Die Ingolstädter Hebamme Sabine Schmuck hat die Petition Nr. 50667 in den Bundestag eingebracht: „Gesundheitsfachberufe – Sicherstellung der flächendeckenden, wohnortnahen Versorgung mit Hebammenhilfe“. Mit der folgenden Rede hat sie diese am 23. Juni den Mitgliedern des Petitionsausschusses unter Vorsitz von Kersten Steinke (Die Linke) vorgestellt. 52.000 Menschen hatten die Petition innerhalb von vier Wochen bis zum 16. April unterzeichnet.

Ich bin außerklinische, traditionelle Hebamme seit 25 Jahren mit Hausgeburtshilfe, zunächst in einer Hebammenpraxis in Ingolstadt, 2002 folgten Gründung und Bau des Geburtshauses Ingolstadt. Als solche vertrete ich heute hier meinen Berufsstand. Anknüpfend an das Motto „Kein Weg zu weit” der Petentin Bianca Kasting, einer Mutter, die für 423.000 BürgerInnen, die ihre Petition unterzeichneten, mit dem Rad nach Berlin fuhr, habe ich meine Sommerpause unterbrochen und komme heute aus Korsika zu Ihnen.

Ich habe fünf bis sieben Minuten Zeit, um die absurde Situation der Geburtshilfe in Deutschland darzustellen und konkrete Forderungen zur Lösung einer von Ihnen – der Politik – zu verantwortenden und seit vielen Jahren verzögerten Problemlage der Hebammen aufzuzeigen. Fünf bis sieben Minuten und ungefähr die 20. Petition zu diesem Thema. Fünf bis sieben Minuten Redezeit für das allererste Grundrecht der Frau seit Menschengedenken.

Nach wie vor geben Hebammen ihre traditionelle Tätigkeit, die Geburtshilfe, auf oder fangen sie nach dem Examen gar nicht erst an, da die ins Absurde gestiegene Haftpflichtprämie nicht zu erwirtschaften ist. Ich selbst suche seit mehreren Jahren Kolleginnen für mein Geburtshaus, um die nicht mehr zu bewältigenden Anfragen von Frauen aufzufangen. Es gibt keine mehr. Mit ihnen geht auch ihr Wissen verloren. Auch ich denke inzwischen über eine Beendigung meiner Tätigkeit nach, weil ich am Ende meiner Kraft bin, resigniert wie viele meiner Kolleginnen. Die freie Wahl des Geburtsortes gibt es schon lange nur noch auf dem Papier. Geburtshäuser schließen, wohnortnahe kleinere geburtshilfliche Abteilungen wurden oder werden geschlossen, da sie nicht Gewinn bringend wirtschaften. Hausgeburtshebammen geben die Geburtshilfe auf, weil sie es sich nicht mehr leisten können.

Schwangere müssen inzwischen in sogenannte Boardinghäuser ziehen, um dort die Geburt ihres Kindes zu erwarten. Herausgerissen aus ihrem sozialen Umfeld, mit allen Konsequenzen wie beispielsweise dem Zurücklassen der Geschwisterkinder. Partner können meist nicht mehr bei ihren Frauen sein, eine fast hundertprozentige Kaiserschnittrate bei den Sylter Frauen ist die traurige Bilanz. Selbiges geschieht gerade in Oldenburg/Holstein. 80 Kilometer lang ist die Anfahrt in die nächste Geburtenstation. Das wird auch Tote und Schadensfälle ergeben! Dann „hoffentlich Allianz-versichert”. Die ist nämlich Mitbetreiber der Sana Kliniken AG in Oldenburg. Das ist die Spitze der technisierten, medikalisierten, unmenschlichen Geburtsmedizin.

Seit Jahren ist zu beobachten, dass ausschließlich profitorientiertes Wirtschaften honoriert und gefördert wird. Und das Land Schleswig-Holstein fühlt sich nicht zuständig. Die stetig anteigende Kaiserschnittrate ist nicht mit geburtshilflichen Notfällen zu erklären, sondern entsteht unter anderem, um die wirtschaftliche Situation der Kliniken zu verbessern. Die Rate ist seit Einführung der DRGs stetig gestiegen. Der Auftrag, eine flächendeckende primäre Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, wird nicht mehr erfüllt. Ein Armutszeugnis für diesen Staat! Der Fehler liegt im System und dieses muss von Grund auf neu gestaltet werden.

Die jüngsten Aktivitäten zur sogenannten „Rettung der Hebammengeburtshilfe” sind nicht mehr als Lippenbekenntnisse, die wohl der Beruhigung der Bevölkerung und der von Berufs wegen geduldigen Hebammen und deren Verbänden dienen sollen. Zielführend im Sinne der Hebammen sind sie keinesfalls. Es ist ein „Mehr vom Gleichen”, dessen Scheitern bereits besiegelt ist. Eine gesetzlich vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung kann nicht dem freien Markt primär gewinnorientierter Großkonzerne überlassen werden.

Eine neue Sichtweise

Geboren werden und Sterben sind urmenschliche Ereignisse, die keinesfalls standardisiert und in Leitlinien gepresst werden können. Sie geschehen von selbst und individuell und sind als solche nicht versicherbar, denn sie sind das Leben an sich. Es muss eine neue Sichtweise diskutiert werden, die diesen natürlichen Prozessen gerecht wird. In diesem Sinne geht das die gesamte Gesellschaft an: Wie will ich geboren werden beziehungsweise gebären und wie möchte ich sterben? Diese Lebensereignisse grundsätzlich als Risiko zu betrachten und als solches versichern zu wollen, führte unter anderem zu unserem heutigen Dilemma: Die absurde Situation, dass ohne Hebamme nicht geboren werden darf (Hinzuziehungspflicht), die Hebamme aber ohne Versicherung nicht arbeiten kann (Berufsverbot).

Geburt ist ein lebendiger Vorgang, und mit der Lebendigkeit und dem Leben an sich gehen Unwägbarkeiten einher. Geburt ist kein Vorgang, der sich normieren lässt wie die Produktion eines Autos. Was wir brauchen, ist eine neue Debatte zu Grundsatzfragen des Menschseins an sich. Durch Rechtsprechung, Ökonomie und fragwürdige Konzepte wie Qualitätsmanagementsysteme kommt es zu einer kategorischen Ablehnung von etwas, was nicht sein darf, nämlich Krankheit oder dramatische unwägbare Verläufe. Als solches sind das Leben und das Lebendige an sich nicht versicherbar.

Eine Gesellschaft, in der Geburt nicht mehr sein darf, was sie ist, in der es nur noch um Profit und Gewinnmaximierung geht, wird sich selbst auslöschen. Es ist nicht die Frage, ob durch Fehler geschädigte Menschen eine Entschädigung erhalten oder nicht. Die Frage ist: Wer trägt diese Verantwortung? Und dies ist eine gesamtgesellschaftliche Frage, die nicht beschränkt auf eine kleine Berufsgruppe ausgetragen werden kann. Dies geht uns alle an, wenn wir für den Fortbestand einer Gesellschaft eintreten wollen.

Hebammen standen seit Menschengedenken an der Seite der Frauen. Es ist der älteste weibliche Beruf, der immer zwischen tiefster Ehrfurcht, höchster Anerkennung und größtem Misstrauen wandelte. Viele meiner Ahninnen landeten auf dem Scheiterhaufen, und mit den Flammen verbrannte auch ihr Wissen. Heute sind es die Haftpflichtversicherungen, die meine Kolleginnen zum Aufgeben zwingen. Und es sieht mir ganz danach aus, als stünde ein von langer Hand geplantes endgültiges Aushebeln der Hebammen und deren Wissen über gekonnte „Nicht-Intervention” kurz vor seiner Vollendung.

Um dies vielleicht noch zu verhindern und nichts unversucht zu lassen, stehe ich heute hier. Ich komme also nun zu den ganz konkreten Forderungen an diese Regierung – eine Regierung, die Banken rettet, Diäten erhöht, Kliniken schließt, Atomkraftwerke mit oder ohne Versicherung laufen lässt, Elterngeld bezahlt, um Anreize zur Familienbildung zu schaffen, nur etwas Wesentliches haben Sie vergessen: Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett!

Die Forderungen

Und nun meine Forderungen, die ich im Namen aller meiner Kolleginnen und der von uns zu betreuenden Familien an Sie richte. Ich möchte Sie hier noch daran erinnern, dass Sie alle durch die Hände einer Hebamme geboren wurden! Dass Sie vielleicht auch Töchter oder Schwiegertöchter haben, die sich eine wohnortnahe geburtshilfliche Versorgung nicht nur wünschen, sondern diese auch dringend brauchen. Mir ist absolut bewusst, dass durch die Verzögerungstaktik, die sich nun über Jahre hinzieht, längst nicht alles sofort umgesetzt werden kann, denn es fehlen die entsprechend ausgebildeten Hebammen, nicht das Geld, denn das ist satt im System. Aber Sie müssen jetzt sofort die Weichen stellen. Die jetzige Situation ist unhaltbar und eine Schande für unser Land, das sich fortschrittlich nennt, aber geburtshilflich zum Entwicklungsland geworden ist.

In diesem Sinne möge der Bundestag beschließen:

Kurzfristig/sofort:

  • Flächendeckende geburtshilfliche Einrichtungen zur Grundversorgung: Diese müssen innerhalb von maximal 25 bis 30 Minuten erreichbar sein. Die Schließung weiterer geburtshilflicher Einrichtung ist nicht hinnehmbar und muss sofort gestoppt werden.
  • Schwangere müssen in ihrem sozialen Umfeld bleiben und dort geburtshilfliche Grundversorgung finden können. Keine Entwurzelung der Schwangeren durch sogenannte Boardinghäuser! Der Bedarf muss sich an der Bevölkerung orientieren und nicht am zu erwirtschaftenden Profit. Im Zweifel muss ein Land die Einrichtungen finanziell unterstützen, schließlich geht der Fortbestand einer Gesellschaft alle etwas an.
  • Abschaffung von „Zwangsmitgliedschaften” der Hebammen in einem Verband, um in einer Gruppenhaftpflichtversicherung versichert werden zu können, für die dann entsprechende Prämien bezahlt werden. Eine Hebamme muss sich bezahlbar versichern können, ohne einem Verband anzugehören, der wiederum eigene Interessen vertritt. Keine Hebamme darf zu einer Verbandsmitgliedschaft gezwungen werden. Dies muss sofort gesetzlich geregelt werden.
  • Sofortiges Einschreiten gegen die absehbare „Zwangsrekrutierung” in den Deutschen Hebammenverband (DHV), da dieser eine unbezahlbare Versicherung von über 6.000 Euro bis 2016 anbieten kann. Diese führt nur zu weiteren Verzögerungen bezüglich echter tragfähiger Lösungen.
  • Transparenz über die Zahlung von Prämien von den Versicherungen
  • Transparenz über die Zahlung von Entschädigungen im Schadensfall.

Mittelfristig/bis Juli 2015:

  • Haftungsfonds: keine privatwirtschaftlichen, gewinnorientierten Versicherungskonzerne, sondern ein System der Absicherung, das keine fremden Interessen bedienen muss.
  • Haftungsobergrenzen: 10 statt 30 Jahre Haftungsdauer – keine Haftung aus dem Privatvermögen der einzelnen Hebamme
  • Haftpflichtversicherungen müssen auch für BerufsanfängerInnen, die oft als zweite Hebamme mit erfahrenen Kolleginnen Geburten begleiten, bezahlbar oder entsprechend gestaffelt sein.
  • Ein Schadensfall darf nicht zur Kündigung führen, da dies einem Berufsverbot entspricht.
  • angemessene Vergütung, die den hohen Ansprüchen an den Berufsstand Rechnung trägt (Rufbereitschaft, QM, Fortbildungspflicht).

Langfristig:

  • Schaffung einer tragfähigen Altersvorsorge für Hebammen
  • Schaffung einer berufsständischen Kammer, die Normatives, Versicherungen und Qualitätsstandards regelt und sich der Altersversorgung annimmt
  • Festlegung von Ausbildungsstandards und einer Ausbildungsreform zur Förderung der natürlichen Geburt
  • Erhaltung der Hinzuziehungspflicht der Hebamme
  • Streichung von Mindestgeburtenzahlen: Qualität in der Geburtshilfe ist nicht über Quantität erreichbar – im Gegenteil!
  • Schaffung der notwendigen Grundlagen für eine Eins-zu-eins-Betreuung, da dies die einzige sichere Form der Betreuung in der Schwangerschaft und der Geburt darstellt
  • Neuregelung der Schwangerenvorsorge, denn dies ist der Schlüssel für gesunde Geburtshilfe und gehört als solcher primär in Hebammenhände
  • Neuordnung des Abrechnungssystems in der klinischen Geburtshilfe.

Dies dient letztendlich der Förderung der natürlichen Geburt.


Hinweis: Die vorab schriftlich formulierte Rede wurde für diesen Artikel geringfügung redaktionell bearbeitet.


Links
Der Link zur Mediathek des Deutschen Bundestages, unter dem die Rede der Petentin Sabine Schmuck im genauen Wortlaut zu hören ist, lautet http://dbtg.tv/fvid/3556003.
Zitiervorlage
Schmuck S: Petition zur Sicherstellung mit Hebammenhilfe: Weichen stellen! DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2014. 66 (8): 65–66
Literatur
https://staudeverlag.de/wp-content/themes/dhz/assets/img/no-photo.png