Erarbeitungsschema für das Leitbild der DGHWi Abbildung: © DGHWi
Was macht eigentlich, was will die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi)? Sowohl die Homepage, als auch die Satzung liefern zwar einen Einblick, geben aber das Bild der 2008 als eingetragener Verein gegründeten Gesellschaft nur im Ansatz wieder. So entstand die Idee, ein Bild von der DGHWi zu zeichnen, das nach außen die Unverwechselbarkeit von Zielen, Grundsätzen, Aufgaben und Selbstverständnis deutlich macht und auch für das Binnenverhältnis der Mitglieder und GeburtshelferInnen eine gemeinsame Grundlage bildet. Der Anspruch ist vor dem Hintergrund einer gelebten Heterogenität zwischen innerhalb und außerhalb der Kliniken tätigen Hebammen, zwischen physiologisch und eher medizinisch orientierten sowie wissenschaftlich arbeitenden und eher traditionsverhafteten Geburtshelferinnen eine Herausforderung.
Zahlreiche Unternehmen und wissenschaftliche Fachgesellschaften, aber auch Hebammenpraxen und Krankenhäuser formulieren Leitbilder. Die Motive beziehen sich immer auf den gemeinsamen Orientierungspunkt, nämlich die Beantwortung der Fragen, wer sind wir, wofür stehen wir und wohin wollen wir? Das Bestreben, dies in eine Textfassung, eben eine ausführlichere Visitenkarte zu bringen, hat seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zugenommen. So findet sich in den einschlägigen Datenbanken mit Beginn der 1990er Jahre eine zunehmende Welle von Veröffentlichungen, die diesen Trend belegt (Giesel 2007: 34). Am Beispiel der Leitbildentwicklung an und für Hochschulen hat die Soziologin Dr. Anna Kosmützky (2010) in einer Dissertationsschrift diese Entwicklung reflektiert und materialreich beschrieben. Assoziierte Begriffe und auch Teil einer Leitbildformulierung sind Vision, Mission, Strategie, Kultur und Ziele einer Organisation. Der Text eines Leitbildes sollte es den LeserInnen erlauben herauszufinden, ob die jeweils eigenen Vorstellungen mit den Identitätsvorstellungen – in diesem Fall der DGHWi – übereinstimmen und der Gesellschaft und ihren Mitglieder als selbst definierte Orientierung dienen.
Begonnen hat die Erarbeitung mit der Erstellung einer sogenannten SWOT-Analyse im Rahmen eines Workshops auf der Mitgliederversammlung der DGHWi im April 2013 in Kassel. SWOT steht als Akronym für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Gefahren) – diese Analyse dient als Instrument zur Strategieentwicklung von Unternehmen, lässt sich aber auch für die Positionsbestimmung einer Fachgesellschaft anwenden. Die Vorbereitungen stützten sich auf die Literatur von Graf & Spengler (2008) und Klug (2012). Die Ergebnisse waren dann Grundlage für Arbeitsgruppen auf den Mitgliederversammlungen 2014 und 2015. In Kleingruppen wurden Ideen zu den Kernthemen eines Leitbildes wie beispielsweise Identität und Zielformulierung der DGHWi zusammengetragen. Das Ergebnis der Treffen bildete das inhaltliche Fundament der Arbeitsgruppe aus den AutorInnen dieses Textes, die nun das Ergebnis als Diskussionsentwurf auf der Homepage der DGHWi unter www.dghwi.de im Mitgliederbereich eingestellt hat. Für Rückmeldungen steht eine Kommentierungstabelle zur Verfügung.
Bevor auf der Mitgliederversammlung der DGHWi am 11. Februar 2016 die abschließende Diskussion und Verabschiedung stattfindet, sind die Mitglieder aufgerufen, konstruktive Voten abzugeben, die dann auch für die Beschlussfassungsvorlage redaktionell berücksichtigt werden.
Im Folgenden wird ein Überblick zu den wesentlichen Inhalten des Entwurfes gegeben.
Für die Gliederung des Leitbildtextes ist eine Struktur gefunden worden, die es erlaubt, die bisherigen Beiträge sinnvoll zusammenzuführen (siehe Abbildung 1). Im Text wird auf die jeweiligen Waben der Abbildung Bezug genommen.
Den Einstieg in den Text bildet eine Präambel, in der die Identität und die Kernziele der DGHWi formuliert sein sollen. Ziel der Gesellschaft ist demnach „eine Verknüpfung zwischen wissenschaftlicher und praktischer Hebammentätigkeit, um dadurch zu einer bedarfsgerechten, effizienten und effektiven Versorgung von Frauen und Familien in der Lebensphase von Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit beizutragen.” Sie „fördert als wissenschaftliche Fachgesellschaft hebammenwissenschaftliche Forschung, Lehre und Praxis … (und) … unterstützt und betreibt wissenschaftliche Grundlegung und Lösungsformulierung für geburtshilfliche Themen. Im Fokus stehen physiologische Abläufe, Interventionen und soziale Prozesse und die professionelle Begleitung der Frauen und ihrer Familien durch Hebammen.” Ausgehend von einer Perspektive auf die Hebammentätigkeit ist der konstruktive Diskurs mit allen Beteiligten im Gesundheitswesen zu führen.
Im wissenschaftlichen Selbstverständnis wird die „Sicht auf die Geburt als natürlichem physiologischen Vorgang” herausgestellt unter Einschluss der Aufgaben und Dimensionen des Betreuungsbogens, der die Aufgaben der Hebammen, beginnend mit der Beratung zur Familienplanung, über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett bis hin zur Stillzeit beschreibt (Sayn-Wittgenstein 2007, 24). Dabei ist „die DGHWi (…) der Aufgabe verpflichtet, Erkenntnisgewinn und -vermittlung zur Physiologie und zu den Grenzen zur Pathologie zu unterstützen.” Die Gesellschaft „beteiligt sich mit salutogenetischer und ressourcenorientierter Perspektive an der Diskussion und Ausrichtung der Behandlungsstandards im medizinischen Setting.” Bei all dem soll „dem Aufgabenspektrum von Hebammen (…) dadurch ein wissenschaftliches Fundament gegeben werden.”
Unter Grundsätze und Werte wird hervorgehoben, dass „die DGHWi (…) sich für die gesellschaftliche Anerkennung des Hebammenwesens als zuständiger Profession für die Begleitung der Lebensphase von Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und dem Ende der Stillzeit ein(setzt). Diese Handlungsfelder der Hebammentätigkeit bedürfen eines salutogenetischen und ressourcenorientierten Betreuungsansatzes, dem sich die DGHWi verpflichtet sieht.” Hierzu werden zwei inhaltliche Bedingungen ergänzt, indem „die individuellen Bedürfnisse und die Selbstbestimmung von Frauen und ihren Familienmitgliedern sowie die Unterstützung der physiologischen Vorgänge (der DGHWi) ein Anliegen” sind.
„Für die Kommunikation und den Umgang mit anderen Fachgruppen und Institutionen, wie auch in der internen Arbeit, gilt gegenseitiger Respekt und ein grundsätzliches Vertrauen im Rahmen eines kritisch konstruktiven Dialoges. Die DGHWi ist einer offenen Kommunikationskultur verpflichtet (…) (und) setzt sich für einen offenen, wertschätzenden und transparenten Wissenschaftsdiskurs ein.” Mit dieser Orientierung werden im Übrigen auch die kommunikativen Regeln der Hebammenarbeit, wie Achtsamkeit und Zurückhaltung auf das wissenschaftliche Procedere angewendet. Auch wenn die Ansprüche an die (Mitglieder der) Gesellschaft ambitioniert formuliert sind, ein solchermaßen gelebtes Bild fördert eine erfolgreiche Kultur der Gesellschaft, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist und sich dieser Verantwortung mit hohem Anspruch stellt.
Die Mitglieder sind die Träger der DGHWi. Sie kommen sowohl aus praktischen als auch wissenschaftlichen Arbeitszusammenhängen und „gehören einer unabhängigen wissenschaftlichen Fachgesellschaft an, welche die Bereiche der hebammenwissenschaftlichen Forschung, Lehre und Praxis abdeckt (…) und zu einer bedarfsgerechten und evidenzbasierten Versorgung von Frauen beitragen möchte.”
An wen richten sich die Arbeitsergebnisse der DGHWi und mit welchen Institutionen findet eine Zusammenarbeit statt? Wer sind die Zielgruppen und PartnerInnen? Hierzu wird im Leitbildentwurf ausgeführt, dass „die DGHWi (…) im Dialog mit Fachgesellschaften und Personen (steht), die professionell und wissenschaftlich mit der Geburtshilfe befasst sind. Sie nutzt die wissenschaftliche Kompetenz ihrer Mitglieder und ihr Erfahrungswissen und bringt beides in Veröffentlichungen und anderen Arbeitsergebnissen zusammen.” Es folgt dann eine umfassende Aufzählung der relevanten Zielgruppen.
Als wissenschaftliche Fachgesellschaft ist es die Aufgabe der DGHWi, sich am wissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Diskurs mit hebammenbezogenen gesundheitspolitischen Themen aktiv zu beteiligen und das auch als Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit zu verstehen. „Sie formuliert Fragen und erarbeitet Antworten zur Versorgungspraxis in der Geburtshilfe und sieht dabei einen Schwerpunkt auf der Erarbeitung und Entwicklung von Leitlinien und Empfehlungen. Dabei legt sie Wert auf die Herausarbeitung von Evidenzen zu hebammenspezifischem Erfahrungswissen wie auch die Offenheit für wissenschaftliche Erkenntnisse anderer Disziplinen für eine geburtshilfliche Praxis der Zukunft.” Es geht darum, dieses besondere Wissen als Grundlage anzuerkennen und gleichzeitig einer wissenschaftlichen Überprüfung zu unterziehen. Ein in der Diskussion sicherlich nicht widerspruchsfreier Textteil des vorliegenden Entwurfs.
Im abschließenden Kapitel sind in einer begrenzten Aufzählung Ziele der DGHWi formuliert: „Die DGHWi setzt sich ein für
Die Arbeits- und Redaktionsgruppe hat in einem mehrstufigen Prozess den Text formuliert. Nun geht es in die vorletzte Abstimmungsrunde, bevor in der Mitgliederversammlung nach Diskussion und voraussichtlich weiteren Änderungen der Schlusspunkt gesetzt wird.
Eine offene und konstruktive Kommunikationskultur ist im Leitbildentwurf als Wunsch für die DGHWi formuliert. Dies erfordert zunächst die Beteiligung an derselben. Wenn es also um die Außendarstellung und das Binnenverhältnis der Gesellschaft und ihrer Mitglieder geht, um die Ziele, Identität und Kultur, dann braucht es den konstruktiven Beitrag derer, für die die DGHWi in ihrem Selbstverständnis steht. Vorrangig sind dies die Mitglieder und Hebammen auch als mögliche zukünftige Mitglieder.
Die inhaltliche Verständigung in der DGHWi auf ein Leitbild ist auf den Dialog zwischen eher theoretischer und eher praktischer Arbeit angewiesen. Mit dem Ergebnis dieses gelungenen Prozesses kann die DGHWi eine anspruchsvolle und aussagekräftige Visitenkarte vorweisen.
Hinweis: Der DGHWi-Leitbildentwurf ist im Mitgliederbereich der DGHWi unter www.dghwi.de zu finden.
Giesel, K. D.: Leitbilder in den Sozialwissenschaften. Begriffe, Theorien und Forschungskonzepte. Wiesbaden. VS (2007)
Graf, P.; Spengler, M.: Leitbild- und Konzeptentwicklung. 5. überarbeitete Auflage. Augsburg. ZIEL – Zentrum für interdisziplinäres erfahrungsorientiertes Lernen GmbH (2008)
Klug, S.U.: Konzepte ausarbeiten – schnell und effektiv. Tools und Techniken für Pläne, Berichte und Projekte. 5. Auflage. Göttingen. Business Village GmbH (2012)
Kosmützky, A.: Von der organisierten Institution zur institutionalisierten Institution. Eine Untersuchung der (Hochschul-)Leitbilder von Universitäten. Dissertation Universität Bielefeld (2010)
Sayn-Wittgenstein, F. (Hrsg.): Geburtshilfe neu denken. Bericht zur Situation und Zukunft des Hebammenwesens in Deutschland. Verlag Hans Huber. Bern (2007)