Was sind die Hintergründe, dass medizinische Teams bei ihren Seenotrettungseinsätzen auf dem Mittelmeer so häufig alleinreisende, schwangere Frauen antreffen, die aus Libyen geflohen sind? Dr. Barbara Held, German Doctor und Bordärztin der SEA-EYE 4, berichtet.
Beispiel 1: Durch Schlepper von Partner getrennt
»Ein Überlebender erzählte mir nach seiner Rettung, er und seine Frau seien bereits zweimal von der sogenannten libyschen Küstenwache im Rahmen eines illegalen Pull-backs nach Libyen zurückgebracht worden. Nach langer Zeit in einem Detention Camp seien sie schließlich freigekommen und hätten beschlossen, sich nicht erneut der Gefahr einer Überfahrt nach Europa auszusetzen. Dann sei seine Frau schwanger geworden, und für beide sei daraufhin klar gewesen, dass sie ihr Kind nicht in Libyen zur Welt bringen und aufwachsen lassen wollten.
Der Weg zurück in ihr Herkunftsland Nigeria, wo Gewalt und Terror vorherrschen, sei keine Option für sie gewesen. Also versuchten sie es ein weiteres Mal, wurden dann aber von den Schleppern getrennt. Seine Frau habe mit einem Boot Lampedusa erreicht. Erst nach ihr habe er aufbrechen können und hoffte, die Überfahrt ebenfalls zu überleben und nicht wieder nach Libyen zurückgezwungen zu werden. Er hoffte nun, sie bald wiedersehen und sein Kind in den Armen halten zu können.«
Beispiel 2: Im Frauencamp vergewaltigt
»Bei einem anderen Einsatz berichtete mir eine Hochschwangere, auf deren medizinische Ausschiffung wir warteten, während der Anamnese, dass sie ihr zweites Kind erwartete. Wir hatten aber kein Kind bei ihr im Schlauchboot gesehen. Als ich ihr nach der Untersuchung in der Bord-Klinik sagte, dass es ihrem Baby gut ginge, fing sie plötzlich an zu weinen. Ich wollte nicht weiter insistieren, hatte aber nicht den Eindruck, dass sie aus Erleichterung oder Freude weinte.
In meinem Kopf arbeitete es: Vermisste sie ihr erstes Kind? War es vielleicht tot oder hatte sie es zurücklassen müssen? Ich hielt nur ihre Hand. Später erzählte mir eine andere Frau, die mit ihr geflohen war, dass sie zusammen zehn Monate lang in Libyen in einem Camp nur für Frauen gefangen gehalten worden waren. Das Baby, das sie erwartete, war kein Kind der Liebe, sondern durch Vergewaltigung entstanden.«