Heute besprechen wir den Dammschutz. 20 aufmerksame WeHen folgen gespannt dem Seminar. Bald dürfen sie selbst »Dammschütze« sammeln fürs Examen – die Königsdisziplin der Hebamme. Das Kind wird geboren, juchhu, dann die Plazenta – und dazwischen vielleicht schon ein schneller Blick: Wie sieht der Damm aus? Hat alles gehalten? Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit: Lagerung, Tupfer, Licht.
Am Damm wird über die Hebammenehre entschieden. Damm und Labien intakt? Gute Hebamme. Dammriss: Na ja. DR I: Das geht noch. DR II: Musste das sein? DR III: Oh je, vielleicht sollte ich einen anderen Beruf ergreifen. Sind wir wirklich diejenigen, die den Damm retten – oder auch nicht?
Zurück zur Theorie: Was beobachten die WeHen in der Praxis, welche Erklärungen bekommen sie? Sie zieren sich: »Das kommt drauf an. Dammschutz geht bei jeder Hebamme anders. Eine bremst. Eine dehnt. Eine massiert. Eine senkt oder flektiert das Köpfchen. Eine ‚stopft‘ den Kopf vor und zurück.«
Ganz modern wird in einem Kreißsaal »Hands-off« praktiziert, weil Studien keine Vorteile von Dammschutztechniken zeigten. Eine andere Abteilung hat kürzlich wieder mit Dammschützen angefangen, weil noch neuere Studien das wieder vertreten. Ganz revolutionär wird in dem Kreißsaal behauptet, die Verletzungsproblematik habe mit der Schulterentwicklung zu tun und nicht mit dem Durchtritt des Köpfchens. Dammschutz diene dazu, die vordere Schulter zurückzuhalten, damit erst die hintere über den Damm geboren werden kann – das sei die physiologische Reihenfolge. Ratlosigkeit.
Jetzt sind wir bereit für die ethischen Fragen: Ist es erlaubt, eine Frau an ihren Geschlechtsteilen zu berühren, auch wenn es keine Evidenz für einen Nutzen gibt? Und wer sagt eigentlich, dass die Hebamme das Recht auf die allererste Berührung eines Kindes hat?
Die allerneueste Erkenntnis: Dammverletzungen entstehen durch Wehenmittel, denn Oxytocin erhöht die Beckenbodenspannung. Vielleicht ist es egal, wo unsere Hände sind, wenn wir die Muskulatur mit künstlichem Oxytocin starr und überreaktiv machen. Klingt plausibel, oder?
Ich liebe diese kritischen Auseinandersetzungen. Aufmerksam bleiben, Fragen stellen und immer wieder Antworten aus der Forschung suchen – auch wenn das wieder alles auf den Kopf stellt, was eben noch stimmte.