Der Anfang der Urbewegung
Dr. Birthe Assmann, Humanbiologin, hielt danach einen Vortrag, der teils ins Spirituelle ging. Sie sprach über die Urbewegung, eine Bewegung im Seelenraum am Lebensanfang, wenn sich die Seele mit dem Körper verbinde, ihn forme und gestalte. Dies beginne bereits bei der Verschmelzung von Eizelle und Spermium. Die Elemente dieser Urbewegung würden den Menschen vom Zauber des ersten Anfangs an bis zum Schluss begleiten.
Die spirituelle Dimension ihres Vortrags offenbarte sich spätestens mit ihrer Erwähnung von Dr. Jaap van der Wal, einem Embryologen und sogenannten Embryosophen (> www.embryo.nl/deutsch?sitelang=DE). In dessen Filmaufnahmen von In-vitro-Fertilisationen könne man laut Assmann sehen, dass die eigentlich unbewegliche Eizelle bei der Begegnung mit den Spermien anfange zu rotieren und sich mehrere Stunden drehe, bis es zur Verschmelzung komme. Das Drehen sei der Anfang der Urbewegung. Sie erläuterte, dass die embryonale Entwicklung in dynamischen Bewegungen erfolge, abwechselnd von außen nach innen und von innen nach außen. Der Trophoblast werde währenddessen zum Chorion, den van der Wal als äußeren Leib des Kindes betrachte.
Assmann sprach auch von einer Studie mit Kleinkindern, die sie am Vivantesklinikum in Berlin machen konnte. Sie beobachtete sie, wenn sie sich von der Mutter oder dem Vater entfernten und wieder zurückkamen. Dabei hätten sich zwei erstaunliche Phänomene gezeigt: Alle Kinder seien zum Zeitpunkt ihres weitesten Abstands zur Bezugsperson signifikant schneller als während der übrigen Exkursion. Es schien ihr, als wenn ein Bewegungsimpuls durch sie hindurch ginge, sich auf den Rückweg zu machen. Außerdem seien sie an der Hälfte der Zeit des Ausflugs signifikant langsamer, wie ein Innehalten und Erkennen, dass sie zurück bei ihren Eltern sein wollten. Es sei wie ein inneres Wissen über Raum und Zeit in einer Verbindung zwischen Eltern und Kind.
Assmanns Theorie: Analysen solcher Bewegungen würden Rückschlüsse auf den Geburtsmodus und die Bindung zulassen. Und auch eine Therapie sei möglich, wenn es hier zu Störungen gekommen sei. Die Urbewegung sei wie ein schwingendes fluides Ei um den Körper für die Hände von Therapeut:innen erspürbar. Befänden sich Menschen im Einklang mit diesem Schwingen, sei das Urvertrauen da. Sei das Ei aufgrund von Traumatisierung nicht spürbar für die Therapeutin, lasse es sich durch Anregung von Alpha- und Beta-Wellen wieder aufbauen, es käme zu tiefer Bewusstseinserweiterung und Heilung. Assmann könne eine Rückbindung zu traumatischen Geburtserlebnissen fördern, bei der auch mit der Plazenta gesprochen werde, die ja nach der Geburt gestorben sei und bei der man sich bedanke könne.
Der Vortrag war faszinierend, weil er das Bild einer alles zusammenhaltenden Schönheit entwarf, aber in seinen irrationalen Bezügen auch stark irritierend. Man fragte sich, wie viele Hebammen die Ausführungen nachvollziehen konnten. Ein Blick auf Assmanns Homepage zeigt, dass sie als Heilpraktikerin arbeitet, eine ihrer Heilbehandlungen heißt auch Urbewegung: Nach einem kurzen Gespräch erfolge die Behandlung auf einer Behandlungsliege (> www.urbewegung.com/artikel/).
Blick auf die Außerklinik
Wohltuend klar war danach der Vortrag von der Hebamme Anke Wiemer, tätig in der Geschäftsstelle der der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG), zur Schnittstellenarbeit in der außerklinischen Geburtshilfe. Sie stellte die Zahlen von 2021 vor: Es gab 795.492 Lebendgeborene in Deutschland. Von zunächst 17.530 außerklinisch betreuten Frauen hätten dann 14.900 tatsächlich außerklinisch geboren. Das seien 1,87 %. Zu beobachten sei, dass Hausgeburten zunehmen würden. Und viele Hausgeburtshebammen würden heute im Team arbeiten. Bremen und Sachsen hätten anteilig die meisten außerklinischen Geburten, was auch am Angebot liege. Viel Potenzial sehe sie in Schleswig-Holstein, im Saarland und in Sachsen-Anhalt. Bei einer Notfallverlegung einer außerklinischen Geburt, die nur zu 0,02 % bei allen Lebendgeborenen in Deutschland erforderlich sei, bekomme nur ein Drittel der Frauen eine Sectio, die anderen zwei Drittel könnten vaginal gebären. Wiemer ermunterte zu guten Absprachen zwischen außerklinisch tätigen Hebammen, vor allem wenn die Betreuung im Wochenbett von einer anderen als der Geburtshebamme erfolge. Und sie ermunterte zu regelmäßigen Dienst- und Fallbesprechungen zwischen allen an einem Verlegungsprozess Beteiligten. In diesem Zusammenhang berichtete sie: Seit 2021 gebe es von QUAG organisierte interdisziplinäre Einzelfallanalysen für alle verstorbenen Kinder sowie für Neugeborenen mit einem Apgar unter 6 nach 5 Minuten.
Außerdem gebe es eine Neuigkeit: Ab 1. Januar 2024 werden von QUAG auch ambulant betreute Fehlgeburten erfasst. Der Testlauf beginne im September und Oktober. Man könne sich dafür melden bei: geschaeftsstelle@quag.de.
Die Zeit der Hebammen kommt jetzt!
Von Alessandra M. Scheede
Mit dem Abschlusspodium »Starke Hebammen für ein starkes Gesundheitssystem! Zeit, die richtigen Weichen zu stellen« ging der Kongress am Mittwochnachmittag zu Ende.
Die Führung übernehmen
Prof. Dr. Mechthild Groß, Professorin des Masterstudiengangs Hebammenwissenschaft in Hannover, moderierte die Schlussveranstaltung und gab das Wort zuerst an Frances McConville, Hebammenberaterin für die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese sprach sich deutlich dafür aus, dass Frauen auf der ganzen Welt ohne Ausnahmen einen sicheren Zugang zu einer Hebamme haben müssen. »Something happens to a woman when she has a midwife – something amazing«, sagte sie und erntete Applaus. Die Evidenzen, die für eine Hebammenbetreuung sprechen, seien klar: Die Stillrate steige, die Frühgeburtsrate sinke, das Outcome auf allen Seiten werde verbessere und der Anteil der Spontangeburten wachse. Es sei an der Zeit, den Hebammenberuf weiter zu professionalisieren, damit das Gesundheitssystem Hebammen überall etablieren, damit Politik und Recht sie absichern könne. Genau jetzt und genau hier.
Ihr schloss sich Franka Cadée an. »Focus on leadership« war das Motto ihrer Rede. Hebammen würden den Einfluss ihrer Arbeit auf die Frauen und Kinder ganz genau kennen – nun müssten sie anfangen, sich genau so zu verhalten, wie sie gesehen und behandelt werden möchten, und das Ruder in die Hand nehmen. Sie sollten den Bedürfnissen der Frauen und Familien genau zuhören und dann ins Handeln kommen. Vor allem sollten sie sich verbünden und mit einer Stimme sprechen. Jahrelang seien Hebammen geduldig gewesen – nun würden sie es auch noch ein kleines Stück weiter schaffen, denn die Zeit der Hebammen käme jetzt. Der Saal war begeistert, die Präsidentin bekam Standing Ovations, ein Gefühl des Zusammenhalts und der positiven Vision breitete sich aus.
Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, bestärkt die Worte ihrer Vorrednerinnen. Midwife hieße »mit der Frau« – das sollten die Hebammen sich zu Herzen nehmen. Sie sollten Vertrauen in die Frauen und Familien haben und ihnen ganz genau zuhören, was die Bedürfnisse sind. Die Überversorgung von gesunden Frauen und die Unterversorgung von kranken Frauen könne so ein Ende nehmen. Ein wichtiger potenzieller Wendepunkt sei die kommende Krankenhausstrukturreform. Diese müsse ganz klar zugunsten der hebammengeleiteten Geburt genutzt werden. Die Forderung müsse laut werden, sodass die Kliniken am Ende eine Chance hätten, auch mit »normalen« und hebammengeleiteten Geburten Umsatz zu erzielen. »Wir werden nicht lockerlassen« verspricht sie der Politik eisern und doch warmherzig.
Interessen vereinen
Die gerade gezielt adressierte Politik war auch auf dem Podium vertreten. Saskia Weishaupt, Abgeordnete im Bundestag für Bündnis 90/Die Grünen, und Peer Köpf, stellvertretender Leiter der Abteilung Krankenhauspersonal der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) standen Rede und Antwort. Die Geburt müsse insgesamt als vitale Phase angesehen werden und nicht als Risiko, postulierten sie. Zudem hätten wir in Deutschland viele sehr gut ausgebildete Hebammen – nur müsse man sie auch nutzen! In anderen Staaten gebe es hervorragende Ideen und Modelle für die Gesundheitsversorgung, das Rad müsse nicht neu erfunden werden. »Kann man im Krankenhaus auch mal eine Nur-Hebammen-Station haben?«, fragte Moderatorin Mechthild Groß, und meinte damit nicht nur den Kreißsaal, sondern auch die Wochenbettstation. »Die Chancen sind da«, entgegnete Peer Köpf und unterstrich, dass die Hebammen in das Pflegebudget eingegliedert werden müssten. Er glaube, durch die Krankenhausreform werde der Effekt der Akademisierung intensiviert und die Stellung der Hebamme weiter gestärkt werden. Zudem sieht er die Wahrscheinlichkeit auf eine Förderung des interdisziplinären Zusammenhalts.
»Berufsgruppen sollten da eingesetzt werden, wo sie es am besten können«, bekräftigte Ulrike Geppert-Orthofer seine Aussagen. Es brauche ein Instrument zur Personalbemessung und verbindliche Standards auch in ärztlich geleiteten Einrichtungen. In Deutschland würden wir Karopapier normieren, aber keine verbindlichen Standards in Krankenhäusern vorweisen können. Ein Argument, das zum Ausklang der Veranstaltung den Kern traf und sicher viele zum Weiterdenken anregte.