Wie lernen werdende Hebammen in der Primärausbildung die geburtshilflichen Untersuchungen? Digitale Technik und Simulatoren können dabei nützlich sein, aber die praktische Anleitung einer erfahrenen Kollegin ist nicht zu ersetzen. Die handwerkliche Ausbildung in der Hebammenkunst braucht bessere Bedingungen, realistisches Bildmaterial und erfahrene Hebammen, die die Auszubildenden führen. 

Historisch lernten Hebammen ihr Handwerk von erfahrenen Kolleginnen, die sie über mehrere Jahre in ihrem Berufsalltag und bei Hausgeburten begleiteten. Mit dem Aufkommen der ersten Hebammenschulen im späten 18. Jahrhundert wurde geburtshilfliches Wissen auch anhand von Lehrmitteln wie dem ledernen Phantom an Hebammenschülerinnen vermittelt. Heute kommen in der primärqualifizierenden Ausbildung und im Studium Lehrbücher, Abbildungen, anatomische Modelle bis hin zu hochspezialisierten Patientensimulatoren zum Einsatz.

Die originäre Hebammenkunst ist die Basis der Hebammenarbeit (Zoege 2004:281ff.). Die Wahl der Lehrmittel und -methoden in der heutigen Ausbildung soll sich daher daran orientieren, ob sie geeignet sind, angehende Hebammen in ihren handwerklichen Kernkompetenzen auszubilden.

Inhalte und Ziele sowie das Verhältnis von Theorie und Praxis in der Hebammenausbildung werden immer wieder kontrovers diskutiert. Zum einen sollen Skills Labs »die Praxis ersetzen« (Schäfers 2014). Zum anderen wird seit Jahren auf den Verlust des originären Hebammenwissens hingewiesen (Duden & Vogeler 2016:22; Sayn-Wittgenstein 2007; Zoege 2004:52f.).

Das Hebammengesetz (Gesetz über den Beruf der Hebamme und des Entbindungspflegers – HebG) schafft insoweit Klarheit, als dass es die Kernkompetenzen der Hebammen definiert. Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (HebPrV) und die Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen (HebStPrV) benennen die Ziele der praktischen Ausbildung: Die Ausbildung soll die Hebammen dazu befähigen, eigenverantwortlich zu arbeiten, das heißt regelrechte Geburten ohne Zuziehung von ÄrztInnen leiten zu können.

Zur Befunderhebung stehen der Hebamme diagnostische Handgriffe zur Verfügung. Die Beschreibungen der abdominalen und vaginalen Untersuchungen zeigen komplexe Einzelbefunde, die sie in Beziehung zueinander interpretieren muss, um Regelwidrigkeiten und Pathologien zu erkennen.

Die Didaktik der Bilder und Sinneseindrücke

Im 17. und 18. Jahrhundert, also vor dem Einsatz von Röntgen, Ultraschall oder dergleichen Gerätschaften, bestand reges Interesse an der Erforschung des menschlichen Körpers. Dazu wurden tote Körper geöffnet und seziert. Parallel hielt ein Anatomiezeichner diese Schritte detailgetreu und dreidimensional fest.

Für diesen Zweck ergaben anatomische Präparationen, künstlerische Zeichnungen und wissenschaftliche Texte eine einstimmige, in sich schlüssige Synergie (Lauer 2013: 204). Detailgetreue Anatomiezeichnungen erleichterten es, mechanische Zusammenhänge zu erfassen, die im Körperinneren verborgen sind. Dies ist bei der anatomischen Orientierung am lebenden Körper hilfreich.

»Nichts ist im Verstand, was nicht zuvor in der Wahrnehmung wäre«, so lautet ein arabisches Sprichwort. Bilder können Informationen über anschauliche Merkmale und räumliche Zuordnungen oft besser vermitteln als jeder Text (Niehoff & Wenrich 2007: 56). Sie ziehen die Aufmerksamkeit der Augen auf sich und werden gut im visuellen Gedächtnis behalten. Die Didaktik des Bildes soll komplexe Zusammenhänge im Text auf einen Blick verständlich strukturieren, veranschaulichen und auf den Punkt bringen.

Manuelle Untersuchungen wie die äußere Untersuchung der schwangeren Frau machen Anatomie erfahrbar, das heißt Beurteilung der Michaelisraute, äußere Beckenuntersuchung, Beurteilung von Wirbelsäule, Rectusdiastase oder Beinen, Leopold-Handgriffe oder eine innere Beckenaustastung. Greifen und Begreifen stehen im direkten Lernprozess miteinander, sie verstärken die räumliche Wahrnehmung und Vorstellung des Geburtsvorganges (Sehlheim 1932: 451).

Wer über mehrere Sinnesorgane synchron Informationen aufnimmt, lernt, versteht und erinnert sich besser. Diese Erfahrung wird im Gehirn analysiert und mit dem Gesehenen (Bild) in Verbindung gebracht.

Bereits Friedrich Schiller (1759–1805) setzte sich für ästhetische Bildung ein. Der Arzt, Dichter und Philosoph befürchtete einen Rückschritt für die Wissenschaft, falls Wissensaneignung ausschließlich rational stattfindet und abgespalten wird von Emotionen, die sich aus Fühlen, Denken, Abschätzen ergeben (vgl. Niehoff & Wenrich 2007: 57). Heute, gut 200 Jahre später, bestätigt das moderne Zeitalter mit digitaler Bilderflut einen Teil dieser Theorie. Lernen abgelöst von Emotionen führt zu motorischen Störungen, fehlender Empathie sowie falscher Einschätzung von Folgen des eigenen Handelns (Legler 2011: 346). Der zunehmende Einsatz von technischen Geräten führt dazu, dass Menschen den Messungen eines Apparates mehr vertrauen als den eigenen Sinnen. Dieser Zustand nimmt einen enormen Einfluss auf die heutige Geburtshilfe.

Digitale Technologien und Patientensimulatoren

Durch den einseitigen Einsatz digitaler Technologien treten bewusst oder unbewusst manuelle Untersuchungen und haptische Fähigkeiten in den Hintergrund. Zweidimensionale Darstellungen vermitteln ein unrealistisches Bild von dynamischen Prozessen in körperlichen Räumen (Kopp 2013: 53). Es besteht die Gefahr, dass unrealistische Bilder und mangelnde manuelle Fertigkeiten zu einem großen Verlust von diagnostischem Vermögen führen können. So geht die Vorstellungskraft dafür verloren, wie sich der Fetus innerhalb des mütterlichen Beckens positioniert. Diese Fähigkeit war vor der Etablierung des Ultraschalls das wichtigste diagnostische Mittel in der Geburtshilfe.

Auch aktuelle Fachliteratur bestätigt eine Notwendigkeit des genauen Vorstellungsvermögens räumlicher Verhältnisse, abgeleitet von innerer und äußerer Untersuchung (BFH und ZHAW 2013:38).

Im Skills Lab sollen hochspezialisierte Patientensimulatoren der Vermittlung von geburtshilflichem Fachwissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten dienen, den Theorie-Praxis-Transfer ermöglichen, sowie Soft Skills schulen (wie Kommunikation, interdisziplinäres Agieren im Team und so weiter).

Der Ganzkörpersimulator SimMom der Firma Laerdal zum Beispiel ist äußerlich detailliert gestaltet. Beweglichkeit in den großen Gelenken, Simulation von Flüssigkeitsabgang und verschiedenes Zubehör können unterschiedliche geburtshilfliche Szenarien sowie einige Regelwidrigkeiten und Notfälle darstellen. Unterschiedliche programmierte Modi von pathologischen Zuständen der Herz-Kreislauf-Funktion ermöglichen ein fachübergreifendes Notfalltraining.

Die geburtshilfliche Anatomie wird im Patientensimulator vereinfacht und schematisch dargestellt, einige Strukturen fehlen: Der weiche Geburtsweg beschränkt sich auf Muttermund und Beckenboden, im knöchernen Geburtsweg werden lediglich Kreuzbein und Spinae ischiadicae schematisch dargestellt.

Vorprogrammierte Geburtsverläufe bieten standardisierte Lehrsituationen. Die automatische Entbindung soll unter anderem zur Prüfung der Auszubildenden eingesetzt werden, entsprechend § 29 Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen (HebStPrV) vom 8. Januar 2020.

Lernen aus neurowissenschaftlicher Sicht

»Das Gehirn (…) kann eines nicht: nicht lernen!« (Spitzer 2012: 15). Neuroplastizität beschreibt die Anpassungsfähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen an die jeweiligen Nutzungsbedingungen. Zum einen regen Veränderungen der Umwelt den Umbau der morphologischen Struktur des Gehirns an. Zum anderen wirkt sich wiederholte spezifische Beanspruchung stimulierend auf bestimmte neuronale Netzwerke aus (Schwing 2011:14).

Das Gehirn ist fähig, Nervenzellen, neuronale Netzwerke und die Aktivierungsmuster der Reizübertragung immer wieder zu verändern (Bauer 2013; Hüther 2001, 2004; Kandel 2008). Der Neurobiologe Gerald Hüther hat emotionale Reaktionen bei Lernprozessen und die neurobiologische Verankerung von Erfahrungen erforscht. Er bezeichnet das menschliche Gehirn als zeitlebens programmierbare Konstruktion (Hüther 2001:37ff.):

  • Durch wiederholte Aktivierung entstehen neue Verknüpfungen der Nervenzellen untereinander und neue neuronale Netzwerke, sie werden »komplexer, dichter und bisweilen sogar größer« (Hüther 2001:85).
  • Auch das Aktivierungsmuster kann durch intensive Nutzung verstärkt werden (Pippke & Dannenberg 2015: 51).
  • Die Nervenbahnen verstärken durch vermehrte Anreize ihre Leitungsgeschwindigkeit.
  • Ebenso nimmt die Anzahl der Synapsen einer einzelnen häufig aktivierten Nervenzelle zu (Bauer 2002:60f.).
  • Häufige Erregung der Nervenzelle führt auch zu einer verbesserten Aktivierbarkeit ihrer Synapsen (Hüther 2001:119; Schwing 2011:14).

Über das Langzeitgedächtnis resümiert der Nobelpreisträger für Medizin Eric Kandel: »Einspeicherung in das Langzeitgedächtnis geschieht dann besonders gut, wenn die Inhalte wichtig sind, wenn sie emotional geladen sind und wenn sie oft wiederholt werden« (Kandel 2008).

Auf wiederholte Reize hin vermehren sich synaptische Verbindungen, neue Neuronen bilden sich aus und entwickeln neue Strukturen und Netzwerke. Gerald Hüther beschreibt es bildhaft: »…aus vorhandenen Trampelpfaden werden Autobahnen« (Hüther 2008, zit. in: Bonney 2011:14).

Je aufwendiger und intensiver ein Sachverhalt bearbeitet wird, desto besser ist der Lerneffekt (Spitzer 2012:94f.).

Laufend wirken neue Reize auf das Gehirn ein. Verstärkend auf die neuronalen Netzwerke wirken sie dann, wenn sie für die betreffende Person neu sind, unerwartet oder in einer Kombination mit anderen Sinnesreizen auftreten, die sie bisher so noch nicht erfahren hat (Hüther 2004:23). Diese Art von Sinneseindrücken erregen ältere Hirnbereiche, die auch körperliche Funktionen steuern, wie beispielsweise Stressreaktionen. Dies führt zu einer besonders tiefen Verankerung des Lerninhalts im Gehirn (Hüther 2004:22).

Zur Vertiefung der Lernerfahrung führt das Interesse am Lernstoff, ebenso wie neue Herausforderungen (Kandel 2008; Spitzer 2012:58f.).

Darüber, ob Lerninhalte als besonders wichtig eingestuft werden, entscheidet insbesondere die Erfahrung, die jeder Mensch in seinem bisherigen Leben gemacht hat. Gelingt die Integration des neuen Lerninhalts, spricht Hüther vom kohärenten Zustand des Gehirns (Hüther 2016), der glücklich macht und für Lernmotivation sorgt.

Der geschützte Raum eines Skills Labs bietet grundsätzlich günstige Lernbedingungen für eine intensive Wahrnehmung und vertiefte Auseinandersetzung mit dem Lernstoff. Die Hebammenschülerin kann ohne Angst vor Fehlern üben und ihre Fähigkeiten vervollkommnen.

Am Simulator ist das Erlernen des geburtshilflichen Befundes allerdings auf einige wenige Kriterien reduziert und standardisiert. Geburtshilfliche Befunde müssen jedoch vollständig erhoben und im Kontext beurteilt werden.

Darin liegen die Grenzen des Simulators: Für die angehenden Hebammen erschließen sich logische Zusammenhänge oft nicht, zum Beispiel der Zusammenhang zwischen Wehentätigkeit, Geburtsfortschritt und Vitalität des Kindes. Sie können nur einige wenige, selektierte Fähigkeiten üben. Für bereits ausgebildete Hebammen liegt dagegen ein klarer Vorteil darin, dass sie sich auf eine spezielle Fertigkeit fokussieren können. Für angehende Hebammen aber ist das Verknüpfen, Erkennen und Abgleichen des Lerninhaltes am Simulator nur bedingt möglich.

Abbildung 1: Verhalten des kindlichen Kopfes bei Erst- und Mehrgebärenden in der Eröffnungsphase

Haptische Fähigkeiten schulen

Der Tastsinn erfordert große Nähe zum Objekt der Wahrnehmung, dies fördert Konzentration und Achtsamkeit. Am Patientensimulator kann die Hebamme intensiv und ohne Zeitdruck palpieren. Wiederholtes Üben ist am unbelebten Objekt problemlos möglich.

Am Simulator kann sich die Hebamme zudem auf einzelne Teilbefunde fokussieren und zunächst alle anderen Aspekte des Gesamtbefundes gezielt aus ihrer Wahrnehmung ausklammern. Das Fragmentieren der Befunde beim Lernen könnte angehende Hebammen vor Überforderung schützen, bevor sie die umfassenden zu untersuchenden Handgriffe in ihrer Komplexität im Kreißsaal lernen.

Der geschützte Raum des Skills Labs, ungeteilte Aufmerksamkeit, Fokussierung auf Details und das (wiederholte) Lernen im eigenen Tempo sind grundsätzlich günstige Voraussetzungen für die bewusste haptische Wahrnehmung.

Jedoch fehlen am Simulator auch wichtige Informationen, die zum Beispiel für eine vollständige Befunderhebung bei vaginalen Untersuchungen benötigt werden: individuelle Besonderheiten des mütterlichen Gewebes (Beschaffenheit, Wärme, Flüssigkeiten), der Wehen und des Kindes. Auch der Unterschied in der haptischen Befundung zwischen Erst- und Mehrgebärender kann nicht dargestellt werden, ist jedoch wichtig zu unterscheiden.

Zum Beispiel kann am Simulator bei der Eröffnung des Muttermundes durch die vaginale Untersuchung die Weite des Gewebes ertastet und beurteilt werden. Durch den Druck des kindlichen Kopfes dehnt sich das Gewebe, die Öffnung ist gut tastbar. Schädelnähte und Fontanellen am kindlichen Schädel sind deutlich tastbar. An ihnen soll die Haltung, Stellung und Einstellung von Birthing Baby, dem Neugeborenensimulator für die Geburtssimulationen, an SimMom ermittelt werden.

Der Muttermund öffnet sich allerdings ausschließlich durch den Druck des kindlichen Kopfes. Dieser muss also während der simulierten Eröffnungsphase der Geburt tiefer treten, um das Gewebe zu dehnen. Im realen Geburtsverlauf ist dies nicht zwangsläufig der Fall. So tritt der Kopf bei Mehrgebärenden während der Eröffnungsphase nicht unbedingt tiefer (siehe Abbildung 1). In der Regel dehnt die Fruchtblase die Weichteile auf.

Da dieser Befund am Simulator bei jeder Palpation der Muttermundsweite erhoben wird, wird sich im somatosensorischen Kortex der angehenden Hebamme das innere Bild einprägen, dass zur Muttermundseröffnung immer ein tiefertretender Kopf gehöre. Dieses Bild kann auch unbewusst im Gehirn gespeichert werden, wenn die Hebammenstudierende zum Beispiel mehrfach unterschiedliche Details der vaginalen Untersuchung am Simulator übt und dabei den tiefer tretenden Kopf als Nebenbefund unbewusst wahrnimmt. Weicht der Tastbefund an einer Gebärenden wesentlich vom Tastbefund am Simulator ab, so entstehen schnell Irritationen bei den Schülerinnen.

Besonders im Kreißsaalgeschehen, das manchmal schnelle Entscheidungen verlangt, kann dies zu fatalen Verunsicherungen der Hebammenschülerinnen führen. Für die angehenden Hebammen ist das Erheben eines vollständigen Befunds und die Einordnung in ein kohärentes Gesamtbild jedoch Grundvoraussetzung für den Erwerb der Kernkompetenzen »Erkennen der Physiologie und Abgrenzung zur Pathologie«.

Die Bedeutung der Spiegelneurone

Auf neurophysiologischer Ebene erklären Spiegelneurone das Nachempfinden der Handlung eines anderen bis hin zum Erkennen seines Handlungsvorsatzes (Iacoboni 2011:13ff.). Sie ermöglichen es, durch Nachahmung zu lernen. Das Beobachtete aktiviert über die Sinneswahrnehmung die somatosensorischen Spiegelzellen: Die Handlung wird unmittelbar innerlich nachvollzogen, als würde die Beobachterin sie selbst ausführen, sie wird »somatisch ›verstanden‹» (Zaboura 2009:60).

Nicht nur motorische Zellen funktionieren als Spiegelneurone. Auch Zellen, die für die Körpereigenwahrnehmung verantwortlich sind, arbeiten als Spiegelzellen. Sie spiegeln Gefühlsäußerungen und Handlungsabsichten (Evers-Zimmer 2013: 32; Bauer 2011: 43).

Dies ist die Grundlage für Einfühlungsvermögen und Empathie (Rizzolatti & Sinigaglia 2008:189).

Abbildung 2: Schematisch dargestellte Lage, Haltung, Stellung und Einstellung in der Austreibungsphase

Abbildung 3: Schematisch dargestellte Lage des Kindes in der Austreibungsphase

Zum Beispiel: Die Flexibilität der Neugeborenenpuppe reicht für eine lebensechte Position nicht aus. Dies ähnelt den schematischen Abbildungen 2 und 3 im Vergleich zur topografischen Zeichnung in Abbildung 4. Im Unterschied zur schematischen Darstellung beschreibt die topografische anatomische Zeichnung einzelne Strukturen und Vorgänge des Körpers nach ihren räumlichen Lagebeziehungen zueinander (topos: griechisch »Ort«). Auf diese Weise wird anwendungsorientiertes Wissen erworben. Dies steht im Gegensatz zu skizzierten, schematisierten Bildern, die ungenaue bis falsche Vorstellungen schüren können.

Nachahmendes Lernen am Simulator kann sich somit nur auf unvollständige Untersuchungen beziehen. Auch die Absicht der Lehrkraft kann am Patientensimulator daher rein wahrnehmend kaum erfasst werden.

»Was ein Mensch fühlt, lässt sich – außerhalb dieses Menschen – nur durch das Mitgefühl eines anderen Menschen beschreiben.« (Bauer 2013: 73). Auch das Erlernen von empathischem Umgang erfordert ein lebendiges Gegenüber, das unmittelbare Reaktionen zeigt.

Abbildung 4: Topografisch dargestellte Drehung des Kindes

Evidenzbasierte Erkenntnisse

Die gesichteten Studien benennen die geschützte Lernumgebung und die große Akzeptanz unter den Lernenden als klaren Vorteil des Simulationstrainings (Fichte 2016:44ff.). Handlungsabläufe, Teamarbeit und kommunikative Fähigkeiten lassen sich gut schulen. In diesem Bereich kann der Patientensimulator ein sehr hilfreiches Lehrmittel sein, unbestritten insbesondere im Notfallmanagement für ausgebildete Fachkräfte.

Interessanterweise schätzten in einer Studie Lernende den Nutzen des Patientensimulators für das Erlernen praktischer Fähigkeiten deutlich anders ein als erfahrenes Lehrpersonal. Alle Lehrkräfte bestätigten die Eignung des Simulators für den Unterricht über geburtshilfliche Notfälle, aber nur 47 % der Studierenden. Keine der befragten Lehrenden wiederum hielt den Patientensimulator für geeignet, Erkenntnisse über physiologische Wehen zu vermitteln. 20 % der Studierenden jedoch gaben an, solche Erkenntnisse gewinnen zu können (Davis et al. 2009: 235).

Viele Studien weisen explizit darauf hin, dass der Simulator die praktischen klinischen Lernsituationen ergänzen könne, keinesfalls jedoch ersetzen dürfe (Davis et al. 2009:235; Laschinger et al. 2008:285).

Fehlende oder sehr schematisch dargestellte anatomische Details werden als großes Hindernis für korrektes Lernen identifiziert. Dies birgt für die Hebammenstudierenden die Gefahr, falsche Inhalte zu lernen oder Informationen falsch zu interpretieren (Laschinger et al. 2008:286).

Überraschenderweise wird in mehreren Studien explizit darauf hingewiesen, dass die Übertragbarkeit der Lernerfolge am Simulator in die Praxis bisher nicht untersucht worden sei und nicht als gegeben angenommen werden könne. Der Theorie-Praxis-Transfer soll jedoch gemäß §1 (2) HebAPrV in der Hebammenausbildung gewährleistet sein.

Der wesentliche Vorteil eines Simulators liegt vor allem im Einüben einer Notfallroutine im geschützten Raum und im Lernen durch Wiederholungen, das in der Praxis nicht so leicht möglich wäre (Halamek et al. 2000; Laschinger et al. 2008: 286).

Ausgebildetes Fachpersonal profitiert beim Simulationstraining insbesondere von effektiven Verbesserungen typischer struktureller und interpersoneller Risikofaktoren in Notfallsituationen, wie etwa fehlerhafter Abläufe, mangelhafter Kommunikation sowie unklarer Rollen- und Aufgabenverteilung in der Geburtshilfe, gerade auch im interdisziplinären Team (Kainer 2013:46ff.).

Dies spricht für den Einsatz des Patientensimulators bei ausgebildeten Hebammen, die den korrekten haptischen Befund in ihrer praktischen Arbeit bereits verinnerlicht haben.

Werdende Hebammen können in der Primärausbildung die Kernkompetenzen am Patientensimulator aber nur unzureichend erwerben, gerade weil sie korrekte Befunde an der lebenden Frau noch nicht verinnerlicht haben. Die Fokussierung auf einzelne Details kann unter angehenden Hebammen den Anschein erwecken, Physiologie und Pathologie anhand von Einzelbefunden ohne Kontext definieren zu können.

Gleiches gilt für die Auswahl an Pathologien am Simulator und ebenso für die Durchführung geburtshilflicher Handgriffe: Der Zusammenhang fehlt, der Fokus liegt auf isolierten Befunden oder Pathologien ohne ersichtliche Vorboten, auf Eingriffen ohne ersichtliche Folgen.

Fazit: hohe Anforderungen an Lehrende

Das Erlernen des Hebammenhandwerks wird am besten traditionell im direkten Kontakt zwischen erfahrener Lehrender und Lernender vermittelt, die die Meisterin bei Geburten begleitet, ihre Handlungen beobachtet, innerlich nachvollzieht und der wissend die Hände geführt werden.

So werden die Logik der Geburtshilfe, die anatomischen und physiologischen Zusammenhänge, räumlichen Zuordnungen, mechanischen Zusammenhänge verständlich strukturiert, veranschaulicht und auf den Punkt gebracht, um kohärente Bilder entstehen zu lassen. Hier müssen sich theoretische und praktische Inhalte decken, um Teil 1 Abschnitt 2 von §4 der HebStPrV gerecht zu werden. Die Problematik zweidimensionaler Abbildungen und digitaler Technologien in der Primärausbildung der Hebammen muss dringend erkannt und verbessert werden.

Die Anforderungen an die Lehrenden sind hoch:

  • Sie braucht eigene hohe fachliche Kompetenz, insbesondere im »Hebammenhandwerk« zur Vermittlung vollständiger Abläufe und korrekter manueller Untersuchungen.
  • Geburtshilfe folgt klaren Regeln und Handlungsabläufen. Nur durch Beherrschen dieser geburtshilflichen Logik kann das Hebammenhandwerk strukturiert, verständlich und nachvollziehbar von der Lehrenden an die Lernende vermittelt werden.
  • Die Ausbildende muss in der Lage sein, die Hände der Lernenden zu führen, bis diese selbst die haptischen Befunde sowohl im Detail als auch im Zusammenhang »in ihren Händen« hat. Das geht nur in direkter Anleitung.
  • Der Umgang mit Körpereigenwahrnehmung beider Personen muss daher geübt werden, damit später ohne Ablenkung gearbeitet werden kann. Lernen im Kontext und Lernen über sich selbst wird ermöglicht durch die enge Begleitung der Hebammenschülerinnen durch die Ausbildenden.
  • Erlebbares Lernen durch Verknüpfung der Hände (manuelle Fertigkeiten) und der Augen (realitätsgetreues Bildmaterial) fördert nicht nur nachhaltiges abgesichertes Lernen, sondern auch Empathie und Professionalität, insbesondere bei eiligen Handlungen. Dies wiederum schützt die Hebamme vor Überforderung oder Burnout.
Primärausbildung für das Hebammenhandwerk
Forderungen für den fachpraktischen Unterricht
  • Die Praxisanleitung ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Theorie und Praxis. Sie erfordert neben pädagogischen Kenntnissen Methoden- und Sozialkompetenz sowie persönliche Qualitäten. Um den gesetzlichen Ausbildungszielen gerecht zu werden, muss der Fokus auch auf Berufserfahrung und hohes Fachwissen in der hebammengeleiteten Geburtshilfe gelegt werden, um angehende Hebammen in der Primärqualifikation im »Hebammenhandwerk« auszubilden. Darauf müssten sich auch die Inhalte der gesetzlich vorgegebenen Weiterbildungen in Zukunft verstärkt fokussieren.
  • Die praktischen Ausbildungsinhalte oder -zeiten im Curriculum der Bachelorstudiengänge zu reduzieren zugunsten weiterer theoretischer Lerninhalte, wäre ein fatales Signal für die Qualität in der Primärausbildung. Ohne das Beherrschen ihres Handwerks entbehrt die Hebamme ihrer fachlichen Kernkompetenzen.
  • Ausbildungsort: Es ist offensichtlich, dass die deutschen Kreißsälen mit ihrer interventionsreichen Geburtshilfe und einer Sectiorate von 30,5 % (Statistisches Bundesamt 2017) keine günstigen Lernorte für die physiologische Geburt sein können. Auch ein Ausweichen ins Skills Lab zum Simulationstraining ist in der Primärausbildung keine adäquate Lösung. Geeignete Lernorte für die Hebammenausbildung zu ermöglichen, ist eine dringende Aufgabe der Verantwortlichen. Einen Großteil der Ausbildung in hebammengeleitete Kreißsäle mit physiologischen Geburtsverläufen zu verlegen, wäre ein vielversprechender Ansatz.
  • Das Ausbildungsmaterial (geburtshilfliche Modelle) darf einfach, muss aber fachlich korrekt sein. Zweidimensionale anatomische Abbildungen (Lehrbücher) müssen der Realität entsprechen, um kohärente Bilder zu erschaffen, die sich mit den Tastbefunden an der realen Frau decken.
  • Für praxisanleitende Hebammen müssen endlich entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden, eine angemessene finanzielle Vergütung und haftungsrechtliche Sicherheit. Die Vereinbarung über Pauschalen für Praxisanleitung und Weiterqualifizierung sind hier ein erster Schritt.
  • Prüfungen am Simulator durchzuführen, wird den hohen Ansprüchen der praktischen Hebammenausbildung nicht gerecht. Schülerinnen können ihr umfassendes Wissen und ihren Umgang mit komplexen geburtshilflichen Situationen am Patientensimulator nicht zeigen.

Hinweis: 

Wissenschaftliche Grundlagen

Dieser Artikel basiert auf zwei Masterthesen, die 2016 und 2017 an der Donau-Universität Krems im Studiengang »Management im Gesundheitswesen« mit dem Fachteil Midwifery erstellt wurden:

»Veränderungen der fetalen Körperhaltung während der Senkwehen verstehen und erkennen« von Anne-Kristin Kurmann-Borrmann und »Analyse der Eignung des Patientensimulators SimMom in der primärqualifizierenden Ausbildung der Hebammen in Deutschland« von Ulrike Fichte.

> http://webthesis.donau-uni.ac.at/thesen/97157.pdf und > http://webthesis.donau-uni.ac.at/thesen/95326.pdf


Zitiervorlage
Fichte, U. & Kurmann-Borrmann, A.-K. (2021). Hebammenkunst: Ein Handwerk der Sinne. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 73 (1), 67–72.
Literatur
Ahlfeld F: Lehrbuch der Geburtshilfe zur wissenschaftlichen und praktischen Ausbildung für Ärzte und Studierende. 2. Auflage. Leipzig 1898

Bauer J: Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern. Frankfurt am Main 2013

BFH und ZHAW 2013: Skills für Hebammen 1 Schwangerschaft. 1. Auflage. Bern. hep Verlag 2013

Davis BM, Soltani H et al.: Using a Childbirth Simulator in Midwifery Education. In: British Journal of Midwifery 2009. Vol 17 (4), 234–237

Duden B, Vogeler: Was wirklich zählt, lässt sich nicht zählen. In: Deutsche Hebammenzeitschrift 2016. 01: 20–26

Fichte U: Analyse der Eignung des Patientensimulators SimMom in der primärqualifizierenden Ausbildung der Hebammen in Deutschland. Masterthesis. Krems 2016

Halamek LP, Kaegi DM: Time for a New Paradigm in Pediatric Medical Education: Teaching Neonatal Resuscitation in a Simulated Delivery Room Environment. 2000. http://pediatrics.aappublications.org/content/106/4/e45

Hammerschlag S et al.: Hebammenlehrbuch. 5. Auflage. Berlin 1928

HebStPrV: www.gesetze-im-internet.de/hebstprv/HebStPrV.pdf

Hüther G: Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Göttingen 2001

Hüther G: Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern. Göttingen 2004

Hüther G: Hüther 2008. mündlicher Vortrag. zitiert in Bonney 2011:14

Hüther G: Auf der Suche nach dem Aha-Erlebnis. http://bildungsklick.de/a/95132/auf-der-suche-nach-dem-aha-erlebnis/2016

Iacoboni M: Woher wir wissen, was andere denken und fühlen. Das Geheimnis der Spiegelneuronen. München 2011

Kainer F: Simulationstraining in der Geburtshilfe – lohnt sich der zeitliche Aufwand? In: Die Hebamme 2013. 26 (01), 46–49

Kandel E: 2008: »Das Gehirn auf der Couch – Neurowissenschaften und Psychoanalyse«. Interview auf dem Neuroforum der Hertie-Stiftung am 18.4.2008. http://www.scienceblogs.de/2008/04/eric-kandel-im-interview.php

Kopp S: Betrachtung des Potenzials und der Einsatzgebiete der modernen Gerätemedizin im Vergleich zu Entwicklungstendenzen der haptischen Untersuchung am Beispiel ihres Einsatzes unter der Geburt. 2013

Laschinger S, Medves J et al.: Effectiveness of simulation on health profession students’ knowledge, skills, confidence and satisfaction. In: International Journal of Evidence-Based Healthcare 2008. 6 (3), 278–302

Lauer N: Der Kontrakt des Zeichners mit der Medizin. 1. Aufl. Würzburg. Königshausen & Neumann Verlag 2013

Legler W: Einführung in die Geschichte des Zeichen- und Kunstunterrichts von der Renaissance bis zum 20. Jahrhunderts. 1. Aufl. Oberhausen: Athena Verlag 2011

Martius G, Heidenreich W (Hrsg.): Hebammenlehrbuch. 6. Aufl. Stuttgart und New York 1995

Niehoff R, Wenrich R: Denken und Lernen mit Bildern Interdisziplinäre Zugänge zur Ästhetischen Bildung. 1. Aufl. München. kopaed 2007

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Preußisches Ministerium für Volkswohlfahrt (Hrsg.): Hebammenlehrbuch. 5. Aufl., Berlin 1928

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Schäfers R: 1. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaften DGHWi, Hochschule für Gesundheit, mündlich beim »Runden Tisch Geburtshilfe – Fachgespräch Aus-, Fort- und Weiterbildung« am 04.12.2014 im Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen 2014

Schwing R: Liebe, Neugier, Spiel – Wie kommt das Neue in die Welt? Systemische und neurobiologische Betrachtungen. In: Bonney H (Hrsg.): Neurobiologie für den therapeutischen Alltag. Auf den Spuren Gerald Hüthers. Göttingen 2011. 11–41

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https://staudeverlag.de/wp-content/themes/dhz/assets/img/no-photo.png