Die ersten Studienabgängerinnen der dreijährigen Diplomausbildung zur Hebamme erlangten Ende 2015 ihren Abschluss. Foto: GIZ

Die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Familien in Bangladesch zu stärken, ist das Ziel eines Projektes der Entwicklungszusammenarbeit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Dazu gehört die Ausbildung der ersten 3.000 Hebammen im Land.

Bangladesch ist das am dichtesten besiedelte Land der Erde. Dort leben 160 Millionen Einwohner auf 147.570 Quadratkilometern, so die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2015. Im Vergleich dazu leben in Deutschland halb so viele Menschen auf einer fast zweieinhalbmal so großen Fläche.

Die heute in Bangladesch geborenen Mädchen haben eine Lebenserwartung von 72,63 Jahren, während die Jungen durchschnittlich 68,75 Jahre alt werden (Weltbank 2015). Das Durchschnittsalter der Bevölkerung beträgt 25 Jahre (WHO 2013). 74 % aller Mädchen heiraten vor dem 18. Lebensjahr.

Die Müttersterblichkeitsrate liegt bei 176/100.000 Geburten (Worldbank 2015) und die Neugeborenensterblichkeit bei 74/1.000 Geburten (WHO 2015). Der prozentuale Anteil an ärztlich begleiteten Geburten beträgt im nationalen Durchschnitt
37 % (Bangladesh Demographic und Health Survery 2014). Die Frauen im gebärfähigen Alter haben im Schnitt 2,2 Geburten (WHO 2013).

Der Gesundheitssektor in Bangladesch ist mit einem Anteil von 3,7 % des Bruttoinlandsproduktes (BiP) chronisch unterfinanziert. In Deutschland liegt der Anteil der Gesundheitsfinanzierung bei 11,3 % des BiP.

Hoch korrupter Gesundheitssektor

Generell besteht eine unzureichende Verfügbarkeit von reproduktiven Dienstleistungsangeboten, speziell für die BewohnerInnen der Armenviertel in den Städten. Zudem ist der Berufsstand der Hebamme erst seit 2012 im Gesundheitssystem in Bangladesch vorgesehen. Die ersten 600 Hebammen haben im Januar 2016 ihr Examen gemacht. Bislang hat noch keine eine Anstellung in staatlichen Kliniken erhalten.

Es gibt keine staatliche Behörde zur Registrierung, Zertifizierung und Akkreditierung von medizinischen Dienstleistungsangeboten im öffentlichen und privaten Sektor.

Aufgrund der fehlenden staatlichen Kontrolle ist der hoch korrupte Gesundheitssektor dereguliert. Demzufolge existiert in Bangladesch eine Vielzahl an privaten Trägern und Nicht-Regierungsorganisationen. Die Qualifizierung des medizinischen und geburtshilflichen Personals entspricht nicht internationalen Standards. Die Qualität und Lagerung von Medikamenten ist unzureichend. Und eine evidenzbasierte Medizin ist aufgrund mangelnder Qualifikation des Personals und fehlender Basis-Ausstattung nicht möglich.

Grundsätzlich sind zu wenige Gesundheitseinrichtungen vorhanden. Mit 0,6 Krankenhausbetten auf 1.000 EinwohnerInnen kann eine qualitativ gute Versorgung nicht gewährleistet werden. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 8,3 Betten pro 1.000 EinwohnerInnen. In Bangladesch sind die öffentlichen Krankenhäuser mit einer Rate von 300 % drastisch überbelegt.

Die von der Regierung zugesagte kostenfreie Basisgesundheitsversorgung im öffentlichen Sektor ist de facto aufgrund der ausgeprägten Korruption nicht existent. So müssen die PatientInnen die Kosten für Medikamente und Verbrauchsmaterialien selbst übernehmen. Hinzu kommen die Transportkosten zu den Gesundheitseinrichtungen, die von den PatientInnen selbst finanziert werden müssen, da es praktisch keine Verlegungsmechanismen gibt.

Patientenrechte wie der »informed consent« existieren in der Praxis nicht. PatientInnen sind in den Kliniken Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, beispielsweise werden Sectiones ohne medizinische Indikation durchgeführt. Gesundheitsdienstleistungen sind nicht gender-sensibel, zum Beispiel fehlt die Privatsphäre und es kommt zu grober Behandlung. Ethnische Minderheiten sind von zusätzlicher Diskriminierung betroffen. Infolge der fehlenden PatientInnenrechte ist das Vertrauen der Bevölkerung in das öffentliche Gesundheitswesen ausgehöhlt. PatientInnen werden zu ihrem Schutz und für ihre Versorgung von einer Vielzahl von Angehörigen begleitet.

Aufgrund der mangelnden Qualität, Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Akzeptanz von Gesundheits-Dienstleistungen ist deren Inanspruchnahme verbesserungswürdig und nicht flächendeckend. Rund 65 % der Frauen benutzen moderne Familienplanungsmethoden. Etwa 32 % der schwangeren Frauen nehmen die empfohlenen vier oder mehr Vorsorgeuntersuchungen wahr. Ungefähr 21 % erhalten gar keine Schwangerenvorsorgeuntersuchung und lediglich 37 % aller Geburten finden in Gesundheitseinrichtungen mit ärztlicher Begleitung statt.

Die Sectioraten in öffentlichen Kliniken sind drastisch angestiegen von 4 % im Jahr 2004 auf 23 % im Jahr 2014, in privaten Kliniken machten sie 2014 zum Teil sogar 70 % der Geburten aus. Lediglich 34 % aller Frauen erhalten eine Untersuchung innerhalb von 48 Stunden nach der Geburt.

Die Regierung von Bangladesch hat die Bedeutung bevölkerungspolitischer Maßnahmen erkannt und sieht »Bevölkerung«, »Gesundheit« und »Ernährung« als vordringliche Handlungsfelder an. Dennoch fehlt es in den verantwortlichen Behörden an Kompetenzen, Kapazitäten und Koordinationsmechanismen für die erforderlichen Abstimmungsprozesse.

Erster praktischer Hebammenunterricht. Foto: GIZ

Erste Leopoldsche Handgriffe. Foto: GIZ

Demografische Herausforderungen

Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat ein Vorhaben zur »Bewältigung der demografischen Herausforderungen in Bangladesch« auf den Weg gebracht. Ziel ist es, die Versorgung der Bevölkerung mit Diensten zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu verbessern. Während das Vorhaben seit 2012 zunächst nur in der bengalischen Stadt Sylhet etabliert war, arbeitet es seit 2014 auch in den Städten Rajshahi und Narayanganj. Das Vorhaben fördert die Koordination und Kooperation zwischen den beteiligten Ministerien sowie den drei Stadtbezirksverwaltungen. Gefördert werden außerdem:

  • die erste nationale professionelle Hebammenausbildung, die 2012 begonnen hat
  • die Einführung eines klinischen und ambulanten Qualitätsmanagementsystems
  • die Einführung eines digitalen Datenmanagementinformationssystems
  • die Gesundheitsförderung von Jugendlichen im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte.
Die Arbeit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)

Gesundheit ist ein Menschenrecht und Voraussetzung für die soziale, wirtschaftliche und politische Entwicklung eines Landes, für Stabilität und Frieden. Weltweit hat sich die gesundheitliche Lage der Menschen in den vergangenen 25 Jahren deutlich verbessert, aber nicht alle haben gleichermaßen von diesem Fortschritt profitiert. Das Ziel, »Gesundheit für alle Menschen«, ist noch lange nicht erreicht.

Unterdessen ändern sich die Rahmenbedingungen. Die zunehmend globalisierte, vernetzte und mobile Welt birgt neue Risiken für die Gesundheit, während die alten weiter bestehen. Das stellt Gesundheitssysteme, die schon jetzt unter Druck sind, vor neue Herausforderungen und bringt sie an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit und finanziellen Belastbarkeit. Weltweit wird nach innovativen Lösungsansätzen gesucht, um Krankheiten zu vermeiden und zu bekämpfen. Im Mittelpunkt steht die Zusammenarbeit mit Sektoren, die sich auf die Gesundheit auswirken, wie Landwirtschaft, Wirtschaft, Klima, Bildung, Tourismus, Handel und Wasser.

Die GIZ unterstützt im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie anderer nationaler und internationaler Auftraggeber und Partner fast 80 Länder dabei, die gesundheitlichen Rahmenbedingungen für die Menschen zu verbessern. Die Ansätze der GIZ reichen von der nationalen und internationalen Agendasetzung und Politikberatung in Partnerländern bis hin zu gezielten Interventionen, wie der Verbesserung des Zugangs zu Gesundheitsleistungen und der Beteiligung von Gemeinden bei der Lösung lokaler Gesundheitsprobleme.

www.giz.de

Umfassendes Aufklärungsmaterial vermittelt Jugendlichen im Alter von 10 bis 19 Jahren die Relevanz der Familienplanung und einer professionell begleiteten Geburt. Peer-Trainerinnen unterrichten die Jugendlichen über sexuell übertragbare Erkrankungen, HIV/AIDS und ihre Rechte in Bezug auf die eigene sexuelle und reproduktive Gesundheit.

Das Vorhaben läuft sechs Jahre von Januar 2012 bis Dezember 2017. Das Finanzvolumen beträgt 10,5 Millionen Euro, bereitgestellt vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen verbessern

Der Fokus des Vorhabens liegt darauf, für die BewohnerInnen von Armenvierteln den Zugang zu qualitativ guten, präventiven und kurativen Dienstleitungen zu verbessern, insbesondere in der Versorgung von schwangeren Frauen. Sie sollen von einem hebammengeleiteten Überweisungssystem und verbesserten geburtshilflichen Notfalldiensten profitieren. Das Vorhaben stärkt das gesamte Gesundheitssystem, indem es die Koordination fördert zwischen den beteiligten Ministerien, den für Gesundheit zuständigen Einheiten innerhalb der drei Stadtverwaltungen und zwischen öffentlichen und privaten Dienstleistern. Es trägt auch zu einer besseren Erhebung und Nutzung gesundheitsbezogener Daten bei.

Um die Müttersterblichkeit zu verringern und die Gesundheit von Mutter und Kind zu verbessern, sind professionell begleitete Geburten und die rechtzeitige Verlegung von Notfällen in entsprechende Einrichtungen notwendig. 2010 ist die Premierministerin eine internationale Verpflichtung eingegangen, wonach 3.000 Hebammen nach internationalen Standards ausgebildet werden sollen. Mittlerweile bieten 31 nationale Institute der Hebammen- und Pflegewissenschaften dafür Diplom-Hebammen-Lehrgänge an. Die ersten 600 Studienabgängerinnen der dreijährigen Diplomausbildung graduierten Ende 2015. An den Hebammenschulen der akademischen Partner-Lehrkrankenhäuser in Sylhet und Rajshahi wurde 2012 in enger Kooperation mit dem UN Bevölkerungsfonds (UNFPA) dieses innovative Qualifikationsprogramm mit deutschem technischem Input entwickelt. Mit ihm soll mittelfristig eine zunehmende Zahl von qualifiziertem Personal für professionell begleitete Geburten verfügbar gemacht werden. Das Vorhaben leistet technische Unterstützung bei der Verbesserung des Diplom-Lehrgangs für Hebammen, beispielsweise durch die Einführung eines Mentoring-Konzepts in der klinischen Ausbildung. Mit Unterstützung des Vorhabens gelang es dem Pflegeinstitut in Sylhet, zusätzliche klinische Einsatzorte für die Diplomandinnen zu gewinnen. Außerdem trägt das Vorhaben zur Erweiterung des Kreißsaals am Akademischen Partner-Lehrkrankenhaus in Sylhet bei. Dies soll die Einrichtung eines geschützten Raumes zum Praktizieren und Üben des hebammengeleiteten Betreuungsmodells fördern.

Das Vorhaben unterstützt die Regierung dabei, verbindliche Qualitätsmanagementstandards zu entwickeln. Es hilft den drei Stadtverwaltungen dabei, ausgewählte Qualitätsstandards in den Einrichtungen der Basisgesundheitsversorgung zu kontrollieren.

Jugendliche Teilnehmerinnen des Kurses Sexuelle und Reproduktive Gesundheitsaufklärung Foto: GIZ

Jugendliche einbeziehen

Ein wichtiges Ziel des Vorhabens ist es, dass Jugendliche bedarfsgerechte Bildungs- und Informationsangebote für sexuelle und reproduktive Gesundheit nutzen. Hierfür hat das Vorhaben bis Juni 2016 Aufklärungsveranstaltungen mit mehr als 7.500 Jugendlichen durchgeführt, sowie ein Programm für die Ausbildung von Peer Educators begonnen. Einige der teilnehmenden Jugendlichen geben inzwischen als Peer-Educators ihr Wissen an Jüngere weiter.

3.220 Frauen im reproduktiven Alter nahmen bis Juni 2016 an den 13 Einheiten zur reproduktiven Gesundheitsaufklärung teil. Seit 2015 werden auch für Männer Module zu sexueller und reproduktiver Gesundheit angeboten, die zunehmend positiv angenommen werden. 480 Teilnehmer haben sie bisher besucht. Auch in Folge dieser Maßnahmen liegt in den Armutsgebieten der drei Partnerstädte die Nutzungsrate moderner Kontrazeptiva mit 70 % bei verheirateten Paaren über dem nationalen Durchschnitt, der bei 65 % liegt (Bangladesh Urban Health Survey 2013).

Risiken für die Umsetzung des Vorhabens

Streiks und politische Auseinandersetzungen haben die technische Beratung von 2012 bis heute zunehmend behindert. Hinzu kommen Terroranschläge vor allem auf nationale Minderheiten, Blogger und Menschenrechtsaktivisten sowie Ausländer. Das politische Klima ist darüber hinaus geprägt von Repression und fehlender politischer Teilhabe, was eine Zunahme an politisch und islamistisch motivierten Gewalttaten wahrscheinlich macht.

Die angespannte Sicherheitslage birgt auch für den weiteren Verlauf des Vorhabens Risiken, insbesondere durch eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Personals in den drei Partnerstädten. Des Weiteren gibt es eine hohe Fluktuation im Partnerpersonal; diese stellt eine Herausforderung für die kontinuierliche Kapazitätsentwicklung und die Nachhaltigkeit der Maßnahmen dar.

Kinder- und Müttersterblichkeit senken

Das Vorhaben stärkt die zentralen und kommunalen Behörden bei der Erreichung der Entwicklungsziele, insbesondere der Sustainable Develoment Goals (SDGs) zur Senkung der Kinder- und Müttersterblichkeit, und bei der Verbesserung der allgemeinen Gesundheit der Bevölkerung.

Die ersten Ergebnisse aus den mit deutscher technischer Unterstützung eingeführten Maßnahmen sind ein motivierender Schritt. Sie belegen das hohe Maß an Bereitschaft zu Veränderung und qualitativer Prozessoptimierung. Dies ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um die Nachhaltigkeit der initiierten Maßnahmen zu gewährleisten.

Gesundheitsaufklärende Maßnahmen in den Armutsgebieten der drei Partnerstädte vermitteln der Bevölkerung wichtige Informationen über die sexuelle und reproduktive Gesundheit. Sie motivieren schwangere Frauen, Vorsorgemaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Sie fördern die Geburten in den Gesundheitseinrichtungen oder Krankhäusern mit qualifizierter, professioneller Begleitung. Die Veranstaltungen werden für die teilnehmenden Frauen zu wichtigen Ereignissen der sozialen Vernetzung und Meinungsbildung.

Zitiervorlage
Schöning E: Hebammenhilfe für Bangladesch: Für die Familien in den Armenvierteln. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT
2017. 69 (10): 90–93
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