Der riesige Markt für Gesundheits-Apps hat in den letzten Jahren den weiblichen Zyklus entdeckt. Können sie die fruchtbaren Tage vorhersagen? Ein Überblick aus wissenschaftlicher Sicht.
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Der riesige Markt für Gesundheits-Apps hat in den letzten Jahren den weiblichen Zyklus entdeckt. Können sie die fruchtbaren Tage vorhersagen? Ein Überblick aus wissenschaftlicher Sicht.
Laufend erscheinen neue Zyklus-Apps, die zum Erzielen einer Schwangerschaft oder zur Verhütung geeignet sein sollen. Die Idee dahinter ist, die App mit Zyklusdaten zu füttern, woraus diese dann das fertile Fenster bestimmt und der Anwenderin anzeigt, wann sie schwanger werden könnte und wann nicht, häufig noch mit Angabe von Wahrscheinlichkeiten.
Das Prinzip ist nicht neu. Unter dem Begriff Natürliche Familienplanung (NFP) wurden seit den 60er Jahren verschiedene Methoden entwickelt. Neu ist lediglich, dass Programme entwickelt werden, die die Auswertung der Beobachtungen und Messungen für die Nutzerin übernehmen. Aktuell gibt es Apps in drei Kategorien:
TÜV-Siegel, CE-Klassifizierung oder die jüngste Zulassung der amerikanischen Arzneimittelbehörde einer Verhütungs-App sagen nichts über die Verhütungssicherheit aus. Denn diese Institutionen führen keine eigenen Studien durch, sondern verlassen sich auf Herstellerangaben. Die Hersteller werben zwar mit »Big-Data-Studien«: Es handelt sich hierbei jedoch nicht um aussagekräftige kontrollierte Studien, sondern um gesammelte Zufallsdaten, die in entscheidenden Punkten unvollständig sind.
Alle Apps, die ein fertiles Fenster anzeigen, müssen die physiologischen Grundlagen berücksichtigen, nämlich die Variabilität des normalen Zyklus. Dessen Länge und damit auch der Zeitpunkt des Eisprungs schwanken bei zwei Dritteln aller Frauen um mehr als sieben Tage innerhalb eines Jahres. Innerhalb des sechstägigen fertilen Fensters ist die Empfängniswahrscheinlichkeit unterschiedlich, an den ersten beiden Tagen um die 5–10 %. Die zwei bis drei fruchtbarsten Tage liegen unmittelbar vor dem Eisprung und haben eine Schwangerschaftswahrscheinlichkeit von 20–30 %.
Konsequenz für den Kinderwunsch: Aufgrund der natürlichen Schwankungsbreite des Zyklus ist es nicht möglich, die fruchtbaren Tage und den Eisprung im Voraus zu berechnen. Diese müssen im aktuellen Zyklus beobachtet und bestimmt werden.
Prognose-Apps treffen Vorhersagen zum fertilen Fenster aus Daten und Durchschnittsberechnungen vorangegangener Zyklen, meist aus Zykluslängen. Dazu zählen etwa Clue, Flo, Maya, Period Tracker, Mein Eisprungsrechner und viele weitere. Informationen aus dem aktuellen Zyklus spielen keine Rolle, denn obwohl teilweise verschiedene Parameter wie Zervixschleim oder Körpertemperatur eingetragen werden können, werden diese in der Auswertung nicht oder nur unzureichend berücksichtigt.
Apps, die Prognosen anhand von Daten vergangener Zyklen abgeben, berücksichtigen nicht die Zyklusphysiologie und sind aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht nicht ernst zu nehmen. Sie sind unter Umständen kontraproduktiv, weil Paare mit einem Kinderwunsch dadurch verleitet werden, den Sexualverkehr auf die »falschen« fruchtbaren Tage zu konzentrieren.
Nicht täuschen lassen sollte man sich von Temperatur-Apps oder vermeintlich symptothermalen Apps, die sogar den Temperaturanstieg und zum Teil auch das Zervixschleim-Muster auswerten, diese jedoch nicht für die Bestimmung des fruchtbaren beziehungsweise hochfruchtbaren Fensters im aktuellen Zyklus verwenden, sondern lediglich für die Prognose in Folgezyklen. Das gilt beispielsweise für Natural Cycles, Ovolane, Ovy. Mit dieser Vorgehensweise sind sie den reinen Kalender-Apps ähnlich und scheiden von vornherein als unwissenschaftlich aus.
Nutzerinnen sollten sich bei den Fertilitäts-Apps fragen: Werden die persönlichen Daten nur pseudonymisiert ausgewertet oder können die Hersteller sie den einzelnen Personen zuordnen? Wie sicher ist der Datenschutz? Die NFP-Apps haben teilweise einen guten Datenschutz, die Prognose-Apps für die Massenverbreitung jedoch in der Regel nicht.
NFP-Apps fußen auf bekannten Methoden der Natürlichen Familienplanung, die es schon seit Jahrzehnten gibt. Bei diesen beobachten Frauen Zyklusparameter wie Temperatur und Zervixschleim und bestimmen nach standardisierten Regeln das fertile Fenster im jeweils aktuellen Zyklus. Sie sind jedoch unterschiedlich effektiv. Die Sektion Natürliche Fertilität der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsmedizin (DGGEF) empfiehlt evidenzbasierte Varianten der symptothermalen Methode, zum Beispiel Sensiplan. Diese Methode hat in prospektiven Studien eine hohe Verhütungssicherheit gezeigt. Es gibt nun dazu Apps, die die Frauen bei der Auswertung unterstützen (z.B. Lady Cycle, myNFP, Neome und eine Variante von lily).
Voraussetzung bei den NFP-Apps ist, dass die Nutzerinnen lernen, ihren Körper entsprechend zu beobachten, bei Kinderwunsch insbesondere den Zervixschleim. Zudem brauchen sie Zugang zu einem qualifizierten Beratungsservice (NFP-Beraterinnen unter www.nfp-online.de). Auch diese Apps benötigen jedoch Studien für den praktischen Nachweis ihrer Effektivität, die bisher fehlen.
Es wird immer wieder versucht, mit neuen Parametern das fertile Fenster zu bestimmen, zum Beispiel Hormonkonzentrationen in Urin oder Speichel, periphere nächtliche Körpertemperatur oder nächtlicher Ruhepuls. Dabei werden die Messungen beispielsweise von Armbändern vorgenommen und an die App übertragen, so wie bei Ava. Jedoch wurde bis heute kein Parameter gefunden, der auch nur annähernd die notwendige Genauigkeit aufweist. Zwar finden sich häufig gewisse Korrelationen zu den Zyklusphasen, jedoch sind diese nicht eng genug, so dass keine sichere Anzeige des fertilen Fensters abgeleitet werden kann. Die ersten Studienergebnisse zu den auf dem Markt befindlichen neuen Entwicklungen sind nicht sehr ermutigend.
Die meisten Apps, die ein fertiles Fenster anzeigen, sind von vornherein unbrauchbar oder experimentieren mit neuen Parametern und können derzeit nicht empfohlen werden. Es gibt jedoch einzelne Apps, die auf bekannten, evidenzbasierten NFP-Methoden beruhen. Zusammen mit qualifizierter Beratung oder geeigneter schriftlicher Einführung können Frauen mit einem Kinderwunsch damit ihre fruchtbaren Tage bestimmen.