Um Konzepte, Erfahrungen und Ziele für das berufsübergreifende Lehren, Lernen und Arbeiten in den Gesundheitsprofessionen drehte sich ein internationales Symposium am 8. und 9. Oktober unter dem Motto »Die nächsten Schritte … von interprofessioneller Bildungsarbeit zu kooperativer Praxis.« Veranstalter waren das Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Charité und die Universität Toronto. Als Förderer der interprofessionellen Bildungsarbeit stellte die Robert Bosch Stiftung ihre Räume in Berlin zur Verfügung, wo sich rund 100 TeilnehmerInnen aus verschiedenen Gesundheitsberufen einfanden.
In seinem Einführungsvortrag zeigte Prof. Dr. Michael Ewers vom Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Charité die deutsche Perspektive auf die interprofessionelle Bildungsarbeit. Die Auseinandersetzungen über Kooperationen und Teamarbeit in der Gesundheitsversorgung könnten inzwischen auf eine lange Tradition zurückblicken. Nur geändert habe sich noch nicht viel. Die bisherigen Initiativen hätten nur begrenzt gewirkt. Das deutsche Gesundheitssystem sei in bemerkenswerter Weise ausdifferenziert und jede Profession grenze sich hierarchisch gegen die andere ab. Das bedeute aber, dass keine für die andere einspringen könne, weil jede nur »ihres« beherrsche.
Die Emanzipationsbewegungen der Pflegeberufe und ihr Drang an die Hochschulen würden mit der Forderung nach immer größerer Kompetenz begründet, aber auch mit dem Wunsch, sich stärker zu profilieren. Diese berufsständischen Ausbildungen vergrößerten das Spannungsfeld zwischen den GeneralistInnen und den SpezialistInnen.
Das führe nicht nur zu Frust innerhalb der klinischen Teams und zwischen den außerklinischen VersorgungsanbieterInnen, sondern auch zu einer nachweisbar schlechteren Versorgung der PatientInnen, deren Sicherheit und Wohlergehen sich jede dieser Professionen auf die Fahne geschrieben habe.
Das bisherige System sei eben nicht von den PatientInnen ausgedacht, sondern von Seiten der Professionen. Es gebe gepflegte Vorbehalte gegen gemischt zusammengesetzte Fakultäten, keine gemeinsame Interessenvertretung und einen ÄrztInnenvorbehalt, der auf keinen Fall angefasst werden solle.
Haben PatientInnen eigentlich Verständnis für die mangelnde Kommunikation der einzelnen Berufsstände rund um ihre Krankheit, war eine viel diskutierte Frage. Diese lasse sich für Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen bereits beantworten, weil es dazu Untersuchungen gebe: »Nein, sie haben kein Verständnis und wünschen sich berechtigterweise eine Zusammenarbeit, aller sie versorgenden Professionen.«
Toronto als Vorbild
Dr. Cynthia Withehead von der Universität Toronto konnte aus einem 20-jährigen Erfahrungsschatz der interprofessionellen Bildungsarbeit in Kanada berichten. Nicht jedes Modell habe funktioniert und sie warnte davor, die gleichen teuren Fehler zu wiederholen.
Studien aus verschiedenen Ländern belegten inzwischen, dass gemeinsames Lernen auf dem gleichen Campus in gemeinsamen Veranstaltungen den Blickwinkel auf die andere Profession verändere und zu einer verbesserten Versorgung führe. Es reiche aber nicht aus, verschiedene Berufsgruppen zusammenzubringen und zu hoffen, dass sich dann Vorurteile von allein abbauen würden. Es müsse im Vorfeld klar definiert sein, was das Ziel der gemeinsamen Ausbildung sei. Sollten Pflegekräfte ärztliche Tätigkeiten übernehmen können? Sollten die Berufskompetenzen vermischt werden?
StudentInnen, die sich für ein Medizinstudium an der Universität eingeschrieben hätten, gingen mit dem gefühlten Privileg dorthin, später einmal Arzt oder Ärztin zu sein. Während PflegestudentInnen von vornherein klar sei, dass sie später auf Anweisung eben dieser ÄrztInnen ihre Aufgaben erfüllen würden. Whitehead nannte es den Unterschied in der Power, mit der die jeweiligen Berufsgruppen an der Hochschule studierten. Diese führte automatisch zu einer Attitüde, die sie von anderen Gruppen abgrenze und die durch die Lehre auch unterstützt werde.
Es gebe bisher noch keine Cochrane-Studien, die belegen könnten, dass die interprofessionelle Ausbildung eine Verbesserung für die PatientInnen ergebe.
Allerdings hätten die bisherigen Studien die soziologische Komponente nicht beforscht. Und es sei eine Illusion zu glauben, dass die interprofessionelle Ausbildung es schaffen könne, die strukturellen Probleme eines Medizinsystems aufzulösen. Die Zusammenarbeit zu entwickeln, brauche sehr viel Zeit. Whitehead sieht sich nach 20 Jahren Arbeit drei Schritte vorangekommen: über Stufe 1 »Was ist eigentlich Teamarbeit?«, über Stufe 2 »Welche Rolle haben die Teams in der PatientInnenversorgung?« nun zu Stufe 3 »PatientInnen sind PartnerInnen in diesem Team – wir treffen gemeinsame Entscheidungen«. Das Ziel sei damit aber noch nicht erreicht.
Stolpersteine erkannt
Prof. Sylvia Langlois, Mitarbeiterin am Zentrum für interprofessionelle Ausbildung und Ergotherapeutin von der Universität Toronto, konnte über erfolgreiche Team-Maßnahmen berichten:
- Es gibt in Toronto eine interprofessionelle Studierenden-Organisation.
- Das Ziel des Lernens ist klar als Theorie-Praxis-Transfer beschrieben. Was Studierende an der Universität lernen, tragen sie in die klinischen Teams und bewirken damit eine Veränderung.
- Ganz konkret wird bei Einstellungsgesprächen inzwischen nach den Fähigkeiten für interprofessionelle Zusammenarbeit gefragt und auf dieser Basis eingestellt.
- Eine Herausforderung ist nach wie vor der Brückenbau zwischen den einzelnen Fächern in den verschiedenen Studiengängen.
Aufgrund ihrer Erfahrungen kennt Langlois die Stolpersteine dieser Visionen natürlich auch: Interdisziplinäre Fallbesprechungen auf klinischen Stationen scheiterten am Personal- und Zeitmangel. PflegerInnen hätten Hemmungen, ärztliche MitarbeiterInnen selbst im berechtigten Fall zu kritisieren. Dennoch ist sie sich sicher, dass interprofessionelle Ausbildung neue Verantwortungsbereiche und mehr Emanzipation schafft, auch schon für die Studierenden.
Beispiele aus der Praxis
In kleineren Gruppen konnten im Anschluss an die Einführungsvorträge Beispiele aus der Praxis gehört werden.
Ein erfolgreiches interprofessionelles Wahlpflicht-Modul zu komplementärmedizinischen Verfahren wurde an der Universität Lübeck etabliert und evaluiert: Dort lernen Pflege-, Physiotherapie- und Medizinstudierende gemeinsam, in Zukunft möglicherweise auch die Hebammenstudierenden. Als Problem erweise sich dabei laut der dortigen Dozentin Kristiane Flägel der Umfang der zu leistenden Hausarbeiten, der in den einzelnen Fächern unterschiedlich gewichtet werde. Solche Ungleichheiten führten zu Missstimmungen, die sich auf ein sonst gut angenommenes Angebot auswirkten.
Der Schweizer Sozialwissenschaftler und Berater für die Bildung im Gesundheitswesen Dr. Beat Sottas setzte sich kritisch mit der Idee der interprofessionellen Praxis-Ausbildungsstationen auseinander. In schwedischen Kliniken würden ganze Abteilungen ausschließlich von Studierenden verschiedener Professionen geführt. Die gemeinsame Verantwortung führe zu einer anderen Wahrnehmung der Sinnhaftigkeit der Arbeitsabläufe, aber auch des anzuhäufenden Wissens, um die PatientInnen angemessen betreuen zu können, und werde von den Studierenden sehr geschätzt. Allerdings würden diese Projekte zeitlich nur einen kleinen Teil der Ausbildung einnehmen, aber erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen binden. Sottas hinterfragte, ob diese sehr weit fortgeschrittenen Lehrformate (Stufe 6, siehe Abbildung) allen Lernenden gerecht würden. Er empfahl, zunächst leichtere Lehrformate einzusetzen, die der Stufe 2 oder 3 entsprechen. Das könne die beobachtende Begleitung anderer Professionen für drei Stunden sein, die anschließend beschrieben und gespiegelt werde. Oder auch der Besuch und die Begleitung von chronisch Kranken in ihrem Alltag mit anschließender Aufarbeitung.
Als einzige Hebamme präsentierte Monika Kraienhemke, Pädagogin aus Köln, ihr Thema: »Wer bin ich in der Zusammenarbeit mit anderen? Der Einfluss von beruflicher Identität auf die interprofessionelle Zusammenarbeit«.
Anschließend konnten alle TeilnehmerInnen aus sechs parallelen Workshops wählen: interprofessionelles Peer-gestütztes Lernen, Umgang mit Heterogenität, Forschungsaktivitäten und -strategien, kooperative Primärversorgung, Förderung der Patientensicherheit und Patientenbeteiligung.