Prof. Dr. Ekkehard Schleußner: „Ziel ist, von einem Gegeneinander zum Miteinander zu kommen, denn weder die Hebamme noch der Arzt können es per se am besten.“ Foto: © DGGG

Prof. Dr. Ekkehard Schleußner, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V., betont die Forderung nach Kooperation, Integration und Gemeinsamkeit im Nationalen Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“.

Petra Otto: Herr Professor Schleußner, Sie waren als Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) an den Diskussionen zum Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt” beteiligt. Wie sehen Sie das Ergebnis?

Ekkehard Schleußner: Es ist ein in langen Diskussionen erarbeitetes Kompromisspapier, in dem um Positionen und Wörter gerungen wurde. In einem intensiven Prozess über zwei Jahre wurden Vorschläge von den ja sehr verschiedenen Teilnehmern und Teilnehmerinnen mit unterschiedlichem Hintergrund diskutiert. Spitzenverbände von Krankenkassen, Hebammen, Frauen- und Kinderärzte und Selbsthilfegruppen haben sehr unterschiedliche Ansichten und Zielvorstellungen. Dass als Leitgedanke nicht der pathogenetische, sondern der salutogenetische Blick auf Schwangerschaft und Geburt und die erste Zeit danach festgelegt wurde, also eine auf Wohlbefinden und Gesundheit ausgerichteten Perspektive, ist ein von allen Beteiligten hart erarbeiteter Konsens.

Welche konkreten Chancen beinhaltet dieser Konsens?

Auf dieser Grundlage und in diesem Sinn können nun die Entscheidungsträger gesundheitspolitische und strukturelle Entwicklungen in der Geburtshilfe weiterführen. Das Gesundheitsziel benennt Akteure und Verantwortlichkeiten und zeigt einen Rahmen auf, in dem Weiterentwicklungen in Geburtshilfe und Kinder- und Jugendmedizin wünschenswert sind. Es ist formal eine Selbstverpflichtung für alle Beteiligten und die Maßnahmen sind Empfehlungen, jedoch keine Blaupause für eine Eins-zu-eins-Umsetzung in der täglichen Praxis. Es geht um Kommunikation und Diskussion für eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit. Eines der wichtigen Ziele ist dabei die Forderung nach der physiologischen, interventionsarmen Geburt, damit einhergehend die Orientierung an wissenschaftlicher Evidenz und hohen Expertenstandards sowie der Aufbau der notwendigen Strukturen für eine bedarfsgerechte Versorgung.

Potenziale und Ressourcen der Frauen und nicht nur die Risiken im Blick haben: Gehen die Frauen Ihrer Erfahrung nach diesen Weg mit?

Die heutige Generation werdender Mütter ist sehr wissensorientiert, vieles läuft da nur über Informationen. Manchmal wären weniger Kopf- und mehr Bauchgefühl besser. Sie haben ein hohes Maß an Akzeptanz für Vorsorgemaßnahmen, auch wenn sie dafür zusätzlich bezahlen. Ein breites Spektrum von Zusatzleistungen wird heftig und oft unkritisch nachgefragt. Mit weniger Kopf und mehr Bauch meine ich mehr Gelassenheit und positives Hinnehmen dessen, was ist, nicht gleich ins Internet zu gehen und sich alle Möglichkeiten herunterzuladen. Es steht frei, sich Informationen zu holen oder nicht. Aber unsere Aufgabe als Gesundheitsexperten ist es, auf sinnvolle Angebote hinzuweisen und den Frauen zu helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

In der Broschüre über das Gesundheitsziel ist zu lesen, dass 42 Prozent der Frauen mehr als elf Vorsorgeuntersuchungen machen.

Diese Zahl wurde von der Versorgungsforschung anhand einer Mutterpassauswertung erhoben. Sie passt zum hohen Wunsch der heutigen Schwangeren nach einer engen Betreuung. Die Erfahrungsweitergabe von der Mutter auf die Tochter existiert ja häufig nicht mehr, die Familien leben nicht mehr so eng zusammen oder sind sogar in der Welt verstreut. Der Verlust von familiärer Wissensweitergabe wird da zumindest teilweise kompensiert durch die enge Vorsorge. Sie ist allerdings gleichzeitig auch Ausdruck der heutigen Absicherungsmentalität.

Welche Auswirkungen hat das Gesundheitsziel auf das Verhältnis von Hebammen und ÄrztInnen?

Das Ziel ist durchwoben vom Appell an Kooperation, Integration und Gemeinsamkeit auf allen Ebenen. Ziel ist, von einem Gegeneinander zum Miteinander zu kommen, denn weder die Hebamme noch der Arzt können es per se am besten. Nur als Team sind wir gut, nicht als Einzelkämpfer. Die Kooperation bezieht auch alle anderen beteiligten Berufsgruppen mit ein, wie Psychologen, Physiotherapeuten oder Kinderkrankenschwestern. Das ist im Gesundheitsziel sehr gut beschrieben. Gemeinsamkeit statt Abgrenzung, um für Frauen und Kinder das Bestmögliche anzubieten. Auch die Hebammen können sich da nicht zurücklehnen. Diesen Geist des Miteinanders haben wir uns erstritten. Dafür stehen ich und auch meine Fachgesellschaft, die DGGG. Dazu haben wir uns bekannt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Der Interviewte

Prof. Dr. med. Ekkehard Schleußner ist Direktor der Klinik für Geburtsmedizin der Universitätsklinik in Jena. Sein klinischer und wissenschaftlicher Schwerpunkt ist die Behandlung von Frauen mit wiederholten Fehlgeburten, thrombophilen und Autoimmunerkrankungen.

Zitiervorlage
Otto P: Nationales Gesundheitsziel: “Nur als Team sind wir gut”. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (7): 76
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