In Bremen wagten die Initiatorinnen des Konzepts Hebammen­kreißsaal den Aufbruch ins Neue – wie die Bremer Stadtmusikanten. Foto: © Diego Grandi/stock.adobe.com

Von der Idee über die Forschung in die Routineversorgung: Eine der ersten deutschen Professorinnen für Pflege- und Hebammenwissenschaft hat die Entwicklung des Konzepts »Hebammenkreißsaal« von Beginn an gefördert. Sie beschreibt eine Erfolgsgeschichte.

Im Koalitionsvertrag der ehemaligen Ampelregierung und im Aktionsplan der Bundesregierung »Gesundheit rund um die Geburt« wird die Einrichtung von Hebammenkreißsälen empfohlen als eine von vielen Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit in der regenerativen Lebensphase (Bundesministerium für Gesundheit, 2024). Der Weg hierhin begann vor mehr als einem viertel Jahrhundert.

Beginn in Bremen

Vor 27 Jahren stellten die damalige Beirätin für den Bildungsbereich, Antje Kehrbach, und die Präsidentin des Bund Deutscher Hebammen (BDH), Magdalene Weiß, das innovative Konzept eines hebammengeleiteten Kreißsaals vor. Sie präsentierten es 1998 in Bremen auf dem nationalen BDH-Kongress (heute: Deutscher Hebammenverband, DHV).

Bereits in den 1990er Jahren wurde dieses Konzept von europäischen Wissenschaftler:innen beforscht, unter anderem in Schweden (Waldenström et al., 1997; 1998) und in Schottland (Hundley et al., 1997; 1994).

Hebammenkreißsäle entstanden zudem in Dänemark, Österreich und der Schweiz. Auf Basis der neuen Versorgungsform konnten damals schon positive gesundheitsbezogene Effekte für Mutter und Kind festgestellt werden.

Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland die überwiegende Mehrheit der Geburten damals wie heute in Krankenhäusern stattfindet und ein hoher Anteil an medizinischen Routine-Interventionen zu beobachten war und ist, entstand die Idee, im Setting Krankenhaus einen sogenannten Hebammenkreißsaal als eine neue Betreuungsoption für gesunde Gebärende mit niedrigem Ausgangsrisiko einzurichten. Diese sollte den Frauen eine möglichst durchgängige Betreuung – bereits in der Schwangerschaft, während der Geburt und im Wochenbett – sowie eine Eins-zu-eins-Betreuung unter der Geburt durch ein vertrautes Kreißsaalhebammen-Team ermöglichen. Zudem sollten medizinische Interventionen reduziert werden.

Der Hebammenkreißsaal stellte – neben dem üblichen Kreißsaal – eine weitere Betreuungsoption im Portfolio eines Krankenhauses dar. Hebammen des Kreißsaalteams arbeiteten dort autonom und eigenorganisiert. Wenn es entsprechend des Hebammen-Berufsgesetzes medizinisch indiziert war, wurde an die Fachärzt:innen weitergeleitet.

Nach dem Kongress in Bremen fanden sich 1998/99 in einer Arbeitsgruppe engagierte Hebammen zusammen, die ein breites berufliches Spektrum vertraten – unter anderem in der Leitung einer Level-1-Einrichtung, als Familienhebamme, freiberuflich, mit Tätigkeit in der Supervision, als Beirätin des Bildungsbereiches eines Berufsverbandes der Hebammen sowie Kolleginnen, die im pädagogischen Bereich tätig waren: Joanna Simm, Gerlinde Schmidt, Britta Ellerbrock, Sabine Krauss, Marion Stüve (†), Antje Kehrbach, Oda von Rahden, Susanne Kaina, Irmhilde Fuhrmann.

Mich erreichte an der Hochschule Osnabrück ein Anruf, ob ich als Professorin für Pflege- und Hebammenwissenschaft bereit wäre, diese Gruppe wissenschaftlich zu begleiten. Ich war tief beeindruckt von der Begeisterung und Bereitschaft aller, gemeinsam etwas Neues zu beginnen. So sagte ich zu. Die Basis unserer Zusammenarbeit war die Verständigung darauf, das geplante Projekt als Forschungsprojekt anzulegen. Wir ahnten in dem Moment nicht, wie sehr wir uns in Geduld üben mussten.

Der erste Hebammenkreißsaal

Um die Forschungsidee reifen zu lassen, trafen wir uns drei Jahre lang – ehrenamtlich – an Wochenenden in Bremen und Umgebung, um gemeinsam Studien zu recherchieren, sie zu lesen, zu bewerten und daraus Fragestellungen abzuleiten. Gleichzeitig hielten wir Ausschau, sowohl nach Einrichtungen, die ein Interesse haben könnten, den Hebammenkreißsaal einzurichten, als auch nach Fördermöglichkeiten, um einen entsprechenden Forschungsantrag einzureichen.

In Bremen und Umgebung wurden alle Krankenhäuser angefragt. Im Klinikum Reinkenheide in Bremerhaven stieß das geplante Projekt auf die Unterstützung von Chefarzt Professor Dr. med. Wolfgang Friedmann. Nach einer einjährigen Machbarkeitsstudie, finanziert durch den Bremer Senat, wurden alle entscheidungstragenden Personen und Stakeholder des Klinikums in die Entwicklungsprozesse eingebunden, um inhaltliche und operative Kriterien für die Umsetzung des Hebammenkreißsaals abzustimmen.

Dies umfasste die Abstimmung zu Arbeits- und Kommunikationsabläufen in der geburtshilflichen Abteilung. Dazu gehörten zum Beispiel das interdisziplinäre Erstellen eines Kriterienkataloges, auf dessen Basis gesunde Schwangere für eine Geburt im Hebammenkreißsaal klassifiziert werden, Fortbildungen für Hebammen, Teamentwicklung, Arbeitszeitmodelle, Klärung der sozialen und juristischen Absicherung, die Aufteilung und Gestaltung der Räumlichkeiten sowie die Etablierung einer Hebammensprechstunde, um Schwangeren zwei Termine zur Vorbereitung auf die Geburt im dritten Trimenon anzubieten (Verbund Hebammenforschung, 2007; Siegle et al., 2021). Die Planung und Umsetzung all dieser Maßnahmen beanspruchte ein weiteres Jahr an Vorbereitung.

2003 eröffnete der erste Hebammenkreißsaal im Klinikum Reinkenheide in Bremerhaven. Rückblickend betrachtet war die politische Unterstützung durch die Senatorische Behörde für Gesundheit in Bremen und die damalige Gleichstellungsbeauftragte Ulrike Hauffe sehr hilfreich für den Prozess.

Forschen im Verbund

Etwas zeitlich vorgelagert, hatte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2001 erstmalig für die Pflegewissenschaft, die in Deutschland noch jung war, eine Förderlinie für eine Verbundforschung zum Thema »Angewandte Pflegeforschung« veröffentlicht. Diese war thematisch ausgerichtet auf demografische und epidemiologische Entwicklungen wie die alternde Bevölkerung, die Zunahme von Menschen mit chronischen Erkrankungen, Multimorbidität und Pflegebedürftigkeit – Entwicklungen, die wenig Bezüge zur Lebensphase von Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit aufwiesen.

Doch wir ließen uns dadurch nicht entmutigen, analysierten den Ausschreibungstext, entwickelten einen theoretischen Begründungsrahmen für das Versorgungskonzept Hebammenkreißsaal, verfassten eine Projektskizze und reichten diese ein. Die bundesweite, kompetitive Ausschreibung basierte auf einem zweistufigen Verfahren. Zunächst wurden eingereichte Projektskizzen begutachtet. Vorbehaltlich eines positiven Gutachtervotums gab es die Aufforderung, einen ausführlicheren Forschungsantrag einzureichen. Auch dieser musste wieder positiv beschieden werden. Ein solches zweistufiges Verfahren dauert in der Regel zwei Jahre – oder länger.

Eine Vorgabe in der BMBF-Förderlinie lautete: im Verbund forschen (BMBF, 2001). Das bedeutete, Kolleg:innen anderer Hochschulen für das geplante Forschungsvorhaben zu gewinnen, um hochschulübergreifend zu forschen. Das Versorgungskonzept Hebammenkreißsaal stellte eine sogenannte komplexe Intervention dar. Unter komplexen Bedingungen sollte für eine definierte Zielgruppe – hier: gesunde Schwangere und Gebärende – die Auswirkung einer Maßnahme – nämlich des Hebammenkreißsaals – auf Ebene der Alltagsversorgung untersucht werden (Schrappe & Pfaff, 2016).

Der Hebammenkreißsaal wurde aus verschiedenen Perspektiven beforscht. Diese umfassten, auf welcher Basis ausgewählte Interventionen wie Geburtseinleitung, CTG-Dauerüberwachung, Episiotomie und Kaiserschnitt durchgeführt beziehungsweise unterlassen werden, auf welcher Basis Hebammen im Hebammenkreißsaal handeln, aus welchen Gründen sich Schwangere für den Hebammenkreißsaal oder den üblichen Kreißsaal entscheiden und die gesundheitsbezogenen Auswirkungen des Versorgungskonzeptes bei Mutter und Kind. Der »Verbund Hebammenforschung« war geboren.

Dieser bestand aus Vertreterinnen der Hochschule Osnabrück als »Sprecherhochschule« mit mir als Leitung, der Universität Osnabrück mit Prof. Dr. med. Beate Schücking und der Universität Bremen mit Prof. Dr. Petra Kolip. Wir erhielten die positive Bewilligung vom BMBF. Mit den eingeworbenen Drittmitteln konnten wissenschaftliche Mitarbeiter:innen beschäftigt werden. Diese waren allesamt Hebammen, die ihren ersten Hochschulabschluss (damals Diplom und Magister) in anderen Wissenschaftsdisziplinen erworben hatten, unter anderem in Berufspädagogik, Pflegemanagement und Psychologie.

» Ich war tief beeindruckt von der Begeisterung und Bereitschaft aller, etwas Neues gemeinsam zu beginnen. «

Grundsteine legen

Vergegenwärtigen muss man sich, dass es Anfang 2000 keinen einzigen hebammenspezifischen Studiengang in Deutschland gab. Die Gründung des Verbund Hebammenforschung 2004 an der Hochschule Osnabrück bedeutete eine entscheidende Anschubfinanzierung und -entwicklung für eine hochschulübergreifende Kooperation zur Forschung in der Lebensphase von Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit entlang des sogenannten Betreuungsbogens (Sayn-Wittgenstein, 2007). Damals entstand erstmals eine Forscher:innengruppe, die den genannten Fragestellungen systematisch nachging, um wissenschaftsbasierte Erkenntnisse zu gewinnen.

In der ersten BMBF-Förderphase 2004–2007 standen die Entwicklung, Implementierung und Evaluierung eines frauen- und familienorientierten Versorgungskonzeptes »Hebammenkreißsaal« im Fokus. Das entwickelte Konzept sollte in einer kontrollierten prospektiven Studie erprobt werden. Es sollte zur Identifizierung von Konzepten und Methoden führen, die eine bedarfsgerechte und problemangemessene Versorgung gewährleisten sowie den höchstmöglichen Benefit für die Nutzer:innen haben. Kriterien für die Bewertung können etwa der Zugewinn an Lebensqualität und -zufriedenheit sowie an Selbstbestimmung in der Lebensführung sein (BMBF, 2001). Im Konzept Hebammenkreißsaal ging es beispielsweise um die Eigenkontrolle der Gebärenden unter der Geburt sowie um das maternale Wohlbefinden.

In einer zweiten BMBF-Förderphase 2007–2010 wurde der Hebammenkreißsaal multizentrisch – an vier Standorten – weiter beforscht. In beiden Förderphasen entstanden Forschungsarbeiten beispielsweise zu den gesundheitsbezogenen Effekten einer Geburt im Hebammenkreißsaal (Bauer, 2011) und zu Erkenntnissen zur Latenzphase (Krahl, 2018).

Rückblickend betrachtet ist interessant, dass gesundheits- und wissenschaftspolitische Erklärungen damals wie heute wiederholt die Forderung aufstellen, dass der Qualitätsstandard von Pflege- und Hebammenarbeit, -ausbildung und -management auf Forschung basieren soll (WR, 2023; WHO, 2021; Evers et al., 2012; WR, 2012; WHO, 2002).

Der Beitrag von Forschung besteht darin, dass erstens Leistungen im Hebammenwesen auf der Grundlage wissenschaftlich begründeter Erkenntnisse erfolgen (Eggenschwiler et al., 2023; Thompson 1989), zweitens die Gesundheitsfachberufe sich als eine wissenschaftliche Disziplin etablieren (WR, 2023) und dass dadurch drittens die Berufsgruppen vermehrt in die Lage versetzt werden, Aufgaben im Bereich der Theorie-, Methoden- und Forschungsentwicklung zu lösen (WR, 2023; Evers et al., 2012).

Die wissenschaftliche und klinische Karriereleiter

Die Forderung nach einer Disziplinentwicklung in den Gesundheitsberufen wurde jüngst in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates (WR) wiederholt. Diese umfassen im Sinne einer »wissenschaftlichen Karriereleiter« den systematischen Auf- und Ausbau von Studiengängen auf Bachelor- und Masterniveau, Möglichkeiten zur Promotion in der Hebammenwissenschaft und die Einrichtung klinischer Professuren (WR, 2023).

Auf Basis der vom Verbund Hebammenforschung erhobenen Daten ergriffen die damaligen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen die Möglichkeit, hebammenspezifische Fragestellungen in ihren Promotionsarbeiten nachzugehen (Bauer, 2011; Schäfers, 2011; von Rahden, 2011; Knape, 2016; Krahl, 2018). Aus der damaligen Forscherinnengruppe sind seitdem mehrere Professorinnen für Hebammenwissenschaft an verschiedenen Hochschulstandorten hervorgegangen: Dr. Nicola Bauer, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Universität zu Köln; Dr. Nina Knape, Professorin für Hebammenwissenschaft und Vizepräsidentin für Studium, Lehre & Diversität an der Hochschule Ludwigshafen; Dr. Astrid Krahl, wissenschaftliche Leitung des Masterstudiengangs an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Schweiz; Dr. Rainhild Schäfers, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Universität zu Münster und Dr. Oda von Rahden, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Jade Hochschule Oldenburg.

Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass durch den Aufbau von Forschungskompetenz, die Qualifizierung von Wissenschaftlerinnen in frühen Karrierephasen und den Aufbau von Studienangeboten nach den Bologna-Vorgaben (Bachelor, Master und Promotion) entscheidende Beiträge für die Disziplinbildung Hebammenwissenschaft entstanden sind. Für die zukünftige Entwicklung wird entscheidend sein, ob angemessene finanzielle und strukturelle Rahmenbedingungen für Forschung und Forschungskooperationen entstehen, um wissenschaftsbasiert neue Erkenntnisse zu gewinnen. Zudem sind innovative Formen der Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis erforderlich, damit Erkenntnisse aus der Forschung in den Berufsalltag einmünden können.

Von der Theorie zur Praxis

Für den Theorie-Praxis-Transfer entstand bereits 2004 auf Initiative vom Verbund Hebammenforschung in Kooperation mit dem Bund Deutscher Hebammen (BDH, heute DHV) ein Netzwerk Hebammenkreißsaal. In diesem Netzwerk waren neben ihnen alle diejenigen Krankenhäuser vertreten, die eine hebammengeleitete Geburtshilfe implementiert hatten oder kurz vor der Einführung standen. Das Netzwerk diente als Ort des Erfahrungs- und Informationsaustauschs. Schon damals wurde eine einheitliche Profilbildung »Hebammenkreißsaal« mit verbindlicher Qualitätssicherung gefordert. Nach Beendigung der Forschungsphase zum Hebammenkreißsaal durch den Verbund Hebammenforschung wurde das Netzwerk vom Deutschen Hebammenverband weitergeführt (siehe auch Seite 8ff.).

Von der Aufnahme des Hebammenkreißsaals in den Aktionsplan der Bundesregierung »Gesundheit rund um die Geburt« wird eine neue Dynamik für dessen Umsetzung erwartet (BMG, 2024). Nach wie vor ist für die erfolgreiche Implementierung des Hebammenkreißsaals zentral, dass sich alle Entscheidungsträger:innen eines Krankenhauses zur Umsetzung dieses Versorgungskonzeptes bekennen und keine Mühen scheuen, es auch gemeinsam realisieren zu wollen. Das sind nicht wenige: Ärztliche Direktor:in, Kaufmännische Geschäftsführung, Chefärzt:innen der Geburtshilfe und der Neonatologie, Pflegedirektion, Pflegedienstleitung, Leitung des Kreißsaals, geburtshilfliches Team des Kreißsaals und Vertreter:innen des Qualitätsmanagements des Hauses.

Nachgefragt

Katja Baumgarten: Wie erklären Sie sich, dass das innovative Konzept »Hebammenkreißsaal« so lange ein eher stiefmütterliches Dasein im bundesweiten geburtshilflichen Angebot geführt hat, obwohl es durch die Forschung auf Kongressen und Tagungen immer sehr im Fokus stand?

Friederike zu Sayn-Wittgen­stein: Die Antwort ist nicht einfach. Es kommen verschiedene Faktoren zusammen: Tatsächlich muss eine große Anzahl an Personen, die in einem Krankenhaus sehr unterschiedliche Funktionen und Entscheidungshoheiten haben, den gemeinsamen Entschluss fassen, das Konzept Hebammenkreißsaal umsetzen zu wollen. Ich habe beobachten können, dass es zunächst einzelne Personen sind, die von dem Konzept überzeugt und hochmotiviert sind. Diese müssen dann erst Überzeugungsarbeit im eigenen Haus leisten.

Sobald eine offizielle Entscheidung getroffen werden kann, wird für die Umsetzung in der Regel ein Jahr an Vorbereitungszeit benötigt.

Ist die zögerliche Etablierung auch ein Ressourcenproblem?

Hilfreich ist, wenn es eine finanzierte Projektstelle im Umfang von mindestens 25 % der regelmäßigen Arbeitszeit gibt, durch die die Prozesse erarbeitet, begleitet und die einzelnen Arbeitspakete gesteuert werden können. Es ist unmöglich, ein solches Konzept neben einem regulären Kreißsaaldienst »zu wuppen«. Im Krankenhaus bewährt sich daher die Zusammenarbeit mit dem Qualitäts­management, das mit den Methoden des Projektmanagements vertraut ist. Zudem muss auch eine interdis­ziplinäre Arbeitsgruppe gegründet werden.

Für den Kreißsaal wird eine bestimmte Anzahl an Vollzeitstellen vorgesehen, die sich allerdings oft auf die dreifache Anzahl an angestellten Hebammen aufteilt, die sehr unterschiedliche Stellenanteile innehaben. Daraus resultiert ein großes Hebammenteam. Dieses Team muss für das Vorhaben gewonnen werden.

Ist das mitunter schwierig?

Es gibt immer einige Hebammen im Team, die nicht daran interessiert sind, in einem Hebammenkreißsaal zu arbeiten. Für diejenigen, die gerne im HKS arbeiten möchten, muss sichergestellt werden, dass alle ein annähernd vergleichbares Kompetenzniveau aufweisen. Das betrifft beispielsweise Beratungsgespräche in der Hebammen­sprechstunde im Hinblick auf die bevorstehende Geburt, Gebärhaltungen, Auskultation der fetalen Herztöne unter der Geburt, Nahtversorgung von DR I und DR II und vieles andere mehr. In allen Einrichtungen, in denen unsere Forschung stattfand, waren zu diesen Aufgabenbereichen Fortbildungen erforderlich. Diese müssen geplant, finanziert und durchgeführt werden. Alle Hebammen im Team sollten die Gelegenheit erhalten, an diesen Fortbildungen teilzunehmen.

Last but not least – die Hebammensprechstunde! Auch dieses Konzept umfasst eine inhaltliche und eine operative Dimension. Inhalte für die Beratungsgespräche, Schulung der Hebammen dazu, Regelung der Terminvergabe, Raumgestaltung und so weiter müssen organisiert werden. Die Finanzierung des Personaleinsatzes von angestellten Kreißsaalhebammen in der Hebammensprechstunde war bisher problematisch (Siegle et al. 2021).

Wie ist es heute?

Erst mit dem im Januar 2025 in Kraft getretenen Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG) werden alle Personalkosten von Hebammen nun im Pflegebudget berücksichtigt. Damit werden die anfallenden Personalkosten von Hebammen vollständig refinanziert, da das Krankenhaus die angestellten Hebammen nicht mehr über die Einnahmen der abgerechneten DRGs finanzieren muss – was ja abhängig ist von der Geburtenzahl oder den Diagnosen, sondern über das Pflegebudget. Dies eröffnet neue Spielräume für die Finanzierung des Personaleinsatzes von Hebammen in der Hebammensprechstunde. Leider ist an vielen Kliniken die sogenannte Hebammensprechstunde zu einer Anmeldesprechstunde für den Kreißsaal mutiert.

Wie ist Ihre Vision?

Wenn es eines Tages klinische Professuren für Hebammenwissenschaft geben sollte oder Advanced Midwifery Practice, dann kann die Umsetzung solcher Konzepte zusätzlich gestützt werden.

Danke für Ihre kritische Einordnung!

Zitiervorlage
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Literatur
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