Alexandra Leiterer: »Das aktuelle Gesundheitssystem schafft Rahmenbedingungen, die freiberufliche Hebammen in ein Dilemma zwischen ethisch-moralischem und wirtschaftlichem Handeln versetzen.« Foto: © privat

In der Wochenbettbetreuung geht der Trend hin zu Hebammenambulanzen und einer häuslichen Versorgung nur von Montag bis Freitag. Ist das ethisch-moralisch vertretbar und was macht es mit dem Berufsbild der Hebamme?

Mit der Einführung des DRG-Systems sinkt kontinuierlich die Verweildauer der Wöchnerinnen in der Klinik. In den Kreißsälen und auf den Wochenbettstationen herrscht Personalmangel, ein langer Aufenthalt der Wöchnerinnen ist nicht refinanziert. So werden einige Frauen nach einer Vaginalgeburt nach einem Tag aus der Klinik entlassen und Frauen nach einer Bauchgeburt auch schon nach ein bis drei Tagen. Nach einer ambulanten Geburt geht die Mutter nach wenigen Stunden nach Hause (Harder et al. 2022).

Auf der einen Seite dürfen die freiberuflichen Hebammen in der Betreuung aufarbeiten, was in den Kliniken aufgrund der Missstände nicht abgedeckt werden konnte. Damit steigt der Betreuungsbedarf im ambulanten Wochenbett immer mehr und ist durch die frühen Entlassungen kaum noch planbar. Hier sei angemerkt, dass das Angebot für eine Wochenbettbetreuung von freiberuflichen Hebammen in ländlichen und städtischen Gebieten ohnehin absolut unzureichend ist. Auf der anderen Seite wünschen sich immer mehr Mütter eine Betreuung durch eine Hebamme im Wochenbett.

Die Vergütung der Wochenbettbetreuung wurde seit Jahren nicht angehoben, trotz immens steigender Kosten. Ein häuslicher Wochenbettbesuch wird mit 38,46 Euro brutto vergütet. Der Wochenend- und Nachtzuschlag beträgt gerade einmal 7,69 Euro. Es spielt keine Rolle, ob die Hebamme 20 oder 60 Minuten nach der Frau und dem Kind geschaut hat.

Das aktuelle Gesundheitssystem schafft Rahmenbedingungen, die freiberufliche Hebammen in ein Dilemma zwischen ethisch-moralischem und wirtschaftlichem Handeln versetzen. So könnte es wirtschaftlicher sein, die Wochenbettbetreuung in einer Hebammenambulanz anzubieten sowie Frauen mit geringerem Bedarf weiterhin zu betreuen und für Frauen mit höherem Bedarf keine Kapazitäten zu haben. Das Gesundheitssystem schafft Bedingungen, die viele Hebammen dazu veranlassen, die Wochenbettbetreuung auf die Tage während der Woche zu beschränken.

Anspruch auf Hebammenbetreuung

Gemäß § 24d SGB V haben alle gesetzlich krankenversicherten Frauen einen Anspruch auf die Hilfe einer Hebamme bis zum Ablauf von zwölf Wochen nach der Geburt. Die Leistungen der privaten Krankenversicherung lehnen sich im Wesentlichen an daran an. In welchem Umfang die Wochenbettversorgung erfolgen kann, ist an dieser Stelle im SGB V nicht weiter festgelegt. Laut dem Gesetz gibt es auch keinen Versorgungsauftrag für Hebammen.

In den Berufsordnungen der Länder ist geregelt, dass die Hebamme für eine Vertretung zu sorgen hat, sobald sie nicht erreichbar ist. Demnach lassen die bestehenden Vorgaben Spielraum dafür, im Betreuungsvertrag festzuhalten, dass die Wochenbettbetreuung nur von Montag bis Freitag abgedeckt wird und sich die Frau um eine Versorgung am Wochenende selbst zu kümmern hat, beziehungsweise die Hebamme nicht angreifbar gemacht werden kann, wenn sie sich in dieser Zeit aus der Versorgung abmeldet. Doch ist anzumerken, dass die Verfügbarkeit ein klar formuliertes Ziel im Qualitätsmanagement ist und im Qualitätshandbuch geregelt sein muss. Dieses Qualitätsmerkmal ist eine Voraussetzung für die Hebammenarbeit und dient der Risikoerhebung (§134a SGB V).

Welche Frau würde einen Behandlungsvertrag mit solch individuellen Regelungen in der aktuellen Unterversorgung von Hebammenleistungen nicht unterschreiben? Sehr wahrscheinlich würde sie keine vertretende Hebamme am Wochenende finden, dann ist der Kinderarzt oder die Kinderärztin, die Kinderklinik oder der Gynäkologe beziehungsweise die Gynäkologin ihre Anlaufstelle. Auf der anderen Seite heißt es, die Arztpraxen und Kliniken seien überfüllt (Bauer, 2013).

Was sagt die »Ethik für Hebammen« dazu?

Hebammen gewährleisten die gesundheitliche Versorgung von Frauen, Säuglingen und Familien vor, während und nach der Geburt eines Kindes und während der gesamten reproduktiven Phase der Frau. Außerdem setzen sie sich für eine Politik ein, die diese bedarfsgerechte Versorgung zusichert.

Dieses Ziel wird nicht erreicht, wenn die Hebamme am Wochenende nicht erreichbar ist. Angenommen, eine Frau hat am Donnerstag geboren, wird am Freitag entlassen und der erste häusliche Wochenbettbesuch erfolgt am Montag. In dieser Zeit könnten ein Neugeborenenikterus, Stillprobleme, eine stärkere Blutung oder eine Wundheilungsstörung auftreten. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Wöchnerin frühzeitig die Grenze erkennt, wann professionelle Hilfe notwendig ist.

In den ersten Tagen im Frühwochenbett kommt der Betreuung durch eine Hebamme eine besonders hohe Bedeutung zu, da in dieser Zeit einige Umstellungsprozesse sowohl bei der Mutter als auch beim Neugeborenen stattfinden.

Damit wird das nationale Gesundheitsziel, dass Komplikationen und Belastungen im Wochenbett frühzeitig erkannt und/oder vermieden werden sollen, nicht erreicht (BMG, 2017). Dies ist auch in Wochenbettambulanzen schwer zu realisieren. Schließlich geht es auch darum, auf psychosoziale Aspekte einzugehen, die neben dem gesundheitlichen Wohlbefinden von Mutter und Kind im Vordergrund stehen.

Wochenbettambulanzen statt Hausbesuche?

Die aufsuchende Wochenbettbetreuung erfüllt einen wichtigen präventiven Ansatz, da im häuslichen Umfeld erkannt werden kann, wann weitere Hilfsangebote gebraucht werden – die Hebamme kann dann entsprechend weitervermitteln. Diese präventive Arbeit können Wochenbettambulanzen nicht leisten, deshalb wird hier der Ethik-Kodex der Hebammen nicht erfüllt.

Wochenbettambulanzen könnten den Wert der häuslichen Wochenbettbetreuung reduzieren und das Gesundheitssystem finanziell weniger belasten. Zeitlich können mehr Frauen für weniger Kosten betreut werden. Wenn viele Ambulanzen entstehen, könnte irgendwann die aufsuchende Wochenbetreuung abgeschafft werden, indem nur noch Ambulanzen finanziert werden.

Ein Leitsatz im Ethik-Kodex lautet: »Hebammen achten die körperlichen, seelischen und sozialen Bedürfnisse der Frauen, die ihre gesundheitliche Unterstützung suchen.« Demnach soll die Versorgung nach den Bedürfnissen und der aktuellen Situation der Wöchnerin ausgerichtet sein sowie vermeidbare Schäden durch eine Risikobewertung verhindert werden. Diesen Anspruch kann eine Wochenbettambulanz nicht erfüllen.

Vor 50 Jahren verbrachten die Mütter die ersten zehn Tage ihres Wochenbettes an dem Ort, wo sie geboren hatten, zu Hause oder in der Klinik. Deshalb empfanden viele Frauen das Wochenbett als die schönste Zeit ihres Lebens, weil sie dort die Zeit hatten, sich auszuruhen (Harder et al., 2022). Heutzutage werden die Frauen nach einem Tag post partum – oder noch am selben Tag – entlassen und sollen dann eine Wochenbettambulanz aufsuchen, um versorgt zu werden. Inwiefern werden die Bedürfnisse der Frauen geachtet oder inwiefern ist es zumutbar, wenn beispielsweise eine Frau mit einer frischen OP-Naht oder Dammnaht eine Ambulanz aufsucht?

Variation der Betreuungszeit

Der zweite Halbsatz des Leitsatzes »Frauen, die ihre gesundheitliche Unterstützung suchen« wirft die Frage auf, wann beziehungsweise wie lange die gesundheitliche Unterstützung gesucht wird. Die nicht angemessene Vergütung verleitet Hebammen dazu, Frauen länger zu betreuen, aber die einzelnen Wochenbettbesuche kürzer ausfallen zu lassen. Damit relativiert sich das Verhältnis Zeit gegen Geld. Wenn Frauen aber betreut werden, wenn es nicht mehr unbedingt notwendig ist, führt das dazu, dass andere Wöchnerinnen, die einen hohen Bedarf haben, beispielsweise weil sie gerade entlassen wurden, keine Hebamme finden. Eine Studie aus Bayern zeigt, dass 44,1 % der Befragten keine Wochenbettbetreuung in Anspruch nehmen konnten, da sie keine Hebamme mit freien Kapazitäten gefunden haben (Sander et al. 2018). Auch das Qualitätsmanagement setzt voraus, dass die Versorgung angemessen gewährleistet und das Erforderliche nicht überschritten wird. Trotz der kritischen Auseinandersetzung mit Wochenbettambulanzen bieten diese eine Chance für Frauen, die keine Hebamme für die häusliche Betreuung im Wochenbett finden.

Im Ethik-Kodex der Hebammen ist festgelegt, dass sie sich an der Entwicklung und Durchführung von gesundheitspolitischen Maßnahmen beteiligen. Diese sollen die Gesundheit von Frauen und Familien fördern, die Kinder bekommen. Wer würde eine solch verantwortungsvolle Arbeit leisten, wenn am Ende das Monats fast nichts dabei herauskommt? Welcher Job soll sich nicht lohnen?

Es ist nachvollziehbar, dass es Fortbildungen zu »Die Hebamme als Geschäftsfrau« gibt und sich neue Versorgungsmodelle entwickeln. Jedoch sollten dabei die Folgen für die Entwicklung des Berufsbildes nicht außer Acht gelassen werden. So könnten Ambulanzen einen Anreiz für die Krankenkassen darstellen.

Die Akademisierung der Hebammenausbildung eröffnet für Hebammen neue Berufswege, beispielsweise in der Forschung, in der Lehre und im Management. Wenn sich das aktuelle System nicht zum Positiven wandelt, werden viele Hebammen nach dem Studium in diese Richtung gehen. Dadurch wiederum wird sich die Unterversorgung mit Hebammenleistungen noch mehr verstärken.

Aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und dem Sozialstaatsprinzip lässt sich ein Anspruch auf eine gesundheitliche Versorgung, sowie explizit nach SGB V ein Anspruch auf die Hilfe einer Hebamme ableiten. Dies verpflichtet den Staat dazu, ein tragfähiges Gesundheits- und Krankenversicherungssystem zu gewährleisten. Für die gesundheitliche Versorgung sind die Länder zuständig.

Langfristig wird es sich lohnen, wenn sich mehr Hebammen gesundheitspolitisch engagieren. Dabei sollte bedacht werden, vor welchem Hintergrund Wochenbettambulanzen angeboten werden und Hebammen die Wochenbettbetreuung nicht mehr am Wochenende anbieten möchten. Die Folgen daraus für das System und das Berufsbild der Hebamme sollten abgewogen werden.

Zitiervorlage
Leiterer, A. (2023). Wochenbettbetreuung: Zwischen Ethik und Einsparungen. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 75 (1), 32–34.
Literatur
Bauer, N. (2013). Wochenbettbetreuung zu Hause. In: Stiefel A, Geist C, Harder U: Hebammenkunde. Lehrbuch für Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Beruf. 5., überarbeitete und erweiterte Auflage. Hippokrates Verlag. Stuttgart.

Bundesministerium für Gesundheit (2017). Nationales Gesundheitsziel. Gesundheit rund um die Geburt. 4. Auflage. Berlin.

Deutscher Hebammenverband (2017). Eine Ethik für Hebammen. Den Delegierten zur Bundesdelegiertenversammlung 2017 durch die AG Ethik vorgelegt und beschlossen in Berlin im November 2017, revidiert in 2020, Revision 2023.

Harder, U., Borchard, C. (2022). Wochenbettbetreuung. 5. Auflage. Thieme Verlag. Berlin und Münster.

Sander, M., Albrecht, M., Loos, S., Stengel, V. (2018). Studie zur Hebammenversorgung im Freistaat Bayern für das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Studie für das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. IGES Institut GmbH. Berlin.

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