Um im Beruf mit Leichtigkeit und einer Portion Humor bestehen zu können, braucht es immer Foto: © Kerstin Pukall

Wer wie Hebammen in einem „Helfer-Beruf“ arbeitet, muss mehr als andere Berufsgruppen auf seine psychische Gesundheit achten. Achtsamkeit für die eigenen Ressourcen und Grenzen, Selbsterfahrung und Supervision zählen deshalb zu den professionellen Pflichten. Eine Gruppensupervision nach Michael Balint kann für hilfreiche Aha-Momente sorgen.

Bei der Körperhygiene haben wir es alle begriffen: Die Pflege und Reinigung unseres Körpers ist ein ganz wesentlicher Teil unserer Gesunderhaltung. Und je „schmutzbelasteter” unser beruflicher Alltag ist, desto bedeutsamer ist diese Regel für unser Körpergefühl und für die soziale Akzeptanz. Die Fischverkäuferin, die keine entsprechende Schutzkleidung trägt und sich nicht wäscht, wird früher oder später von ihrer Umgebung gemieden. Indirekt wie direkt wirkt sich die unzureichende Körperhygiene auch auf ihre körperliche und seelische Gesundheit aus. Für die Körperhygiene haben wir das alle verstanden. Wenn wir jedoch diese Grundsätze auf unsere Psychohygiene übertragen, so werden sich bei den meisten von uns erschreckende Defizite offenbaren. Dabei gelten hier genau die gleichen Gesetze. Und Hebammen arbeiten zudem in einem – im symbolischen Sinne – „schmutzbelasteten” Beruf. Die professionelle Beziehung zu den Klientinnen, der ständige Umgang mit deren charakterlichen Besonderheiten, mit Ängsten, Belastungen, Verletzungen – und nicht zuletzt das ständige Präsent-Sein, die notwendige Fürsorge, die erwartete Zuwendung und Hingabe – dies alles sind Beispiele für die besonderen Anforderungen des Hebammenberufes an die Psychohygiene. Das bedeutet im übertragenen Sinn: Wir müssen „seelische Schutzkleidung” tragen und unseren Geist regelmäßig reinigen. Vernachlässigen wir diesen Grundsatz, so wird es uns nicht anders ergehen als der Fischverkäuferin: Wir werden im sozialen Abseits stehen und erkranken.

Selbstbetreuung vernachlässigt

Die sogenannte „Psychohygiene” ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der professionellen Berufsausübung in kommunikations- und beziehungsbezogenen, auf Unterstützung und „Heil-sein/werden/bleiben” ausgerichteten Tätigkeitsfeldern. Sie ist in allen sogenannten „Helfer-Berufen” nötig: für Hebammen, ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen, HeilpraktikerInnen, SeelsorgerInnen und andere mehr. Dieser Grundsatz gilt in beide Richtungen. Einerseits können wir nur durch Selbstbetreuung und Psychohygiene unsere Aufgaben kompetent und erfolgreich erfüllen. Andererseits ist der achtsame Umgang mit unseren Ressourcen die Voraussetzung dafür, dass der uns immer wieder fordernde Beruf nicht unsere Gesundheit zerstört.

Eine Tatsache ist, dass viele Angehörige sogenannter „Helfer-Berufe” ihre Selbstbetreuung grob vernachlässigen. Aus diesem Grunde sind Gesundheitsstörungen in diesen Berufsgruppen besonders häufig anzutreffen, wie Depressionen, Suchterkrankungen, Bluthochdruck, Stoffwechseldefekte und das derzeit so oft bemühte „Burnout-Syndrom” (im klinischen Sinne eine kaskadenartig ablaufende, typische psychosoziale Überforderungsreaktion). Belege für diese These finden sich viele: In zahlreichen Einrichtungen gibt es weder regelmäßige Supervisionen noch seelsorgerische Angebote für Hebammen. Aber auch die meist fehlende Nachfrage nach solchen Instrumenten offenbart die Defizite. So sind Notfallseminare oft restlos ausgebucht, während Workshops zur Psychohygiene immer wieder ausfallen müssen, weil sich kaum jemand anmeldet. Und in den Balintgruppen sitzen überwiegend Menschen, die diese zum Beispiel im Rahmen ihrer Facharztausbildung besuchen müssen. Durch den verschwindend geringen Anteil freiwilliger TeilnehmerInnen leidet die Qualität der Veranstaltungen maßgeblich und degradiert dieses so wertvolle Instrument oft zu lähmenden Schweigesitzungen.

Selbstbetreuung und Psychohygiene sind nicht abgehobener Luxus für Leute auf dem „Psycho-Trip”, sondern essenzielle Elemente unserer Gesunderhaltung. Sie müssen in unserem persönlichen Curriculum den gleichen Stellenwert haben wie Weiterbildungen zum Notfallmanagement oder das Abschicken von Honorarrechnungen. Ohne die Pflege unserer seelischen Stabilität werden wir weder fachlich noch emotional den Anforderungen unseres Berufslebens gerecht. Deshalb ist es nicht unser Hobby, sondern unsere professionelle Pflicht, Maßnahmen der Selbstbetreuung regelmäßig umzusetzen. Und auch dies gilt in beide Richtungen: Ohne Psychohygiene gefährden wir unsere eigene Gesundheit, ebenso aber auch die der sich uns anvertrauenden Menschen. Zahlreiche geburtshilfliche Komplikationen haben ihre Wurzeln in Kommunikations- und Achtsamkeitsmängeln, die direkt auf Defizite der emotionalen Stabilität zurückzuführen sind.

Diese Forderung muss aber auch für die Einrichtungen gelten. Die müssen Angebote zur Förderung der Psychohygiene ihrer Mitarbeiterinnen fest verankern. Und sie gelten für die Lehre, die bei den Schülerinnen und Studierenden das Bewusstsein und die Kompetenzen für die Selbstbetreuung zu schulen hat.

Es gibt viele Konzepte, mit denen die individuelle und kollektive Selbstfürsorge gepflegt werden können. Idealerweise integrieren wir jedes dieser Elemente in unseren beruflichen Alltag. Denn sie sind nicht als verschiedene Alternativen einer Zielstellung, sondern als sich gegenseitig ergänzende und aufeinander aufbauende Angebote zu verstehen.

Achtsamkeit – also das Vermögen, die eigene seelische Situation zu erkennen und zu verstehen und diese im Miteinander mit der Umgebung schwingen zu lassen – ist das wichtigste Element der Psychohygiene. Die Fähigkeit, gelassen auf unsere „innere Landschaft” blicken zu können und einen achtsamen Umgang mit unseren Mitmenschen zu pflegen, gehört zu den großartigsten Gaben, die wir auf unserem Weg durchs Leben erreichen können. Für das Erlernen und die Pflege der Achtsamkeit gibt es viele Möglichkeiten. Beispielsweise ist Yoga ein ideales Konzept für die innere Reifung. Aber auch Entspannungstechniken wie das autogene Training führen zu mehr Achtsamkeit im Alltag. Nicht zuletzt sind spirituelle und meditative Wege wie die Kontemplation Möglichkeiten, die eigene Achtsamkeit zu erschließen.

Individuelle Supervision

Supervision bedeutet: Die Situation „von oben” betrachten. Wir verlassen unsere individuelle Perspektive und schauen auf das Problem aus einem neutralen, wertungsfreien und letztlich achtsamen Blickwinkel. Dadurch eröffnen sich neue Sichtweisen und Lösungsmöglichkeiten. Konflikte erscheinen in einem anderen Licht, Belastungen und Krisen werden beherrschbar. Die individuelle Supervision führen wir ganz allein und nur für uns durch. Wir nehmen uns Zeit für uns – das kann ein längerer Spaziergang oder idealerweise ein ganzer Tag „auf der Insel” sein. Diese Zeit sollten wir ganz bewusst unserer Psychohygiene widmen und uns auf das Konzept der Selbstbetreuung einlassen. Ich rate immer, die erste Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit nicht den Problemen zu widmen. In dieser ersten Hälfte sollten wir einfach achtsam im Hier und Jetzt sein, bewusst sehen, hören, riechen, schmecken – und aufkommende dunkle Gedanken freundlich begrüßen und wieder wegschicken.

Im zweiten Teil gehen wir dann die Probleme an. Hier ist es wichtig, zunächst die einzelnen Themenbereiche sorgfältig zu trennen. Denn unser emotionales Chaos entsteht vor allem dadurch, dass wir die verschiedenen Sorgen in unserem Gehirn vermischen und zu einem unlösbaren Problemknäuel verstricken.

Dann nehmen wir uns Thema für Thema nacheinander vor, verlassen bewusst unseren individuellen Blickwinkel, befreien uns von inneren Dogmen und Glaubenssätzen und öffnen uns für andere Perspektiven – und wie durch ein Wunder werden wir Lösungen finden, die bisher unvorstellbar erschienen.

Individuelle Supervisionen erfolgen in der Regel allein. Wer jedoch feststellen muss, dass eine Lösung der inneren Verstrickung nicht möglich ist, sollte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen – beispielsweise durch eine Psychotherapie oder durch anderen seelsorgerischen Beistand.

Atmosphärische Fragen im Team

Regelmäßige Gruppen-Supervisionen sind wichtige Elemente der Psychohygiene in geburtshilflichen Teams. Sie sollten regelmäßig stattfinden, idealerweise alle drei Monate. Es ist wichtig, dass diese Supervisionen getrennt von den anderen Teambesprechungen geplant werden. Letztere sind für das praktische „Tagesgeschäft” gedacht: Hier werden notwendige Absprachen getroffen, Geburten ausgewertet (das sind streng genommen auch kleine Supervisionen!), Weiterbildungsinhalte vermittelt und Informationen weitergegeben. Bei der Supervision dagegen geht es um atmosphärische Fragen im Team: Wie fühle ich mich in der Gruppe? Welche Konflikte gibt es und wie können wir sie lösen? Wie habe ich geburtshilfliche Zwischenfälle verkraftet? Wie gehe ich mit der beruflichen Belastung um?

Auch hier ist dringend anzuraten, einen Moderator oder eine Moderatorin einzubeziehen, wenn sich bestimmte Probleme als nicht lösbar erweisen sollten. Der neutrale Blick eines Profis von einer Außenperspektive aus kann wahre Wunder bewirken! Wichtig ist, dass alle Team-Mitglieder an der Supervision teilnehmen. In hierarchischen Strukturen versuchen sich gern die ChefärztInnen solchen Veranstaltungen zu entziehen. Aber gerade hier ist der moderierte Blick von außen von größter Bedeutung, weil oft nur durch den externen Moderator bestimmte Anliegen zu transportieren sind.

Natürlich gibt es auch andere Gruppen-Supervision-Settings, die für Hebammen bedeutsam sein können. So sollte es in der Partnerschaft oder in der Familie regelmäßige Momente der Einkehr geben, wo nicht – wie am Abendbrottisch – die Tagesereignisse besprochen werden, sondern die tieferen Themen: Wie geht es dir/euch mit mir? Wie geht es mir mit dir/euch? Auch hier gilt: Wenn sich nicht lösbar erscheinende Konflikte auftun, sollte eine professionelle Moderation einbezogen werden.

Erkenntnis in der Balintgruppe

Das vom ungarischen Psychoanalytiker Michael Balint (1896–1970) entwickelte Konzept einer besonderen Form der Gruppen-Supervision unterscheidet sich von den „normalen” Supervisionen in folgenden Aspekten:

Die Mitglieder der Gruppe kennen sich in der Regel nicht. Man sollte sich die Sitzungen nicht wie eine besondere Form der Teambesprechung vorstellen, denn die Chance des Konzeptes besteht gerade darin, dass quasi jedes einzelne Gruppenmitglied eine unabhängige Außenposition einnimmt. Natürlich kann man die Technik auch in einem Team anwenden, das sich sehr vertraut ist. Aber hier ist die Gefahr der Befangenheit ein Problem, das die Qualität der Arbeit negativ beeinflussen kann. Ideal wäre, wenn jede Hebamme des Teams „ihre” Balintgruppe hätte, in der sie unter Umständen auch problematische Interaktionen mit ihren Kolleginnen oder Vorgesetzten supervidieren kann.

In der Balintgruppe wird nicht die „globale Atmosphäre” in einem Team besprochen, sondern eine ganz spezielle, nicht gelungene Problemsituation. Es geht hier also nicht darum, eine Krise zu überwinden – sondern die subtilen psychischen Mechanismen, die die Krise auslösen, zu verstehen. Natürlich trägt dieser Erkenntnisprozess indirekt auch zur Krisenbewältigung bei.

In der Balintgruppe werden gezielt zwei Phänomene ausgenutzt, die bei den Supervisionen nur unterschwellig wirken: das Resonanzprinzip und die Gruppendynamik. Die Spiegelneurone in unserem Gehirn, mit denen wir unbewusst die Empfindungen unseres Gegenübers spiegeln, bewirken eine emotionale Kopplung zweier miteinander kommunizierender Partner. Sehr vereinfacht beschrieben, löst die Traurigkeit einer Schwangeren in der Hebamme das Gefühl „traurig” aus, selbst wenn die Schwangere diese Regung hinter einer fröhlichen Fassade meisterhaft verbirgt. Durch diese archaischen Kopplungen können „Schwarm- oder Rudelwesen” wie wir Menschen in Gefahrensituationen ihr Verhalten instinktiv koordinieren. In einer Gruppe löst dieses „Spiegeln” von Emotionen ein kollektives Verhaltensmuster aus, das man „Gruppendynamik” nennt. Dieses kann in Alltagssituationen zum „Hochschaukeln” der Emotionen führen. Viele Fälle kollektiven Mobbings sind Folgen solcher Gruppendynamiken.

Prinzip der Balintgruppe

Das Prinzip der Balintgruppe besteht sehr verkürzt gesagt darin, dass ein Gruppenmitglied eine missglückte Situation schildert. Beispielweise berichtet eine Hebamme davon, wie ihr das Schlussgespräch am Ende der Wochenbettzeit völlig entglitten ist und sie sich mit dem Mann der Klientin komplett überworfen hat, was die Hebamme nachhaltig bedrückt und verunsichert. Nach kurzen Rückfragen der anderen TeilnehmerInnen wird die Hebamme aus dem Kreis der Gruppe symbolisch ausgeschlossen. Sie bleibt zwar im Kreis sitzen, darf aber vorerst nichts mehr sagen. Die anderen tauschen sich nun über ihre Deutungen der geschilderten Krise aus, diskutieren mögliche Ursachen und Lösungschancen, streiten über Sichtweisen und Bewertungen. Der Moderator oder die Moderatorin führt die Gruppe nicht selten durch krisenhafte Eruptionen der Gruppendynamik. Die zum Schweigen verurteilte Hebamme erlebt einen grandiosen Perspektivwechsel: Plötzlich versteht sie das Geschehen völlig neu, kann Dinge nachvollziehen, denen sie bisher mit Unverständnis begegnet ist. Dieser „Aha-Effekt” ist ein sich zuverlässig einstellender Moment wirklicher Selbsterfahrung.

Die Moderation einer „normalen” Supervision erfordert zwar auch Kompetenzen – aber die Leitung einer Balintgruppe ist eine hohe Kunst des Coachings. Die Gruppe muss geführt werden, Emotionen sind zu beherrschen, Gruppendynamiken sind aufzuklären und zu übersetzen.

Balintarbeit kann ein großer Gewinn sein – und auch ein richtiger Genuss. Allerdings setzt dies eine wirklich interessierte und motivierte Gruppe und eine begabte Gruppenleitung voraus. Das soll bedeuten: Bitte lassen Sie sich von Enttäuschungen nicht entmutigen. In den meisten Fällen ist eine Balintgruppe ein großer Gewinn – aber stärker als bei jeder anderen Form der Supervision hängt dies von der Mitwirkung der beteiligten Personen ab.

Zitiervorlage
Hildebrandt S: Balintarbeit und Supervision: “Psychohygiene” für Hebammen. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2014. 66 (4): 46–48 
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