»Der Rassismus und die Diskriminierung, die Frauen aus einer Minderheit in westlichen Ländern erleben, beeinflussen ihr Stresserleben.« Foto: © pronoia/stock.adobe.com

Eine Hebamme hat in ihrer Bachelorarbeit das Outcome bei Frauen und Neugeborenen aus ethnischen oder religiösen Minderheiten mit denen der westlichen Mehrheitsgesellschaft verglichen. Aus den Ergebnissen entwickelt sie Überlegungen, wie Hebammen ihrer Verantwortung gegenüber allen Frauen gerecht werden können.

Einen Beitrag zu einer gesunden Gesellschaft zu leisten und Frauen zu stärken – das waren für mich Gründe, das Hebammenstudium zu beginnen. Im theoretischen Teil der Ausbildung wurde immer wieder betont, wie wichtig es sei, jede Frau so anzunehmen, wie sie ist. Als Hebammen sollten wir versuchen, sie so gut wie möglich mit bestem medizinischem Wissen und Gewissen in ihren individuellen Bedürfnissen zu unterstützen und zu begleiten. Auch wurde uns Studierenden die Wichtigkeit der Gesundheitsförderung in der Hebammenarbeit aufgezeigt.

Im praktischen Teil der Ausbildung in Kliniken in Österreich konnte ich viele dieser Werte nur bedingt wiederfinden. Besonders im Umgang mit Frauen, die nicht der weißen, christlichen Mehrheitsgesellschaft angehören, nahm ich Unterschiede wahr. Es fing damit an, dass bei manchen Frauen Schmerzen nicht ernstgenommen wurden – Stichwort: Morbus Mediterraneus. Darüber hinaus fielen abfällige Kommentare zu Menschen anderer Herkunft bis hin zur alltäglichen Verwendung des »N-Wortes«, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ich habe mich immer wieder gefragt, ob die betroffenen Frauen diese Antipathie spüren und ob dies Auswirkungen auf ihr Schwangerschafts- und Geburtsoutcome hat. So habe ich mich damit in meiner Bachelorarbeit intensiv beschäftigt.

Barrieren und Vorbehalte

Frauen einer ethnischen und/oder religiösen Minderheit werden in westlichen Ländern als »anders« von der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen. Sie stehen vor unterschiedlichen Herausforderungen in allen Bereichen des Lebens. Wenn sie erst vor kurzem eingewandert sind, müssen sie oft mit Barrieren der Sprache und des neuen Systems kämpfen.

Aber auch Frauen, die in dem westlichen Land geboren oder schon vor langer Zeit zugewandert sind, haben es nicht leicht. So ist die Islamfeindlichkeit etwa in Österreich extrem hoch. 72 % der Österreicher:innen sind der Meinung, dass der Staat islamische Gemeinschaften beobachten sollte. 50 % geben an, dass sie sich durch die Anwesenheit der Muslim:innen manchmal wie Fremde in Österreich fühlen. Und ganze 45 % denken, dass Muslim:innen nicht die gleichen Rechte haben sollten wie alle anderen in Österreich (Aschauer, 2020).

In der Schweiz zeigen Daten zur Einstellung von autochthonen , also alteingesessenen Schweizer:innen zu schwarzen Menschen, dass 6 % von ihnen negative Einstellungen gegenüber der schwarzen Bevölkerung haben (siehe Glossar). Sie beschreiben sie als impulsiv, arbeitsunwillig und gewalttätig. 24 % der Befragten sehen in ihnen eine mögliche Bedrohung für »ihre Kultur« (Efionayi-Mäder & Ruedin, 2018).

Auch auf institutioneller Ebene ist es kein Geheimnis, dass Menschen mit einer anderen ethnischen und/oder religiösen Zugehörigkeit benachteiligt werden. So haben sie es unter anderem am Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche und im Bildungsbereich schwerer als die »einheimische« Bevölkerung. In vielen westlichen Ländern zeigt sich eine Normalisierung der Diskriminierung von unterschiedlichen Gruppen seitens der Politik (Antidiskriminierungsstelle des Bundes: > www.antidiskriminierungsstelle.de).

Dies sind nur wenige Beispiele, um ein Stimmungsbild der westlichen Gesellschaften gegenüber als »anders« wahrgenommenen Menschen zu zeichnen. Wie wirkt sich so ein Klima auf die Gesundheit der betroffenen Menschen aus? Kann man einen Unterschied im Schwangerschafts- und Geburtsoutcome erkennen?

Eine Frage der Integrationspolitik?

Auch wenn Migrant:innen keine homogene Gruppe sind und aus unterschiedlichen Ländern, sozialen Verhältnissen und Bildungshintergründen kommen, kann man allgemein doch sagen, dass das Leben für viele von ihnen in den westlichen Ländern von einer ungünstigen sozioökonomischen Situation und einer diskriminierenden sozialen Atmosphäre geprägt ist. Studien haben gezeigt, dass die reproduktive Gesundheit von Migrant:innen nicht ideal ist und auch nicht jener der einheimischen Frauen entspricht.

Selbst nach Bereinigung möglicher Störfaktoren auf biologischer und sozioökonomischer Ebene blieben die Unterschiede des Schwangerschaftsoutcome bestehen. Hierfür werden unter anderem der Bruch früherer sozialer Netzwerke, ein niedriger sozioökonomischer Status, ein schlechterer Zugang zum Gesundheitssystem und dessen Leistungen sowie Diskriminierung innerhalb des Gesundheitssystems im speziellen, aber auch Rassismus und Diskriminierung im allgemeinen als mögliche Faktoren genannt. Diese treten sowohl alleine für sich auf als auch in Kombination, und wirken sich negativ auf die Gesundheit der betroffenen Frauen aus.

Im europäischen Vergleich kann man einen deutlichen Unterschied erkennen: So ist etwa das geburtshilfliche Outcome bei Migrant:innen in Schweden und Norwegen ähnlich denen der einheimischen Bevölkerung, in Großbritannien und Italien aber zum Beispiel um einiges schlechter. Dies lässt sich unter anderem auf die Unterschiede in der Integrationspolitik zurückführen. Länder, die eine »gute« Integrationspolitik betreiben, schneiden besser ab als Länder, die in die Migrations- und Integrationspolitik eher restriktiv vorgehen (Bollini et al., 2009).

Die vier am häufigsten berichteten Pathologien hierbei sind: niedriges Geburtsgewicht, Frühgeburtlichkeit, perinatale Sterblichkeit und angeborene Fehlbildungen. Die Auswertung der Studien ergab, dass bei allen vier Komplikationen ein signifikanter Nachteil für Einwanderer:innen im Vergleich zu einheimischen Frauen besteht. Dieser Nachteil wird größer, je »schlechter« die Maßnahmen der Integrationspolitik des jeweiligen Landes sind. Selbst nach der Bereinigung der Daten anhand von Alter und Parität der Frauen (bei den Studien, wo diese Informationen erhältlich waren), waren die Ergebnisse nicht nennenswert anders (Bollini et al., 2009).

Geburts­verletzungen – eine Frage der Ethnie?

Unterschiedliche Studien in verschiedenen westlichen Ländern (unter anderem in den USA, Australien und Großbritannien) sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Risikofaktor für eine höhergradige Geburtsverletzung eine »asiatische Herkunft« sei. Allerdings wird diese Herkunft nicht genau definiert und zum Beispiel in den USA und Großbritannien unterschiedlich verwendet unter anderem für Frauen aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Südostasien, China, Indochina, Japan und Korea.

Janet Wheeler und Kolleginnen haben in einem systematischen Review diese Annahme untersucht. Zusammenfassend stellten sie fest, dass eine asiatische Herkunft nur in westlichen Ländern ein signifikanter Risikofaktor für höhergradige Geburtsverletzungen sei. Bei Asiat:innen, die in asiatischen Ländern leben, konnte kein signifikant höheres Risiko für eine höhergradige Geburtsverletzung festgestellt werden (Wheeler et al., 2012). Hier stellt sich die Frage, wie es dazu kommt.

Eine Frage der Bildung?

Matthias David und sein Team haben in drei Geburtskliniken in Berlin von 2011 bis 2012 Daten von insgesamt 4.598 Frauen erhoben. Ihr Ziel war es herauszufinden, ob türkische Frauen als größte Gruppe der Migrant:innen in Deutschland im Vergleich zu Frauen, deren Wurzeln in Deutschland liegen, eine ähnliche Frequenz und ähnlichen Zugang zu Untersuchungen in der Schwangerschaft haben. Zudem fragten sie, wie häufig Hochrisikoschwangerschaften waren, wie oft die Frauen unter antenataler oder postnataler Anämie litten, wie hoch die PDA-Raten jeweils waren, welches der Entbindungsmodus und wie das Neugeborenen-Outcome waren. Dafür haben sie auf Deutsch und auf Türkisch standardisierte Interviews durchgeführt und Daten aus dem Mutterpass und den Kliniken herangezogen, die die Frauen betreut haben.

Sie sahen starke Evidenzen dafür, dass sich die Unterschiede in der Geburtshilfe und im perinatalen Bereich nicht auf den Faktor »Migrantin« oder »Nicht-Migrantin« zurückführen lassen, sondern dass der Bildungsgrad der entscheidende Faktor ist, unabhängig von Ethnie und Migrationsgeschichte (David et al., 2017).

Glossar
Autochthone: Alteingesessene, Ureinwohnerin. Als autochthone Art (von altgriechisch autós = selbst, chthōn = Erde) bezeichnet man in der Biologie Lebewesen, die im aktuellen Verbreitungsgebiet entstanden sind – sich evolutionär gebildet haben.

Demgegenüber stehen allochthone, also gebietsfremde, manchmal auch fremdländische Arten.

Statt »autochthon« verwendete der deutsch-türkische Karikaturist Muhsin Omurca 1996 erstmalig die Bezeichnung »Bio-Deutscher« in einem Cartoon in der taz. Inzwischen benutzt ihn vor allem die rechte Szene.

Für die Wahl zum Unwort des Jahres 2016 landeten »Biodeutscher/biodeutsch« auf der Liste der zehn häufigsten Einsendungen, entsprachen jedoch nicht den Kriterien der Jury.

Eindeutige Ergebnisse

Demgegenüber stehen Studien aus den USA, die eine sehr eindeutige Sprache sprechen. In den USA sterben jährlich ungefähr 700 Frauen im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft und Geburt und den damit verbundenen Komplikationen. Bei dieser Zahl gibt es eine signifikante ethnische Ungleichheit: In einer Analyse von Emily E. Petersen und Kolleg:innen wurden dazu die Daten von 2007 bis 2016 untersucht. In diesem Zeitraum wurden 6.765 Sterbefälle registriert. Hierfür haben sie die schwangerschaftsbezogene Sterblichkeitsrate verwendet (pregnancy-related mortality ratio/PRMR = schwangerschaftsbedingte Todesfälle pro 100.000 Lebendgeburten). Diese entsprach in der beobachteten Zeit für die gesamte USA 16,7 Sterbefälle pro 100.000 Geburten. Die Rate war bei nicht-hispanischen schwarzen Frauen (40,8) und nicht-hispanischen amerikanischen Ureinwohner:innen und indigenen Frauen in Alaska (29,7) am höchsten.

Im Vergleich zu weißen Frauen war die PRMR bei diesen beiden Gruppen im Alter von >/= 30 Jahren etwa vier- bis fünfmal so hoch. Die Unterschiede konnten unabhängig vom Bildungsgrad der Frauen festgestellt werden. Schwarze Frauen mit einem Universitätsabschluss hatten eine 1,6-fach höhere Wahrscheinlichkeit als weiße Frauen, die weniger als einen High-School-Abschluss hatten. Im Vergleich zwischen schwarzen und weißen Frauen mit Universitätsabschluss lag die Wahrscheinlichkeit bei schwarzen Frauen bei 5,2 (Petersen et al., 2019).

Natürlich stellt sich die Frage, ob diese Zahlen vergleichbar sind, da das Gesundheitssystem in den USA ein ganz anderes ist als in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Es ist aber zu kurz gedacht, jeglichen Unterschied auf den Bildungsgrad der Frauen zurückzuführen und alle anderen Faktoren außer acht zu lassen.

Stress macht krank

Der Rassismus und die Diskriminierung, die Frauen aus einer ethnischen und/oder religiösen Minderheit in westlichen Ländern erleben, haben einen großen Einfluss auf ihr Stresserleben (Giscombé & Lobel, 2005; Guyll et al., 2001; Klonoff-Cohen et al., 1996) und in weiterer Folge auf ihre psychische und physische Gesundheit (Williams et al., 2019; Williams, 2018; Landrine et al., 2017).

Langanhaltender Stress beeinflusst die Gesundheit von Menschen negativ. Zwar sind das Stresserleben und die sich dadurch ergebenden psychischen und physischen Folgen grundsätzlich etwas Individuelles, die Datenlage zum Schwangerschafts- und Geburtsoutcome der Betroffenen als Kollektiv zeigt aber, dass die erlebte Ungleichbehandlung negative Auswirkungen hat. Betroffene Frauen haben selbst nach Berücksichtigung von Faktoren wie sozioökonomischer Situation, Alter, Parität und Vorerkrankungen ein schlechteres Ergebnis im Vergleich zu autochthonen Frauen, die der Mehrheitsgesellschaft angehören (Petersen et al., 2019; Bediako et al., 2015; Weichert et al., 2015; Wheeler et al., 2012; Giscombé & Lobel, 2005).

Mehr Reflexion, bitte!

Rassismus und Diskriminierung sind Stressoren, die Betroffene selbst nicht in der Hand haben. Für Hebammen stellt sich daher die Frage, wie sie damit umgehen können, um ein besseres Outcome für die Frauen und ihre Neugeborenen zu erreichen. Immerhin ist eine wichtige Aufgabe in der Hebammenarbeit die Gesundheitsförderung für alle Frauen.

Es ist essenziell, sich bewusst zu machen, dass alle Menschen mehr oder weniger Vorurteile haben. Denn wenn man davon ausgeht, darüber erhaben zu sein, lässt man keinen Platz für die Reflexion eigener Vorurteile, was zu abwertenden, vorurteilsbehafteten Interaktionen mit anderen Menschen führen kann. Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, dass Hebammen sich regelmäßig reflektieren und offen dafür sind, mögliche Vorurteile zu überdenken. Nur so können sie den Frauen Sicherheit vermitteln und ihnen ein Gefühl der Wertschätzung und des Willkommenseins geben. Auch sollte es möglich und normal sein, in einem Team Feedback zu geben, wenn man diskriminierende Verhaltensweisen oder Aussagen wahrnimmt. Dafür muss ein entsprechendes Klima geschaffen werden.

Den Themen Rassismus und Diskriminierung sollten sich Hebammen auch vermehrt in der Ausbildung widmen. Hierbei reicht es nicht aus, es im Rahmen von Themen wie genitaler Beschneidung oder dergleichen abzudecken. Es muss von Anfang an ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, damit werdende Hebammen ihre Verhaltensweisen eher reflektieren und dementsprechend handeln können.


Hinweis:  In DHZ 1/2024 war das Schwerpunktthema »Gemeinsam gegen Rassismus«. Dort finden Sie weitere Aspekte, die die Hebammenarbeit berühren.


Zitiervorlage
Hemida, D. (2024). Gleiche Chancen für alle? Deutsche Hebammen Zeitschrift, 76 (4), 76–79.
https://staudeverlag.de/wp-content/themes/dhz/assets/img/no-photo.png