Eine neue Leitlinie soll die Versorgung mit qualitativ hochwertiger Gesundheitsinformation sicherstellen und damit informierte Entscheidungen befördern. Sie enthält klare Handlungsempfehlungen, die Hebammen in der Beratung nützlich sind.
So werden evidenzbasierte Gesundheitsinformationen erstellt. Abbildung: © Prof. Dr. Anke Steckelberg
Eine neue Leitlinie soll die Versorgung mit qualitativ hochwertiger Gesundheitsinformation sicherstellen und damit informierte Entscheidungen befördern. Sie enthält klare Handlungsempfehlungen, die Hebammen in der Beratung nützlich sind.
Die »Leitlinie evidenzbasierte Gesundheitsinformation« wurde für ErstellerInnen von Gesundheitsinformationen entwickelt, um die medizinische Versorgung zu verbessern (Lühnen et al. 2017a; Lühnen 2017b). Eine interdisziplinäre Gruppe aus 30 VertreterInnen aus Medizin, Psychologie, Journalismus, Gesundheits- und Pflegewissenschaften hat sie zusammen entwickelt. Sie ist ein Projekt des Fachbereiches Patienteninformation und -beteiligung des Deutschen Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin e.V. in Kooperation mit der Fachwissenschaft Gesundheit der Universität Hamburg.
Ein wesentlicher Teil der täglichen Hebammenarbeit besteht in der Beratung von Frauen zu wichtigen gesundheitsbezogenen Fragen, etwa zur Pränataldiagnostik, zur Wahl des Geburtsorts oder zur Geburtseinleitung bei Terminüberschreitung – um nur einzelne zu nennen. Solche Beratungsanlässe stellen komplexe Situationen dar, die stets durch individuelle Begleitumstände geprägt sind.
Von Hebammen wird gefordert, diese Beratung evidenzbasiert zu gestalten (ICM 2014; DHV 2017). Das bedeutet, sie sollten dabei regelhaft drei Säulen einbeziehen: die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, die eigene klinische Erfahrung und die Wünsche der Frau.
Eine internationale Übersichtsarbeit zur Einstellung von ÄrztInnen gegenüber dem Konzept der evidenzbasierten Medizin ergab, dass Sinn und Nutzen als hoch bewertet werden. Die Umsetzung in der täglichen Praxis werde jedoch durch fehlendes Wissen, Kompetenz und Zeitmangel oftmals verhindert (Barzkar et al. 2018). Hebammen und Entbindungspfleger sind vor ganz eigene Herausforderungen gestellt.
Einer Übersichtsarbeit zufolge erwarten schwangere Frauen, dass sie neben der klinisch-medizinischen Betreuung auch alle für sie wichtigen Informationen rechtzeitig erhalten (Downe et al. 2015). In der Regel wünschen sie sich, eine physiologische Geburt zu erleben. Wenn Interventionen nötig oder gewünscht sind, möchten sie in die Entscheidungsfindung einbezogen werden (Downe et al. 2018).
Das Kernstück der Hebammenarbeit besteht darin, durch eine gesundheitsfördernde, präventive und ressourcenorientierte Begleitung zu einem optimalen Verlauf physiologischer Prozesse beizutragen und die Kompetenzen der betreuten Frau zu stärken. In hochentwickelten Ländern wie Deutschland liegt die besondere Herausforderung darin, dem gegenwärtig übermäßigen Einsatz von Interventionen zu begegnen, die keinen Nutzen haben, aber potenziell schaden können (Renfrew et al. 2014). Das Handwerkszeug dafür sind evidenzbasierte Gesundheitsinformationen.
Nach der »Leitlinie evidenzbasierte Gesundheitsinformation« berücksichtigen evidenzbasierte Gesundheitsinformationen (EBGI) die aktuelle wissenschaftliche Beweislage. Sie stellen die relevanten Informationen zu Gesundheitsentscheidungen umfassend, verständlich, transparent, unverzerrt und objektiv dar. Doch Informationen, die diesen Kriterien entsprechen, sind bisher in Deutschland kaum vorhanden.
EBGI sollen informierte Entscheidungen ermöglichen. Eine Entscheidung gilt dann als informiert, wenn ausreichend sachbezogenes Wissen vorhanden ist und die Person ihre Entscheidung im Einklang mit ihren Werten trifft (Marteau et al. 2001).
EBGI basieren auf der besten verfügbaren Evidenz. Auch über Unsicherheiten oder fehlende Evidenz sollte informiert werden. In systematischen Literaturrecherchen wird die Evidenz recherchiert und identifiziert und anschließend einer kritischen Bewertung unterzogen. Auf dieser Grundlage werden erste Textentwürfe erstellt. Dazu werden die Fachöffentlichkeit und die Zielgruppe der Information um Feedback gebeten. Bei Bedarf erfolgt eine Revision.
Dieser Erstellungsprozess sollte in einem Methodenreport dokumentiert und zugänglich gemacht werden.
Im Folgenden nun die wesentlichen Punkte der »Leitlinie evidenzbasierte Gesundheitsinformation«.
(Lühnen et al. 2017a)
EBGI werden zu therapeutischen, diagnostischen oder Screeningmaßnahmen erstellt. Ethische Leitlinien definieren, welche Inhalte kommuniziert werden sollen (siehe Kasten Inhalte). Wichtig ist auch der Zeitpunkt, wann diese Informationen bereitgestellt werden. Die Betroffenen sollen ausreichend Zeit für die Entscheidung bekommen. Darüber hinaus sollten Transparenzkriterien berücksichtigt werden (siehe Kasten).
Verbale Darstellungen von Häufigkeiten: In der Praxis werden oft verbale Umschreibungen verwendet, wie »selten«, »gelegentlich« oder »häufig«, um Häufigkeiten zu beschreiben. Studien haben gezeigt, dass diese sogenannten verbalen Deskriptoren sehr unterschiedlich interpretiert werden und deshalb keine realistische Abschätzung von Risiken ermöglichen. Sie sollen daher nicht verwendet werden. In Kombination mit Zahlen können sie verwendet werden.
Absolute oder relative Risikomaße: Studien haben immer wieder gezeigt, dass weder Fachleute noch Laien relative Risikoreduktionen verstehen. Sie führen zu Überschätzungen des Nutzens einer Maßnahme. Die Leitlinie EBGI empfiehlt deshalb, absolute Risikomaße zu verwenden, um Nutzen und Schaden von Maßnahmen darzustellen. So wird eine realistische Risikoeinschätzung möglich.
2 von 100 oder 2 %: Die Darstellung als natürliche Häufigkeiten (2 von 100) galt sehr lange den Prozentangaben (2 %) überlegen. Die Evidenzsynthese der Leitlinie führte zu der Empfehlung, dass beide Darstellungen bei Wahrscheinlichkeiten unter 1 % eingesetzt werden können. Wichtig ist, dass gleiche Bezugsgrößen verwendet werden, denn es ist bekannt, dass LeserInnen häufig nur die Zähler vergleichen und die Nenner ignorieren.
Individuelle Erfahrungsberichte, auch Narrative genannt, sollen Interesse an einem Thema wecken. Sie werden in der Regel gern gelesen. Ein Nutzen für das Verstehen von Informationen konnte bisher nicht eindeutig gezeigt werden. Allerdings konnte gezeigt werden, dass Narrative eine überredende Wirkung haben können. Aktuell sollten Narrative deshalb nicht verwendet werden.
Es gibt zielgruppenspezifische Aspekte, die sich nur durch deren Einbeziehung erschließen: Welchen Informationsbedarf hat die Zielgruppe? Welche Sprache ist angemessen? Auch für den Einsatz von Grafiken oder Bildern liegt keine ausreichende Evidenz vor. Die Leitlinie sieht daher vor, dass EBGI zunächst in der Zielgruppe überprüft werden, bevor sie einer breiten Gruppe zur Verfügung gestellt werden.
Anhand dieser Kriterien kann die Qualität von Gesundheitsinformationen überprüft werden. EBGI für die Geburtshilfe sollten unter Beteiligung von Gesundheits- und HebammenwissenschaftlerInnen konzipiert, entwickelt und evaluiert werden. Strukturen und Ressourcen dafür fehlen bislang.
(Lühnen et al. 2017a)
Barzkar F, Baradaran HR, Koohpayehzadeh J: Knowledge, attitudes and practice of physicians toward evidence-based medicine: A systematic review. J Evid Based Med 2018. 11(4): 246-251
DHV: Eine Ethik für Hebammen. DHV 2017
Downe S et al.: What matters to women: a systematic scoping review to identify the processes and outcomes of antenatal care provision that are important to healthy pregnant women. BJOG 2015
Downe S et al.: What matters to women during childbirth: A systematic qualitative review. PLoS One 2018. 13(4): e0194906
ICM: Core document: Philosophy and Model of Midwifery. Care 2014
Lühnen J, Albrecht M, Mühlhauser I, Steckelberg A: Leitlinie evidenzbasierte Gesundheitsinformation. 2017a
Lühnen J, Albrecht M, Mühlhauser I, Steckelberg A: Leitlinienreport zur »Leitlinie evidenzbasierte Gesundheitsinformation«. Hamburg 2017b. http://www.leitliniegesundheitsinformation.de/ (Zugriff am 20.12.2018)
Marteau TM, Dormandy D, Michie S: A measure of informed choice. Health Expect 2001. 4(2): 99-108
Renfrew MJ et al.: Midwifery and quality care: findings from a new evidence-informed framework for maternal and newborn care. The Lancet 2014. 384(9948): 1129-1145