Kleine Erfolge
Ihr Rezept gegen die Verständigungsschwierigkeiten ist Hartnäckigkeit. „Auf Beutetour gehen” nennen sie es, wenn sie mit ihren GSF-Westen die Runde über das Gelände machen. Duthe ist heute zusammen mit ihrer Kollegin Pascale Robiquet in Grande-Synthe unterwegs. Die Frauen steuern auf eine Reihe von Hütten zu, unter ihren Füßen knirscht der graue Kies. Familien sitzen vor den Eingängen. Aus Gittern, Holzpappe oder Plastikplanen haben sie sich Vorhöfe gebaut. An den Wäscheleinen trocknen Bettlaken und Kinderhosen. Robiquet und Duthe bleiben stehen, als ihnen ein junges Paar entgegenkommt. Die Frau ist schwanger. „Wir sind Hebammen”, sagt Duthe auf Englisch. Der Mann guckt misstrauisch. Er und seine Frau unterhalten sich auf Kurdisch. Die Schwangere habe eigentlich jetzt gerade einen Termin mit den Hebammen, sagt ihr Mann auf Englisch. „Ach, Sie sind das”, ruft Robiquet aus. „Wir müssen einen Bluttest machen und dafür ins Krankenhaus. Kann sie mit?” Der Kurde diskutiert wieder mit seiner Frau und einem weiteren Paar, das hinzugekommen ist. Schließlich nickt er: „Okay.” In ein paar Minuten sei die Schwangere fertig.
Ein kleiner Erfolg für die Helferinnen. Die Kurdin ist im sechsten Monat schwanger. Die Hebammen haben sie seit zwei Wochen nicht mehr im Camp gesehen, erzählt Robiquet. „Das ist oft so. Die Schwangerschaft hat bei den Frauen nicht Priorität. Für sie ist es das Wichtigste, hier weg zu kommen.” Nachts suchten die Flüchtlinge nach Lastwagen, mit denen sie nach Großbritannien übersetzen wollen, so die Hebamme. „Tagsüber schlafen sie.”
Dazu kommen viele weitere Gründe, die den Kontakt schwierig machen: Die Migrantinnen können nicht unabhängig von ihrem Mann entscheiden. Sie können nicht einfach die Sprechstunde besuchen oder ins Krankenhaus mitkommen, weil sie auf die Kinder aufpassen müssen. Sie sind misstrauisch gegenüber Menschen, die sie dazu bringen wollen, ihre Unterkunft oder das Lager zu verlassen, denn im Laufe ihrer Flucht wurden sie mitunter mehrfach von der Polizei abtransportiert. „Wir sind froh, wenn wir die Frauen wiederfinden”, sagt Robiquet. Denn die Organisation verfolgt mit ihrer Arbeit ein klares Ziel: „Wir wollen, dass die Migrantinnen die gleiche Behandlung bekommen wie französische Frauen auch”, erklärt Duthe.
Das ist möglich, weil Standardbehandlungen für Bedürftige in französischen Krankenhäusern kostenlos sind. Auf sich allein gestellt, würden die meisten Frauen den Weg jedoch nicht machen, so Duthe. Deswegen fahren die Helferinnen die Migrantinnen zu den regelmäßigen Blutabnahmen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge. Sie organisieren Vorgespräche für die Geburt, vereinbaren Impftermine für Neugeborene, holen Spritzen wie die für Sherine Omar in Hütte 54 ab. Zudem legen sie eine Schwangerschaftsakte an, die die Migrantinnen auf ihrer weiteren Flucht mitnehmen können.
Frauen, die ihr Kind nicht behalten wollen, beraten die Hebammen auf dem Weg zur Abtreibung und vermitteln sie ins Krankenhaus. Immer wieder treffen die Helferinnen auch auf Frauen, die missbraucht wurden oder sich auf ihrer Flucht prostituieren mussten. Diese begleiten sie ins Krankenhaus, um sie zum Beispiel auf Geschlechtskrankheiten untersuchen zu lassen. GSF erledigt all diese Aufgaben mit Bedacht nicht selbst, sondern sorgt dafür, dass die Frauen die kostenlose Behandlung bekommen, die ihnen zusteht. „Wir erinnern den Staat an seine Verantwortung”, sagt Duthe.