (ICM), ergreift in der Abschlussveranstaltung das Wort zum Thema »Focus on leadership« Foto: © DHV/Wyrwa

Der zweite Teil des Mottos des 17. Deutschen Hebammenkongresses Mitte Mai lautete: »Wir alle in Berlin«. Und die Euphorie, wieder live beisammen sein zu können, war bei vielen Kolleginnen spürbar. Drei Einblicke in das große, vielfältige Programm des Deutschen Hebammenverbands. 

Hebammenhilfe ist ein Menschenrecht

Von Katja Baumgarten

Der Deutsche Hebammenkongress fand in diesem Jahr nach der Corona-Pandemie zum ersten Mal seit vier Jahren wieder in Präsenz statt: vom 15. bis 17. Mai im Berliner Estrel Congress Center unter dem Motto »Begegnung, Bildung, Bündnisse – wir alle in Berlin!« Fast 3.300 Hebammen waren in die Bundeshauptstadt gekommen, weit mehr als die Veranstalter:innen vom Deutschen Hebammenverband (DHV) zu hoffen gewagt hatten, wie Ulrike von Haldenwang betonte. Sie war als Leitung mit ihrem Team für die Kongressorganisation verantwortlich.

Erstmals habe ein Beirat aus acht Kolleg:innen das Programm mitbestimmt und praxisnahe Perspektiven aus unterschiedlichen Bereichen der Hebammenarbeit eingebracht. »Es war ein richtiger Schatz, mit ihnen zusammenzuarbeiten«, schwärmte von Haldenwang im persönlichen Gespräch. Sie seien per Losverfahren aus etwa 40 Bewerber:innen ausgewählt worden und hätten die inhaltliche Ausrichtung mitbestimmt. 100 Veranstaltungen mit etwa 200 Referent:innen trugen zum Programm bei, mit Podiumsdiskussionen, Seminaren und Workshops oder interaktiven Veranstaltungen. Das neue Format »Thementisch« – ein Thema, eine Referentin, eine Stunde – sei sehr gut angekommen. Ein Highlight war auch die große Hebammenparty, wo Kolleginnen ausgelassen feierten und tanzten.

Das Veranstaltungszentrum habe bereits 2019 fest angemietet werden müssen, schilderte von Haldenwang. Als sich die Pandemie, Krieg in Europa und die Inflation als Herausforderungen entwickelten, habe man gebangt und mit allenfalls 2.000 Teilnehmer:innen gerechnet. Deswegen seien manche Seminarräume zu klein gewesen, wofür es Kritik gehagelt habe. Man habe sich um schnelle Lösungen bemüht. Auch in das künftige Fortbildungsangebot des DHV würden diese Angebote einfließen, an den nicht alle Interessierten hatten teilnehmen können. Bei den Aussteller:innen seien die ökonomischen Herausforderungen besonders stark zu spüren gewesen: Kleine Firmen, die früher zehn Quadratmeter gebucht hätten, seien diesmal mit der Hälfte ausgekommen, was sich spürbar aufs Gesamtbudget des Kongresses ausgewirkt habe.

Künftig solle der Deutsche Hebammenkongress des DHV alle zwei Jahre stattfinden, so Haldenwang, statt wie bisher alle drei Jahre: Abwechselnd ein kleinerer hybrider Kongress an wechselnden Veranstaltungsorten, der für etwa 1.000 Präsenz-Teilnehmer:innen vorgesehen ist, und ein großer Kongress in Präsenz in Berlin. Der nächste Deutsche Hebammenkongress werde vom 5. bis 7. Mai 2025 in Münster stattfinden. Mit Berlin als Veranstaltungsort alle vier Jahre richte der DHV den Fokus auf seine berufspolitische Arbeit.

Als Gastgeberin führte die Präsidentin des DHV, Ulrike Geppert-Orthofer, durch die Eröffnungsveranstaltung. Der achtköpfige LGBTIQ-A-capella-Chor »Kleine Berliner Chorversuchung« sorgte für die musikalische Untermalung und erhielt begeisterten Beifall. Zwei Grußworte aus der Bundesregierung würdigten die Bedeutung der Hebammenarbeit: Mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Familienministerin Lisa Paus (Die Grünen), die auch Schirmherrin war, unterstützten beide Ministerien den Kongress. Die niederländische Hebamme Franka Cadée sprach ein weiteres Grußwort für den Internationalen Hebammenverband (ICM). Als Weltpräsidentin leitet sie den ICM seit 2017. Die international hochengagierte Kollegin nahm am ganzen Kongress teil und kam bei mehreren Veranstaltungen zu Wort.

Beziehungen machen glücklich und gesund

In ihrem Festvortrag »Glücklich im Anthropozän? Herausforderungen und Chancen für Hebammen heute« reflektierte Prof. Dr. Beate Schücking von der Universität Leipzig, wie sehr das Zeitalter menschengemachter Veränderungen der Erde durch Klimawandel und Folgephänomene unsere Welt und damit die Hebammenarbeit bereits prägten. Die aktuellen politischen Weichenstellungen durch Gesetzesänderungen müssten die hebammengeleitete Geburtshilfe stärken. »Frauen brauchen Hebammen« sei seinerzeit eine wichtige Parole des DHV gewesen. »Heute hieße es wohl eher: Frauen und alle, die schwanger werden?«, fragte Schücking. Mit Formulierungen wie »Menschen mit Uterus, people who get pregnant« fühle sie sich unbehaglich, sie wolle Frauen auch weiterhin explizit benannt wissen, positionierte sie sich selbst als Feministin. Dennoch – gerade in Gesundheitsberufen komme man nur mit Offenheit für unsere bunte Welt und ihre unterschiedlichen Menschen weiter. Die vorurteilsfreie Begleitung aller müsse die Basis professionellen Handelns sein, in der Praxis wie im Studium.

Schücking stellte auch den Wert der Bindung heraus: Sie sei die Basis für gute Beziehungen im ganzen Leben. Die seit mehr als 75 Jahren laufende Harvard-Happiness-Studie zeige: Für unsere Gesundheit und unser Glück seien Beziehungen bei weitem wichtiger als Erfolg oder Wohlstand.

Geburtshilfe da anbieten, wo Familien leben

In ihrer kämpferischen Eröffnungsrede erläuterte Ulrike Geppert-Orthofer die berufspolitischen Meilensteine, um die der DHV in den vergangenen Monaten erfolgreich gerungen habe und weiterhin ringe: Als einziger Berufsverband vertrete der DHV mit gut 22.000 Mitgliedern die Interessen aller Hebammen – angestellter und freiberuflicher Kolleg:innen, werdender Hebammen, Kolleginnen im Rentenalter, Praktiker:innen, Forscher:innen, Lehrender und Berufspolitiker:innen. Beispielsweise habe die Richterin bei der Gerichtsverhandlung zum Hebammenhilfevertrag vor wenigen Monaten betont, die Interessenvielfalt der Hebammen sei innerhalb des DHV gegeben. Diese gelte es vor der Einflussnahme Dritter zu schützen, aber auch vor einer Ungleichgewichtung einzelner Tätigkeitsbereiche der Hebammen. Nur so könne man sicherstellen, dass die Interessen der kleinen Berufsgruppe nicht gegeneinander ausgespielt würden.

Aktuell gehe es um die Krankenhausstrukturreform: Nicht mehr alles solle überall vorgehalten werden, gleichzeitig müsse überall eine gute Grundversorgung sichergestellt werden. Es brauche einen Kulturwandel, wie wir die Geburt betrachten, forderte Geppert-Orthofer: »Geburtshilfe muss da angeboten werden, wo Familien leben. Immer weiter zu zentralisieren, immer mehr Stationen unkoordiniert zu schließen und immer weitere Fahrzeiten in Kauf zu nehmen – das ist der falsche Weg.« Die Hebammen-geleitete Geburt müsse als verbindliche Säule der Grundversorgung etabliert werden, klinisch und außerklinisch, einschließlich der Hausgeburten und Geburten in Geburtshäusern. »Unser Ziel ist, die Facharzt- und Notfallversorgung für die Frauen und Kinder frei zu halten, die sie wirklich brauchen, oder die sie aktiv wünschen, und gleichzeitig gesunde Frauen vor zu frühen und zu vielen Eingriffen zu schützen.«

Lea Beckmann (l.) moderiert die Filmvorführung von Katja Baumgarten(r.): Die Regisseurin zeigt auf dem Kongress ihren neuen Film »Gretas Geburt« erstmals einem Hebammenpublikum. Foto: Nikolaus Baumgarten

Belastende juristische Risiken

Mit einem Programmpunkt in eigener Sache, begann der Kongress für mich selbst: An die 1.000 Hebammen waren zur Vorführung meines neuen Dokumentarfilms »Gretas Geburt« gekommen, der wenige Tage zuvor Premiere gehabt hatte. In einer persönlichen Langzeitbeobachtung über zehn Jahre hatte ich, Katja Baumgarten, von 2012 bis 2014 den Schwurgerichtsprozess am Landgericht Dortmund gegen eine Ärztin und Hebamme beobachtet, die wegen Totschlags schuldig gesprochen und zu Haftstrafe, Berufsverboten und Schadensersatzzahlungen verurteilt worden war. Ein kleines Mädchen war aus Steißlage zur Welt gekommen und kurz darauf gestorben. Der Film zeigt auch die Jahre nach dem Urteil, die Zeit im Gefängnis bis nach der Entlassung aus der Haft (siehe DHZ 5/2023).

Ich war auf eine kontroverse Diskussion eingestellt gewesen. Stattdessen meldeten sich vorwiegend Kolleginnen mit nachdenklichen und empathischen Kommentaren zu Wort. Häufig erzählten sie von ihren eigenen Ängsten vor juristischen Risiken – sowohl bei der Arbeit in der freien Praxis als auch im Kreißsaal. Auch an den folgenden beiden Kongresstagen wurde ich oft angesprochen: Beispielsweise hörte ich von zwei ähnlich gelagerten Fällen, wo ebenfalls Kinder leblos geboren worden seien, ohne dass sie zu reanimieren gewesen waren – obwohl sie im Krankenhaus zur Welt gekommen und sofort durch ein neonatologisches Team erfolgreich intubiert worden waren. Das eine Kind war aus Schädellage, das andere aus Beckenendlage geboren. Beide waren gestorben, zu einem juristischen Nachspiel sei es nicht gekommen.

Das hochaktuelle Veranstaltungsprogramm kann in seiner Fülle hier nicht wiedergegeben werden. Beim Podium »Klimakrise als medizinischer Notfall – Implikationen für das Hebammenwesen« diskutierten Ricarda Lang (Bündnis90/die Grünen), Ulrike Geppert-Orthofer, Franziska Dresen, Dr. Sabine Baunach und Maike Voss, die zunächst in ihrem Impulsvortrag »Die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit rund um die Geburt« erläuterte. In der Session »Identitäten und Hebammenarbeit«, ging es um »Hebammenarbeit und Sexarbeit«, »Erfahrungen von Migrantinnen bei der Informationssuche in der Zeit um die Geburt« und um die »Versorgung geflüchteter Mütter rund um Schwangerschaft und Geburt«. In der Podiumsveranstaltung zur Internationalen Hebammenarbeit »Role of the midwife in disaster and emergency prepardness« (Die Rolle der Hebamme bei der Notfallversorgung und im Katastrophenschutz) hielt ICM-Präsidentin Dr. Franka Cadée den Impulsvortrag: »Hebammenhilfe in humanitären Einsätzen ist kein Luxus, sondern ein grundlegendes Menschenrecht.« Die rumänische Hebamme Melania Tudose erhielt für ihre Präsentation »Romanian midwives act for the Ukrainian women and children fleeing the war« standing Ovations.

Ein Highlight des Kongresses bietet die Hebammenparty am Abend. Foto: © DHV/Wyrna

Handling & Bindung, sprirituelle Bilder und klare Zahlen

Von Birgit Heimbach

Am zweiten Tag des Hebammenkongresses gab es für die Praxis einen Block mit dem Thema »Blick aufs Kind«. Dörte Krauss, Co-Leitung der von ihr mitbegründeten Hebammenpraxis Kinderreich in Augsburg, sprach über die Bedürfnisse des Säuglings aus therapeutischer Sicht: Handling & Bindung. Das Handling von Säuglingen ist ein Begriff, der dem physiotherapeutischen Konzept der Eheleute Dr. Karel Bobath, Mediziner, und Bertha Bobath, Physiotherapeutin, entstammt. Noch heute wird nach dem sogenannten Bobath-Konzept gearbeitet: eine Muskeltonus-regulierende Therapie für Erwachsene und Kinder. Bei Alltagsbewegungen wie Wickeln, Tragen oder Aufnehmen wirke man unter Berücksichtigung der physiologischen Gegebenheiten stimulierend auf den Körper ein.

Krauss wies auf die Bedeutung des Handlings hin, welches die Kinder maßgeblich in ihrer gesunden Entwicklung unterstützen könne. Entscheidend sei vor allem die Ausbildung einer gut angelegten

Selbstwahrnehmung. Das sogenannte Körperschema, welches die Säuglinge von Geburt an durch willkürliche Strampelbewegungen und Muskelaktivität aufbauen, sei die Grundlage für die motorische Entwicklung, aber auch für Emotionen, soziales Verhalten, kognitive Leistungen, Impulskontrolle und Reizverarbeitung.

Um ein gutes Körperschema auszubilden, benötigten die Säuglinge viel Selbsterfahrung. Besonders wichtig sei hierbei das Wegstemmen mit den Stützpunkten der Hände und Füße. Dadurch bilde sich die entscheidende Rumpfmuskulatur auf und das Gehirn erhalte elementare Informationen. »Entsprechend sollten Säuglinge ausreichend Zeit in Rücken- und Bauchlage verbringen können, um sich frei zu bewegen«, so Krauss. Eine übermäßige Vertikalisierung sei – auch in der Tragehilfe bei Berücksichtigung aller wesentlichen Parameter – sei daher nicht zu empfehlen. Krauss ist selbst Trageberaterin und begrüßt das Tragen generell, erläuterte jedoch, dass sich in Bezug auf die muskuläre Entwicklung von Säuglingen teilweise einige Fehlannahmen in der öffentlichen Wahrnehmung etabliert hätten.

Krauss ist seit den 2000er Jahren auf die Therapie von Schwangeren, Müttern und Kindern spezialisiert. Nach einem Studium der der Tanz- und Musikwissenschaft sowie der Sprachpsychologie mit Schwerpunkt Entwicklungspsychologie absolvierte sie eine sporttherapeutische Ausbildung und umfassende Weiterbildungen im pädiatrischen Bereich. Sie unterrichtet Hebammen rund um prä- und postnatale Fitness und kindliche Entwicklung, sowohl in Fortbildungen an Fachinstituten wie auch an der Hochschule Coburg im Fach Hebammenwissenschaft.

Der Anfang der Urbewegung

Dr. Birthe Assmann, Humanbiologin, hielt danach einen Vortrag, der teils ins Spirituelle ging. Sie sprach über die Urbewegung, eine Bewegung im Seelenraum am Lebensanfang, wenn sich die Seele mit dem Körper verbinde, ihn forme und gestalte. Dies beginne bereits bei der Verschmelzung von Eizelle und Spermium. Die Elemente dieser Urbewegung würden den Menschen vom Zauber des ersten Anfangs an bis zum Schluss begleiten.

Die spirituelle Dimension ihres Vortrags offenbarte sich spätestens mit ihrer Erwähnung von Dr. Jaap van der Wal, einem Embryologen und sogenannten Embryosophen (> www.embryo.nl/deutsch?sitelang=DE). In dessen Filmaufnahmen von In-vitro-Fertilisationen könne man laut Assmann sehen, dass die eigentlich unbewegliche Eizelle bei der Begegnung mit den Spermien anfange zu rotieren und sich mehrere Stunden drehe, bis es zur Verschmelzung komme. Das Drehen sei der Anfang der Urbewegung. Sie erläuterte, dass die embryonale Entwicklung in dynamischen Bewegungen erfolge, abwechselnd von außen nach innen und von innen nach außen. Der Trophoblast werde währenddessen zum Chorion, den van der Wal als äußeren Leib des Kindes betrachte.

Assmann sprach auch von einer Studie mit Kleinkindern, die sie am Vivantesklinikum in Berlin machen konnte. Sie beobachtete sie, wenn sie sich von der Mutter oder dem Vater entfernten und wieder zurückkamen. Dabei hätten sich zwei erstaunliche Phänomene gezeigt: Alle Kinder seien zum Zeitpunkt ihres weitesten Abstands zur Bezugsperson signifikant schneller als während der übrigen Exkursion. Es schien ihr, als wenn ein Bewegungsimpuls durch sie hindurch ginge, sich auf den Rückweg zu machen. Außerdem seien sie an der Hälfte der Zeit des Ausflugs signifikant langsamer, wie ein Innehalten und Erkennen, dass sie zurück bei ihren Eltern sein wollten. Es sei wie ein inneres Wissen über Raum und Zeit in einer Verbindung zwischen Eltern und Kind.

Assmanns Theorie: Analysen solcher Bewegungen würden Rückschlüsse auf den Geburtsmodus und die Bindung zulassen. Und auch eine Therapie sei möglich, wenn es hier zu Störungen gekommen sei. Die Urbewegung sei wie ein schwingendes fluides Ei um den Körper für die Hände von Therapeut:innen erspürbar. Befänden sich Menschen im Einklang mit diesem Schwingen, sei das Urvertrauen da. Sei das Ei aufgrund von Traumatisierung nicht spürbar für die Therapeutin, lasse es sich durch Anregung von Alpha- und Beta-Wellen wieder aufbauen, es käme zu tiefer Bewusstseinserweiterung und Heilung. Assmann könne eine Rückbindung zu traumatischen Geburtserlebnissen fördern, bei der auch mit der Plazenta gesprochen werde, die ja nach der Geburt gestorben sei und bei der man sich bedanke könne.

Der Vortrag war faszinierend, weil er das Bild einer alles zusammenhaltenden Schönheit entwarf, aber in seinen irrationalen Bezügen auch stark irritierend. Man fragte sich, wie viele Hebammen die Ausführungen nachvollziehen konnten. Ein Blick auf Assmanns Homepage zeigt, dass sie als Heilpraktikerin arbeitet, eine ihrer Heilbehandlungen heißt auch Urbewegung: Nach einem kurzen Gespräch erfolge die Behandlung auf einer Behandlungsliege (> www.urbewegung.com/artikel/).

Blick auf die Außerklinik

Wohltuend klar war danach der Vortrag von der Hebamme Anke Wiemer, tätig in der Geschäftsstelle der der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG), zur Schnittstellenarbeit in der außerklinischen Geburtshilfe. Sie stellte die Zahlen von 2021 vor: Es gab 795.492 Lebendgeborene in Deutschland. Von zunächst 17.530 außerklinisch betreuten Frauen hätten dann 14.900 tatsächlich außerklinisch geboren. Das seien 1,87 %. Zu beobachten sei, dass Hausgeburten zunehmen würden. Und viele Hausgeburtshebammen würden heute im Team arbeiten. Bremen und Sachsen hätten anteilig die meisten außerklinischen Geburten, was auch am Angebot liege. Viel Potenzial sehe sie in Schleswig-Holstein, im Saarland und in Sachsen-Anhalt. Bei einer Notfallverlegung einer außerklinischen Geburt, die nur zu 0,02 % bei allen Lebendgeborenen in Deutschland erforderlich sei, bekomme nur ein Drittel der Frauen eine Sectio, die anderen zwei Drittel könnten vaginal gebären. Wiemer ermunterte zu guten Absprachen zwischen außerklinisch tätigen Hebammen, vor allem wenn die Betreuung im Wochenbett von einer anderen als der Geburtshebamme erfolge. Und sie ermunterte zu regelmäßigen Dienst- und Fallbesprechungen zwischen allen an einem Verlegungsprozess Beteiligten. In diesem Zusammenhang berichtete sie: Seit 2021 gebe es von QUAG organisierte interdisziplinäre Einzelfallanalysen für alle verstorbenen Kinder sowie für Neugeborenen mit einem Apgar unter 6 nach 5 Minuten.

Außerdem gebe es eine Neuigkeit: Ab 1. Januar 2024 werden von QUAG auch ambulant betreute Fehlgeburten erfasst. Der Testlauf beginne im September und Oktober. Man könne sich dafür melden bei: geschaeftsstelle@quag.de.

Die Zeit der Hebammen kommt jetzt!

Von Alessandra M. Scheede

Mit dem Abschlusspodium »Starke Hebammen für ein starkes Gesundheitssystem! Zeit, die richtigen Weichen zu stellen« ging der Kongress am Mittwochnachmittag zu Ende.

Die Führung übernehmen

Prof. Dr. Mechthild Groß, Professorin des Masterstudiengangs Hebammenwissenschaft in Hannover, moderierte die Schlussveranstaltung und gab das Wort zuerst an Frances McConville, Hebammenberaterin für die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese sprach sich deutlich dafür aus, dass Frauen auf der ganzen Welt ohne Ausnahmen einen sicheren Zugang zu einer Hebamme haben müssen. »Something happens to a woman when she has a midwife – something amazing«, sagte sie und erntete Applaus. Die Evidenzen, die für eine Hebammenbetreuung sprechen, seien klar: Die Stillrate steige, die Frühgeburtsrate sinke, das Outcome auf allen Seiten werde verbessere und der Anteil der Spontangeburten wachse. Es sei an der Zeit, den Hebammenberuf weiter zu professionalisieren, damit das Gesundheitssystem Hebammen überall etablieren, damit Politik und Recht sie absichern könne. Genau jetzt und genau hier.

Ihr schloss sich Franka Cadée an. »Focus on leadership« war das Motto ihrer Rede. Hebammen würden den Einfluss ihrer Arbeit auf die Frauen und Kinder ganz genau kennen – nun müssten sie anfangen, sich genau so zu verhalten, wie sie gesehen und behandelt werden möchten, und das Ruder in die Hand nehmen. Sie sollten den Bedürfnissen der Frauen und Familien genau zuhören und dann ins Handeln kommen. Vor allem sollten sie sich verbünden und mit einer Stimme sprechen. Jahrelang seien Hebammen geduldig gewesen – nun würden sie es auch noch ein kleines Stück weiter schaffen, denn die Zeit der Hebammen käme jetzt. Der Saal war begeistert, die Präsidentin bekam Standing Ovations, ein Gefühl des Zusammenhalts und der positiven Vision breitete sich aus.

Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, bestärkt die Worte ihrer Vorrednerinnen. Midwife hieße »mit der Frau« – das sollten die Hebammen sich zu Herzen nehmen. Sie sollten Vertrauen in die Frauen und Familien haben und ihnen ganz genau zuhören, was die Bedürfnisse sind. Die Überversorgung von gesunden Frauen und die Unterversorgung von kranken Frauen könne so ein Ende nehmen. Ein wichtiger potenzieller Wendepunkt sei die kommende Krankenhausstrukturreform. Diese müsse ganz klar zugunsten der hebammengeleiteten Geburt genutzt werden. Die Forderung müsse laut werden, sodass die Kliniken am Ende eine Chance hätten, auch mit »normalen« und hebammengeleiteten Geburten Umsatz zu erzielen. »Wir werden nicht lockerlassen« verspricht sie der Politik eisern und doch warmherzig.

Interessen vereinen

Die gerade gezielt adressierte Politik war auch auf dem Podium vertreten. Saskia Weishaupt, Abgeordnete im Bundestag für Bündnis 90/Die Grünen, und Peer Köpf, stellvertretender Leiter der Abteilung Krankenhauspersonal der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) standen Rede und Antwort. Die Geburt müsse insgesamt als vitale Phase angesehen werden und nicht als Risiko, postulierten sie. Zudem hätten wir in Deutschland viele sehr gut ausgebildete Hebammen – nur müsse man sie auch nutzen! In anderen Staaten gebe es hervorragende Ideen und Modelle für die Gesundheitsversorgung, das Rad müsse nicht neu erfunden werden. »Kann man im Krankenhaus auch mal eine Nur-Hebammen-Station haben?«, fragte Moderatorin Mechthild Groß, und meinte damit nicht nur den Kreißsaal, sondern auch die Wochenbettstation. »Die Chancen sind da«, entgegnete Peer Köpf und unterstrich, dass die Hebammen in das Pflegebudget eingegliedert werden müssten. Er glaube, durch die Krankenhausreform werde der Effekt der Akademisierung intensiviert und die Stellung der Hebamme weiter gestärkt werden. Zudem sieht er die Wahrscheinlichkeit auf eine Förderung des interdisziplinären Zusammenhalts.

»Berufsgruppen sollten da eingesetzt werden, wo sie es am besten können«, bekräftigte Ulrike Geppert-Orthofer seine Aussagen. Es brauche ein Instrument zur Personalbemessung und verbindliche Standards auch in ärztlich geleiteten Einrichtungen. In Deutschland würden wir Karopapier normieren, aber keine verbindlichen Standards in Krankenhäusern vorweisen können. Ein Argument, das zum Ausklang der Veranstaltung den Kern traf und sicher viele zum Weiterdenken anregte.

Zitiervorlage
Baumgarten, K. et al. (2023). 17. Deutscher Hebammenkongress: »Begegnung, Bildung, Bündnisse«. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 75 (7), 93–97.
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